Orbis non sufficit: Mit James Bond übers Schilthorn


Publiziert von Nik Brückner , 2. Oktober 2023 um 10:55.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum:27 September 2023
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 1500 m
Strecke:17,5 Kilometer
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit der Seilbahn von Stechelberg nach Mürren (dort ist kein Autoverkehrt zugelassen)
Unterkunftmöglichkeiten:In Mürren, in der Rotstockhütte

Die Berge als Drehorte! Finde ich super interessant. Vor allem dann, wenn's im Film ganz anders aussieht als in Wirklichkeit. Der Paternkofel etwa, der in dem (leider vergessenen) Fantasy-Klassiker "Krull" zu sehen ist (Colwyn hat das Glaive in einer Höhle im Paternkofel gefunden). Oder die Große Zinne, die in "Solo: A Star Wars Story" zu sehen ist, in der Szenenfolge mit dem Güterzug. Auch als Bondfan hat man in den Alpen so einges zu tun: Da wären etwa die Innenstadt von Bern, Cortina d'Ampezzo oder die Seebühne in Bregenz. Einer der interessantesten Bond-Drehorte, na, aus alpinistischer Sicht, dürfte aber das 2969 Meter hohe Schilthorn sein. Ein ordentlicher Chunk des 1969er-Films "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" spielt um, auf und nicht zuletzt in seinem Gipfel. Bonds Nemesis Ernst Stavro Blofeld betrieb hier "Bleuchamps medizinisches Institut für Allergien" - natürlich bloß eine Fassade für weitaus weniger harmlose Machenschaften.

Ich hab ja nicht geglaubt, dort dieses Jahr noch hinaufzukommen. Ein erster Versuch im August ist gleich mal am Wetter gescheitert. Ein Versuch, den Berg von Westen zu besteigen, scheiterte daran, dass man nicht in den Spiggegrund fahren darf. Aber ich dachte mir: Sag niemals nie! Dann trage ich das Geld, das ich im Kiental ausgeben wollte, eben nach Mürren. Man muss halt flexibel sein.


...oder auch nicht. Ich hatte nämlich Schubi gefragt, ob er mitkommen wolle. Leider konnte er nicht, wie schon neulich am Lagginhorn - diesmal zum Glück nicht aus gesundheitlichen Gründen. Grußerl an Dich!

Oh, und über die zu dieser Tour passende Musik müssen wir nicht lange diskutieren. Für diese Tour gibt es nur einen möglichen Soundtrack.
 
 
Und so startete ich eines frühen Morgens in Mürren (1625 m). Mürrisch, denn Morgenstund ist aller Laster Anfang, wie man so sagt. Und es wurde ja auch schon langsam hell. "Comes the morning and the headlights fade away" - als ich an der Schule vorbeikam, ging am Eiger die Sonne auf.

Der breite Wanderweg brachte mich nach Gimmeln, am Eingang des Schilttals. Abzweige nach rechts, Richtung Schiltalp, ignorierte ich, Abzweige nach links sowieso, und wanderte so geradewegs zwischen den Häusern hindurch.

Hier überholte mich ein Trailrunner. "He always runs while others walk". "I've spent a lifetime running" sagt er - also dann, soll er gern. Ich hab's lieber gemütlich.

Hinter Gimmelenweid überquerte ich den Schiltbach und wanderte auf dessen linker Seite taleinwärts. In etwa 1920 Metern Höhe ging's dann erneut über den Bach.

In diesem Bereich wurde der Weg zum Schilthorn umgelegt. Derzeit wird eine neue Bahn gebaut. Dazu werden an der Station Birg Sprengungen vorgenommen. Damit dadurch ausgelöster Steinschlag niemanden trifft, verläuft der Weg näher am Bach.

Bald geht's aber hinauf auf die Normalroute, die in der Folge ordentlich aufsteilt. Es geht rauf zu der Abzweigung Richtung Rotstockhütte, hoch oben im Osthang des Schilthorns.

Mürren - Abzweig - markierte Wanderwege, T2, 1:50h


Hier zwog ich rechts hinauf zum Grauseeli (2514 m).

Am Seeli machte ich eine Pause - allerdings nur eine kurze, derzeit hat es hier die Geräuschkulisse einer Baustelle.

Dann stieg ich hinauf zu der Schotterstraße, die von der Station Birg herüberkommt, wanderte auf ihr links bergan und verließ sie an ihrem Ende.

Das letzte Stück zum Schilthorn wartete dann wieder mit alpinem Setting auf: Fels, Schnee, und natürlich die Aussicht nach Süden: Jungfrau, Gletscherhorn, Mittaghorn, Grosshorn, Breithorn, Tschingelhorn und natürlich das markante Gspaltenhorn. Das Gelände war aber gut begehbar, bis auf eine kleine vereiste Stufe am Chly Schilthoren (2863 m), an der ich ein bisschen tricksen musste. Dann ging's am Grat entlang weiter.

Jetzt war's nicht mehr weit. Mit dieser Musik im Ohr stieg ich die letzten Meter hinauf auf's Schilthorn, nur wenige Schritte neben der Kletterroute, über die Bonds Kollege Shaun Campbell damals auf den Gipfel zu gelangen versuchte. Und kalt war's! "The coldest blood runs through my veins". Und ich hatte nur fingerlose Handschuhe an. "Such a cold finger" - "just a slight stiffness coming on". 
 
Ich kam also anders oben an als einst Sir Hilary Bray. Der wurde ja mit dem Hubschrauer hinaufgeflogen, eingemummelt in seinen feinen Wollmantel. Ich dagegen musste zu Fuß auf's Schilthorn (2969 m)...

Abzweig - Schilthorn: markierte Wanderwege, T3, 1:15h


Der höchste Punkt meiner Tour! "Like heaven above me" - aber bei einem derartig ausgebauten Gipfel sagt meine innere Stimme immer: "don′t go in". Ich ging dann aber doch rein, denn "all I wanted was a sweet distraction for an hour or two".

Abrr Voorsicht: "If you come inside things will not be the same"...
 
Ich war früh dran, dennoch war schon ein bisschen Trubel. Ein Brite sah meine Ausrüstung und fragte doch glatt, warum ich heraufgelaufen bin. Wo es doch eine Seilbahn gibt. "Well, I like to do some things the old-fashioned way." Seine Antwort: "Shocking. Positively shocking." Ich retournierte: "Ich bitte Sie. Ein 70-Jähriger kommt hier hoch". 

I Think He Got The Point: "Tja, das Dumme ist nur, dass ein 70-Jähriger nie zur Hand ist, wenn man ihn braucht."

Bondfans überall. Kein Wunder, schließlich wurde 1968/69 hier oben der James-Bond-Streifen "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" gedreht. Und das Panoramarestaurant auf dem Schilthorngipfel trägt bis heute den fiktiven Namen, den ihm der Film verpasst hat: "Piz Gloria". Ebenfalls kein Wunder, schließlich hat die Produktionsfirma das Ding mitfinanziert...

Die Seilbahnstation und das Drehrestau wurden von dem Berner Architekten Konrad Wolf erbaut, zwischen 1963 und 1968. Das gilt heute als Pionierleistung im Bereich der Tourismusarchitektur. Um 1990 wurden Teile umgebaut und vergrößert, insgesamt behielt die Station aber ihren ursprünglichen Charakter. Das für damalige Verhältnisse futuristische Bauwerk gilt heute als besonderer Repräsentant des Zeitgeists der 60er Jahre.

Berühmter ist die Gipfelstation aber, weil sie als Drehort für den Bond-Film diente. Ein ordentlicher Chunk der Handlung findet dort oben statt. Der Drehort wurde nach monatelanger Suche vom deutschen Produktionsleiter Hubert Fröhlich ausgewählt. Dumm war nur, dass das Gebäude zum Drehstart nicht fertig war: Beim Bau der Schilthornbahn hatte es Finanzierungsprobleme gegeben. Aber weil die Zeiten damals andere waren, sprangen die Filmproduzenten kurzerhand ein und bezahlten den gesamten Ausbau des Gipfelgebäudes, sowie sämtliche Transport-, Betriebs- und Personalkosten der Schilthornbahn für die Zeit der Dreharbeiten. Sogar einen von den Bergbahnbetreibern eigentlich gar nicht eingeplanten Helikopterlandeplatz ließen die Bond-Produzenten bauen, nur für den Film. Er dient heute als Aussichtsplattform.
 
Auch die Inneneinrichtung des Gipfelrestaurants konnten die Filmproduzenten ganz nach ihren Wünschen gestalten. Ein großer Teil davon ist heute noch zu sehen, unter anderem das goldene Gitter im oberen Bereich. Weitere Requisiten sind heute im Bond-Museum "Spy World" zu sehen, dessen Besuch natürlich ein absolutes Muss ist.
 
Der Name "Piz" erklärt sich im Übrigen dadurch, dass sich der Gipfel im Film im Oberengadin befindet, unweit von Pontresina. Warum Tracy und Bond zum Telefonieren nach Feldkirch fahren müssen, wird aber auch dadurch nicht klar...

 
Und nun? Sollte ich, wie einst James Bond, ein Menü auf dem Piz Gloria einnehmen? Oder mir vielleicht einen Martini bestellen? Einen Vesper? Na, lieber nicht - der Barkeeper sieht teuer aus: "He charges a million a shot". Ich setzte mich nicht einmal - auf dem Platz, den ich im Auge hatte, lag "a phone on the table".

Ich ging mir erstmal die Hände waschen. Im Waschbecken sah plötzlich ich "reflections on the water": "a door left open, a woman walking by" - als ich mich umdrehte, sah ich nur noch, wie sie um die Ecke verschwand. Das wär’ dem anderen nie passiert. Ich folgt ihr, die Treppe hinauf und gelangte hinaus auf die Aussichtsplattform

Die Aussicht! Das geht los mit - na mit was wohl! Eiger, Mönch und Jungfrau. Im Süden schließt sich eine lange Kette eindrucksvoller 3000er an: Gletscherhorn, Mittaghorn, Grosshorn, Breithorn, Tschingelhorn, Gspaltenhorn, Morgenhorn und Wyssi Frau, Blüemlisalphorn und Doldenhorn. Weiter hinten Wildstrubel und Oldenhorn, dann folgt der Niesengrat, vom Gsür bis hinüber zum Fromberghore und zum Niesen. Dahinter erheben sich Pointe de ParayVanil NoirDent de Brenleire, Dent de RuthVanil d'ArpilleSchopfenspitzKaisereggSchibe und Widdersgrind, BürglenGantrischNüneneflue, und Chrummfadeflue, Stockhorn und NüschleteGanz hinten am Horizont schließlich sind in den Vogesen Grand und Petit Ballon zu sehen, im Schwarzwald Belchen und FeldbergViel näher, im Nordwesten, Dreispitz, Latrejespitz und First.
 
Im Norden, jenseits des Thunersees, sind das Sigriswiler Rothorn und die Sibe Hängst zu sehen, der Furggegütsch und die Schrattenfluh. Sogar Grönflue und Schafmatt meinte ich ausmachen zu können. Davor erstreckt sich der wunderschöne Brienzergrat.
 
Und im Nordosten: Wildgärst und Schwarzhorn, Titlis und die Dreiergruppe von Wetterhorn, Mittelhorn und Rosenhorn. "Oh, what a thrill! Fascinations galore!" 

Aber was war das? Ein Angriff auf den Piz Gloria? Yep, der nächste Schwung Touristen enterte den Gipfel. Und so dachte ich eher schnell als langsam an den Abstieg. Allerdings war es noch recht früh, gerade mal halb zwölf. Sollte ich die gleiche Route wieder hinunter? Mehr oder weniger so war es geplant, mit einer Variante über die Nadla. Doch ich hatte all the time in the world und so beschloss ich, aus meiner Besteigung eine Überschreitung zu machen, und über den Westgrat zur Rotstockhütte abzusteigen.

Ein Warnschild rät davon allerdings ab: "Achtung! Von hier aus begeben Sie sich in ein Gebiet mit alpinen Gefahren!" - "you won′t need to read between the lines". Ich ignorierte die Warnung, dachte mir "I'd leave alone" und stieg im Angesicht des Todes von der Plattform hinunter auf den Westgrat. "Don't think of the danger" - "There's no point in living if you can′t feel alive"!

Der Westgrat ist allerdings ohne, und dort, wo er nicht ohne ist, helfen aufwändige Geländer, Klammern und eine steile Metalltreppe. Äh - Leiter. Und so stieg ich die Leiter hinunter.

Die Leiter, nicht den Leiter. Ist in Wirklichkeit doch eine Treppe. Gut festhalten und nicht auspsychen. Ich sterb an einem anderen Tag. 

Der Grat wird aber bald wieder zahm und über Sattel (2798 m) und Sattel (2828 m, den gibt's nur auf Hikr) ging's hinunter in den Sattel Rote Härd (2682 m). Von hier aus wendet sich der Wanderweg nach links vom Gratrücken ab.

In 2340 Metern Höhe wird der Sefibach überschritten, danach geht's noch weit hinunter ins Grüne. Schnell langte ich an der Rotstockhütte (2041 m) an.

Schilthorn - Rotstockhütte: markierte Wanderwege, T3, 1:20h


Wo ich eigentlich gar nicht pausen wollte. Aber die Hütte ist so schön, dass ich einfach nicht anders konnte.

Ich wanderte dann weiter Richtung Osten, wo ich am nächsten Abzweig den Weg halblinks nahm, um doch noch auf den Grasrücken hinaufzugelangen, über den ich ursprünglich hatte absteigen wollen. Ein wunderschöner Grat, der sich wirklich lohnt: Die Herbstfarben im Vordergrund, und gegenüber die steilen Wände der Jungfrau!

Ein letzter Aussichtspunkt heißt Bryndli (2134 m). Von dort geht es rechts steil hinunter und nach der Vereinigung mit einem weiteren von der Rotstockhütte herüberkommenden Weg links um das Bryndli herum. Am Spilboden (1791 m) kommt man heraus. Ein kleines Stück weiter oben stand ich dann auf dem Fahrweg, auf dem ich am frühen Morgen von Mürren heraufgekommen war. Von hier aus war es dann nur noch eine Viertelstunde hinunter nach Mürren (1625 m).

Rotstockhütte - Mürren: markierte Wanderwege, T3, 1:30h
 

Fazit:

"This is the end" der zweitbesten Tour, die ich je zu einem Drehort unternommen habe. Anlass und damit Highlight waren natürlich die Reminiszenzen an den Film. Der Aufstieg ist es dagegen weniger, ist er doch zu sehr von der touristischen Infrastruktur bestimmt. Aber die Abstiegsroute ist wunderschön. Hat man den episch versicherten Westgrat mal hinter sich, geht es durch einsames Gelände hinunter auf einen wunderschönen Boden. Dann die Hütte, der Grat zum Bryndli und der Abstieg zum Spilboden, immer mit Blick auf die Jungfrau; überhaupt die fantastische Aussicht den gesamten Tag über - darin liegt die eigentliche Schönheit dieser Tour verborgen. Ich war, anders als Bond, gerührt. Nicht geschüttelt.

Diese Tour widme ich ein paar großen Bondfans: Judith7, Daniel, Uli, Felix, Scorperon natürlich, und allen Fans unter euch Hikrn. Liebesgrüße aus Mürren! Das sich im Übrigen heute noch an die Dreharbeiten erinnert, zum Beispiel in dem YouTube-Video "50 Jahre danach". Und auch anderswo gibt es Erinnerungen der Mürrener und einiger Anderer zu sehen.



P. S.:

Echte Bondfans wissen übrigens, wovon ein Weihnachtsbaum im Mai träumt...

Tourengänger: Nik Brückner


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (6)


Kommentar hinzufügen

georgb hat gesagt: sagenhaft
Gesendet am 2. Oktober 2023 um 11:56
Sein Name ist Brückner, Nik Brückner!

Nik Brückner hat gesagt: RE:sagenhaft
Gesendet am 2. Oktober 2023 um 12:14
Sein Name ist b, georg b! ;o}

Viele Grüße!

georgb hat gesagt: RE:sagenhaft
Gesendet am 2. Oktober 2023 um 12:26
Legenden über Legenden ;-)))

Nik Brückner hat gesagt: RE:sagenhaft
Gesendet am 2. Oktober 2023 um 13:09
Simmer schon drei, Georg! :oDDD

Schubi hat gesagt:
Gesendet am 2. Oktober 2023 um 19:13
Servusla Nik.
Toller Bericht, da wird dann hoffentlich das Drehbuch für den nächsten Bond-Film draus gemacht?!
Die Links zu der Helikopter-Szene und Katja Ebsteins Soundtrack-Interpretation fand ich am schönsten.
Actiongeladenen Gruß
Schubi

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 4. Oktober 2023 um 10:59
Servus Frank!

Ja, das war eine schöne Tour. Ich schätze, wenn da mehr Schnee liegt, ist es noch authentischer. Aber auch so war das ein richtiger James-Bond-Tag. Und ich hänge dem immer noch nach, wie Du am Sonntag gemerkt hast.

Und das mit Katja Ebstein - tja, das ist echtes Bond-Geheimwissen! ;o} Aber jetzt ist es raus...

Herzlichen Gruß,

Nik


Kommentar hinzufügen»