Tag 27: Abgelenkt - Überschreitung der Kugelwand


Publiziert von Nik Brückner , 16. September 2015 um 08:59. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Villgratner Berge
Tour Datum: 5 Juni 2015
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 7:00
Aufstieg: 1160 m
Strecke:14km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Zufahrt zur Volkzeiner Hütte mit dem Auto möglich
Unterkunftmöglichkeiten:Volkzeiner Hütte, Innervillgraten

Im Sommer 2015 kamen Judith7 und ich auf einer Alpendurchquerung von Wien nach Monaco auch durch die Villgratner Berge. Es sollte von der Volkzeiner Hütte aus über die Hochgrabe, den höchsten Villgratner, nach Innervillgraten gehen. Früh im Jahr eine sehr schneeige Unternehmung. Und so kam es dann ganz anders: Wir entschieden uns spontan zur Überschreitung eines weglosen Blockgrats.

Und das kam so:

Nach der Besteigung des Großglockners ein paar Tage zuvor und einem langen Marsch von Lienz zur Bloshütte hatten wir am Tag 26 eine kurze, entspannte Etappe zur Volkzeiner Hütte eingelegt. Diese Entspannung wirkte noch nach, und so gingen wir relativ spät los, so gegen Viertel, zwanzig nach acht. Die Idee war, über die Hochgrabe zu gehen, den höchsten Berg der Villgratner Berge und immerhin fast ein Dreiausender. Dass dort oben noch viel Schnee lag, wussten wir vom Vortag, aber wir wollten es wenigstens versuchen.

Der Weg hinauf auf die karstige Hochebene nördlich der Hochgrabe ist wunderschön: Die Blumen blühten, es gibt eine Schlucht, zwei Wasserfälle und sogar eine (wenig) ausgesetzte Stelle. Oben am Abzweig, auf ca. 2400 Metern, nahmen wir dann den Weg, der links, also direkt nach Süden, zum Gipfel verläuft. Das Wetter war gut, nicht zu warm, und wir hofften, dass der Schnee halten würde. Das ging auch eine ganze Zeit gut. Dann hielt er nicht mehr.

Auf der Hochfläche lag einfach noch zu viel Schnee, und um diese Tageszeit war er bereits zu weich. Also entschieden wir uns, nichts zu erzwingen, und kehrten nach fünfzehn, zwanzig Minuten, ca. 600m unter dem Gipfel der Hochgrabe, um. Es gab schließlich noch eine zweite Möglichkeit, über die Einatlenke. Das ist ein 2700 Meter hohes Joch nordwestlich der Hochgrabe, über das zwar kein Weg führt, das aber dennoch leicht zu begehen ist. Zur Einatlenke führt weiter westlich, unter der Arntaler Lenke und der Kugelwand, ein flaches Tälchen, in dem wir besseren Schnee erwarteten.

Zunächst mussten wir aber zurück zu dem Wanderweg, der von der Volkzeiner Hütte hinauf zur Arntaler Lenke führt. Dabei mussten wir zwei Bäche überqueren...

Da Judith so ihre Erfahrungen mit ungalanten Tourenpartnern hat, habe ich beschlossen, ihr über den ersten Bach zu helfen: Ich begann, große Steine hineinzuwerfen, über die sie dann würde gehen können.

Dann entschloss sich Judith, sehr galant, mich dabei zu unterstützen...

Ich war pitschnass, von oben bis unten...

Beim zweiten Bach baute ich ihr dann keine Furt.

Über diese Geschichte haben wir uns noch die ganzen restlichen 76 Tage amüsiert!

Weiter oben, unterhalb des Aufschwungs zur Arntaler Lenke, versuchten wir dann, in die Einatlenke zu queren. Der Schnee war anfangs gut, und wir kamen sehr gut voran. Doch dann kamen wieder weiche Stellen. Wir beschlossen, verstanden zu haben, dass wir einfach wirklich und echt zu spät dran waren, und stiegen in die Arntaler Lenke, in der Absicht, über das Arntal, von dem wir immerhin gehört hatten, dass es wunderschön sein soll, nach Innervillgraten zu gehen.

Allerdings war der Weg ins Joch durch den vielen Schnee nicht begehbar, und wir sind etwas links davon auf einer aperen Felsrippe aufgestiegen (T4+/I). Eigentlich kein Problem, aber mit 17 Kilo auf dem Rücken nicht ganz ohne.
In der Arntaler Lenke (2655m) angekommen, haben wir erst einmal ausgiebig gepaust. Es war 12 Uhr, Mittagszeit, das Wetter war gut, also haben wir's uns gutgehen lassen.

Dann fiel mir auf, dass der Grat Richtung Süden, also Richtung Einatlenke, aper war. Ein Blockgrat, ich mag kein Blockwerk, aber begehbar. Jedenfalls schien es so. Ich bin dann auskundschaften gegangen. Ich wollte wissen, ob eine Überschreitung der Kugelwand (2803m), des Eckpfeilers im Grat direkt über der Einatlenke, möglich war. Die Idee: Über Kugelwand in ein 2650 Meter hohes Joch westlich davon zu gehen, oder vom Gipfel direkt in die Einatlenke abzusteigen. Ich ging so weit den Grat hinauf, bis ich freien Blick auf die ganze Route hatte, und sah: Die Grate sind schneefrei!

Also wieder zurück, und Judith von der Idee überzeugen. In Anbetracht des langen Talhatschers war sie schnell dafür, und wir begannen mit der Überschreitung des Blockgrats.

Die Route ist wild, ausgesetzt, aber alles in allem gut gangbar. T4-T5/I würde ich sagen. Links hingen noch Schneebretter am Grat, aber die Kante war bis auf ein paar kurze Passagen frei. Nach etwa 50 Minuten hatten wir die Strecke von der Arntaler Lenke zur Kugelwand (2803m) zurückgelegt.

Die Kugelwand ist ein famoser Aussichtsberg! Der Blick reicht einmal ganz im Kreis herum - von Steingrubenkogel und Lasörling im Norden über den Großvenediger, die Sajatkrone, den Eicham, Säulkopf und Säulspitze, im Nordsten der Großglockner. Davor der lange Grat von der Hofspitze über den Donnerstein bis zum Roten Kögele. Dann die Schobergruppe, in den Dolos die Sextener Sonnenuhr mit Zehner, Elfer, Zwölfer und Einser, Antelao und Sorapiss, die Große Zinne (auf der ich als Bua mal war), Monte Cristallo, die Tofanen, die Fanesgruppe, Piz Boe, in 150 Kilometern Entfernung Königspitze, Zebru und Ortler, der Hohe Angelus und die Tschenglser Hochwand. Im Westen der Hochgall, und ganz nah die Hochgrabe. Überhaupt die Villgratener Berge!  Kugelspitze und Regenstein, alle ganz nah. Großartig!


Hier stelle sich die Frage: Weiter auf dem Grat Richtung Westen, oder direkter Abstieg in die Einatlenke? Wir haben uns dann für den Abstieg entschieden, aus Gründen, die ich heute nicht mehr weiß... Vielleicht war es ja die Tatsache, dass es da nur 100 Höhenmeter hinunter geht.

Aber was für 100 Meter... Wir haben eine Dreiviertelstunde gebraucht. Der Abstieg ist ausgesetzt, steil und nicht ganz ungefährlich. Zunächst geht es vom Gipfel hinüber zu einem Vorgipfel, im Grunde nur eine Kante in einem kurzen Grat. Von dort in einer unangenehm schotterigen Rinne hinunter. Weiter unten warten dann steile Grasschrofen in der Südseite der Kante und ein überhängender Block, unter dem man in die Ostseite hinüberwechselt. Weiter unten dann mehr steiler Schotter und dankenswerterweise ein Schneefeld - wenn auch ein steiles...

Aber es ging alles gut, wir haben ja auch Erfahrung mit sowas, nur die großen, schweren Rucksäcke machten uns etwas zu schaffen. Der Abstieg ist mit T5/I zu bewerten.

Von der Einatlenke (2700m) sind es nur ein paar Höhenmeter nach Süden hinunter zu den Sieben Seen. Hier gab es endlich auch wieder Wasser, um unsere Flaschen aufzufüllen. ImSommer ist es hier bestimmt sehr schön, als wir vorbeikamen, war es doch noch recht karg.

Der weitere Abstieg ins Einattal über Weiden und Grashänge ist wunderbar. Unten stößt man dann auf einen Fahrweg, auf dem man an uralten Häusern vorbei talauswärts Richtung Innervillgraten wandert.

Unten  standen Kühe. Wir haben freundlich gegrüßt, eine davon offenbar so freundlich, dass sie entschied, mit uns ein Stück mitzuwandern. Lieb ging sie immer ein paar Schritte hinter uns her, blieb stehen, wenn wir stehenblieben, und ging weiter, wenn wir weitergingen. Erklärungen, sie müsse bei ihren Freunden bleiben, hielten sie nicht davon ab. Und so stiegen wir zu dritt ab, immer ein bisschen weiter. Ihre Freunde links und rechts des Wegs ignorierte sie ebenso wie unsere Hinweise. Bis wir dann beim Bauern vorbeikamen. Er hatte die Kühe an diesem Tag gerade hinaufgetrieben, unsere Mina aber war das erste Mal auf einer Hochweide, und wusste noch nicht, dass sie dort den ganzen Sommer bleiben würde. Sie dachte, die Wanderung wäre jetzt vorbei, und es ginge nun zurück nach Hause in ihren vertrauten Stall!

Der Bauer belehrte Mina eines besseren, wir verabschiedeten uns, von beiden, und wanderten, nun wieder ganz allein, weiter nach Innervillgraten (1380m) hinunter. Mit einer T5-Grattour in der Tasche, die es in sich hat. Entsprechend haben wir's uns am Abend gutgehen lassen! Was für ein herrlicher Tag voeller Überraschungen!

Tourengänger: Nik Brückner, Judith7


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