Durch die Wolkendecke: Wagenlückenspitz und Säntis Ostgrat


Publiziert von Nik Brückner , 27. Dezember 2021 um 13:29.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum:21 September 2021
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Alpstein   CH-AI   CH-AR   CH-SG 
Zeitbedarf: 2:30
Aufstieg: 600 m
Abstieg: 600 m
Strecke:4 Kilometer
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit der Luftseilbahn von der Schwägalp hinauf zum Gipfel
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Mit der Luftseilbahn vom Gipfel hinunter zur Schwägalp
Unterkunftmöglichkeiten:Auf dem Säntis

Anreisetag! Nie gut einzuschätzen, besonders wenn man sowohl auf Autobahnen unterwegs ist als auch auf kleinen Landstraßen. Aber als ich dem Alpstein nach und nach näherkam, und der Säntis höher und höher vor mir sich auftürmte, während mir Isildurs Bane & Peter Hammill mir mit "In Disequilibrium" die Anfahrt vertonten, wurde klar: Für ein kurzes Töürl ist noch Zeit! Ab auf den Säntis!


Ich fuhr mit der Luftseilbahn zum Gipfel hinauf, und überlegte unterdessen, wofür ich an diesem Nachmittag noch genügend Zeit hätte. Der Ostgrat vom Säntis soll schön sein, also machen wir doch den. Vorausgesetzt, da liegt nicht mehr allzuviel Schnee, und die Wolken verziehen sich. Besonders viel Hoffnung hatte ich nicht...

Aber es war wenigstens wechselhaft. Während ich vom Säntisgipfel (2502m) aus zum Berggasthaus Alter Säntis (2485m) hinunterging, und von dort auf dem markierten Wanderweg durch wildes Karstgelände in die Wagenlücke wanderte, zog es mehrfach auf und zu, Schnee sah ich so gut wie keinen (wenn auch teils dadurch bedingt, dass es sich eben immer wieder auch zuzog), und so war ich guter Hoffnung, mein Töürl gehen zu können.

Kurz vor der Wagenlücke gab's dann auch die nächste Wolkenlücke - und ich sah vor mir ein ziemlich geiles Horn aufragen: Den Wagenlückenspitz.

Säntis - Wagenlücke: markierter Wanderweg, T2, 40 Minuten


Eigentlich weder ein Horn noch ein Spitz, ist er aber doch zumindest recht scharf: Er bildet das Ende des langen Rossmad-Grats, der kurz vor dem Wagenlückenspitz derart scharf wird, dass man sich als Gipfelaspirant auf einen Ritt im Reitersitz vorbereiten sollte.

Viel Ahnung hatte ich davon allerdings nicht, dafür mein Handy und damit Hikr.org in der Tasche. Dort schlug ich nach, brachte in Erfahrung, dass dieser Gipfel so recht was für's Herz ist, und machte mich an den Aufstieg.

Dazu quert man aus der Wagenlücke (2075m) auf Gras nach rechts, bis sich links eine breite Rinne auftut, durch die der Normalweg hinaufführt. In dieser Rinne stieg ich hinauf, bis sie im obersten Teil derart steil wird, dass man nach rechts ausweichen muss. Hier stieg ich hinaus auf ein Nebengrätli. Auf diesem geht's dann weiter hinauf zum Hauptgrat.

Die nächsten zwanzig, dreißig Meter haben, wie bereits angedeutet, weniger mit Bergsteigen als mit Reiten zu tun. Ein paar Schritte nur, dann wird der Grat zu schmal, um darauf zu gehen. Brüchig aussehen tut er außerdem, also nimmt man besser Platz, lässt die Füße zu beiden Seiten in der Luft baumeln, und krebst sich im Reitersitz voran. Anders als es den Anschein hat, ist der Fels zum Glück halbwegs fest, alles hielt, und ich kam gut voran und hinaus in breiteres Gelände. Zum Schluss wandert man auf Gras die letzten Meter vor zum Kreuz des Wagenlückenspitz (2130m).

Schöner Gipfel! Sogar ein kleines Kreuz hat's. Allerdings hielt ich mich hier nicht lange auf, und stieg auf dem gleichen Weg wieder hinunter in die Wagenlücke (2075m).

Wagenlücke - Wagenlückenspitz - Wagenlücke: Weglos, Reitgrat, T6/II, 45 Minuten


Wieder zurück in der Wagenlücke traf ich dann zwei Jungs, die vom Seealpsee heruafkamen, und auf dem Weg zum Säntis waren. Wir unterhielten uns über die verschiedenen Routen am Säntis, und ich erzählte ihnen, was ich vorhatte. Die beiden entschlossen sich dann aber doch, am Wanderweg zu bleiben - obwohl die Route über den Grat sie schon gereizt hätte. Aber wir sagten einander zu, ein Auge aufeinander zu haben.

Ich begann nun meinen Aufstieg zum Grat hinauf. Der sieht von der Wagenlücke aus wie eine klotzige Felsbastion aus. Diese ist aber ganz gut besteigbar: Auf einem schmalen, aber guten Grasband, dass von links nach rechts hinaufzieht, ging ich aufwärts, und stieg dann an der berühmten geeigneten Stelle über plattig-schrattigen Fels zu der Felswand über mir auf. Oben folgte ich für ein paar Meter der Felswand nach rechts, dann stand ich, unübersehbar, vor einem Seil und einigen (entgegen anderslautenden Behauptungen ausreichend großen) Metalltritten (ich trage im Gebirge 48). Hier geht's nun kurz ein paar Meter senkrecht und ausgesetzt hinauf.

Oben angekommen, hat man nicht viel Platz, es geht jetzt aber auch leichter über eine durchfurchte schräge Platte weiter hinauf, bis zu einem letzten Seil an einer letzten Stufe. Mit dessen Hilfe steigt man hinaus auf die Grathöhe.

Dieser Anstieg ist die (umgehbare! Dazu gleich mehr) Schlüsselstelle des Ostgrats. Ein aufschlussreiches Foto hat erico in seinem Tourenbericht hier gepostet.

Der Grat ist hier zunächst ein breiter Grasrücken. Über diesen wanderte ich gemächlich weiter aufwärts.

Dabei hielt ich Ausschau nach dem berühmten bizarr geformten Stein, der hier oben viel fotografiert wird, konnte ihn aber nicht entdecken. Vielleicht verhüllte ihn ja der Nebel.

Am Ende der Wiese trifft man dann auf die ebenfalls gern begangene einfachere Aufstiegsvariante, die hier vom Wanderweg heraufkommt. Umgekehrt böte sich hier eine Gelegenheit für einen Notausstieg.

Der Grat wird nun nach und nach schmaler, und bald folgen einige exponierte Passagen im Fels, die allerdings eher T4 sind, als T5. Dabei bleibt man in der Regel auf oder nahe an der Gratschneide. Man muss nur weniges umgehen, und das dann stets links.

Rechts bricht der Fels nämlich fast senkrecht ab, dafür eröffnen sich hier atemberaubende Tiefblicke - jedenfalls dann, wenn die Bedingungen einen Blick zulassen. Links dagegen präsentiert sich das eindrückliche Karstgebiet, durch das ich zuvor zur Wagenlücke hinuntergewandert war. Stellen, an denen der Grat nach links nicht allzu steil abfällt (und davon gibt es vor allem Richtung Säntis immer mehr), bieten sich als Notabstiege zum Wanderweg an.

Hat man die letzten Graspolster hinter sich gelassen, wandert man nun über einige niedrige Felsköpfe weiter. Danach folgt die schmalste Passage, an der man wieder richtig kraxeln muss (I-II). Wenn der Grat danach wieder etwas breiter und einfacher zu begehen ist, ist bald ein kleines Metallkreuz erreicht.

Ab diesem Kreuz ist die Route nun weiterhin schmal, aber unproblematisch: Es folgt eine längere Wanderstrecke, es wird sogar nochmal grün. Zum Säntisgipfel hin steilt der Grat dann auf, wird aber zunehmend breiter. Auch hier bestehen nochmal Möglichkeiten, nach links zum Wanderweg hinüberzuqueren, der teils doch recht nahe ist. Ansonsten kann man sich die Route nach Herzenslust heraussuchen, mal mit mehr, mal mit weniger Kraxelei, mal näher am, mal weiter entfernt vom Abgrund rechts.

Am Ende sind noch einmal drei Felsstufen mit Drahtseilen gesichert. Die erste, deren Seile schon von weitem zu sehen sind, geht man von rechts an: Zunächst geht es recht weit um ein Felseck herum, dann gelangt man sozusagen von hinten ans Seil. Kurz darauf folgt die zweite mit einem Fixseil gesicherte Steilstufe. Hat man diese erklommen, befindet man sich schon bald direkt unterhalb des Berggasthauses. Die dritte und letzte gesicherte Felsstufe befindet sich an einem Holzhüttl unterhalb der Terrasse. Unmittelbar links davon geht's hinauf. Ans Dach des Hüttls darf dabei gepackt werden. Zuletzte sind es nur noch wenige Schritte (und ein Überkraxeln des Geländers), dann steht man auf der Terrasse des Berggasthauses (2485m).

Wagenlücke - Säntis Ostgrat - Berggasthaus Alter Säntis: Weglose Gratüberschreitung, T4/I-II, 1:10


Niemand hier! Dabei säße man auf einer exklusiven Aussichtsterrasse, hoch über den Wolken. Was für ein fantastischer Tag! Ich traf prompt die beiden Jungs wieder, die kurz nach mir auf die Terrasse kamen, und zusammen mit einem Paar aus Frankreich genossen wir die herrliche Stimmung auf dem ansonsten menschenleeren Säntis.

Mittlerweile hatte sich die Rundsicht ein wenig aufgeklärt: Im Norden schaut man nach Deutschland raus, da gibt's keine prominenten Erhebungen. Im Nordosten sieht man prominente Gipfel des Alpsteins: das Öhrli, die Hängeten und die Altenalptürm. Im Osten geht's dann mir den Allgäuer Alpen los: Aggenstein, LeilachspitzeGroßer DaumenNebelhorn, davor der Diedamskopf und der Hohe Ifen. Es folgen Hochvogel und Rauheck, dahinter die Zugspitze. Direkt im Osten dann KrottenkopfMädelegabelWidderstein und Hohes Licht. Es folgt mit der Parseierspitze die Königin der Lechtaler Alpen. Davor, ganz in der Nähe, Hundstein, Freiheittürm und Fählentürm. Dann das Verwall mit dem Hohen Riffler, der Kuchenspitze und dem Patteriol. Ganz hinten am Horizont ragen die Weißkugel und das Fluchthorn empor, davor erheben sich die Drei Schwestern, die Zimba und der Altmann. Drusenfluh und Sulzfluh im Rätikon sind zu sehen, die Schesaplana natürlich, der Piz Buin, der Piz Linard. Im Südosten Hinter und Vorder Grauspitz, dann am Horizont der Piz Kesch, Piz Palü und die Bernina ins Auge. Viel näher dann der Alvier. Im Süden dominieren Monte Disgrazia, Pizzo Cengalo, der Ringelspitz, das Trinserhorn, Piz Sardona und Piz Segnas. Eindrucksvoll davor: Die Kette der Churfirsten. Und im Südwesten schließen Tödi, Glärnisch, Finsteraarhorn, Titlis, und Pilatus den Alpenbogen, davor markant der Fronalpstock und der Speer.


...und damit endete meine kurze, aber schöne Tour am ersten Tag. Ich fuhr mit der Luftseilbahn wieder hinunter, stieg dort in mein Auto, und bezog mein Quartier. Am nächsten Tag stand der lange Aufstieg über die Chammhaldenroute auf dem Plan.


Fazit:

Eine schöne, mal andere Route zum Säntisgipfel. Ob sie die schönste ist, wie oft gesagt wird, weiß ich nicht - das müssen alle für sich selbst beurteilen. Andere Aufstiege sind auch sehr schön. Aber die Route macht viel Spaß, und war bei diesen Bedinungen natürlich ein besonderes Schmankerl. Recht aufschlussreich ist dieses Bild von Hampi - wenngleich ich für diesen Grat kein T5 vergeben würde.

Der Wagenlückenspitz dagegen ist von einem ganz anderen Kaliber. Der schmale, brüchige Gipfel ist ein Sonderling - und wird wohl immer ebensolchen vorbehalten bleiben.



Ausrüstung:

C-Schuhe, Stecken, Helm.

Tourengänger: Nik Brückner


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