Der Speer und die unglaubliche Überschreitung des Abahorns


Publiziert von Nik Brückner , 25. Juli 2019 um 17:37.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:27 Juni 2019
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Klettersteig Schwierigkeit: K2+ (WS+)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Speerkette   CH-SG   Speer-Mattstock   Zürcher Hausberge 
Zeitbedarf: 4:45
Aufstieg: 900 m
Abstieg: 900 m
Strecke:9km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auf gutem Fahrweg ca. 9 km von Kaltbrunn aus zum Parkplatz der Alp Mittel-Wengi (beschildert).
Kartennummer:Swisstopo 237T Walenstadt

Der Speer! Vor Jahren hatte ich den Gipfel von irgendwo aus schon einmal gesehen, und er hat bei mir einen schmalen Eindruck hinterlassen. Außerdem: Nagelfluh, das hat immer einen besonderen Reiz. Und so zog es mich einen Tag nach meinem Besuch bei zwei Hunden im Sihltal Richtung Speer. Vielleicht könnte ich bei der Gelegenheit ja auch das legendäre Abahorn überschreiten....

Vom Speer zum Federispitz zieht sich ein etwa 3,5 Kilometer langer Grat, auf dem die Gipfel(chen) Abahorn, Grappen, Grappenhorn, Pt. 1743, Schafberg, Chilchli und Chrüzkopf aufsitzen. Vom Speer bis zum Schafberg ist dieser Grat durchgängig begehbar, danach wird's mühsam. Ich hatte mir zum Kennenlernen der Gegend die Überschreitung dieses Grats ausgesucht, und wollte mal sehen, wie weit ich kommen würde, ohne mich übermäßig anzustrengen. Die Tage waren heiß - und ich hatte am nächsten Tag etwas Größeres vor.

Und natürlich: Der Kletterweg! Vielleicht nicht die schönste, sicher aber die spannendste Route auf den Speer. Ein voralpiner Klettersteig, der immerhin auf den höchsten Nagelfluhberg Europas führt! An klaren Tagen soll man vom Gipfel aus fast 400 Gipfel erkennen können...

Und so fuhr ich eines schönen Morgens.... Im Auto lief "On the Precipice of Many Infinities" von The Fractured Dimension, das sollte mich motivieren!


Meine Tour startete am Parkplatz Mittel-Wengi (1150m). Vom Parkplatz aus folgte ich der Schotterstraße taleinwärts in den Wald und hinauf zur Alp Hinterwengi (1341m). Dort folgte ich der blauen Beschilderung "Speer Kletterweg". Der schmale Pfad führt zunächst hinauf zur Oberen Rossalp (1569m). Dort wendet man sich nach rechts und wandert hinüber zu einer kleinen Senke, wo eine Wetterstation steht. In der Folge quert man die Westflanke des Chli Speers, bevor man hinaufzickzackt zum gut markierten Einstieg des Kletterwegs.

Parkplatz Mittel-Wengi - Einstieg Kletterweg: markierte Wanderwege, T2, 1,5h


Der Kletterweg, der in etwa 250 Höhenmeter überwindet, beginnt an einem Schild in etwa 1720 Metern Höhe. Hier ran an den Fels, wo auch die Seilversicherung beginnt. Die erste Kraxelei führt eine Rinne hinauf (A/B) zu einem grasigen Absatz. Es folgt eine weitere, plattige Rinne (wieder A/B), die zu einem nächsten Absatz führt. Hier rechts weiter und hinauf zu einer kurzen A-Passage. Es folgt eine Querung auf einer Wiese rechts hinüber zur ersten Kletterstelle (I+). Es geht die Stufe hinauf, und dann hinaus auf ein ausgesetztes, wieder gesichertes Band (B/C), das nach links führt, zu einer längeren, anfangs glatten Steilpassage (B). Sie mündet oben in eine ausgesetzte Kletterstelle (II). Hat man die hinter sich, führen einige Stufen (A/B) zu einer langen, steilen, aber wieder versicherten Passage (B/C).

Schließlich langt man auf einem breiten Grasband an, auf dem nun ein längeres Stück nach rechts gequert wird. Eine Ierstelle führt hinauf auf ein originelles Kriechband, das mit Hilfe einer liegenden Leiter überwunden wird. Danach führt die Seilversicherung die nächste Stufe hinauf (B, oben B/C) auf ein letztes Band.

Auf diesem geht's nun nach links, und schließlich über Schrofen hinauf zum Gipfel des Speers (1950m). Eine schöne, kreative Aufstiegsroute, die geschickt die natürlichen Gegebenheiten nutzt. Hat viel Spaß gemacht!

Kletterweg Speer: teils seilversicherter Klettersteig, B/C/II, 45 Minuten


Oben pauste ich ziemlich länglich herum, und quatschte mit einem versierten Einheimischen, der mir einige Tipps gab. Und ich genoss die Aussicht!

Der Reigen beginnt, fast schon selbstverständlich, mit dem Alpstein. Dort sind viele prominente Gipfel zu sehen:
Öhrli, Hüenerberg, der Säntis natürlich, davor der Grat vom Girenspitz zu den Silberplatten, der bekanntere Lisengrat, der Altmann, der Wildhuser Schafberg und der Gätterifirst.

Im Osten sind Gipfel im Bregenzerwald, in den Allgäuern und im Lechquellengebirge zu sehen: Krottenkopf, Elfer, Widderstein, Zitterklapfen, Hohes Licht, Biberkopf, Braunarlspitze, Rote Wand. Der höchste in dieser Richtung ist aber der Hohe Riffler im Verwall. Es schließt sich die Kette der Churfirsten an, mit ihrer Verlängerung bis zum Leistchamm. Dahinter lugt der Vorder Grauspitz gerade so hervor. Im Südosten fallen Pizol und Sazmartinhorn ins Auge. Es folgen Ringelspitz, Piz Sardona und Piz Segnas. Im Süden dominiert der Murtschenstock, auch der Fronalpstock ist zu sehen. Weiter Richtung Südwesten folgen Tödi und, näher, Glärnisch. Wiggis und Rautispitz sind ebenfalls zu sehen. Im Südwesten sind Finsteraarhorn und Schreckhorn zu erkennen, davor Redertenstock, Brünnelistock und Plattenberg. Und im Nordwesten sind der Belchen und der Feldberg im Schwarzwald, na, mehr zu erahnen als zu erkennen.


Nach einer halben Stunde, die wir zu zweit allein am Gipfel waren, brach ich auf. Der Wanderweg führt den Südwestgrat hinunter. Dort, wo er in die rechte Flanke abtaucht, an einem markanten Zacken, blieb ich auf dem Grat, und stieg in der Folge die mäßig scharfe Schneide hinunter. Das ist nicht allzu schwierig, T3, T4 maximal, und stets gut zu gehen.

Und dann stand es vor mir: Das Gipfelkreuz des Abahorns!

Na, eigentlich ist es eher ein Kreuzchen, und es stand auch eher unter mir... Das Abahorn ist nämlich bloß ein vollkommen unbedeutender Gratzacken, wie viele andere hier auch, warum ausgerechnet er mit einem eigenen Namen geehrt worden sein mag, hat womöglich eher etwas mit Humor zu tun?

Pflichtschuldig erstieg ich das winzige Gipfelchen aber, von links geht's am einfachsten, und sonnte mich in meinem Gipfelerfolg am Abahorn (1835m). Und in der Sonne, selbstverständlich.

Speer - Abahorn: weglose Gratüberschreitung, Trittspuren, T4, 30 Minuten

Dann stieg ich vom Abahorn - ähem - aba, und folgte dem Grat, der hier ein wenig nach rechts knickt. Wer genau auf der Kante bleibt, der kann eine schmale Nagelfluhschneide mitnehmen, neben der man aber auch einfach über eine Wiese herwandern könnte. Ich gelangte an einen Punkt, der hier auf Hikr Grappen (1812m) genannt wird, laut Karte bezieht sich dieser Name aber auf die Rinne, die von dort ziemlich genau nach Süden hinunterzieht. Hier macht der Hauptgrat einen Sprung nach rechts, und ich querte über eine Wiese hinüber.

Dort wird es schnell anspruchsvoll: Der grasige Grat zieht sich ganz schnell zusammen, und man balanciert auf schmaler Schneide weiter. Noch eine Stufe schwieriger sind die Chäsereplatte, plattiger Fels, der die gesamte linke Flanke bildet, und am Grat eine messerscharfe Schneide ausbildet. Hier heißt es: Vorsichtigst oben rüber, oder Risse in den Platten nutzend knapp unterhalb der Gratkante in der linken Flanke gehen (beides T5).

Hat man die Chäsereplatte überwunden, steht man gleich vor dem nächsten Problem: einem steil aufragenden Zahn, der rechts umgangen wird. Ein schmales, höchst ausgesetztes Bandl führt hier um den Zahn herum. Dahinter wird das Bandl immer schmaler, deshalb sucht man sich besser schnell eine geeignete Stelle, um zum Grat hinaufzuklettern. Die Wand ist nicht hoch, aber überall senkrecht, und so hat man die Wahl zwischen senkrechtem Fels und senkrechtem Gras. Ich wählte das Gras, und mit ein, zwei kräftigen Zügen gelangte ich wieder hinauf auf den Grat. (Meine Variante kurz T6. Eine andere, evtl. bessere Variante, den Zahn zu umgehen, hat Carpintero hier beschrieben.) Von hier aus ist es dann nicht mehr schwierig, und wenige Minuten später stand ich auf dem Grappenhorn (1740m).

Abahorn - Grappenhorn: weglose Gratüberschreitung, Stellen T5 und T6, sonst leichter, 40 Minuten


Ein herrlicher Abschnitt! Schmaler Grat, scharfe Felskanten, ein ausgesetztes Band, senkrechtes Gras und ein T4-Wandergrat. So richtig was für's Herz!

Ich genoss das schmale Gipfelchen, dann stieg ich wenige Meter zu einem Bäumchen ab, und wandte mich dort nach rechts. Hier befindet sich eine Schwachstelle, die einen Durchstieg ermöglicht: Brüchiger Fels, ein paar Graspolster, das ist ziemlich unangenehm, und obwohl es sicher kein schwieriger Abstieg ist, ist es steil, und ich bin's lieber rückwärts abgeklettert.

Dann quert man hinüber zum Grat, der nun unschwierig zu Pt.1743 hinaufführt. Hier habe ich die nächste Pause eingelegt.

Grappenhorn - Pt. 1743: Gratüberschreitung, Trittspuren, Stelle T5/I-II, sonst leichter, 15 Minuten


Ich stieg dann hier noch ein wenig unschlüssig herum, entschied mich dann aber doch zum Abstieg, weil ich am nächsten Tag etwas Größeres vorhatte. Ich wandte mich nach Westen, blieb zunächst an der Kante, und folgte einem Weidezaun. Der verabschiedet sich dann allerdings nach links, weil das Gelände geradeaus plötzlich steil abbricht. Ich folgte dem Zaun noch einige Meter nach links, fand dann eine steile, aber machbare Abstiegsmöglichkeit und stieg mit großem Spaß durch steiles Gras hinunter auf einen Absatz. Weiter unten sah ich Wegspuren, durch unterschiedlich steiles Gelände stieg ich auch dort hinunter, und wanderte auf dem unmarkierten, schönen Alpweg nach rechts hinüber zum Furggli (1604m), wo ich auf den Wanderweg traf, der die Alpen Trüebsiten und Hinterwengi verbindet.

Pt. 1743 - Furggli: steiles Gras, unmarkierte Alpwege, T5 und leichter, 15 Minuten


Auf dem wunderschönen Weg wanderte ich nun hinunter zur Alp Hinterwengi (1341m), und von dort aus auf dem breiten Weg wieder zutück zum Parkplatz Mittel-Wengi (1150m)

Furggli - Parkplatz Mittel-Wengi: markierte Wanderwege, T3 und leichter, 50 Minuten


Fazit:

Herrliche Tour durch eine bizarre Nagelfluhlandschaft. Wilde Zacken, schmale Grate, scharfe Felskanten, ausgesetzte Bänder - herrlich! Aber auch der Klettersteig hat viel Spaß gemacht. Nicht durchgehend versichert, müssen einige, teils ausgesetzte Passagen im I. und II. Schwierigkeitsgrad geklettert werden. Ich habe das ohne Sicherung gemacht, so wie offenbar auch viele Einheimische. Ob man das riskieren möchte, muss jeder selbst wissen - einzig auf einen Helm sollte man keinesfalls verzichten. Ein Topo vom Kletterweg gibt's hier.

Ausrüstung:

Helm, C-Schuhe, Stecken.

Tourengänger: Nik Brückner


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