Gratkletterei, Gletscherquerung und eine geile Rinne: Die Vorderseespitze


Publiziert von Nik Brückner , 18. September 2016 um 15:34. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Lechtaler Alpen
Tour Datum:13 September 2016
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1050 m
Abstieg: 2200 m
Strecke:14km
Unterkunftmöglichkeiten:Ansbacher Hütte

Ich bin komisch. Ich gehe lieber abseits von Wegen als auf ihnen. Ich höre auf dem Rückweg von wilden Touren Pink Floyd, um beim Runterkommen runterzukommen. Ich sehe die meisten Dinge ziemlich anders als die meisten. Das gilt auch für die Vorderseespitze: So schön der Ostgrat, aber so eklig der Abstieg durch die Südrinne, liest man immer. Ich dagegen fand den Ostgrat gar nicht so toll - aber dafür die Südrinne. Die hätte für mich ewig sein können! Ich LIEBE die Südrinne! So geil!

Nach meiner Überschreitung von Rotspitze, Roter Platte und Freispitze am Vortag beschloss ich, die Überschreitung (eines Vorgipfels) der Vorderseespitze dranzuhängen. Ein Highlight der Lechtaler: Anstieg auf einem 1,6, 1,7 Kilometer langen Grat, IIer-Klettereien, Gletscherquerung, und dann eine wilde Schuttrinne hinunter. Das klingt doch wirklich vielversprechend.


Morgens um acht brach ich an der Ansbacher Hütte (2376m) auf. Ein dreiviertel Stünderl später stand ich im Alperschonjoch (2301m), wo der Anstieg auf den Ostgrat beginnt.

Ansbacher Hütte -  Alperschonjoch: Wanderweg, T3, 45 Minuten


Vom breiten Joch aus geht es zunächst einen Schuttkegel weglos hinauf zu den ersten Felsen des Ostgrats (T4). Helm auf, und los geht's!

Von hier an stand der Berg voller Steinmänner: Hier sind mehr Zacken künstlich als natürlich. Allerdings sind die Steinmänner sämtlich ziemlich klein, und dienen daher eher der Bestätigung der korrekten Routenwahl als der eigentlichen Wegmarkierung. Nach ihnen Ausschau zu halten, bringt meist nichts, man sieht sie normalerweise erst, wenn man direkt vor ihnen steht. Oft genug stehen sie derart perfekt auf der Route, dass man versucht ist, sie als Griff zu benutzen, bevor man merkt, dass es sich um Steinmänner handelt.

Vom obersten Punkt des Schuttkegels quert man zunächst nach rechts, bevor man an den ersten Steinmännern zum ersten Mal Hand an den Fels legt. Es geht schräg links hinauf und eine Schotterrinne querend hinüber zum Grat. Eine weitere Rinne leitet in die Südseite, wo man zu einem Absatz hinaufsteigt. An diesem Absatz wendet man sich nach rechts, und durch ein System von Rinnen und Rippen steigt man weiter auf. Immer wieder bestätigen oder korrigieren die kleinen Steinmänner die Routenwahl. Viel falsch machen kann man allerdings nicht, das ist durchwegs IIer-Gelände, nur dem allzu schlimmmen Bruch sollte man ausweichen. Der Fels ist okay, nicht gerade bombenfest, aber im Bassdscho-Bereich. Je nach Routenwahl wird es recht steil, und, steigt man auf Rippen hinaus, auch mal ausgesetzt.

Kurz bevor der Grat bedeutend flacher wird (deutlich vor Pt. 2558), kommt die schwierigste Kletterstelle der Tour, einen kurzen Aufschwung muss man wohl mit II+ bewerten.

Wer hier gut heraufgekommen ist, hat nun nichts mehr zu befürchten. In der Folge bleibt es erst einmal flacher, es warten nur noch zwei längere Steilaufschwünge auf den Ostgrataspiranten: Kurz vor der Gletscherquerung (hinauf zu Pt. 2756) und hinauf auf den Vorgipfel (Pt. 2874) unmittelbar vor dem höchsten Punkt. Beide sind in Bezug auf Charakter und Schwierigkeiten mit dem ersten Aufschwung am Alperschonjoch vergleichbar, aber kürzer.

In der Folge wechseln sich Einser- und Zweier-Stellen mit Gehgelände ab. Der Grat wird nie richtig gruselig schmal, es gibt aber vor dem Aufschwung zu Pt. 2756 eine recht schmale Passage. Die Kletterstellen nimmt man am besten am Grat, weil da der Fels relativ gut ist. Einmal bin ich nach links (Süden) ausgewichen, ein Fehler, Bruch, nicht lustig.

Auch der Aufschwung zu Pt. 2756 wird direkt erklettert, das ist nochmal ein IIer. Drüben geht es dann über eine breite Geröllhalde hinunter zu einer flachen Stelle, die sich gut für eine Pause eignet. 

Von der Pausenstelle aus kann man steil zum Gletscher absteigen, oder zunächst einen Turm links umgehen. Das habe ich gemacht, dann stand ich am oberen Rand des Vorderseeferners.

Hier legte ich die Eisen an und machte mich an die Gletscherquerung. Es geht hinauf zum höchsten Punkt des Gletschers, mal nur leicht, mal steiler ansteigend. Immer wieder ist von Spalten die Rede - die Spalten, die ich antraf, waren nicht breiter als 10 Zentimeter.

Man geht also hinauf zum höchsten Punkt, der unterhalb einer Scharte liegt, von der aus es direkt in den letzten Steilaufschwung hinauf zu Pt. 2874 geht. Auch hier wendet man sich zunächst ein paar Schritte nach rechts, dann wird der Grat erstiegen. Nun geht es links des Grates hinauf zum Vorgipfel (Pt. 2874). Man bleibt am Grat und steigt gleich hinunter in eine schmale Scharte. Dabei passiert man eine Steilrinne, nach nach links (Süden) hinunterzieht. Das ist noch nicht die berüchtigte Südrinne. Erst ganz unten in der schmalen Scharte befindet sich diese. Aus der Scharte geht es über Schotter gerade hinauf, danach kurz nach rechts und schließlich auf Trittspuren im Bogen hinauf auf den kleinen Gipfel der Vorderseespitze (2889m), mit seinem kleinen Kreuzerl.

Alperschonjoch - Vorderseespitze: Weglose Gratüberschreitung, Gletscherquerung, T6/II: 2,5h


Hier trug ich mich ins Gipfelbuch ein, leider war das ziemlich durchnässt. Vermutlich sollte man das bald mal ersetzen. Dann sah ich mich um: Eine fantastische Rundumsicht: Direkt gegenüber ragt der mächtige Hohe Riffler auf, mit 3165 Metern der höchste Berg weit und breit. Rechts davon sind Fluchthorn, Bernina, Piz Buin und Piz Linard zu sehen. Im Südwesten ganz markant: der Patteriol. Irgendwo weiter rechts die Sulzfluh, Tödi, Schesaplana und Zimba. Im Westen ragen Glärnisch, Alvier, Hinterrugg, und der Alpstein mit Säntis und Altmann auf. Davor in den Lechtalern Valluga und Roggspitze. Als nächstes, im Bregenzerwald, Rote Wand, Zitterklapfen, Hochkünzelspitze und Kanisfluh. Noch weiter hinten sind sogar der Belchen, der Feldberg und der Kandel im Schwarzwald zu erkennen! Weiter geht's mit den Allgäuern: Da ist der Widderstein mit seinem kleinen Nachbarn, Dahinter der Diedamskopf. Ganz klein wirkt der eigentlich mächtige Elfer. Im Nordwesten rücken das Hohe Licht und die Mädelegabel ins Blickfeld. Dann der markante Krottenkopf, das Nebelhorn, der Große Daumen und die Wilden. Der Hochvogel und das Geißhorn verschwinden fast, ebenso die Leilach. Dann folgen die Tannheimer, mit Gimpel und Köllenspitze, und die Berge um Reutte herum: Gehrenspitze, Säuling und Thaneller. Davor die Pfeilspitze und ein paar Kreuzspitzen. Richtung Nordosten dann der Danielgrat mit dem Daniel. Die Zugspitze natürlich, davor die schöne Sonnenspitze und die Mieminger Kette. Die nahegelegene Freispitze macht eine gute Figur, dahinter sind die Karwendelgipfel zu sehen. Im Osten dann der Acherkogel, die Parseierspitze ganz nah, dahinter der Wilde Freiger, Zuckerhütl und Hohe Geige, Watzespitze, Weißseespitze, Glockturm und Weißkugel. Im Süden schließlich Hoher Angelus, Cevedale, Königspitze und der Ortler. Dann ist man einmal rum! Herrlich!


Dann stieg ich wieder hinunter in die schmale Scharte vor dem Gipfel.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach Norden abzusteigen. Doch schon beim Aufstieg fand ich die Südrinne so geil, dass ich mich umentschied: Die Aussicht, in dieser Röhre hinunterzuschießen, war zu verlockend, der Tiefblick in die Rinne zu verführerisch.

Am Besten man steigt von der Gipfelseite in die Rinne, da hat's noch einigermaßen Fels. Dann geht es gnadenlos die Rinne runter. In weichem Schotter kann man sörfen, vor den drei Stufen, die man hinuntermuss, sollte man allerdings rechtzeitig abbremsen. Die drei Stufen sind sämtlich nochmal IIer, die oberste ist aber die höchste, die unteren nur noch kleine Hopperle. Überhaupt wird die Rinne nach unten leichter. Besonders geil ist eine schmale Passage: Hände in die Wände, und runterkopst!

Mir hat die Rinne großen Spaß gemacht (sie war nur viiiiiiiiiiel zu kurz!). Allerdings muss man schon aufpassen: einen Ausrutscher sollte man sich nicht leisten.

Nach 150 Höhenmetern und 20 Minuten ist der Spaß leider vorbei: Die Rinne verbreitert sich und läuft in einem steilen Geröllhang aus. Auf diesem bin ich dann mit fast ebenso viel Spaß runterxörft.

Unten geht es über Wiesen weiter hinunter zum Wanderweg, der vom Kaiserjochhaus zur Ansbacher Hütte führt.

Vorderseespitze - Vordersee/Wanderweg: weglos, Steilrinne und Schotter, T6/II, 45 Minuten


Hier habe ich erstmal ausgiebig gepaust und die verwunderten Blick von Passanten genossen, die meine in der Sonne trocknenden Steigeisen bemerkten. Dann machte ich mich auf den abenteuerlichen Weg zurück zum Alperschonjoch (2301m).

Vordersee/Wanderweg - Alperschonjoch: Wanderweg mit versicherten Passagen, T4/I, 40 Minuten


Hier im Joch kam ich mit zwei der Passanten ins Gespräch. Einer war ein Augsburger, der am nächsten Tag den Augsburger Höhenweg gehen wollte. Da ich diese fantastische Route kenne, gingen wir zusammen zur Ansbacher Hütte zurück und unterhielten uns unterwegs über die Schönh- und Schwierigkeiten des großartigsten Wegs der Lechtaler.

Alperschonjoch -  Ansbacher Hütte (2376 m): Wanderweg, T3, 1h


An der Ansbacher Hütte wurde ich gleich mit einem Almdudler begrüßt. Ich sog noch eine Gulaschsuppe ein, dann verabschiedete ich mich von den beiden Augsburgern. Hoffe, Ihr hattet Spaß am Augsburger Höhenweg! 

Dann machte ich mich an den steilen Abstieg nach Flirsch (1154m), wo ich eine gute Stunde später ankam. Ich stieg in das Kloine Auto und düste nach Zams, von wo aus ich am nächsten Tag auf der Südroute zur Silberspitze gehen wollte.

Ansbacher Hütte -  Flirsch: Wanderweg, T3, 1:10


Fazit:


Schöne Tour, für mich vor allem wegen der Geilrinne. Die Gratüberschreitung ist schön, aber ich hab nach Gumpenkarspitze und Steinmanndlspitze eigentlich genug von dem brüchigen Zeug gehabt. Die Freispitzüberschreitung war schöner. Und leichter.


Ausrüstung:

Steigeisen und entsprechende Schuhe, Stecken, Helm, ggf. Pickel

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (2)


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Kommunist hat gesagt:
Gesendet am 21. Mai 2017 um 22:36
Ich weiß nicht, ob du komisch bist, aber ich fand die Südrinne auch mega geil :-) Das ist also - wie alle anderen genannten Kriterien - kein Grund für das Attribut "komisch" - finde ich!

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 22. Mai 2017 um 09:42
Hahaha! Hallo Kommunist, und vielen Dank für diesen Kommentar! Noch ein Steilrinnenfan - dann bin ich ja beruhigt. Und falls Du einen Tipp hast, so eine Rinne wie die, aber fünf mal so lang....

Grußerl,

Nik


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