Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Tag drei: Waldersbach, 20. Januar, 239 Jahre danach.
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"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg." - Mit diesen Worten beginnt eine Erzählung Georg Büchners (1813-1837), die postum 1839 unter dem Titel "Lenz" erschien. In ihr bearbeitete Büchner die wahre Geschichte des gemütskranken Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, der sechzig Jahre zuvor, 1778, im elsässischen Waldersbach erschienen war und das kleine Bergdorf für einige Wochen in Aufregung versetzt hatte (mehr zum literaturgeschichtlichen Hintergrund hier).
Ursprünglich hatten wir geplant, Lenz' Reiseroute genau nachzuvollziehen. Leider ist das nicht möglich, da nicht bekannt ist, von wo aus er, aus der Schweiz kommend, die Vogesen überquerte. Deshalb planten wir nun eine Tour von Büchner zu Lenz, die Büchners Aufenthaltsorte in Straßburg mit Waldersbach im Steintal verbinden sollte. Und da nichts über Lenz' Route bekannt ist, konnten wir die unsrige frei wählen. Wir banden daher zahlreiche elsässische Highlights ein: den Dompeter in Avolsheim, Molsheim, die romanischen Bauten in Rosheim, den Mont Sainte-Odile mit seiner geheimnisvollen Heidenmauer und vieles andere mehr.
"Den 20. ging Lenz durch’s Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen." Und auf den Tag genau 239 Jahre später gingen wir ebenfalls durch's Gebirg, am 20. Januar 2017, auf den Spuren des historischen Lenz - und des literarischen. Und auch wenn seine genaue Route nach Waldersbach nicht bekannt ist, spätestens ab dem Champ du Feu mussten wir uns auf seiner Route befinden - auf jeden Fall auf der des literarischen Lenz. Denn Büchner erwähnt den Berg, der auf dem Weg von Osten überquert werden muss, wenn man nicht durch's Breuschtal nach Waldersbach reist. Doch Büchners Figur fand vollkommen andere Verhältnisse vor als wir: "Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump."
Und noch einmal ab ins Auto. Diesmal mit "Life Is Good" von RTFACT. Wir starteten den dritten und letzten Tag dagegen in strahlendem Sonnenschein und in Eiseskälte, dort, wo wir am Vortag geendet hatten: Auf dem Mont Sainte-Odile (763m), dem heiligen Berg des Elsass.
Der Odilienberg erhebt sich in der Nähe der Ortschaften Obernai und Barr auf eine Höhe von 763m über der Oberrheinebene und wird von einer Klosteranlage gekrönt. Das Kloster wurde im 7. Jahrhundert von Odilia, der Tochter eines fränkischen Herzogs, errichtet. Der Ort wurde bis ins Mittelalter als Frauenkloster genutzt und später nach der heiligen Odilia, der Klostergründerin und Schutzpatronin des Elsass, benannt. Mehr dazu im Tourenbericht zum Vortag.
Aber die Aussicht! Der Grand Wintersberg ist im Norden zu sehen, Straßburg, der Nordschwarzwald mit Battert und Hornisgrinde, der Schliffkopf, das Bühlertal, und weiter im Süden der Kandel, der Feldberg und der Belchen. Und ist das dort hinten der Odenwald? Im Odenwald, im Odenwald.... Herrlich! Das sollte man unbedingt genießen.
Um den Berg herum zieht sich die sogenannte „Heidenmauer“ (frz.: mur païen), eine mehr als 10 km lange steinerne Schutzmauer aus uralter Zeit. Dieser folgten wir nun für einige Zeit. Auch dazu mehr im Tourenbericht zum Vortag, oder im Tourenbericht zu unserer Komplettumwanderung der Heidenmauer, einige Monate später.
Wir folgten dem gelben X, dem Heidenmauer-Rundweg, der uns schon vom Vortag bekannt war. Es ging durch den romantisch verschneiten Winterwald immer der zyklopischen Mauer entlang zum Aussichtsfelsen Maennelstein (814m), von wo aus man das gesamte Oberrheintal überblicken kann. Hier wendet sich die Mauer dann nach Westen. Bald kann man ein paar Meter rechts hinauf in den Wald zu einer Gedenkstätte wandern.
Hier stürzte am 20. Januar 1992 ein Airbus A320 der Air Inter ab. Dabei kamen 87 Menschen ums Leben, neun Personen überlebten das Unglück. Die Absturzstelle befindet sich am Berg La Bloss in einer Höhe von etwa 810m. Heute ist der Ort eine Gedenkstätte.
Wir fügten noch einen weiteren Abstecher ein, zur Grotte des Druides (790m) einer natürlichen Grotte unterhalb der Heidenmauer - die leider, aber wenig überraschend nichts mit Druiden zu tun hat. Dann kehrten wir um, und wanderten an einem Abzweig hinunter zum Rocher du Wachstein (797m). Von hier aus zickzackt sich der Weg zunächst zum Kiosque Jadelot (750m), einem Aussichtspavillon, und von dort aus weiter hinunter zum Pass Carrefour de la Bloss (720m).
Mont Sainte-Odile - Carrefour de la Bloss: 1:10
Wir überquerten die Straße und folgten von hier aus dem grünen Ring. Wir stiegen drüben hinunter zu einem ersten, und dann weiter hinunter zu einem zweiten Weg. Auf diesem wanderten wir westwärts, hinüber zur Burgruine Birkenfels (676m).
Carrefour de la Bloss - Birkenfels: 30 Min.
Die Ruine der Burg Birkenfels steht zwei Kilometer südwestlich des Odilienbergs. Die Höhenburg wurde von der Familie Be(r)ger errichtet und ist eine von insgesamt neun Wehranlagen, die auf nur wenigen Quadratkilometern rund um den Odilienberg stehen. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Burg aufgegeben. Nach dem Dreißigjährigen Krieg verfiel sie endgültig zu einer Ruine.
Die Burgruine steht im dicht bewaldeten Hinterland des Odilienbergs und hatte damit kaum einen strategischen Wert. Hinzu kam, dass zu der Anlage kein umliegender Landbesitz und keine Versorgungshöfe gehörten. Sie hatte wohl eher eine Schutzfunktion für den Wald oder könnte die östlich und südlich des Burgfelsens vom Odilienberg über den Champ du Feu bis ins Breuschtal verlaufende Hochstraße kontrolliert haben.
Von der Ruine aus ging es auf dem grünen Kreis weiter nach Westen und wir gelangten wieder hinauf zur Straße (die D 426). Der Ort heißt Carrefour de la Breitmatt (700m), und ist genau das: Eine Ebene im Wald - die heute allerdings nicht mehr genutzt wird, abgesehen vielleicht von einem Parkplatz, an dem man herauskommt.
Birkenfels - Carrefour de la Breitmatt: 15 Min.
Wir folgten der Straße einige Meter und wechselten nach der Breitmatt auf den GR5, oberhalb der Straße. Dieser Weg hat eine hochinteressante Geschichte, bis zum Maison Forestière Welschbruch befindet man sich nämlich auf der Trasse der ehemaligen Waldeisenbahn Welschbruch (Le chemin de fer forestier de la forêt de Barr):
Da der Holztransport mit Schlitten auf dem steilen Schlittweg entlang der Kirneck gefährlich und saisonabhängig war, beschlossen die umliegenden Gemeinden, eine Eisenbahn zu bauen. Der Bau der Strecke vom Holzplatz nach Pfostenhiesel wurde 1887 begonnen und 1888 bis Welschbruch erweitert. Sie wurde dort mit einem seit 1860 bestehenden Abschnitt von ‘le Schienenweg’, der über die Rothlach führt, verbunden. Die 6,3 km lange Strecke mit einem durchschnittlichen Gefälle von 7% wurde am 16. Juli 1889 offiziell eröffnet.
Auf hölzernen Loren wurden bis zu 30 m lange Baumstämme transportiert. Die Loren wurden leer mit Pferden vom Holzplatz zum Forsthaus gezogen. Im beladenen Zustand fuhren sie, nur durch die Schwerkraft angetrieben, auf einer 30-minütigen, von einem Bremser kontrollierten Fahrt ins Tal.
Der Bau der auf 63.000 Mark veranschlagten Bahnlinie kostete mehr als 100.000 Mark, so dass die Wirtschaftlichkeit oft in Frage gestellt wurde. Nach einer Nutzung von nur 20 Jahren wurde die Strecke 1906 stillgelegt.
Carrefour de la Breitmatt - Maison Forestière Welschbruch: 40 Min.
Kurz nach dem Maison Forestière Welschbruch (784m) verließen wir dann die Trasse der Waldeisenbahn und wanderten zwischen ihr (unter uns) und der Straße D130 (über uns) auf einem schönen schmalen Weglein (gelbes Plus - wer einen breiten Holzabfuhrweg direkt am Hangkanal der Waldeisenbahn erwischt, kommt zwar auch weiter, ist aber auf dem weniger schönen Weg) hoch im Hang des Neuntelsteins hinüber zum Pass La Rothlach (954m).
Maison Forestière Welschbruch - La Rothlach: 1h
Von hier aus ging es dann auf dem gelben Plus wieder nach Südwesten, weiterhin im Hang unterhalb der Straße. "Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen" heißt es bei Büchner, wir aber folgten zunächst einem Winterwanderweg entlang der hier gespurten Loipe, dann ging es ein tief verschneites Weglein rechts hinauf, dem wir nun bis zur alten Meierei La Vieille Métairie (942m) folgten. Kurz vor der Meierei geht es ein paar Meter bergab, dahinter, nun auf dem roten Punkt, wieder in den tiefen Wald hinauf. Bald überquerten wir die 1000-Meter-Grenze. Der Rotpunktweg führt schließlich zur Straße hinauf, der wir ein paar Meter südwärts folgten, zum höchsten Punkt unseres Dreitagers, dem Champ du Feu (1099m).
La Rothlach - Champ du Feu: 1,5h
Der Champ du Feu ist die höchste Erhebung der Mittelvogesen. Das Gipfelplateau ist von weitläufigen Heide- und Moorflächen geprägt, deren Vegetation subalpine Züge trägt. Der 20 m hohe Aussichtsturm aus dem Jahr 1898 ist leider gesperrt, weil er sich in keinem guten Zustand befindet. Dennoch hat man von hier aus eine großartige Sicht, vor allem nach Norden, über die bewaldeten Berge der Vogesen, darunter der berühmte Donon und dahinter die niedrigeren Nordvogesen.
Irgendwo hier musste auch Lenz herübergekommen sein, jedenfalls der literarische, vielleicht aber auch der historische Lenz. Bei Büchner heißt es: "Gegen Abend kam er auf die Höhe des Gebirgs, auf das Schneefeld, von wo man wieder hinabstieg in die Ebene nach Westen, er setzte sich oben nieder. Es war gegen Abend ruhiger geworden; das Gewölk lag fest und unbeweglich am Himmel, so weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von denen sich breite Flächen hinabzogen, und alles so still, grau, dämmernd; es wurde ihm entsetzlich einsam, er war allein, ganz allein, er wollte mit sich sprechen, aber er konnte, er wagte kaum zu athmen".
Als wir 239 Jahre nach Lenz bei Eiseskälte und Sonnenschein hier ankamen, war zwar kaum jemand auf dem Berg, allein waren wir jedoch bei Weitem nicht. In den Wintermonaten ist der Champ du Feu ein viel besuchtes Skigebiet - und dass heute nicht viele Menschen hier oben waren, lag nur daran, dass der 20. Januar 2017 ein Freitag war.
Zunächst ging es auf dem Chemin de la Tour nach Nordwesten über die freien Bergflächen des Champ du Feu hinunter, dann kurz durch den Wald weiter bergab und wieder an die Straße, die vom Champ du Feu nach Belmont im Steintal führt. Bei Büchner klingt das ganz anders: "Es faßte ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts, er war im Leeren, er riß sich auf und flog den Abhang hinunter. Es war finster geworden, Himmel und Erde verschmolzen in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm."
Diese Sätze lesend folgten wir einem Winterwanderweg unterhalb der Straße und gelangten schnell hinunter in den kleinen Ort Belmont (832m), den wir nun auf der Rue de la Hutte Bas durchquerten. Belmont erwähnt auch Büchner: "Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach", und genau diese Zeitangabe steht noch heute auf dem Wanderwegschild an der Kirche. Wir folgten der Beschilderung (roter Punkt). Gleich unterhalb des Örtchens geht es wieder in den Wald und auf dem alten Chemin de Belmont, den auch Lenz 239 Jahre zuvor genommen haben muss, in tatsächlich einer halben Stunde durch den Wald hinunter zu unserem Ziel: dem Ort Waldersbach (500m).
Champ du Feu - Waldersbach: 1:20h
"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg" schrieb Georg Büchner 1835. Genau 239 Jahre später, am 20. Januar 2017 gingen auch wir durch's Gebirg - und beendeten wir unsere Tour von Büchner zu Lenz in Waldersbach, dem Wohnort Johann Friedrich Oberlins, wo Jakob Michael Reinhold Lenz sich vom 20. Januar bis 8. Februar 1778 aufgehalten hatte. Wir besuchten die Stätten von Oberlins Wirken, sein Museum natürlich, das alte Schulhaus, in dem Lenz untergebracht war, und besichtigten die einfache Dorfkirche, in der er predigen durfte. Wir sahen den Dorfbrunnen, vermutlich der, in dem sich Lenz in den eiskalten Nächten des Januars 1778 selbst behandelte. Und wir dachten an jungen verwirrten Mann, über den Oberlin kurz nach seiner Abreise schrieb:
Den 20 Jan. kam er hieher. Ich kannte ihn nicht. Im ersten blik sah ich ihn, den Haaren, u. hängenden Loken &c nach, für einen schreiner gesell an.– Seyen Sie Willkommen, sacht ich, ob Sie mir schon unbekannt. „– Ich bin ein Freund. K.... u. bringe e. Kompliment von ihm – „Der Name, wans beliebt? „Lenz, ha, ha, ist er nicht gedruckt? (ich erinerte mich einige Dramen gelesen zu haben, die einem HE dieses Namens zu geschrieben werden), – er antwortete – ja, aber belieben Sie mich nicht darnach zu beurtheilen. &c
Wir waren vergnügt untereinander, er zeichnete uns verschiedene Kleidungen der Liefl.... u. Russen Vor – wir sprachen von ihrer Lebensart &c
Wir logirten ihn in ds Besuch Zimmer im Schulhauß.
Die darauf folgende Nacht hörte ich e. Weile im Schlaf laut reden, ohne das ich micht ermuntern konte – endlich fuhr ich plötzlich zu samen, horchte, sprang auf, horchte wieder – da hörte ich mit Schuhlmeisters stimme laut sachen „allez donc au lit – qu'est-ce que c'est que ça – he, – dans l'eau, par un temps si froid – allez, allez au lit.
Eine Menge Gedanken durchdrang sich in meinem Kopf „vielleicht ist er ein Nachtwandler, u. hatte d. Unglück in die Brunbütte zu stürzen, man muß ihm also Feuer Thee &c. machen, um ihn zu erwärmen u. troknen.
Ich warf meine Kleider um mich, u. hinunter an das Schuhlhauß. Schuhlmeister u. seine Frau, noch vor schreken blas, sachte mir: „HE L.... hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wäre hin u. her gegangen, – aufs feld hinter dem Häuß – wieder hierein, endlich hinunter – an der Brunntrog. strekte die Hände ins Wasser stieg auf den Trog, strekte die hand ins Wasser, stürtzte sich hinein, u. pattsche drinn, wie e. Ende, – sie, Schuhlmeister u. seine Frau hätten gefürchtet, er wolte sich ertränken, riefen ihm zu – er wieder aus dem Wasser, sachte, er er wäre gewohnt sich im kalten Wasser zu baden, und ging wieder auf sein Zimmer. Gottlob, sachte ich, das es wieder nichts ist, HE K... liebt das kalte bad auch, u. HE. L. ist e. Freund v. HE. K..
Das war für uns alle der erste Schreken. Ich eilte zu rük um meine Frau auch zu beruhigen.
Ursprünglich hatten wir geplant, Lenz' Reiseroute genau nachzuvollziehen. Leider ist das nicht möglich, da nicht bekannt ist, von wo aus er, aus der Schweiz kommend, die Vogesen überquerte. Deshalb planten wir nun eine Tour von Büchner zu Lenz, die Büchners Aufenthaltsorte in Straßburg mit Waldersbach im Steintal verbinden sollte. Und da nichts über Lenz' Route bekannt ist, konnten wir die unsrige frei wählen. Wir banden daher zahlreiche elsässische Highlights ein: den Dompeter in Avolsheim, Molsheim, die romanischen Bauten in Rosheim, den Mont Sainte-Odile mit seiner geheimnisvollen Heidenmauer und vieles andere mehr.
"Den 20. ging Lenz durch’s Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen." Und auf den Tag genau 239 Jahre später gingen wir ebenfalls durch's Gebirg, am 20. Januar 2017, auf den Spuren des historischen Lenz - und des literarischen. Und auch wenn seine genaue Route nach Waldersbach nicht bekannt ist, spätestens ab dem Champ du Feu mussten wir uns auf seiner Route befinden - auf jeden Fall auf der des literarischen Lenz. Denn Büchner erwähnt den Berg, der auf dem Weg von Osten überquert werden muss, wenn man nicht durch's Breuschtal nach Waldersbach reist. Doch Büchners Figur fand vollkommen andere Verhältnisse vor als wir: "Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump."
Und noch einmal ab ins Auto. Diesmal mit "Life Is Good" von RTFACT. Wir starteten den dritten und letzten Tag dagegen in strahlendem Sonnenschein und in Eiseskälte, dort, wo wir am Vortag geendet hatten: Auf dem Mont Sainte-Odile (763m), dem heiligen Berg des Elsass.
Der Odilienberg erhebt sich in der Nähe der Ortschaften Obernai und Barr auf eine Höhe von 763m über der Oberrheinebene und wird von einer Klosteranlage gekrönt. Das Kloster wurde im 7. Jahrhundert von Odilia, der Tochter eines fränkischen Herzogs, errichtet. Der Ort wurde bis ins Mittelalter als Frauenkloster genutzt und später nach der heiligen Odilia, der Klostergründerin und Schutzpatronin des Elsass, benannt. Mehr dazu im Tourenbericht zum Vortag.
Aber die Aussicht! Der Grand Wintersberg ist im Norden zu sehen, Straßburg, der Nordschwarzwald mit Battert und Hornisgrinde, der Schliffkopf, das Bühlertal, und weiter im Süden der Kandel, der Feldberg und der Belchen. Und ist das dort hinten der Odenwald? Im Odenwald, im Odenwald.... Herrlich! Das sollte man unbedingt genießen.
Um den Berg herum zieht sich die sogenannte „Heidenmauer“ (frz.: mur païen), eine mehr als 10 km lange steinerne Schutzmauer aus uralter Zeit. Dieser folgten wir nun für einige Zeit. Auch dazu mehr im Tourenbericht zum Vortag, oder im Tourenbericht zu unserer Komplettumwanderung der Heidenmauer, einige Monate später.
Wir folgten dem gelben X, dem Heidenmauer-Rundweg, der uns schon vom Vortag bekannt war. Es ging durch den romantisch verschneiten Winterwald immer der zyklopischen Mauer entlang zum Aussichtsfelsen Maennelstein (814m), von wo aus man das gesamte Oberrheintal überblicken kann. Hier wendet sich die Mauer dann nach Westen. Bald kann man ein paar Meter rechts hinauf in den Wald zu einer Gedenkstätte wandern.
Hier stürzte am 20. Januar 1992 ein Airbus A320 der Air Inter ab. Dabei kamen 87 Menschen ums Leben, neun Personen überlebten das Unglück. Die Absturzstelle befindet sich am Berg La Bloss in einer Höhe von etwa 810m. Heute ist der Ort eine Gedenkstätte.
Wir fügten noch einen weiteren Abstecher ein, zur Grotte des Druides (790m) einer natürlichen Grotte unterhalb der Heidenmauer - die leider, aber wenig überraschend nichts mit Druiden zu tun hat. Dann kehrten wir um, und wanderten an einem Abzweig hinunter zum Rocher du Wachstein (797m). Von hier aus zickzackt sich der Weg zunächst zum Kiosque Jadelot (750m), einem Aussichtspavillon, und von dort aus weiter hinunter zum Pass Carrefour de la Bloss (720m).
Mont Sainte-Odile - Carrefour de la Bloss: 1:10
Wir überquerten die Straße und folgten von hier aus dem grünen Ring. Wir stiegen drüben hinunter zu einem ersten, und dann weiter hinunter zu einem zweiten Weg. Auf diesem wanderten wir westwärts, hinüber zur Burgruine Birkenfels (676m).
Carrefour de la Bloss - Birkenfels: 30 Min.
Die Ruine der Burg Birkenfels steht zwei Kilometer südwestlich des Odilienbergs. Die Höhenburg wurde von der Familie Be(r)ger errichtet und ist eine von insgesamt neun Wehranlagen, die auf nur wenigen Quadratkilometern rund um den Odilienberg stehen. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Burg aufgegeben. Nach dem Dreißigjährigen Krieg verfiel sie endgültig zu einer Ruine.
Die Burgruine steht im dicht bewaldeten Hinterland des Odilienbergs und hatte damit kaum einen strategischen Wert. Hinzu kam, dass zu der Anlage kein umliegender Landbesitz und keine Versorgungshöfe gehörten. Sie hatte wohl eher eine Schutzfunktion für den Wald oder könnte die östlich und südlich des Burgfelsens vom Odilienberg über den Champ du Feu bis ins Breuschtal verlaufende Hochstraße kontrolliert haben.
Von der Ruine aus ging es auf dem grünen Kreis weiter nach Westen und wir gelangten wieder hinauf zur Straße (die D 426). Der Ort heißt Carrefour de la Breitmatt (700m), und ist genau das: Eine Ebene im Wald - die heute allerdings nicht mehr genutzt wird, abgesehen vielleicht von einem Parkplatz, an dem man herauskommt.
Birkenfels - Carrefour de la Breitmatt: 15 Min.
Wir folgten der Straße einige Meter und wechselten nach der Breitmatt auf den GR5, oberhalb der Straße. Dieser Weg hat eine hochinteressante Geschichte, bis zum Maison Forestière Welschbruch befindet man sich nämlich auf der Trasse der ehemaligen Waldeisenbahn Welschbruch (Le chemin de fer forestier de la forêt de Barr):
Da der Holztransport mit Schlitten auf dem steilen Schlittweg entlang der Kirneck gefährlich und saisonabhängig war, beschlossen die umliegenden Gemeinden, eine Eisenbahn zu bauen. Der Bau der Strecke vom Holzplatz nach Pfostenhiesel wurde 1887 begonnen und 1888 bis Welschbruch erweitert. Sie wurde dort mit einem seit 1860 bestehenden Abschnitt von ‘le Schienenweg’, der über die Rothlach führt, verbunden. Die 6,3 km lange Strecke mit einem durchschnittlichen Gefälle von 7% wurde am 16. Juli 1889 offiziell eröffnet.
Auf hölzernen Loren wurden bis zu 30 m lange Baumstämme transportiert. Die Loren wurden leer mit Pferden vom Holzplatz zum Forsthaus gezogen. Im beladenen Zustand fuhren sie, nur durch die Schwerkraft angetrieben, auf einer 30-minütigen, von einem Bremser kontrollierten Fahrt ins Tal.
Der Bau der auf 63.000 Mark veranschlagten Bahnlinie kostete mehr als 100.000 Mark, so dass die Wirtschaftlichkeit oft in Frage gestellt wurde. Nach einer Nutzung von nur 20 Jahren wurde die Strecke 1906 stillgelegt.
Carrefour de la Breitmatt - Maison Forestière Welschbruch: 40 Min.
Kurz nach dem Maison Forestière Welschbruch (784m) verließen wir dann die Trasse der Waldeisenbahn und wanderten zwischen ihr (unter uns) und der Straße D130 (über uns) auf einem schönen schmalen Weglein (gelbes Plus - wer einen breiten Holzabfuhrweg direkt am Hangkanal der Waldeisenbahn erwischt, kommt zwar auch weiter, ist aber auf dem weniger schönen Weg) hoch im Hang des Neuntelsteins hinüber zum Pass La Rothlach (954m).
Maison Forestière Welschbruch - La Rothlach: 1h
Von hier aus ging es dann auf dem gelben Plus wieder nach Südwesten, weiterhin im Hang unterhalb der Straße. "Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen" heißt es bei Büchner, wir aber folgten zunächst einem Winterwanderweg entlang der hier gespurten Loipe, dann ging es ein tief verschneites Weglein rechts hinauf, dem wir nun bis zur alten Meierei La Vieille Métairie (942m) folgten. Kurz vor der Meierei geht es ein paar Meter bergab, dahinter, nun auf dem roten Punkt, wieder in den tiefen Wald hinauf. Bald überquerten wir die 1000-Meter-Grenze. Der Rotpunktweg führt schließlich zur Straße hinauf, der wir ein paar Meter südwärts folgten, zum höchsten Punkt unseres Dreitagers, dem Champ du Feu (1099m).
La Rothlach - Champ du Feu: 1,5h
Der Champ du Feu ist die höchste Erhebung der Mittelvogesen. Das Gipfelplateau ist von weitläufigen Heide- und Moorflächen geprägt, deren Vegetation subalpine Züge trägt. Der 20 m hohe Aussichtsturm aus dem Jahr 1898 ist leider gesperrt, weil er sich in keinem guten Zustand befindet. Dennoch hat man von hier aus eine großartige Sicht, vor allem nach Norden, über die bewaldeten Berge der Vogesen, darunter der berühmte Donon und dahinter die niedrigeren Nordvogesen.
Irgendwo hier musste auch Lenz herübergekommen sein, jedenfalls der literarische, vielleicht aber auch der historische Lenz. Bei Büchner heißt es: "Gegen Abend kam er auf die Höhe des Gebirgs, auf das Schneefeld, von wo man wieder hinabstieg in die Ebene nach Westen, er setzte sich oben nieder. Es war gegen Abend ruhiger geworden; das Gewölk lag fest und unbeweglich am Himmel, so weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von denen sich breite Flächen hinabzogen, und alles so still, grau, dämmernd; es wurde ihm entsetzlich einsam, er war allein, ganz allein, er wollte mit sich sprechen, aber er konnte, er wagte kaum zu athmen".
Als wir 239 Jahre nach Lenz bei Eiseskälte und Sonnenschein hier ankamen, war zwar kaum jemand auf dem Berg, allein waren wir jedoch bei Weitem nicht. In den Wintermonaten ist der Champ du Feu ein viel besuchtes Skigebiet - und dass heute nicht viele Menschen hier oben waren, lag nur daran, dass der 20. Januar 2017 ein Freitag war.
Zunächst ging es auf dem Chemin de la Tour nach Nordwesten über die freien Bergflächen des Champ du Feu hinunter, dann kurz durch den Wald weiter bergab und wieder an die Straße, die vom Champ du Feu nach Belmont im Steintal führt. Bei Büchner klingt das ganz anders: "Es faßte ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts, er war im Leeren, er riß sich auf und flog den Abhang hinunter. Es war finster geworden, Himmel und Erde verschmolzen in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm."
Diese Sätze lesend folgten wir einem Winterwanderweg unterhalb der Straße und gelangten schnell hinunter in den kleinen Ort Belmont (832m), den wir nun auf der Rue de la Hutte Bas durchquerten. Belmont erwähnt auch Büchner: "Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach", und genau diese Zeitangabe steht noch heute auf dem Wanderwegschild an der Kirche. Wir folgten der Beschilderung (roter Punkt). Gleich unterhalb des Örtchens geht es wieder in den Wald und auf dem alten Chemin de Belmont, den auch Lenz 239 Jahre zuvor genommen haben muss, in tatsächlich einer halben Stunde durch den Wald hinunter zu unserem Ziel: dem Ort Waldersbach (500m).
Champ du Feu - Waldersbach: 1:20h
"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg" schrieb Georg Büchner 1835. Genau 239 Jahre später, am 20. Januar 2017 gingen auch wir durch's Gebirg - und beendeten wir unsere Tour von Büchner zu Lenz in Waldersbach, dem Wohnort Johann Friedrich Oberlins, wo Jakob Michael Reinhold Lenz sich vom 20. Januar bis 8. Februar 1778 aufgehalten hatte. Wir besuchten die Stätten von Oberlins Wirken, sein Museum natürlich, das alte Schulhaus, in dem Lenz untergebracht war, und besichtigten die einfache Dorfkirche, in der er predigen durfte. Wir sahen den Dorfbrunnen, vermutlich der, in dem sich Lenz in den eiskalten Nächten des Januars 1778 selbst behandelte. Und wir dachten an jungen verwirrten Mann, über den Oberlin kurz nach seiner Abreise schrieb:
Den 20 Jan. kam er hieher. Ich kannte ihn nicht. Im ersten blik sah ich ihn, den Haaren, u. hängenden Loken &c nach, für einen schreiner gesell an.– Seyen Sie Willkommen, sacht ich, ob Sie mir schon unbekannt. „– Ich bin ein Freund. K.... u. bringe e. Kompliment von ihm – „Der Name, wans beliebt? „Lenz, ha, ha, ist er nicht gedruckt? (ich erinerte mich einige Dramen gelesen zu haben, die einem HE dieses Namens zu geschrieben werden), – er antwortete – ja, aber belieben Sie mich nicht darnach zu beurtheilen. &c
Wir waren vergnügt untereinander, er zeichnete uns verschiedene Kleidungen der Liefl.... u. Russen Vor – wir sprachen von ihrer Lebensart &c
Wir logirten ihn in ds Besuch Zimmer im Schulhauß.
Die darauf folgende Nacht hörte ich e. Weile im Schlaf laut reden, ohne das ich micht ermuntern konte – endlich fuhr ich plötzlich zu samen, horchte, sprang auf, horchte wieder – da hörte ich mit Schuhlmeisters stimme laut sachen „allez donc au lit – qu'est-ce que c'est que ça – he, – dans l'eau, par un temps si froid – allez, allez au lit.
Eine Menge Gedanken durchdrang sich in meinem Kopf „vielleicht ist er ein Nachtwandler, u. hatte d. Unglück in die Brunbütte zu stürzen, man muß ihm also Feuer Thee &c. machen, um ihn zu erwärmen u. troknen.
Ich warf meine Kleider um mich, u. hinunter an das Schuhlhauß. Schuhlmeister u. seine Frau, noch vor schreken blas, sachte mir: „HE L.... hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wäre hin u. her gegangen, – aufs feld hinter dem Häuß – wieder hierein, endlich hinunter – an der Brunntrog. strekte die Hände ins Wasser stieg auf den Trog, strekte die hand ins Wasser, stürtzte sich hinein, u. pattsche drinn, wie e. Ende, – sie, Schuhlmeister u. seine Frau hätten gefürchtet, er wolte sich ertränken, riefen ihm zu – er wieder aus dem Wasser, sachte, er er wäre gewohnt sich im kalten Wasser zu baden, und ging wieder auf sein Zimmer. Gottlob, sachte ich, das es wieder nichts ist, HE K... liebt das kalte bad auch, u. HE. L. ist e. Freund v. HE. K..
Das war für uns alle der erste Schreken. Ich eilte zu rük um meine Frau auch zu beruhigen.
Tourengänger:
Nik Brückner,
Waldelfe


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