Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Tag eins: 18. Januar.


Publiziert von Nik Brückner , 23. Januar 2017 um 14:11. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Frankreich » Vogesen
Tour Datum:18 Januar 2017
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 70 m
Abstieg: 30 m
Strecke:30km
Unterkunftmöglichkeiten:Straßburg, Molsheim

"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg." - Mit diesen Worten beginnt eine Erzählung Georg Büchners (1813-1837), die postum 1839 unter dem Titel "Lenz" erschien. In ihr bearbeitete Büchner die wahre Geschichte des gemütskranken Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, der sechzig Jahre zuvor, 1778, im elsässischen Waldersbach erschienen war und das kleine Bergdorf für einige Wochen in Aufregung versetzt hatte.


1. Jakob Michael Reinhold Lenz

Lenz, schwärmerischer Dichter des Sturm und Drang ("Der Hofmeister", "Die Soldaten") war aus der Schweiz gekommen, wo er unter anderem im Mai 1777 Johann Caspar Lavater in Zürich besucht hatte. Im November war es dann bei einem Aufenthalt bei Christoph Kaufmann in Winterthur zu einem Ausbruch seiner psychischen Krankheit gekommen (aus heutiger Sicht vermutlich eine paranoide Schizophrenie). Kaufmann hatte Lenz daraufhin Mitte Januar 1778 zu dem Philanthropen, Sozialreformer und Pfarrer Johann Friedrich Oberlin ins elsässische Waldersbach geschickt, wo er sich vom 20. Januar bis 8. Februar aufhielt. Trotz der Fürsorge von Oberlin und seiner Frau verschlimmerte sich Lenzens geistiger Zustand allerdings zusehends. Lenz ging daraufhin zu Freunden nach Emmendingen, von wo aus ihn schließlich sein jüngerer Bruder Karl im Juni 1779 in die livländische Heimat zurückbrachte.

Lenz sollte dort aber nie wieder richtig Fuß fassen. Seine Versuche, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, umfassten Stellen als Hauslehrer und Übersetzer. Dabei verschlechterte sich sein psychischer Zustand immer mehr. Zuletzt überlebte er nur durch die Unterstützung russischer Gönner. Am frühen Morgen des 4. Juni 1792 wurde er tot in einer Moskauer Straße aufgefunden. Der Ort seines Grabes ist unbekannt.


2. Johann Friedrich Oberlin

Johann Friedrich Oberlin (frz. Jean-Frédéric Oberlin, 1740 - 1826) war evangelischer Pfarrer in Waldersbach, Pädagoge, Sozialreformer und Philanthrop. Bei seiner Ankunft im Steintal 1767 lebten in den fünf Dörfern seiner Gemeinde knapp 100 Familien in ärmlichsten Zuständen. Oberlin verbesserte daraufhin den Obstbau, die Wiesenanlagen und die Landwirtschaft, er legte Brücken und Straßen an, die er zusammen mit den einheimischen Bauern selbst baute, und gründete mehrere Industriebetriebe. Auf seine Initiative hin entstanden auch Kleinkinderschulen. 1785 gründete Oberlin eine Leih- und Kreditanstalt. Mit deren Hilfe konnte 1813 eine Seidenband-Fabrik im Steintal angesiedelt werden. Durch sein sozialpädagogisches Wirken eröffnete Oberlin auch Frauen einen Weg in die Berufswelt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war dann die Bevölkerung bereits auf etwa 3000 Personen angewachsen. Heute befindet sich im ehemaligen Pfarrhaus in Waldersbach das Museum Jean-Frédéric Oberlin, das nach seinen pädagogischen Grundsätzen eingerichtet wurde..

Oberlin schrieb 1778 über den unglücklichen Besucher Lenz einen Bericht mit dem Titel „Herr L......“, der 1835 Georg Büchner in Straßburg in die Hände fiel.


3. Georg Büchner

Karl Georg Büchner (1813 - 1837), eigentlich Mediziner und Naturwissenschaftler, ist vor allem als Schriftsteller und Revolutionär bekannt. Er gilt trotz seines schmalen Werkes – Büchner starb bereits im Alter von 23 Jahren – als einer der bedeutendsten Literaten des Vormärz.

Im Juli 1834 war der Hessische Landbote gedruckt worden, den Büchner in seiner Zeit in Gießen verfasst hatte. Es handelte sich um die Flugschrift einiger Verschwörer, die unter der Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufriefen.

Im August wurde einer von Büchners Mitverschwörern gefasst und verhaftet, und Büchners Zimmer durchsucht. Einen Tag später wurde Büchner selbst vernommen, aber nicht verhaftet. Im Zuge dieser obrigkeitlichen Verfolgungen floh er schließlich im März 1835 nach Straßburg, wo er bereits von 1831 bis 1833 gelebt und vergleichende Anatomie studiert hatte. Er hatte dort ein Zimmer bei Johann Jakob Jaeglé gemietet, Pfarrer (und ebenfalls Dichter) an der Straßburger Wilhelmerkirche (Église Saint-Guillaume). Und er hatte sich in dessen Tochter Wilhelmine (1810–1880) verliebt, mit der er sich sogar heimlich verlobte.

Wieder in Straßburg konnte Büchner seine Verlobte wieder in die Arme schließen, außerdem ließ er den Kontakt zu den Freunden August und Adolphe Stöber und Eugène Böckel wieder aufleben. Im April übergab August Stöber ihm einige Unterlagen über Oberlin, darunter Oberlins Bericht "Herr L......". Büchner fasste daraufhin den Plan, Oberlins Bericht zu einer literarischen Erzählung umzuarbeiten.

Büchner war außerdem einer von uns: Hikr. In seiner Straßburger Zeit unternahm er zahlreiche Wanderungen im Elsass und in den Vogesen, teils ausgedehnte Mehrtager. Diese Wanderungen dürften ihn unter anderem nach Waldersbach geführt haben.

Büchners Erzählung "Lenz" hat mich fasziniert, seit ich sie vor vielen Jahren zum ersten Mal las. Büchners Sprache darin ist so roh, so unmittelbar, sie fasst die wunde Seele ihrer Hauptfigur ganz wunderbar in Worte. Schon seit einigen Jahren hatte ich den vagen Plan, Lenzens Reise anno 1778 nachzuvollziehen. Im Januar 2017, 239 Jahre nach Lenz, ging ich nun auch durch's Gebirg. Dabei meine liebe Freundin Alex, der Büchners Texte ebenso viel bedeuten wie mir. Hier der Beginn von "Lenz":

Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nicht's am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber er fand nichts. Es war ihm alles so klein, so nahe, so naß, er hätte die Erde hinter den Ofen setzen mögen, er begriff nicht, daß er so viel Zeit brauchte, um einen Abhang hinunter zu klimmen, einen fernen Punkt zu erreichen; er meinte, er müsse Alles mit ein Paar Schritten ausmessen können. Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Täler warf, und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner, und dann gewaltig heran brausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besingen, und die Wolken wie wilde wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Täler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriß, und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Rot hinaufklomm, und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen und alle Berggipfel scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten, riß es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vorwärts gebogen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, Alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und legte das Haupt in's Moos und schloß die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wandelnder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Flut unter ihm zog. Aber es waren nur Augenblicke, und dann erhob er sich nüchtern, fest, ruhig als wäre ein Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er wußte von nichts mehr. Gegen Abend kam er auf die Höhe des Gebirgs, auf das Schneefeld, von wo man wieder hinabstieg in die Ebene nach Westen, er setzte sich oben nieder. Es war gegen Abend ruhiger geworden; das Gewölk lag fest und unbeweglich am Himmel, so weit der Blick reichte, nichts als Gipfel, von denen sich breite Flächen hinabzogen, und alles so still, grau, dämmernd; es wurde ihm entsetzlich einsam, er war allein, ganz allein, er wollte mit sich sprechen, aber er konnte, er wagte kaum zu atmen, das Biegen seines Fußes tönte wie Donner unter ihm, er mußte sich niedersetzen; es faßte ihn eine namenlose Angst in diesem Nichts, er war im Leeren, er riß sich auf und flog den Abhang hinunter. Es war finster geworden, Himmel und Erde verschmolzen in Eins. Es war als ginge ihm was nach, und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm. Endlich hörte er Stimmen, er sah Lichter, es wurde ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach.


Der Plan

Ursprünglich hatte ich geplant, Lenzens Reiseroute genau nachzuvollziehen. Leider ist das nicht möglich, da nicht bekannt ist, von wo aus er, aus der Schweiz kommend, die Vogesen überquerte. In Frage kommen mehrere Routen: Er könnte in Schlettstadt abgebogen sein, oder in Barr, womöglich ist er aber auch erst bis (kurz vor) Straßburg gereist und von dort aus nach Waldersbach gegangen. In diesem Fall wäre er wohl kaum "durch's Gebirg" gegangen, so weit im Norden bietet sich die viel bequemere Reise durchs Breuschtal an.

All das ist heute nicht mehr zu eruieren. Und so mussten wir umplanen: Unsere Tour durch's Gebirg sollte nun von Büchner zu Lenz führen, also Büchners Aufenthaltsorte in Straßburg mit Oberlins Wohnort Waldersbach im Steintal verbinden. Und da wir nichts über Lenzens Route wissen, konnten wir die unsrige frei wählen. Wir banden daher zahlreiche elsässische Highlights ein: den Dompeter in Avolsheim, Molsheim, die romanischen Bauten in Rosheim, den Mont Sainte-Odile mit seiner geheimnisvollen Heidenmauer und vieles andere mehr.

Das Ganze sollte natürlich "den 20." stattfinden - und da unsere Strecke 75 Kilometer lang war, haben wir sie auf drei Tage aufgeteilt. Geht schon. Dumm nur, dass der 20. ausgerechnet der 20. des Monats Januar gewesen ist...


Die Quellen

All das herauszufinden, war gar nicht so einfach, brauchte Zeit, Spürsinn und ein auch wenig Sachverstand. Unsere Quellen waren vielfältig, zwei besonders hilfreiche möchte ich hier listen. Zu Georg Büchner:
Das Büchnerportal  

und zu Jakob Lenz:

Burghard Dedner/Hubert Gersch/Ariane Martin (Hrsg.): "Lenzens Verrückung". Chronik und Dokumente zu J.M.R. Lenz von Herbst 1777 bis Frühjahr 1778. (Büchner-Studien, Band 8). Tübingen, Max Niemeyer, 1999.

Das waren die beiden wichtigsten Quellen bei unseren Recherchen über Orte, Routen und Personen.


Die Tour

Scardust - "Sands of Time" ist genau die richtige Musik für die Anfahrt. Wir starteten am 18. Januar frühmorgens in Straßburg - bei Eiseskälte. Der Wind tat ein Übriges. Bei unserem Start muss es an die 12° unter Null gehabt haben. Und auch wenn sich der Wind am nächsten Tag legte, Plusgrade sollten wir kein erleben. Los ging's in der Rue St. Guillaume, beim ehemaligen Haus Nr. 66, dem Wohnhaus der Familie Jaeglé, wo Büchner schon während seines Studiums zur Miete gewohnt hatte, "links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete!" Das Haus steht leider nicht mehr, aber den Nachfolgebau konnten wir bestaunen. Ein paar Meter stadteinwärts steht die Wilhelmerkirche (Église Saint-Guillaume), an der Wilhelmines Vater von 1826 bis zu seinem Tod 1837 Pfarrer war. Evangelisch. Zu.

Das 1307 fertiggestellte, langgestreckte gotische Bauwerk war ursprünglich die Kirche eines Bettelordensklosters der Wilhelmiten. 1667 wurde der asymmetrische Glockenturm über dem Haupteingang errichtet. Die schiefe Anlage des Gebäudes ist durch den schlammigen Untergrund bedingt, auf dem es errichtet wurde; Ähnliches ist auch an anderen Häusern des Viertels Krutenau festzustellen.

Sehenswert sind zahlreiche hoch- und spätgotische Bleiglasfenster, darunter mehrere von Peter Hemmel von Andlau. Die Orgel der Wilhelmerkirche wurde 1728 von Andreas Silbermann erbaut und ist die älteste an Ort und Stelle verbliebene Silbermann-Orgel Straßburgs. Original erhalten ist allerdings nur das barocke Gehäuse, das Orgelwerk selbst hat zwischenzeitlich zahlreiche Veränderungen erfahren.

Übrigens hatte man Lenz, als er am 9. Februar 1778 aus Waldersbach in die Stadt kam, beim evangelischen Studienstift St. Wilhelm aufgenommen. Später wird er im Zusammenhang mit Erinnerungen an seine Zeit im Steintal, auch Zeichnungen des Straßburger Wilhelmitanums anfertigen.


Weiter ging's in die Rue de la Douane, wo Büchner ab Dezember 1835 im Haus des Weinhändlers Johann Daniel Siegfried (Nr. 18) regulär gemeldet war. Auch hier gibt's keine Nummer 18 mehr - aber immerhin: wir sind die Straße entlanggewandert.

Durch die Innenstadt Straßburgs ging es vorbei an Goethes Wohnhaus. Auch der hatte in Straßburg studiert, und er war zudem mit Lenz bekannt gewesen. Und es ging vorbei an dem berühmten Münster zu Oberlins Geburtshaus, das natürlich auch nicht fehlen durfte. Die nächste Station war dann die Place Saint-Pierre-le-Jeune, mit der eine ungeklärte Episode in Büchners Biographie verbunden ist:

Am 12. März 1835 lässt sich ein Jacques Lutzius, 20jähriger Sommelier aus Oberhausbergen, bei den Straßburger Behörden registrieren. Als Adresse gibt er Place Saint-Pierre-le-Jeune Nr. 2 an, das Wohnhaus eines Amtsbruders Jaeglés. Seine Personenbeschreibung passt auf Georg Büchner. Zufall? Höchstens teilweise. Büchners Verleger Karl Gutzkow adressiert 1835 einige Briefe an "Georg Büchner p. A. à Mr. Lucius", gibt aber die Adresse in der Rue St. Guillaume an. Dass Büchner wieder bei Jaeglés, seinen alten Vermietern, untergekommen war, liegt nahe, aber mit letzter Sicherheit wissen wir nicht, wo Büchner von März bis Dezember 1835 wohnte. Hat eventuell ein Wohnungstausch mit Lutzius stattgefunden? Gab es diesen überhaupt? Benutzte Büchner für einige Zeit dessen Dokumente? Oder war "Jacques Lutzius" bloß ein Deckname?

Von der leider nur modern bebauten Place Saint-Pierre-le-Jeune aus ging es schließlich weiter zur Place du Vieux-Marché-aux-Vins, auch "'s Stoewerplaetzel" genannt. Hier steht ein Brunnen, Denkmal für die Familie Stöber (nur die Männer, ist ja mal wieder klar), darunter der Schriftsteller August Stöber, dem Büchner das Manuskript Oberlins verdankte.

Nun aber los! Schließlich hatten wir noch 26 Kilometer vor uns, durch die Oberrheinebene bis Molsheim. Zunächst ging es südwärts, am malerischen Viertel La Petite France vorbei, über die Ponts Couverts, und ab hier zunächst am Illufer entlang. Über den Pont Louis Pasteur überquerten wir die Ill, dem wir nun auf der anderen Seite westwärts folgten. Schön ist's hier! Im Grunde noch mitten in der Stadt wandert man durch kleine Parks und nette Vororte, auf einem schönen Uferweg. Es ging unter der Stadtautobahn (A35) hindurch und weiter der Ill entlang, bis nach rechts der Breuschkanal (Canal de la Bruche) abzweigt.

Der Breuschkanal, an dem große Teile unserer Wanderung entlangführten, wurde 1681 von dem Ingenieur Sébastien Le Prestre de Vauban (1633 – 1707) erbaut, nach der Annexion der Stadt Straßburg durch Ludwig XIV. Der König ließ Vauban die Stadt ab 1682 zu einer Festung mit Wallanlagen und Bastionen ausbauen. Der Kanal diente dem Zweck, die für die Befestigungen notwendigen Steine aus dem Tal der Mossig in die Stadt zu transportieren. Bei Avolsheim, in der Nähe der Einmündung der Mossig nördlich von Molsheim, wurde zunächst ein Teil der Breusch in den nördlich parallel verlaufenden Breuschkanal geleitet. Der mit 11 Schleusen versehene Kanal mündet dann schließlich nach einer Gesamtlänge von 19,78 Kilometern wenige hundert Meter nördlich der Breusch in die Ill.
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde der Breuschkanal noch als Wasserstraße zum Transport ziviler Güter genutzt. Nach dem Krieg wurden zerstörte Brücken aber so niedrig wiederaufgebaut, dass der Kanal seither nicht mehr mit Lastkähnen befahren werden kann.


Aus Straßburg raus bis an den Breuschkanal: 1:20Min.

Dem Breuschkanal wollten wir nun weitgehend folgen, bis Ergersheim
, kurz vor unserem Ziel. Auf der Piste du Canal de la Bruche ging es nun hinaus aus der Stadt, vorbei an den Vororten   Eckbolsheim  ,  Wolfisheim  und Oberschaeffolsheim. Man ist hier schon aus der Stadt heraus, auch wenn es auf der Karte erstmal nicht so aussieht. Rechts immer der Breuschkanal, dahinter die Vororte, abgesehen davon nur Enten, Schwäne und ein paar Möwen, die vom Rhein herüberkommen. Und hier und da ein Storch, dem die Fliegerei im Winter zu stressig ist. Na, wir hatten inzwischen -6°, die wird's ganz schön geforen haben... Schön sind die kleinen alten Schleusenwärterhäuschen, die in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen am Kanal stehen. Hier zeigt sich das Elsass von einer sehr französischen Seite. Kurz vor Wolfisheim nähert sich von Süden erstmals kurz die Breusch, also ihr natürlicher Lauf, und es wird eine ganze Weile dauern, bis man ihr wieder begegnet.

Der Breuschkanal führt nach Achenheim, wo er Richtung Südwesten abknickt.

Dem Breuschkanal entlang bis Achenheim: 1:20Min.

Ein paar Kilometer weiter, bei Hangenbieten, geht es dann wieder nach Westen. In der Nähe von Kolbsheim und Ernolsheim geht es dann für einige Zeit durch den Wald, eine willkommene Abwechslung im Verlaufe dieser Wanderung. Hier verläuft auch wieder die Breusch parallel zum Kanal.

Bei Ergersheim verließen wir den Breuschkanal und wandten uns nach Süden. Dabei passierten wir das nette Örtchen Dachstein (der dazugehörige Berg befindet sich leider in weiter Ferne), Stadtmäuerchen, Türmchen, Chateäüchen, kein Highlight, aber schnuckelig

Achenheim - Dachstein: 2h.

Es ist nicht mehr weit bis nach Molsheim! Also raus aus Dachstein und über die Äcker, bis man die Landstraße nach Avolsheim nicht mehr umgehen kann.

Dachstein - Avolsheim: 30 Min.

In dem kleinen Ort gibt es zwei bedeutende Sehenswürdigkeiten:

Da ist zum einen das kleine "Baptisterium" Sankt Ulrich, das um 1000, also kurz nach der Kanonisierung Ulrichs entstanden ist. Der achtseitige Turm wurde im 12. Jh. aufgesetzt. Ein süßer kleiner Bau von großer kunsthistorischer Bedeutung. Er beheimatet einige aufwändige Malereien, die schwer zu deuten sind - nicht nur weil sie sich in denkbar schlechtem Zustand befinden.

Nur ein paar hundert Meter weiter Richtung Molsheim (rote Raute/roter Kreis) steht die älteste Kirche im Elsass, der im 9./10. Jahrhundert erbaute Dompeter (von lat. domus Petri, Haus des Petrus), ehemalige Pfarrkirche von Molsheim. Nach einer Legende soll Maternus von Köln die Petruskirche gegründet haben. Ausgrabungen bestätigten einen Vorgängerbau aus dem 7. Jh. Die heutige Kirche wurde zwischen 1049 und 1053 durch Papst Leo IX. geweiht, der aus dem unweit gelegenen elsässischen Egisheim stammte. Der Turm der Kirche wurde nach einem Blitzschlag 1746 wiederhergestellt, die romanische Apsis 1823 durch den heutigen Chorraum ersetzt.


Von Avolsheim ist es dann auf dem mit einem roten Plus markierten Weg nur noch ein Katzensprung über die Äcker und dann an der Breusch entlang nach Süden zu unseren Etappenziel Molsheim.

Avolsheim - Molsheim: 45 Min.

Von der evangelischen Straßburger Wilhelmerkirche ins katholische Molsheim! Das schnuckelige Städtchen war ein Zentrum der Rekatholisierung des Elsass. Sie begann mit der Niederlassung der Jesuiten an diesem Residenzort der Straßburger Bischöfe um 1580. In der Folge wurde hier ein Jesuitenkolleg gegründet.

Die Etablierung von jesuitischen Hochschulen spielte als Kontrapunkt zu den protestantischen Universitäten in Straßburg und Basel eine wichtige Rolle in der katholischen Kirchenpolitik. 1617 richtete Erzherzog Leopold V. (Österreich-Tirol), seit 1602 Bischof von Straßburg, ab 1619 auch Regent von Vorderösterreich, in Molsheim eine Jesuitenakademie mit Promotionsrecht ein. Er brachte 1620 auch in Freiburg die Jesuiten in die Universität. Leopold hätte so die habsburgische Machtsphäre am Oberrhein durch Ansiedlung der Jesuiten gezielt ausgebaut, aber die ab 1632 einsetzenden Kriegswirren beendeten diese Bemühungen abrupt. 1702 wurde die Schule dann nach Straßburg verlegt.

Die ehemalige Kirche des Jesuitenkollegiums, die Sankt-Georg- und Dreifaltigkeitskirche, ist ein barockes Bauwerk im nachgotischen Stil, erbaut um 1615 bis 1618 von Christoph Wamser und eines der repräsentativsten Beispiele dieses seltenen Stils. Die Dimensionen des Gebäudes sind beachtlich, insbesondere im Verhältnis zur bescheidenen Größe der Stadt: 61,5 m lang und 21 m breit, der Glockenturm 45 m hoch. Zu den Sehenswürdigkeiten des reich ausgestatteten Gebäudes gehören die barocke Ignatiuskapelle und die Liebfrauenkapelle im Rokokostil. Von besonderer Bedeutung ist die Orgel von Johann Andreas Silbermann aus dem Jahre 1781. Eine Besonderheit dieses Instruments war das Echowerk, Vorgänger des späteren romantischen „Récit“.

Molsheim wurde im 20. Jh. übrigens durch niemand geringeren als Ettore Bugatti bekannt, der von 1910 an im benachbarten Dorlisheim seine Fahrzeuge herstellen ließ.


Am zweiten Tag setzten wir unsere Tour von Büchner zu Lenz fort: Es ging hinauf auf den heiligen Berg Mont Sainte-Odile.

Tourengänger: Nik Brückner, Waldelfe


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Kommentare (4)


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Vielhygler hat gesagt:
Gesendet am 23. Januar 2017 um 21:40
Ein wirklich schönes Projekt und ein toller Bericht. Hat mich sehr interessiert!

Großen Respekt vor der Recherchearbeit und danke für das lange Büchner-Zitat aus Lenz. Ein fantastischer Text!

VG Andreas

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. Januar 2017 um 09:45
Servus Andreas!

Freut mich, dass unsere Idee so gut bei Dir ankommt. Ja, wir mussten tatsächlich ein bisschen Arbeit reinstecken, aber es gibt eine Büchner-Timeline im Netz (http://buechnerportal.de/) und eine gedruckte zu Lenz 1777 und 1778. Die haben viel geholfen.

In diesem Sinne: Lasst uns mit wildem Jubel die Erde besingen!

Nik

PStraub hat gesagt: Büchner forever !
Gesendet am 23. März 2018 um 09:48
Erst heute darauf gestossen: Sehr schöner Bericht!

Ich hatte (fast auf den Tag genau vor einem Jahr) hier auf Büchners Novelle verwiesen.
In deinem Zitat fehlt mir das Wort "Jänner". Ich nehme an, du hast das als Quelle verwendet. Hier steht es so, wie ich es in Erinnerung hatte: mit der Angabe des Monats.

Gruss Peter

Nik Brückner hat gesagt: RE:Büchner forever !
Gesendet am 23. März 2018 um 10:03
Hi Peter!

Danke für den Link zu deinem Bericht! Das Wort "Jänner" geht auf einen Eingriff in den Text zurück, der nach Georg Büchners Tod vorgenommen wurde. In der für's 19. Jahrhundert maßgeblichen Fassung steht die Monatsangabe, Büchner selbst hat aber wohl nur "Den 20." geschrieben.

Gruß,

Nik


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