Kultur und Unkultur auf den Donons


Publiziert von Nik Brückner , 11. Mai 2018 um 18:02. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Frankreich » Vogesen
Tour Datum:28 April 2018
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: F 
Zeitbedarf: 2:30
Aufstieg: 400 m
Abstieg: 400 m
Strecke:8km

Der einprägsam ausgeprägte Eintausender Donon (ehemals deutsch ein wenig plump Hohe Donne genannt) ist eine der höchsten Erhebungen der Nordvogesen. Hier entspringen die beiden Quellflüsse der Saar: die Rote und die Weiße Saar, bekannter ist er aber bis heute als (vor)geschichtliche Kultstätte.

Lang schon stand der Gipfel auf der Liste, auf unserer Anreise ins Elsass im Frühjahr 2018 bestiegen die Waldelfe und ich ihn dann endlich - zusammen mit seinem niedrigeren Nachbargipfel, dem Petit Donon.



Los ging's, Armonites "And The Stars Above" im Player. Start war am Col du Donon (727 m). Hier ist ein Parkplatz am andern, und man findet doch keinen, wenn sie benutzt werden. An diesem Tag war aber nichts los, und wir fanden sogar mehr als einen. Von den hunderten benutzten wir aber nur einen, einen kloinen zudem, denn wir hatten nur ein kloines Auto zu parken.

Dann stiegen wir hinauf zum Donon. Es geht, dem roten Balken folgend, an ein paar Häusern vorbei hinauf zum Wald. Dort kurvt man linkswärts, überquert die Gipfelstraße und gelangt bald an den Rocher a Bassins.

Der Rocher a Bassins ist ein großer Felsbrocken, der an seiner Oberfläche tellerartige Vertiefungen und Rinnen aufweist, die man selbstverständlich geilen Opferritualen der Vorgeschichte zugeschrieben hat. Wer dagegen viel auf den Sandsteinen der Pfalz und der Vogesen unterwegst, weiß, dass solche Vertiefungen auf unzähligen Steinen zu finden sind. Wären das alles Opfersteine gewesen, hätten die Vorgeschichtler bald niemanden mehr zum Opfern gehabt... Vermutlich hat auch hier bloß steter Tropfen den Stein gehöhlt.

Wieder an der Gipfelstraße stößt man dann auf Treppenstufen.

Das ist die „Escalier de l’Empéreur“, die im 1. Weltkrieg von deutschen Soldaten zu Ehren Kaiser Wilhelms II. gebaut worden sind.

Über diese Stufen und auf dem gepflasterten „Chemin des Sarrasins“ stiegen wir dann hoch zum Gipfelplateau des Donon.

Der Berg übt aufgrund seiner Dominanz und seiner für die Gegend ungewöhnlich markanten Form eine große Anziehungskraft aus. Das war schon immer so: Er diente bereits in der Jungsteinzeit, seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., als zeitweiliger Fluchtort, und durchaus auch als dauernder Aufenthaltsort. Auf Bergen ist man geborgen, deshalb baute man dort Burgen, um die Bürger zu bergen.

Aus dieser Zeit gibt es natürlich keine Nachrichten, aber man hat einige Steinbeile und -hämmer, bronzezeitliche Randleistenbeile und Messer gefunden, dazu Scherben und hallstattzeitliche Mühlsteine. Offenbar wurde dort oben Getreide verarbeitet.


Das Plateau des Donon ist eine Art Freilichtmuseum. Dort befinden sich Reste und Rekonstruktionen keltischer und römischer Kultanlagen, für deren Besichtigung man sich ein wenig Zeit nehmen sollte. Wir streunten eine ganze Weile dort oben herum.

Der markante, weithin sichtbare Gipfel war ein Grenz- und Kontaktpunkt zwischen drei keltischen Volksstämmen: im Norden die Mediomatriker (mit dem Hauptort Divodurum Mediomatricorum, heute Metz), im Osten die Triboker (um Brocomagus, heute Brumath, eine 6000 Jahre alte Siedlung) und im Süden die Leuquer (um Tullum, heute Toul). Noch heute bildet er die Grenze von vier Départements: Bas-Rhin, Moselle, Meurthe et Moselle und Vosges. Vor allem aber war er ein Kultort und womöglich selbst ein Kultobjekt, besonders im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt das gallo-römische Heiligtum, dessen Überreste heute noch zu besichtigen sind. Der ausgeschilderte Rundweg "Sentier de Découverte" erläutert die wenigen vorhandenen Spuren der Kultstätte. Hier gibt's ein PDF.

Gleich an der Stelle, an der wir heraufkamen, steht eine Gruppe von "Stelen", Grabsäulen und Votivsteine, die verschiedene Götter darstellen.

Darunter sind Merkur und die lokale Gottheit Vosegus, nach dem die Vogesen benannt sind (oder ist es umgekehrt?), aber auch Smertrius, der lokale Gott des Waldes, begleitet von einem Hirschen, und Tamaris, der berittene Gott der himmlischen Sphären und der Blitze. Und natürlich haben die Kelten hier auch Teutates verehrt, den Vater und Beschützer des Volkes. Mehrere Inschriften und Widmungen vom Berg verweisen auch auf andere Gottheiten: Taranis, Hekate, Jupiter und eine Schlangengottheit, die in der Gegend weit verbreitet war.

Geht man weiter Richtung Gipfel, gelangt man an die rekonstruierten Grundrisse mehrerer Gebäude. Diese bildeten das eigentliche Heiligtum.

Das Gipfelheiligtum bestand aus vier Steingebäuden und einem hölzernen Rundgebäude. Dazwischen befindet sich eine kreisrunde Zisterne. Zwei der Gebäude (I und Ia) dienten vermutlich Empfangsfunktionen, zum Beispiel als Versammlungsplatz für die Gläubigen. Die Funktion eines weiteren Gebäudes ist ungeklärt. Das Gebäude III, direkt unter dem Sandstein-Überhang des Gipfels, hatte sicher eine große kultische Bedeutung. Hier fand man skulptierte Köpfe, die heute im archäologischen Museum in Straßburg aufbewahrt werden.

Wir stiegen dann hinauf zu dem Felsplateau, das den höchsten Punkt der Gipfels bildet. Dabei passiert man ein schon recht verwittertes Basrelief.

Es handelt sich um eine Kopie, das Original wird in Épinal aufbewahrt. Es stellt den Zusammenstoß zwischen einem Löwen und einem Wildschwein dar. Diese Szene spielt auf einen gallischen Mythos an.

Dann steht man endlich auf dem Felsplateau am höchsten Punkt des Berges. Dort steht ein Tempel, das schon weithin sichtbare Wahrzeichen des Donon.

Der Tempel auf dem Gipfel wurde1869 unter Napoleon III. im neoklassischen Stil errichtet und ist eine ziemlich freie Rekonstruktion. Der schlichte, von zwölf eckigen Säulen getragene Tempel war zunächst als Museum für die auf dem Gelände entdeckten Überreste gedacht. Diese werden heute
in Museen in Épinal und Straßburg aufbewahrt.

Der Berg mag einst eine bedeutende Kultstätte gewesen sein - heute ist er vor allem ein fantastischer Aussichtsberg. Wir blickten nach Norden, wo wir den Felsen von Dabo entdeckten, weit hinauf zum Pfälzer Wald, hinüber zum Schwarzwald, nach Süden zum Champ du Feu und natürlich weit nach Frankreich hinein.

Nach dem Verschwinden der Römer behielten die Menschen einige der alten Riten und Bräuche bei. Erst mit der Christianisierung des Landes verlor der Donon seine kultische Bedeutung. Iro-schottische Mönche haben tatkräftig mitgeholfen, die seit dem Germaneneinfall verfallenen Spuren des „Heidenkults“ abzutragen. lm 17. Jh. unternahmen Benediktiner dann den vorerst letzten Versuch, durch Kapellen dem heiligen Berg Rechnung zu tragen. Zu dieser Zeit erwachte dann auch langsam das wissenschaftliche Interesse am Berg.

Die Waldelfe und ich verließen den Gipfel, weiterhin dem roten Balken folgend, in Richtung Col Entre les Deux Donons. Beim Abstieg über einen steinig-wurzeligen Pfad passiert man unzählige Felsen.

Dabei gelangt man an einen überhängenden Fels, der von einer Steinkonstruktion flankiert wird. Dieser diente als Zuflucht während des Ersten Weltkriegs, der auch hier heroben tobte. Auf einem der Steine ist ein Mühlespiel eingraviert.
Die natürliche Barriere, die der Fels bildete, machte ihn womöglich auch zu einem Bestandteil des Verteidigungssystems des keltischen Geländes.


Am Col Entre les Deux Donons (822 m) angekommen, verließen wir den roten Balken und begaben uns auf den Sentier Mémoriel des Stèles.

Man stößt auf den Donons nicht nur auf Überreste uralter menschlicher Kultur, man trifft auch auf die Zeugnisse vergleichsweise junger Unkultur: Der Unkultur jener, die glauben, in gewaltsamem Landgewinn, Tod und massenhaftem Leid liege irgendein Nutzen, oder gar Ruhm und Ehre. Zwei Weltkriege haben hier ihre Spuren hinterlassen: Unterstände, Soldatengräber und zahllose auf Felsen eingeritzte Namen. Es sind die Namen der Toten.

In den letzten Kriegen war der Donon aufgrund seiner exponierten Lage heftig umkämpft. Der Pass am Donon ermöglicht nämlich den Zugang zu vier Tälern, darunter das wichtige Breuschtal. Infolge des Krieges 1870/71 rückte die deutsch-französische Grenze nahe an den Berg heran. Im Ersten Weltkrieg wurde er dann von deutschen Truppen besetzt, die zahlreiche Befestigungsanlagen errichteten. 1940 wurde das 43. Befestigungskorps der französischen Armee auf dem Donon eingekesselt und kapitulierte erst nach dem Waffenstillstand. Zahlreiche Soldatengräber im Bereich des Gipfels zeugen noch heute von den schweren Kämpfen an den beiden Donons, am Pass, und an der Côte de l'Engin.

Einfache Holzkreuze markierten zunächst die vorläufigen Gräber auf dem Schlachtfeld. 1916 meißelte dann der deutsche Gefreite Ludwig Gebhardt, Steinmetz von Beruf, auf Befehl seiner Vorgesetzten Grabinschriften in Sandsteinblöcke ein. Mehrere Dutzend Steine sind immer noch sichtbar, den deutschen, sowie auch den französischen gefallenen Kämpfern gewidmet. Durch diesen einzigartigen Friedhof, Mahnmal blutiger Kämpfe, führt der Sentier Mémoriel des Stèles.


Auf dem Sentier Mémoriel bestiegen wir den Petit Donon (961 m), den kleinen Nachbargipfel des Donon. Hier, zwischen den Namen der vielen Toten, umfängt einen eine vollkommen andere Stimmung als auf dem Kultberg. Man wird still, und gedenkt der Soldaten, die hier oben sinnlos ermordet wurden.

Wir kehrten schließlich zum Col Entre les Deux Donons (822 m) zurück und wanderten von dort aus, dem schwarzen Kreuz folgend, zurück zum Col du Donon (727 m).

Und noch eine tragische Geschichte hat sich an diesem Berg abgespielt. Der Donon lag am Fluchtweg der von den Nazis verfolgten Elsässer. Über den Berg entkamen oppositionelle Elsässer ins nicht besetzte Frankreich, später auch Entflohene des KZ Struthof, das nicht weit vom Gipfel des Donon an den Hängen des Champ du Feu gelegen ist.


Ein ungewöhnlicher Berg, reich an Geschichte, an Kultur und Unkultur, Ort der Verehrung, der Verzweiflung, der Vernichtung, und der Hoffnung. Wer mit wachem Blick und sensiblen Sinnen durch diese Gegend wandert, wird sich diesen widersprüchlichen Gefühlen kaum entziehen können.

Wir verließen den Berg und begaben uns ins Haseltal, wo wir die Spuren eines der iro-schottischen Mönche verfolgen wollten, der hier in der Gegend die Christianisierung vorangetrieben hat.

Tourengänger: Nik Brückner, Waldelfe


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T2
28 Apr 18
Cascade et Château du Nideck · Nik Brückner

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