Amden – Sichelchamm: Churfristen-Tour Plus
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5500 Höhenmeter, 15 Gipfel, 45 Kilometer – die lange Bergtour: ein Abend, eine Nacht und ein Morgen. Die halbe Verwirklichung eines „unmöglichen“ Projektes, welches für mich unmöglich blieb – und trotzdem ein schöner Erfolg wurde.
Noch nie war ich der Mann der lang gehegten Projekte in der Schublade. Dieses Projekt kam mir erst eine Woche zuvor in den Sinn: Der Plan war es zwei Monstertouren in eine zu kombinieren. Nämlich die Traverse der Churfirsten-Kette, inklusive der „neuen Churfristen“, und dann weiter über die gesamte Alvier-Kette bis nach Sargans. Schon bei der groben Planung schüttelte ich den Kopf. Kann man das wirklich in einem Tag schaffen. Die Marschplanung zeigte: man kann, muss dabei aber 7000-8000 Höhenmeter und viele T6-Stellen (besonders im zweiten Teil) in Kauf nehmen. Also machte ich mich an die Vorbereitung.
Um das Resultat vorneweg zu nehmen: Es hat nicht gereicht. Nicht wegen äusserer Einflüsse, oder wegen Erschöpfung, sondern wegen dem Kopf. Nach einer durchwanderten Nacht und 5000 Höhenmetern in den Beinen fühlte ich mich nicht mehr genug fit, um das T6+ zwischen Sichelchamm und Gamsberg in Angriff zu nehmen (das ich von dieser Tour her kannte). Ich musste mir klar eingestehen, dass dort für mich die obere Grenze von dem liegt, was ich verantworten kann. Besonders im Zustand der Erschöpfung, den ich zwar zu diesem Zeitpunkt nicht spürte. Mich erfüllte die Entscheidung zur Umkehr mit Genugtuung. Auch wenn man viele Stunden auf ein grosses Ziel hingearbeitet hat, muss man im richtigen Moment aufhören können. Es blieb der Erfolg von meiner nach der grossen Wägital-Rundtour immerhin zweitgrössten Tour und keinerlei Enttäuschung über die verpasste Gauschla Chammegg. Und nicht zu vergessen ist: Das war wohl die erste Churfirsten-Tour, die sich komplett in der Nacht abspielte – es gibt kaum Sinnloseres! Nachttouren, da gäbe es für Freaks noch viel zu holen, das noch niemand gemacht hat. Ich fand’s ein nettes Erlebnis, müsste es jedoch nicht zur Gewohnheit machen…
Wichtig bei solchen Unternehmungen, bei denen man sich an der Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit bewegt, scheint mir, dass man besonders in von der Orientierung her oder technisch schwierigen Passagen keine bösen Überraschungen erlebt. Ein paar wenige „weisse Flecken“ auf der Landkarte sind jedoch nicht mal schlecht, da sie die Konzentration hoch halten. Die Churfirsten Traverse kannte ich von meiner ersten grossen Gipfel-Weitwanderung vor 9 Jahren. Die Überschreitung der Alvier-Kette vom Gamsberg her hatte ich vor genau einem Jahr mit Maveric unter die Füsse genommen. Dies legte es nahe, dass die einzige Vorbereitungstour zur Errichtung eines Wasserdepots zum Sichelchamm führen sollte. Der Übergang vom Höchst hatte ich 2002 zwar auch mal gemacht, war mir aber nicht mehr richtig geläufig. So brach ich am Tag vor dem Grossangriff mit sglider zu einer schönen Rundtour zum Sichelchamm auf – eigentlich eher zu viele Höhenmeter unmittelbar vor einer Monstertour.
Erstaunlich fand ich vor allem, dass ich die ganze Nacht hindurch und auch am nächsten Morgen kaum mit Ermüdungserscheinungen zu kämpfen hatte. Rein körperlich hätte es wohl auch noch für die 2000 noch ausstehenden Höhenmeter bis Sargans gereicht. Aber nicht mehr für scharfe T6-Routen. Das weiss ich jetzt! Eine weitere interessante Erfahrung was Müdigkeit beim Wandern betrifft durfte ich am Nachmittag nach der Tour machen. sglider holte den Wandersmann in Sennis ab. Da meine Tour ja schon am Vormittag beendet war, blieb noch fast der ganze Tag für gemütliches Sommer geniessen. Beim Spazieren auf den Wegen um Sennis schaffte ich es doch tatsächlich, durch meine Begleiterin am Arm geführt, während dem Gehen einzuschlafen. Ich wusste nicht, dass der Mensch schlafen und gleichzeitig wandern kann!
„Neue Churfirsten“ (T5, II)
Momentan scheint es auf Hikr populär zu sein die letzte öV-Verbindung an den Ausgangspunkt der Tour zu nehmen. Im Fall vom Arvenbüel ist dies schon um 18.37, was perfekt in meinen Zeitplan passte. Die mir unbekannte Selun-Nordostflanke wollte ich unbedingt noch mit etwas Licht passieren.
Mit (zu) schwerem Rucksack (Getränk und genügend Kalorien wiegen was!) im wunderschönen Abendlicht gegen den Leistchamm und weiter über den Ostgrat, den wir erst vor zwei Wochen schon passiert hatten gegen den Mittleren Leistchamm. Nun ziehe ich den direkten Aufstieg durch die Rinne aufs Gipfeldach, wie schon bei meiner ersten Besteigung im 2005. Der Fels ist gut. Ab und zu muss man aber recht zupacken, ich empfinde die Schwierigkeit schon eher als III (steiles Trottoir?). Abstieg auf der Normalroute (T5) und weiter auf den Vorder Leistchamm. Zu meinem Erstaunen ist die Ostflanke auch nach diesem heissen Tag noch feucht und so ist’s eine unangenehm rutschige Angelegenheit bis ich auf dem Gocht-Weg bin. Weiter durch Blöcke, die Westflanke und das Band (T5) auf den Nägeliberg. Weiter im immer grandioseren Abendlicht – Sonnenuntergangstouren sind absolut zu empfehlen! – auf den Schären. Im steilen Abstieg über den Ostgrat (T5, II) verschwindet die Sonne – eine lange Wandernacht steht bevor. Über eine kleine Felsstufe auf den Wart. Der letzte Eintrag beim grössten Gipfelkreuz der Churfirsten-Kette auf dem unscheinbarsten Gipfel stammt von meinem Churfirsten Total Vorgänger xaendi. Durch unglaublich mühsames, hüfthohes Kraut, das jeglichen Blick auf Tritte verdeckt, geht es die steile Ostflanke des Wart runter, Querung und vor der Steilstufe zurück auf den Grat. Um 22 Uhr – ich liege immer noch exakt im Zeitplan – erreiche ich den Selun. Die ersten 7 Gipfel in 2 Stunden, eine gute Vorlage. Erst am Tag darauf erfahre ich, dass Merida hier vor nur wenigen Stunden seine Churfirsten Tour abgeschlossen hatte.
Toggenburger „Seven Summits“ (T4)
Das Licht reicht gerade noch aus, um das Band einzusehen, über das man durch die Selun Ostflanke steigen kann. Wahrscheinlich erwischte ich sogar das falsche (ich nahm das erste, eines zu früh?). Auf jeden Fall ging’s, auch wenn es teilweise recht abschüssig (T5), und im feuchten Gras etwas unangenehm war. Rucksackdepot am Fuss des Frümsel und federleicht ohne Stirnlampen-Unterstützung zum Gipfel, auf dem ich eine knappe Stunde nach dem Selun eintreffe. Ab jetzt ist ohne Lampe nichts mehr zu machen. Auf den Wanderwegen ist dies jedoch kein Problem und selbst die Querungen zwischen den Churfirsten-Rücken bereitete mir viel weniger Orientierungs-Schwierigkeiten als gedacht. In den nächsten Stunden konnte ich mich in die Gipfelbücher von Brisi, Zuestoll und Schibenstoll eintragen. Oben angekommen schaltete ich jedes Mal für einige Minuten die Lampe aus. Wunderschön, die pechschwarze Nacht, die Stille und Ausgesetztheit zu spüren. Gleich nebenan geht es in die Tiefe. Nur wo? Keine Sorge, ich sitze sicher auf festem Grund. Ein spannendes Gefühl!
Goretex-Jacke gefunden: Man glaubt’s kaum, aber die Nacht brachte mir sogar noch Fundgegenstände ein! Am Fuss des Zuestoll stolperte ich über eine Goretex-Jacke mit einem Kletter-Topo in der Tasche. Der Besitzer melde sich per PM bei mir. (Nachtrag 8.7.2011: Hikr ist viel gelesen! Nur drei Tage nach der Tour hat sich der Besitzer bei mir gemeldet.)
Als ich im Aufstieg zum Hinterrugg einige Meter neben dem Weg eine Pause einschalte, blitzt plötzlich eine Stirnlampe neben mir auf. Noch so ein Spinner? Mir ist sofort klar, dass es sich hierbei nur um einen weiteren Churfirsten-Begeher handeln kann (dies ist nicht Merida!). Die sind momentan hoch im Kurs! Der andere Nachtwandler ist scheinbar über das unbeleuchtete Phantom ziemlich erstaunt, und starrt mich geraume Zeit an. Mein Gruss an den nächtlichen Wandersmann wird nicht erwidert. Als ich nochmals die Hand zu Gruss erhebe, werde ich eines weiteren stummen Blickes gewürdigt, dann zieht er, den Wanderweg suchend und ein paar leise Worte brummend, seines Weges. Rätselhafte Begegnungen mitten in der Nacht. Für den anderen war ich wohl genau so geheimnisvoll…
Mit dem ersten Morgenlicht treffe ich auf dem Hinterrugg ein. Dort liegt ein Biwakierer draussen im Wind. Auch diesen kann ich nicht begrüssen, halte ihn jedoch auf einem Photo fest. Gut 7 Stunden nach dem Selun und just mit dem Sonnenaufgang erreiche ich den Chäserrugg – die 7 Churfirsten by night sind Wirklichkeit. Für die ganze Traverse von alten und neuen Churfirsten, die noch ein kleines bisschen kompletter ist als xaendis Route, brauchte ich 9 Stunden und 25 Minuten.
Zum Sichelchamm (T6, II)
Nun, wie weiter? Ich stand nach fast 11 Stunden Wanderzeit noch immer auf die Minute genau in meinem Marschplan. Doch den Tristencholben mit anschliessendem Abstieg durch die morgenfeuchte Schafreiti erschien mir zu heikel. Somit entschied ich mich, um Kräfte für den zweiten Teil der Tour zu sparen, für den gemütlichen aber weiten Wanderweg zur Nideri. Wie schon vor zwei Tagen geht es an diesem glasklaren Morgen über den Höchst und auf dem Weglein in die Gulms (T4+). Meine Wasserreserven sind jetzt alle und ich freue mich auf das Trinkgelage am Depot. Frisch gestärkt steige ich in die Route über den Nordwestgrat zum Sichelchamm ein. Diese finde ich gar nicht mal so trivial, obwohl von Gecko nur mit T5 bewertet. Die erste Steilstufe erfordert schon beherztes Zupacken und sicheres Stehen, und auch die zweite Steilstufe (ist auch umgehbar, siehe hier) bietet relativ feine Kletterei (II-III). Lustig ist, dass alles fein säuberlich mit (spärlichen) blau-weissen Markierungen versehen ist – freilich keine offiziellen. Auch ein blau-weisser Wanderung muss also kein Trottoir sein, T6, II ist auch eine Möglichkeit! Nach einer letzten einfacheren Stufe wird der Grat erreicht, dem man zum markanten Schichtkopf folgt. Vor 9 Jahren hatte ich diesen noch locker überklettert (IV). Jetzt war mir eher nach Umgehen zumute, was auch die Markierungen vorschlagen (auf dem Band nach links runter und unter den Felsen queren). 14 Stunden nach dem Start in Amden stehe ich auf dem Sichelchamm – yeppa!
Zielsicher steige ich über den Nordostgrat ab und verpasse prompt das Band. Dafür finde ich Spuren ehemaliger Bergwerkstätigkeit in exponiertester Lage. Kann das sein? Ich kann es mir fast nicht vorstellen, vielleicht eine Fehlinterpretation. Ein Band zu tief finde ich dann doch noch den Einstieg in die Ostflanke (T6) und steige gegen die Scharte ab. Beim Anblick der „Gämsenautobahn“ über den Verbindungsgrat zum Schiffsberg beginnt’s zu kribbeln. Ich erinnere mich an das Gefühl anlässlich der letzten Begehung. Sogar ein dani_ schreibt, dass er sich auf dieser Passage „unwohl“ fühle. Unter dem Strich muss ich eingestehen, dass ich unter den aktuellen Zuständen mental nicht in der Lage bin, die Passage sicher zu meistern und ich steige wieder auf den Sichelchamm auf, diesmal auf dem richtigen Band (T5).
Gemütliche Pause und Abstieg über die Chnorren – im Vergleich zu vorgestern bei bestem Wetter – nach Sennis und gegen den Parkplatz, wo mir sglider entgegen kommt. Die Monstertour ist hier abgeschlossen. Ohne Rucksack und mit Sandalen an den Füssen lässt sich’s jetzt frohgemut weiterwandern. Wir spazieren wieder hinauf nach Sennis, geniessen ein feines Mittagessen im Kurhaus und marschieren dann zurück zum Parkplatz Pt 1077 – ich teilweise vor mich hin dösend…
Und zum Schluss noch eines: Monstertouren sind Kopfsache!
Wenn man Aufstiege zwischen den dritten und den vierten Tausend Höhenmeter macht, kommt es nur noch sekundär auf die Kondition drauf an - alles tut weh, man will kaum noch essen, der Weg scheint endlos... Ein klares Ziel vor sich zu haben und daran zu glauben, dass man es erreichen will und kann, ist da das Allerwichtigste. In diesem Sinne habe ich die Tatsache, dass ich die 5500 Höhenmeter ohne ein ernsthaftere Krise durchstehen konnte wohl zu einem grossen Teil der fachkundigen, mentalen Vorbereitung durch sglider in den Stunden vor der Tour zu verdanken.
Durchgangszeiten:
Amden, Arvenbüel: 18.40
Leistchamm: 19.55
Nägeliberg: 20.55
Selun: 22.00
Frümsel: 23.00
Brisi: 0.30
Zuestoll: 1.55
Schibenstoll: 3.20
Chäserrugg: 5.20
=> 7 Churfirsten (Selun-Chäserrugg): 7h 20min
=> Churfristen Plus (Leistchamm-Chäserrugg): 9h 25min
Höchst: 7.00
Sichelchamm: 8.35
Sennis Pt 1070: 11.20
Noch nie war ich der Mann der lang gehegten Projekte in der Schublade. Dieses Projekt kam mir erst eine Woche zuvor in den Sinn: Der Plan war es zwei Monstertouren in eine zu kombinieren. Nämlich die Traverse der Churfirsten-Kette, inklusive der „neuen Churfristen“, und dann weiter über die gesamte Alvier-Kette bis nach Sargans. Schon bei der groben Planung schüttelte ich den Kopf. Kann man das wirklich in einem Tag schaffen. Die Marschplanung zeigte: man kann, muss dabei aber 7000-8000 Höhenmeter und viele T6-Stellen (besonders im zweiten Teil) in Kauf nehmen. Also machte ich mich an die Vorbereitung.
Um das Resultat vorneweg zu nehmen: Es hat nicht gereicht. Nicht wegen äusserer Einflüsse, oder wegen Erschöpfung, sondern wegen dem Kopf. Nach einer durchwanderten Nacht und 5000 Höhenmetern in den Beinen fühlte ich mich nicht mehr genug fit, um das T6+ zwischen Sichelchamm und Gamsberg in Angriff zu nehmen (das ich von dieser Tour her kannte). Ich musste mir klar eingestehen, dass dort für mich die obere Grenze von dem liegt, was ich verantworten kann. Besonders im Zustand der Erschöpfung, den ich zwar zu diesem Zeitpunkt nicht spürte. Mich erfüllte die Entscheidung zur Umkehr mit Genugtuung. Auch wenn man viele Stunden auf ein grosses Ziel hingearbeitet hat, muss man im richtigen Moment aufhören können. Es blieb der Erfolg von meiner nach der grossen Wägital-Rundtour immerhin zweitgrössten Tour und keinerlei Enttäuschung über die verpasste Gauschla Chammegg. Und nicht zu vergessen ist: Das war wohl die erste Churfirsten-Tour, die sich komplett in der Nacht abspielte – es gibt kaum Sinnloseres! Nachttouren, da gäbe es für Freaks noch viel zu holen, das noch niemand gemacht hat. Ich fand’s ein nettes Erlebnis, müsste es jedoch nicht zur Gewohnheit machen…
Wichtig bei solchen Unternehmungen, bei denen man sich an der Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit bewegt, scheint mir, dass man besonders in von der Orientierung her oder technisch schwierigen Passagen keine bösen Überraschungen erlebt. Ein paar wenige „weisse Flecken“ auf der Landkarte sind jedoch nicht mal schlecht, da sie die Konzentration hoch halten. Die Churfirsten Traverse kannte ich von meiner ersten grossen Gipfel-Weitwanderung vor 9 Jahren. Die Überschreitung der Alvier-Kette vom Gamsberg her hatte ich vor genau einem Jahr mit Maveric unter die Füsse genommen. Dies legte es nahe, dass die einzige Vorbereitungstour zur Errichtung eines Wasserdepots zum Sichelchamm führen sollte. Der Übergang vom Höchst hatte ich 2002 zwar auch mal gemacht, war mir aber nicht mehr richtig geläufig. So brach ich am Tag vor dem Grossangriff mit sglider zu einer schönen Rundtour zum Sichelchamm auf – eigentlich eher zu viele Höhenmeter unmittelbar vor einer Monstertour.
Erstaunlich fand ich vor allem, dass ich die ganze Nacht hindurch und auch am nächsten Morgen kaum mit Ermüdungserscheinungen zu kämpfen hatte. Rein körperlich hätte es wohl auch noch für die 2000 noch ausstehenden Höhenmeter bis Sargans gereicht. Aber nicht mehr für scharfe T6-Routen. Das weiss ich jetzt! Eine weitere interessante Erfahrung was Müdigkeit beim Wandern betrifft durfte ich am Nachmittag nach der Tour machen. sglider holte den Wandersmann in Sennis ab. Da meine Tour ja schon am Vormittag beendet war, blieb noch fast der ganze Tag für gemütliches Sommer geniessen. Beim Spazieren auf den Wegen um Sennis schaffte ich es doch tatsächlich, durch meine Begleiterin am Arm geführt, während dem Gehen einzuschlafen. Ich wusste nicht, dass der Mensch schlafen und gleichzeitig wandern kann!
„Neue Churfirsten“ (T5, II)
Momentan scheint es auf Hikr populär zu sein die letzte öV-Verbindung an den Ausgangspunkt der Tour zu nehmen. Im Fall vom Arvenbüel ist dies schon um 18.37, was perfekt in meinen Zeitplan passte. Die mir unbekannte Selun-Nordostflanke wollte ich unbedingt noch mit etwas Licht passieren.
Mit (zu) schwerem Rucksack (Getränk und genügend Kalorien wiegen was!) im wunderschönen Abendlicht gegen den Leistchamm und weiter über den Ostgrat, den wir erst vor zwei Wochen schon passiert hatten gegen den Mittleren Leistchamm. Nun ziehe ich den direkten Aufstieg durch die Rinne aufs Gipfeldach, wie schon bei meiner ersten Besteigung im 2005. Der Fels ist gut. Ab und zu muss man aber recht zupacken, ich empfinde die Schwierigkeit schon eher als III (steiles Trottoir?). Abstieg auf der Normalroute (T5) und weiter auf den Vorder Leistchamm. Zu meinem Erstaunen ist die Ostflanke auch nach diesem heissen Tag noch feucht und so ist’s eine unangenehm rutschige Angelegenheit bis ich auf dem Gocht-Weg bin. Weiter durch Blöcke, die Westflanke und das Band (T5) auf den Nägeliberg. Weiter im immer grandioseren Abendlicht – Sonnenuntergangstouren sind absolut zu empfehlen! – auf den Schären. Im steilen Abstieg über den Ostgrat (T5, II) verschwindet die Sonne – eine lange Wandernacht steht bevor. Über eine kleine Felsstufe auf den Wart. Der letzte Eintrag beim grössten Gipfelkreuz der Churfirsten-Kette auf dem unscheinbarsten Gipfel stammt von meinem Churfirsten Total Vorgänger xaendi. Durch unglaublich mühsames, hüfthohes Kraut, das jeglichen Blick auf Tritte verdeckt, geht es die steile Ostflanke des Wart runter, Querung und vor der Steilstufe zurück auf den Grat. Um 22 Uhr – ich liege immer noch exakt im Zeitplan – erreiche ich den Selun. Die ersten 7 Gipfel in 2 Stunden, eine gute Vorlage. Erst am Tag darauf erfahre ich, dass Merida hier vor nur wenigen Stunden seine Churfirsten Tour abgeschlossen hatte.
Toggenburger „Seven Summits“ (T4)
Das Licht reicht gerade noch aus, um das Band einzusehen, über das man durch die Selun Ostflanke steigen kann. Wahrscheinlich erwischte ich sogar das falsche (ich nahm das erste, eines zu früh?). Auf jeden Fall ging’s, auch wenn es teilweise recht abschüssig (T5), und im feuchten Gras etwas unangenehm war. Rucksackdepot am Fuss des Frümsel und federleicht ohne Stirnlampen-Unterstützung zum Gipfel, auf dem ich eine knappe Stunde nach dem Selun eintreffe. Ab jetzt ist ohne Lampe nichts mehr zu machen. Auf den Wanderwegen ist dies jedoch kein Problem und selbst die Querungen zwischen den Churfirsten-Rücken bereitete mir viel weniger Orientierungs-Schwierigkeiten als gedacht. In den nächsten Stunden konnte ich mich in die Gipfelbücher von Brisi, Zuestoll und Schibenstoll eintragen. Oben angekommen schaltete ich jedes Mal für einige Minuten die Lampe aus. Wunderschön, die pechschwarze Nacht, die Stille und Ausgesetztheit zu spüren. Gleich nebenan geht es in die Tiefe. Nur wo? Keine Sorge, ich sitze sicher auf festem Grund. Ein spannendes Gefühl!
Goretex-Jacke gefunden: Man glaubt’s kaum, aber die Nacht brachte mir sogar noch Fundgegenstände ein! Am Fuss des Zuestoll stolperte ich über eine Goretex-Jacke mit einem Kletter-Topo in der Tasche. Der Besitzer melde sich per PM bei mir. (Nachtrag 8.7.2011: Hikr ist viel gelesen! Nur drei Tage nach der Tour hat sich der Besitzer bei mir gemeldet.)
Als ich im Aufstieg zum Hinterrugg einige Meter neben dem Weg eine Pause einschalte, blitzt plötzlich eine Stirnlampe neben mir auf. Noch so ein Spinner? Mir ist sofort klar, dass es sich hierbei nur um einen weiteren Churfirsten-Begeher handeln kann (dies ist nicht Merida!). Die sind momentan hoch im Kurs! Der andere Nachtwandler ist scheinbar über das unbeleuchtete Phantom ziemlich erstaunt, und starrt mich geraume Zeit an. Mein Gruss an den nächtlichen Wandersmann wird nicht erwidert. Als ich nochmals die Hand zu Gruss erhebe, werde ich eines weiteren stummen Blickes gewürdigt, dann zieht er, den Wanderweg suchend und ein paar leise Worte brummend, seines Weges. Rätselhafte Begegnungen mitten in der Nacht. Für den anderen war ich wohl genau so geheimnisvoll…
Mit dem ersten Morgenlicht treffe ich auf dem Hinterrugg ein. Dort liegt ein Biwakierer draussen im Wind. Auch diesen kann ich nicht begrüssen, halte ihn jedoch auf einem Photo fest. Gut 7 Stunden nach dem Selun und just mit dem Sonnenaufgang erreiche ich den Chäserrugg – die 7 Churfirsten by night sind Wirklichkeit. Für die ganze Traverse von alten und neuen Churfirsten, die noch ein kleines bisschen kompletter ist als xaendis Route, brauchte ich 9 Stunden und 25 Minuten.
Zum Sichelchamm (T6, II)
Nun, wie weiter? Ich stand nach fast 11 Stunden Wanderzeit noch immer auf die Minute genau in meinem Marschplan. Doch den Tristencholben mit anschliessendem Abstieg durch die morgenfeuchte Schafreiti erschien mir zu heikel. Somit entschied ich mich, um Kräfte für den zweiten Teil der Tour zu sparen, für den gemütlichen aber weiten Wanderweg zur Nideri. Wie schon vor zwei Tagen geht es an diesem glasklaren Morgen über den Höchst und auf dem Weglein in die Gulms (T4+). Meine Wasserreserven sind jetzt alle und ich freue mich auf das Trinkgelage am Depot. Frisch gestärkt steige ich in die Route über den Nordwestgrat zum Sichelchamm ein. Diese finde ich gar nicht mal so trivial, obwohl von Gecko nur mit T5 bewertet. Die erste Steilstufe erfordert schon beherztes Zupacken und sicheres Stehen, und auch die zweite Steilstufe (ist auch umgehbar, siehe hier) bietet relativ feine Kletterei (II-III). Lustig ist, dass alles fein säuberlich mit (spärlichen) blau-weissen Markierungen versehen ist – freilich keine offiziellen. Auch ein blau-weisser Wanderung muss also kein Trottoir sein, T6, II ist auch eine Möglichkeit! Nach einer letzten einfacheren Stufe wird der Grat erreicht, dem man zum markanten Schichtkopf folgt. Vor 9 Jahren hatte ich diesen noch locker überklettert (IV). Jetzt war mir eher nach Umgehen zumute, was auch die Markierungen vorschlagen (auf dem Band nach links runter und unter den Felsen queren). 14 Stunden nach dem Start in Amden stehe ich auf dem Sichelchamm – yeppa!
Zielsicher steige ich über den Nordostgrat ab und verpasse prompt das Band. Dafür finde ich Spuren ehemaliger Bergwerkstätigkeit in exponiertester Lage. Kann das sein? Ich kann es mir fast nicht vorstellen, vielleicht eine Fehlinterpretation. Ein Band zu tief finde ich dann doch noch den Einstieg in die Ostflanke (T6) und steige gegen die Scharte ab. Beim Anblick der „Gämsenautobahn“ über den Verbindungsgrat zum Schiffsberg beginnt’s zu kribbeln. Ich erinnere mich an das Gefühl anlässlich der letzten Begehung. Sogar ein dani_ schreibt, dass er sich auf dieser Passage „unwohl“ fühle. Unter dem Strich muss ich eingestehen, dass ich unter den aktuellen Zuständen mental nicht in der Lage bin, die Passage sicher zu meistern und ich steige wieder auf den Sichelchamm auf, diesmal auf dem richtigen Band (T5).
Gemütliche Pause und Abstieg über die Chnorren – im Vergleich zu vorgestern bei bestem Wetter – nach Sennis und gegen den Parkplatz, wo mir sglider entgegen kommt. Die Monstertour ist hier abgeschlossen. Ohne Rucksack und mit Sandalen an den Füssen lässt sich’s jetzt frohgemut weiterwandern. Wir spazieren wieder hinauf nach Sennis, geniessen ein feines Mittagessen im Kurhaus und marschieren dann zurück zum Parkplatz Pt 1077 – ich teilweise vor mich hin dösend…
Und zum Schluss noch eines: Monstertouren sind Kopfsache!
Wenn man Aufstiege zwischen den dritten und den vierten Tausend Höhenmeter macht, kommt es nur noch sekundär auf die Kondition drauf an - alles tut weh, man will kaum noch essen, der Weg scheint endlos... Ein klares Ziel vor sich zu haben und daran zu glauben, dass man es erreichen will und kann, ist da das Allerwichtigste. In diesem Sinne habe ich die Tatsache, dass ich die 5500 Höhenmeter ohne ein ernsthaftere Krise durchstehen konnte wohl zu einem grossen Teil der fachkundigen, mentalen Vorbereitung durch sglider in den Stunden vor der Tour zu verdanken.
Durchgangszeiten:
Amden, Arvenbüel: 18.40
Leistchamm: 19.55
Nägeliberg: 20.55
Selun: 22.00
Frümsel: 23.00
Brisi: 0.30
Zuestoll: 1.55
Schibenstoll: 3.20
Chäserrugg: 5.20
=> 7 Churfirsten (Selun-Chäserrugg): 7h 20min
=> Churfristen Plus (Leistchamm-Chäserrugg): 9h 25min
Höchst: 7.00
Sichelchamm: 8.35
Sennis Pt 1070: 11.20
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