Der Ostgrat der Hochkünzelspitze, oder: Immerhin war ich auf der Wasserkluppe - was immer das ist


Publiziert von Nik Brückner , 23. Oktober 2017 um 15:48.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Lechquellengebirge
Tour Datum:16 Oktober 2017
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:45
Aufstieg: 1600 m
Abstieg: 1600 m
Strecke:15km

Wer sich für die spannenderen Tourenmöglichkeiten an der Hochkünzelspitze interessiert, hat sicher schon einmal dieses Bild gesehen. Dazu schreibt Alpstein in seinem Bericht zur Hochkünzelspitze: "Der Ausläufer des Ostgrats bis hin zur Wasserkluppe dürfte ein Leckerbissen für die T6-Fraktion sein." Und er zitiert den AV-Führer von 1971: "Hübsche Kletterei (II-III)" und "Schöne Gratwanderung bis zur Ostgrat-Scharte". Abgesehen von diesen Sätzen findet sich leider nichts über diese Tour - abgesehen von der Information, dass eine Wasserkluppe eine Art Zange zum Ausschöpfen des Wassers bei Tiefbauten ist. Na gut.

Im Juli schon wollte ich den Grat von der Wasserkluppe hinauf zur Hochkünzelspitze auschecken, aber Gewitter und Hagel hatten mit von diesem spannenden Versuch vertrieben. Immerhin konnte ich damals eine tolle Ersatztour machen. Als ich im Oktober noch ein paar wilde Tage im Bregenzerwald/Lechquellengebirge verbrachte, kam irgendwo am Walserkamm die Lust auf die hübsche Kletterei und die schöne Gratwanderung wieder auf, und eines schönen, hagelfreien Morgens, brach ich auf, um das Rätsel dieses Grates endlich zu lösen.



Ab ins Auto, und "Home" von Forever Twelve eingelegt. Los ging's am Landsteg (1100m), auf dem Parkplatz der Biberacher Hütte. Man wandert knapp vier Kilometer auf der Forstraße hinauf, und lässt sowohl den Abzweig zur Laubaalpe wie den zur Gämsalpe links bzw. rechts liegen. Hinter der Gämsalpe zieht ein Felsriegel von der Wasserkluppe herunter, hinter den muss man noch. Bevor dann ein Wasserlauf von rechts herunterkommt, verlässt man den Fahrweg, und steigt auf der Rückseite des Felsriegels den Wiesenhang hinauf.

Anstieg über den Fahrweg: T1, 1,5h


Der Hang wird nach oben hin zunächst steiler, hat man diese Passage aber überwunden, steht man auf ganz wundervollen Weideböden, die ständig zum Pausen, Schauen und Genießen einladen. Eine herrliche, menschenleere Landschaft, die sich unterhalb des zu erkundenden Grats von der Wasserkluppe bis zur Künzel hinüberzieht. Wiesen, Felsblöcke, Wasserläufe, kleine Seelein - es ist wirklich herrlich hier! Die erste und schönste Überraschung des Tages!

Die Wasserkluppe ist vom Weg nicht zu sehen, jenseits der steilen Passage rückt sie dann aber langsam ins Blickfeld. Auch die Hochkünzelspitze und Teile des Ostgrats kann man nach und nach einsehen. Je näher man der Wasserkluppe aber kommt, umso klarer wird: Das ist defi kein Spaziergang. Der Weg zu diesem Gipfel ist ein anspruchsvoller Steilgrasanstieg, und angesichts mehrerer senkrechter Felsstufen alles andere als ungefährlich.

Wobei nun erst einmal geklärt werden muss, was die Wasserkluppe ist. Ich hielt bei meiner Begehung den markanten Felszacken, der die weitgehend waagrechte Passage des Ostgrats nach Osten beschließt, für die Wasserkluppe. Hikr Joschi gab zu bedenken, dass nach seiner Auffassung der Grashügel darunter die Wasserkluppe sei. Die Höhe der Wasserkluppe wird in der Literatur mit 2081m angegeben, der Felszacken ist gut und gerne 130 bis 150 Meter höher. Auf kompass.de ist mit "Wasserkluppe" ein Punkt zwischen dem Fels- und dem Graszacken bezeichnet, auf alpenvereinaktiv.com sieht es so aus, als beziehe sich der Name auf das gesamte Gebiet südlich der beiden Gipfel, und gar nicht auf einen der Gipfel selbst. Dazu passt, dass der Name in meinem Gebietsführer nicht als Gipfelname erscheint.

Ich vermute mittlerweile, dass das auch stimmt, und es gar keinen Gipfel namens "Wasserkluppe" gibt. Im Dialekt ist "Kluppe" nämlich die Bezeichnung für Klammern und Zangen aller Art. Was eine Wasserkluppe ist, kann man zahlreichen Fachpublikationen des 18. und 19. Jahrhunderts entnehmen (hier eine davon). Eine Benennung für eine Wasserzange würde, übertragen auf die Geländeformen, am meisten Sinn ergeben, wenn zwei Gipfel damit bezeichnet würden, entsprechend den beiden Teilen der Zange. Ganz ähnlich wie bei den Namen "Mädelegabel" oder "Trifels".

Ich verlege daher den Wegpunkt bis auf Weiteres auf das Gelände zwischen den beiden Gipfeln, in Übereinstimmung mit den genannten Karten und dem Gebietsführer. Und mit Joschi natürlich.


Ich machte im Anstieg zum Gipfelaufbau des Felszackens mehrfach Pause und studierte die Möglichkeiten, zum Gipfel zu kommen. Auf der letzten Gratschulter atmete ich durch, und machte mich daran, in die schwierigen Passagen einzusteigen. Rechts, mehr in Richtung Grat, könnte man an einer Stelle eine senkrechte Felsstufe überklettern, oben folgt dann steiles Gras. Das Gelände darüber hätte ich überwinden können, es war von unten aber derart unübersichtlich, dass ich von dieser Möglichkeit lieber die Finger ließ (es wäre aber gegangen). Stattdessen wählte ich eine Variante weiter links, wo es über mehrere steile Grasrampen hinaufgeht. Diese sind allerdings recht schmal, viel Auswahl bei den Grasbüscheln hat man also nicht, und darunter befinden sich immer wieder senkrechte Felswände. So klein der Berg wirkt, und so harmlos sein Name, das hier ist Graskletterei aus dem obersten Register. Kurz und äußerst knackig.

Anstieg zum westlichen Felszacken der Wasserkluppe: Weglos über Grashänge, dann Steilgraskletterei in unübersichtlichem Gelände, am Gipfelaufbau T6/II, sonst leichter, 1,5h


Auf dem westlichen Zacken der Wasserkluppe angekommen, atmete ich erst einmal durch. Das hatte ich nicht erwartet! Schon der Auftakt der Tour langt ordentlich hin. Noch ein wenig wackelig von dem äußerst steilen Anstieg, machte ich mich an den Weiterweg. Es geht zunächst in ekligem Bruch von der Kluppe herunter, was ich stellenweise äußerst elegant auf dem Hintern meisterte. Ins Rutschen kommen möchte man hier keinesfalls, der Grat, auf dem man landen könnte, ist dafür zu schmal....

Unten angekommen, konnte ich dann endlich mal durchatmen: Ab hier wird's erst einmal leichter. Ich drehte mich um, schoss ein Foto vom Abstieg, und machte mich dann an die Gratüberschreitung. Die ist zunächst spürbar leichter als der Felszacken der Wasserkluppe. Es geht im Grunde über alles rüber, der Fels ist weitgehend fest, oder doch zumindest von brauchbarer Qualität. Ein erster Zacken wird überklettert, dann geht es in Gehgelände weiter. Das ist ja toll! Das war tatsächlich die im AV-Führer versprochene Schöne Gratwanderung.

Schnell entfernte ich mich von dem Felszacken, und behielt dabei immer den weiteren Gratverlauf, so wie mögliche Notausstiege (alle nach Süden, die Nordseite ist senkrecht und tabu) im Blick. Von einer nächsten, milden Graterhebung aus konnte ich sehen, dass mich vor dem Gipfelaufschwung der Künzel mindestens zwei scheinbar senkrechte Türme erwarteten, bei denen mir auch aus näherer Nähe nicht klarer wurde, ob ich diese würde meistern können. Und ein Abstieg vom Grat war hier, in der ersten Hälfte, absolut noch möglich, weiter hinten aber nicht mehr.

Ich erstieg die milde Erhebung, von der aus der Grat leicht nach rechts knickt. Der Weiterweg ist dann wieder unschwierig. Auch hier hat man noch gute Möglichkeiten, vom Grat herunterzusteigen. Ich überschritt noch mehrere Köpfe, der Grat knickt bald wieder leicht nach links, dann stand ich an einer sechs Meter langen, und vielleicht 15 Zentimeter breiten Schneide, die aus lose aufeinandergelegten Steinen und Steinchen bestand.

Ich Depp erwischte mich noch beim Überlegen, wie ich da rüberkommen sollte (Gehend? Im Reitsitz? links, oder rechts davon in heikelstem Schotter, mit dem Wackelgratl als Handlauf?), dann fiel mir mein Versuch am Westlichen Freiheitturm ein, bei dem ich auf genauso einem Grat saß, bis es unter mir knackte, und ich ein paar Zentimeter tiefer saß. Ich zog eine Nummer, es war die Nummer sicher, ich ging auf sie...

- und brach ab. Das war mir zu heikel - umso mehr als die von meinem Standort aus letzte gute Möglichkeit, vom Grat herunterzukommen, bereits hinter mir lag.

Die senkrechten Türme vor mir taten ein Übriges, um mir die Entscheidung zu erleichtern. Selbst wenn ich über das brüchige Mäuerle hinüberkäme - falls mich die vor eine unlösbare Aufgabe stellten, müsste ich über dieses nochmal zurück - und zweimal würde ich mir das schon gar nicht antun wollen.

Ich ging also zurück bis zu der Stelle, an der mir ein leichter Absteig möglich erschienen war. Und es ging tatsächlich sehr gut, Steilgras bis maximal 40°. Dann war ich unten, auf dem Rest eines alten Alpwegs. Hier stand ich ein wenig unschlüssig herum, wanderte zunächst nach Osten, wieder Richtung Wasserkluppe. Dann entdeckte ich weiter unten einen weiteren alten Alpweg, in schönerem Gelände, und stieg auch dorthin noch hinunter. Hier entschied ich dann, in dem wunderschönen Gelände unterhalb des Grats noch ein wenig herumzustreunen. Ich folgte dem Weg, der sich in der Folge immer wieder verlor, und dann doch wiederfand, nach Westen, und stieg bald hinauf in Richtung des Normalwegs zur Künzel.

Dabei konnte ich den Rest des Ostgrats wunderbar einsehen - und es blieben keine Fragen offen, jedenfalls für mich. Ich hatte, entgegen meiner Schätzung, nicht etwa ein Viertel bis ein Drittel des Grats geschafft, sondern tatsächlich die ganze erste Hälfte. Immerhin! Und ich hatte tatsächlich die letzte bequeme Abstiegsmöglichkeit gewählt: Nach dem brüchigen Mäuerchen wäre es zwar nochmal runtergegangen, aber in steilem Schotter, das wäre deutlich heikler geworden. Von da an befinden sich unterhalb des Grats senkrechte Wände, da hätte ich nicht runtermögen. Ein Abstieg ist erst wieder unmittelbar vor dem Gipfelaufbau der Künzelspitze möglich, aber wer bis dorthin kommt, braucht vermutlich keinen Notabstieg mehr: Die Türme, die ich von Grat aus gesehen hatte, sind tatsächlich senkrecht und sehen nun wirklich nicht nach II bis III aus. Gut, dass ich die nicht versucht hatte.

Felszacken der Wasserkluppe - Ostgrat - Abstieg und Wanderung auf dem Alpweg: Weglose Gratüberschreitung in teils brüchigem Gelände, und Abstieg in steilem Gras, T4 bis T5, auf dem Alpweg dann bis T3, 1,5h


Irgendwo zwischen Giglturm und Künzel stieß ich dann auf den Wanderweg, etwas unterhalb eines Schilds, auf dem der Weg zum Gipfel mit 30 Minuten angegeben war. Also gut, wenn nur 'n halbe Stunde ist... Über mir war ein anderer Wanderer unterwegs, sein Anblick zog mich nun psychisch hinauf. Und ich war faul: Ich richtete sogar ein Rucksackdepot ein!

Also rauf, auf dem Wanderweg, auf die Hochkünzelspitze (2397m)! Ich unterhielt mich unterwegs ein bisschen mit dem Wanderer, dann zog ich zum Gipfel davon.

Wanderweg zur Hochkünzelspitze: T3, 40 Minuten


Hier trug ich mich ins Gipfelbuch ein - und entdeckte tatsächlich den Eintrag von Stefan aus Köln, den ich am Tag zuvor in Damüls kennengelernt hatte. Er war am gleichen Tag wie ich am Gipfel gewesen, allerdings von der Biberacher Hütte aus, und schon morgens um acht. Gratuliere, Stefan, zu dem schönen Berg!

Ich genoss die tolle Rundumsicht, zum Feuerstein, zum Zitterklapfen, zum Annalper Stecken, zur Kanisfluh, zu Diedamskopf und Üntschenspitze, zu  Heiterberg und Widderstein, und zum Hochberg über Schröcken, mit seinem wunderbaren Ostgrat. Dann machte ich mich an den Abstieg.

Auf dem Wanderweg ging es wieder hinunter zu meinem Rucksackdepot, vorbei am Giglturm, und weiter zum Schadonapass (1840m).

Hochkünzelspitze - Schadonapass: Wanderweg, T3 und leichter, 45 Minuten


Tja, und von dort aus wanderte ich auf dem Fahrweg zurück zum Parkplatz am Landsteg (1100m).

Schadonapass - Landsteg: Fahrweg, T1, 1h


Fazit:

Die Gratüberschreitung ist mir nicht gelungen, das geht vollkommen in Ordnung. Über so ein brüchiges Mäuerchen muss ich nicht rüber, die Grattürme weiter vorn hätten mich dann sowieso überfordert. Die zweite Hälfte dieses Grats muss als jemand anderes auschecken.

Trotzdem zufrieden? Absolut! Denn der wilde, scharfe Zacken der Wasserkluppe war eine echte Überrschung. Kurz, aber knackig, defi bei den schwierigsten Grasanstiegen dabei, die ich je gemacht habe. Sehr geil! Und was meine Lust nach Graten anging, die konnte ich am nächsten Tag am Westgrat des Zafernhorns befriedigen.



Ausrüstung

Stecken, Helm, Pickel! Auf jeden Fall!

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (2)


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Nyn hat gesagt:
Gesendet am 6. Oktober 2021 um 15:33
II-III gilt nur für den oberen Ostgrat (lt. AVF).
Der ganze Ostgrat ist direkt mit III-IV angegeben, Umgehungen links (weiträumig?)

VG, Nyn

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 6. Oktober 2021 um 15:35
Danke, Markus! Yep, weiträumig, sprich unten rum. Ist besser, angesichts des fürchterlichen Bruchs dort oben am Grat.

Gruß,

Nik


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