Chenalette, Pointe de Drône, Tête de Fonteinte: Gratkraxeleien am Grand Saint-Bernard


Publiziert von Nik Brückner , 14. September 2024 um 08:34. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Italien » Aostatal
Tour Datum: 2 September 2024
Wandern Schwierigkeit: T5- - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Klettersteig Schwierigkeit: K1 (L)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 4:00
Aufstieg: 700 m
Abstieg: 700 m
Strecke:7 Kilometer
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit dem fahrbaren Untersatz hinauf auf den Col du Grand Saint-Bernard
Unterkunftmöglichkeiten:Einige, allen voran das berühmte Hospiz.

Grand Saint-Bernard - der Grosse Sankt Bernhard. Immerhin Platz 12 auf der Liste der höchsten asphaltierten Alpenpässe.

Ein geschichtsträchtiger Pass.


Trotz der mit 2473 Metern großen Höhe wurde er schon seit der frühen Eisenzeit begangen. Funde an der Nordrampe belegen das. Im Römischen Reich war er einer der wichtigsten Übergänge von Italien nach Gallien. Sogar Caesar erwähnt ihn in "De bello gallico" und auch Titus Livius und Strabon berichten von der Passstrasse. Kaiser Claudius ließ die Route dann sogar als Fahrstraße ausbauen. Damals errichtete man auf der Passhöhe einen Tempel, in dem der keltische Gott Poeninus verehrt wurde, von den Römern gleichgesetzt mit Iuppiter Optimus Maximus. Daher rührt der mittelalterliche Name "Mont-Joux" (von lateinisch "mons Iovis").
 
Später wurde der Bergübergang ein zentraler Abschnitt eines sich dort bündelnden und dann wieder verzweigenden Netzwerkes von Handels- und Pilgerwegen aus dem Frankenreich und dessen Nachfolgestaaten nach Rom. Damals hieß der Weg "Via francigena", Weg aus dem Frankenreich.
 
Mitte des 11. Jahrhunderts entstand dann auf der Passhöhe eine Herberge, die in der Folge berühmt werden sollte. Der Überlieferung nach gegründet von Bernhard von Aosta und Irmingard († 1057), der Ehefrau des letzten burgundischen Königs Rudolf III. Daraus entwickelte sich später das bekannte Bernhardshospiz, das dem Pass seinen heutigen Namen gab. Seit 1125 wurde es von Augustiner-Chorherren betrieben.

Berühmte Leute waren hier heroben. 1800 zum Beispiel der unvermeidliche Napoleon. Erste Pläne für einen Tunnel gab es dann in den 1850er Jahren, das Vorhaben wurde aber bald wieder aufgegeben. Stattdessen erreichte 1893 eine 48 Kilometer lange Fahrstraße die Passhöhe von der Walliser Seite, 1905 eine 33 Kilometer lange von der italienischen Seite. Doch auch dann war der Weg nur im Sommer gut passierbar. Seit 1964 gibt es schließlich einen knapp sechs Kilometer langen, gebührenpflichtigen Tunnel - der allerdings die historische Passstrasse (5 s!) durch die schöne Berglandschaft - na, untergräbt. Wir fuhren hinauf, mit Jon Andersons "True" im Player.

 
WoPo1961s Idee, dort hinaufzufahren! Und sein Tourenvorschlag startete auch genau dort, auf der Passhöhe am Col du Grand Saint-Bernard (2469 m). Mir fiel gleich als erstes das trutzige Hospice du Grand Saint-Bernard (2471 m) ins Auge.

(WoPo: so, nach der heutigen Geschichtsstunde des Herrn Brückner grätsche ich nun auch mal dazwischen... man kommt ja ansonsten kaum zu Wort!! Und der Zetteltest zu dieser Lehrstunde kann noch warten.

Eigentlich fing der heutige Tag alles andere als erfolgreich an. Die Passstr. zum Col du Grand Saint Bernhard war gesperrt. Ab 06:00 Uhr an diesem Morgen. Blöd, dass es schon 07:00 Uhr war und somit die Sperrung vollzogen war. DAS hieß durch den Tunnel nach Italien und von jener Seite die Auffahrt versuchen. Flexibel sein heißen die Zauberwörter. Und siehe da: von dort kamen wir hinauf. Hat uns zwar ne Stunde zusätzlicher Fahrt gekostet, aber wer ZEIT genug auf seinem persönlichen Konto hat, der kann sich DAS leisten. "Dat kost nix", sagt der Flachlandhausener da gerne mal.)


Bernhard von Aosta war Abkömmling der Adelsfamilie Menthon und verwandt mit der burgundischen Königin Irmingard. Sein Vater hatte vor, ihn adelig zu verloben, Bernhard wollte aber nicht und floh nach Aosta. Dort erhielt er die Priesterweihe. Später trat er als Wanderprediger im Aostatal und der Diözese Novara in Erscheinung. Um 1050 gründete er das Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard (und einige Zeit später auch das auf dem Kleinen), als Stützpupnkt für Reisende und Pilger.

 
Auf der Nordseite der Passtraße wanderten wir nun hinter den Gebäuden hinauf. Und da sahen wir sie: die Bernhardiner.

Hier heroben war es, wo die Mitglieder des Hospizes die berühmten Hunde züchteten, als Rettungshunde bei der Suche nach Lawinen-Opfern. Barry (1800-1814), der über 40 Menschen das Leben gerettet haben soll, ist sogar weltweit bekannt geworden. Der Bernhardiner ist heute für solche Aufgaben nicht mehr gut geeignet, er wurde zu schwer und ist als Lawinenhund mittlerweile von anderen Rassen abgelöst. Heute ist er Bernhardiner ein Haus- und Begleithund und, seit 1884, Schweizer Nationalhund. Was es alles gibt.

Was es vermutlich eher nicht gab, ist das berühmte Schnapsfässchen, das die Hunde auf vielen Abbildungen um den Hals tragen, angeblich um Lawinenopfern daraus ein Schlückchen zum Aufwärmen zu spenden. Die Legende entstammt vermutlich einem Irrtum in einem Brief, den einer der Soldaten Napoleons beim Zug über den St. Bernhard schrieb. Einige der Fässchen sind erhalten geblieben, sie haben keine Öffnung. Es handelte sich wohl nur um Schmuckstücke.

(WoPo: NiiiiK!! Genug Geschichte!! Lass uns die Tour starten, sonst wird mir gleich noch kalt!!)


Na guuuuut, WoPo! Nur noch schnell ein letztes Foto von einem Bernhardiner! Ich beeil mich!!!

Es ging nun hinauf zu einem Aussichtspunkt auf ca. 2791 Metern Höhe. Hier biegt der Weg rechts ab, der Weg hinauf zum Grande Chenalette ist ein einfacher Klettersteig.

Nach einer kleinen Felsstufe quert die Route ein staubiges Schotterfeld, dann geht's in den Fels hinein. Seilversicherungen helfen über Platten hinauf, auch eine Leiter ist hier verbaut. Schließlich wandert man frei letzte Platten hinauf, dann ist der Gipfel des Grande Chenalette (2890 m) erreicht.

Col du Grand Saint-Bernard - Grande Chenalette: markierter Wanderweg (T3/I) und kurzer Klettersteig (A), 1h


Hinunter geht's dann rechtswärts, noch einmal über seilversicherte Platten. Die nun weiss-blau markierte Route führt dann über den meist breiten, nur manchmal schmalen Gratrücken weiter. Weitere Seilversicherungen helfen eine Felsstufe hinunter, dann wird der Rücken wieder breiter. Zuletzt kraxelt man im Fels hinauf zur Pointe de Drône (2950 m), dem höchsten Punkt dieser Tour.

Grande Chenalette - Pointe de Drône: markierter Wanderweg, T3, 30 Minuten


Tja, und hier sahen wir dann nichts. Schade! Denn ein Rundblick wäre auf ein paar echte Promis gefallen. Der größte (Promi, aber auch einfach nur der größte) direkt voraus: Mont Blanc. Daneben ziemlich genau im Westen, die Grandes Jorasses. Ein paar Aiguillen weiter Richtung Norden wäre der Mont Dolent ins Auge geragt. Ganz im Norden: Diablerets und Oldenhorn. Dann, wieder ein paar Aiguillen weiter im Nordosten: Der Grand Combin und der Mont Vélan. Im Südosten wäre der Monte Emilius prominent hervorgestochen, weiter Richtung Süden die Grivola und der Gran Paradiso. Den Südwesten markiert der Mont Grande Rochère, es folgen die beiden Goliats, dann schließt sich der Kreis am Mont Blanc.
 

Unser Abstieg folgte dem nun deutlich schmaleren Westgrat, wo erneut Handgreiflichkeiten erforderlich sind: Ein paar Felsstufen müssen abgeklettert werden. Ist aber kaum je eine IIerstelle dabei.

Steinböcke hatten sich hier breitgemacht, und wir blieben einige Zeit stehen, um die Tiere zu beobachten. WoPo entpuppte sich als Steinbockflüsterer, beruhigte die Tiere und brachte sie dazu, für unsere Fotos zu posen.

(WoPo: also ich würd sagen, die Steinböcke entpuppten sich als WoPo-Flüsterer. Denn ich bin stehen geblieben und hab in RUHE schöne Fotos gemacht :-)

Nach unserem Fotostopp ging es auf dem nun einfacheren Blockgrat weiter abwärts und bald war das Fenètre d'en Haut (2722 m) erreicht, der Pass zwischen Pointe de Drône und Tête de Fonteinte.

Pointe de Drône - Fenètre d'en Haut: markierter Wanderweg, T3, 30 Minuten


Und hier beschlossen wir dann, die Runde ein erstes Mal zu erweitern, nämlich um die weglose Überschreitung der Tête de Fonteinte.

(WoPo: wer mit Nik unterwegs ist, sollte immer auf "Tourerweiterungen" gefasst sein. DIE machen aber auch meistens Spaß)

Das ist ganz einfach, und der Aufstieg ist schnell absolviert. Der erste Gipfel der doppelköpfigen Tête de Fonteinte (2775 m) ist bald erreicht, und nach einer kleinen Senke auch der zweite. Dann verloren wir zwischen Felsnadeln und -türmen im Nebel kurz die Richtung und umgingen links, was wir einfacher geradeaus hätten hinunterwandern können, gelangten aber trotzden schnell in das nächste Joch, die Fenêtre de Ferret (2698 m). Hier gelangten wir dann wieder auf den Wanderweg...

Fenètre d'en Haut - Tête de Fonteinte - Fenêtre de Ferret: weglose Überschreitung, T3/I, 30 Minuten
 

...und wanderten ihn auf die linke (italienische) Seite hinunter.

Auf einem schönen grünen Boden fanden wir dann eine direktere Verbindung hinüber zum Pass als wir sie eigentlich im Auge gehabt hatten. Sie führt links hinüber zu einem kleinen Joch zwischen der Tête de Fonteinte (links) und einem namenlosen Felskopf....

Fenêtre de Ferret - Felskopf: markierter Wanderweg, T2, 20 Minuten
 

...den wir prompt bestiegen. Wir hatten Zeit und Lust übrig, und fanden eine Route im unteren IIer-Bereich. Toller Fels! Allerdings hatten wir Gear am Fuß des Köpfls deponiert. Und der Grat dahinter sah so schön aus! Also kletterte ich wieder hinunter, holte die Ausrüstung herauf, und wir machten uns an die Überschreitung des namenlosen Grats, der von unserem namenlosen Kopf Richtung Petit Mont Cervin führt.

Der Abstieg auf der schräg geschichteten Kante ist T4 maximal, passagenweise deutlich einfacher, an wenigen anderen Stellen wird, weil ausgesetzt oder/und brüchig, auch mal die T5 gerissen. So richtig klettern muss man nicht.

Schnell ist der niedrigste Punkt erreicht, dann geht's über Zacken und Stufen wieder leicht aufwärts. Schluss war für uns an einem Wandl, das uns ohne Seil zu heikel war.

Ich versuchte noch einen Weiterweg durch ein steiles Couloir rechts darunter, das war allerdings brüchig und bröselig.
 
(WoPo: ..... und sah auch schon von unserem Standpunkt ziemlich bescheiden aus. Aber in Nik`s Adern pulsiert Entdeckerblut. ER kann gar nicht anders, als noch mal eben nachschauen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, DIESEN letzten Teil des Grates zu besteigen!)

Lou. ging nicht. Und so kehrten wir von dem Gratkopf davor zurück zum Wanderweg.

Am Grat: unmarkiert, weglos, T5/I, 30 Minuten


...von dem aus wir dann sahen, dass es möglich wäre, von Nordosten über steiles Gras zum Gipfel des Petit Mont Cervin zu gelangen. Dazu hatte aber zumindest ich nicht die richtigen Schuhe an. Wurmt uns jetzt aber nun wirklich nicht.

(WoPo. NÖ! Da hat so`n oller Wurm keine Chance bei mir. Wir hatten die ursprüngliche Tour ja sowieso schon um eine Stunde verlängert. UND: wir hatten noch die Weiterfahrt vor uns. Bin ich froh, dass der Nik die falschen Schuhe am Fusse hatte!!!)

Hihihi! Ich auch. Und so kehrten wir zufrieden zurück zum Col du Grand Saint-Bernard (2469 m).

Zurück zum Col du Grand Saint-Bernard: wegloser Abstieg, dann markierter Wanderweg, T2, 45 Minuten



Niks Fazit:

Eine schöne kleine Runde, die du uns da spontan herausgesucht hast, WoPo. Vielen Dank für die Idee!


WoPos Fazit:

Eigentlich hab ich gar keine Zeit für ein Fazit. Bin noch mit dem Zetteltest deiner Geschichtsstunde voll beschäftigt... und möchte natürlich eine gute Note bekommen. Bin ja als Streber bekannt :-)
Aber weil ich ja vor Spontanität nur so sprühe, will ich mal kurz den Zetteltest zur Seite legen und ein paar Zeilen unter mein Fazit schreiben. 

Ehrlich gesagt, hab ich große Teile dieser Runde schon 2 x gemacht. Und wenn das Wetter in Crissolo an diesem Tage eher Grützenniveau hatte, lag es doch auf der Hand, ein drittes Mal dort hinauf zu steigen. Alle guten Dinge sind doch immer DREI, oder?

Die zusätzliche Besteigung bzw. Bekraxelung des "Dinosaurierrückens", also des Felsgrates, hat mächtig Spaß gemacht und war ein gutes Training für die folgenden Tage. DAS war Nix Idee. Da gibbet ein WoPo Lob und einen fetten Daumen nach oben!




Genau. Die folgenden Tage. Diese Kraxeleien am Grand Saint-Bernard blieben nämlich nur ein Zwischenstopp. Für uns ging's noch am gleichen Tag weiter in die Cottischen Alpen.

Tourengänger: WoPo1961, Nik Brückner


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