Rund um Saxeten


Publiziert von lorenzo , 21. September 2023 um 18:47.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Berner Voralpen
Tour Datum:23 August 2023
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 15:00
Aufstieg: 3550 m
Abstieg: 3530 m
Strecke:ca. 27km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Interlaken West
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Wilderswil
Kartennummer:LK 1208 Beatenberg, 1228 Lauterbrunnen; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981

Oder vom Westbahnhof nach Wildwestwil...Obwohl meine letzte Vision mit einem Flop geendet hatte, zog mich die Schwalmere vom Ostbahnhof aus weiterhin immer wieder in ihren Bann, und nachdem ich mich am Morgenberghorn leidlich geschlagen hatte, reifte seither bei jeder Durchfahrt nadisna der Plan einer Umrundung des Saxettals mit der Schwalmere, deren NNW-Grat mir im Ab- und Aufstieg ebenfalls schon bekannt war, als Kronjuwel. Die aktuelle Hitzewelle hatte auch im Hochgebirge ihre Spuren hinterlassen, und sogar der Festigrat hatte sich von einer schönen Firn- zu einer anspruchsvollen Eistour gewandelt, so dass ich mir die Zähne lieber in den Voralpen ausbeissen wollte, und meine wie immer allzu ambitiösen Hochtourenpläne vorläufig buchstäblich auf Eis legte, in der Hoffnung auf baldige ergiebige Schneefälle und Verfirnung möglichst noch während dem Spätsommer. Um den hohen Tagestemperaturen von rund 35 Grad eins auszuwischen, fuhr ich mit dem letzten Nachtzug statt nach Lissabon nach Interlaken West, tankte beim Brunnen der Heimwehfluhbahn letztmals frisches Wasser, und zog unter den Sternen los.

Noch hatte es aber kaum, abgekühlt, und auch um meine Kräfte schonend einzuteilen, ging ich es diesmal etwas gemächlicher an. Dank dem blauen Punkt auf swisstopo und der Stirnlampe fand ich trotz fehlendem Mond den verwirrlichen Zustieg zum Aabeberg und den überwachsenen Weg über den Därlig- und Leissigrat fast so gut wie bei Tageslicht. Zudem versetzte mich der betörende Geruch verblühter Alpenrosen ins Bergell und ins Tessin, und Heidelbeeren à discretion sorgten immer wieder für eine willkommene Erfrischung. Auf Schwendli weckte ich eine Herde wiederkäuender Gusti auf, die widerspenstig davonstoben. Als ich auf dem Gross-Schiffli ankam, begann es nach fast fünf Stunden endlich zu dämmern, und von Underberg hallten die Glocken von den Kühen, die auf die Weide getrieben wurden, herauf. Schon bald konnte ich die Stirnlampe ausschalten, und bei normaler Sicht kam ich am steilen Gipfelgrat umso besser voran. Auf dem Morgenberghorn angekommen, ging hinter dem Reeti gerade die Sonne auf, die den SSE-Grat, meine Abstiegsroute, sofort in goldenes Licht tauchte. Für einmal wählte ich, dem Projekt gemäss, die direkte Variante über die Krete, die sich erst noch als aufregender und spannender erwies als der Bergweg.

Vom Rengglipass quälte ich mich zuerst den steilen Grashang, 
den die Schafe schon abgemäht hatten, zum Rengghoren hinauf, von dem der NNW-Grat wie eine Riesentreppe, deren Schwachstellen einen logischen Routenverlauf vorgeben, zum N-Gipfel hoch zieht. Mal an der Sonne, mal im Schatten - beides setzte der Fotografie enge Grenzen, weshalb ich für Bilder auf die beiden erwähnten Berichte verweise -, musste ich alle Register zwischen steilem Gras, abschüssigen Schrofen, rutschigem Schotter und brüchigem Fels ziehen, um an Höhe zu gewinnen. Dafür setzten Myriaden von Bergblumen in der zunehmend felsigen Einöde lebendige Farbakzente, die mich zuversichtlich stimmten. Zwischen dem grossen Aufschwung und dem N-Gipfel liegt die dort durch die W-Flanke führende Route vormittags fast vollständig im Schatten, was mir bei der raschen Hitzeentwicklung sehr entgegen kam. Wieder auf dem Grat übernahm dann ein angenehm erfrischender Westwind die Kühlung, der auf dem Gipfel zeitweise so stark wehte, dass ich mich für eine kurze Pause lieber in der E-Flanke in den Windschatten setzte...Der Abstieg über den mir noch ungekannten ENE-Grat war wie erwartet übersichtlich und leicht, und nach einigem Auf und Ab in coupiertem Gelände stand ich nach inzwischen zehn Stunden beim ausgetrockneten Oberlauf des Saxetbachs bereits vor der dritten und letzten Etappe.

Der Aufstieg zum Chlys Lobhore grösstenteils auf dem Bergweg war zwar einfach, die Sonne begann aber gegen Mittag gehörig einzuheizen. Die Möglichkeit eines seilfreien Auf- und Abstiegs auf das Grosse Lobhhorn - obwohl etwas östlich vom Gratkamm liegend eine verlockende Zugabe - hatte ich bereits im Vorfeld geklärt, mit dem Resultat, dass für einen Schwachströmler wie mich die klettertechnischen Ampere ohne zusätzliche Seilvoltage zu gross sind...Also begnügte ich mich damit, den immer wieder faszinierenden fünffingrigen Felskamm vor dem Hintergrund des Dreigestirns kontemplativ auf mich einwirken zu lassen...Eine landschaftlich einzigartige Panoramawanderung - Thuner- und Brienzersee links und vorne zu Füssen, rechts die erhabenen, wenn z.Z. auch gerade etwas "abgebrannten" Berner Alpen im Augenwinkel - führte mich zur Höji Sulegg, wo mit dem geplanten Abstieg über den N-Grat die letzte Herausforderung wartete. Ich blieb aber zuversichtlich, denn wo ich mit Ski abfahren konnte, würde ich auch zu Fuss absteigen können, und tatsächlich, sogar der oberste Felsriegel liess sich an geeigneter Stelle ganz passabel abklettern. Auf dem Bällehöchst, wo ich eine letzte Pause einlegte, neigten sich meine mit 2,5 Liter allzu spärlich bemessenen Trinkvorräte langsam aber sicher ihrem Ende zu, und nach einem zwar reizvollen, aber doch recht stotzigen Abstieg von der Grimselegg musste ich bei der Hütte nordöstlich von Schlipfwengen, als ich einen plätschernden Brunnen zu hören glaubte, 
zweimal hinsehen, um nicht einer Fata Morgana zu erliegen, bevor ich meinen Durst am tatsächlich dort fliessenden kühlen Bergwasser zu löschen wagte. Auf einen keineswegs lohnenden Abstecher zum Schwarzhore folgte ich, wenigstens vor der nun erbarmungslos strahlenden Sonne durch dichtes Laub geschützt und von saftige Himbeeren verwöhnt, endlosen Kehren durch den Saxetwald, und zuletzt führte mich, nach nochmaliger gegenläufiger Überquerung des Saxetbachs, diesmal seines schäumenden Unterlaufs, ein brennender Hatscher auf flimmerndem Asphalt durch Wilderswil zum Bahnhof, wo gerade ein Zug voller Touristen von der Schynige Platte einfuhr, und ich mich nach der Handvoll sympathischer Begegnungen unterwegs wieder an die anonymen Menschenmassen down town gewöhnen musste...

Morgenberghorn
Aufstieg NE-Grat: Vom Bahnhof Interlaken West (563m) gelben Markierungen (gelb) folgend auf der Rugenpark- und Wagnerenstrasse sowie dem Wanderweg zur Heimwehfluh (662m) und weiter (verschiedene Varianten) auf den Aabeberg (1133m). Auf dem Fahrweg, der Alpstrasse und dem eingezeichneten Weg (kurz weiss-rote Markierungen, wr) zur Oberbodeweid (1344m) und durch den Gratwald (Pfad, orange Markierungen) zum Grillplatz See-Egg (ca. 1400m) und zum Birchizand (1608m). Weiter über den Därliggrat (verwachsenener Pfad), mehrere Kuppen und den Sattel 1776 überschreitend und einmal über eine Felsstufe (1m, I), zur Rotenegg (1890m). Nun auf dem Leissiggrat (Pfadspuren) und zuletzt über eine Felsstufe (10m, I) zum Klein-Schiffli (1935m), einen kleinen Turm überkletternd (2m, I) zum Gross-Schiffli (2038m), und weiter der z.T. felsdurchsetzten Krete folgend (Stellen I) über P. 2029 zum Sattel 1975. Auf dem zunehmend steilen Gipfelgrat (Pfadspuren), mehrere Felsstufen überkletternd oder NW umgehend, wobei die Schlüsselstelle durch den linken oder rechten Kamin überwunden werden kann (2m, II), auf den Gipfel (2249m), 5h-6h, T1-T5.

Abstieg SSE-Grat: vom Gipfel (2249m) direkt dem Grat folgend, zuoberst und zuunterst auf dem weiss-blau markieren Bergweg, dazwischen auf leichten Felsen und Gras (Pfadspuren) über P. 2068 hinunter zum Rengglipass (1879m), 30-45min, T4.

Schwalmere
Aufstieg NNW-Grat: dieser weist stellenweise Pfadspuren (z.T. Schafwege und Wildwechsel) sowie Markierungen auf. Vom Rengglipass (1879m) auf dem grasigen NW-Grat auf das Rengghoren (2103m). Auf dem Grasrücken und über eine leichte Felsstufe (I) zu P. 2134 und über den felsdurchsetzten Grasgrat bis vor einen 1. Gendarm P. 2244. Dieser und die 3 nächsten kleineren und grösseren Gendarmen werden rechts auf steilem Gras ansteigend umgangen, dann von der Gratscharte nach dem 4. Gendarm durch eine grasig-felsige Rinne (II, brüchig) und auf Schrofen auf den 5. Gendarm. Weiter über den von Felsstufen (I) durchsetzten Grasgrat zu P. 2390, wo das Gelände felsiger wird. Abstieg über Schrofen in einen Sattel und über Schutt, Schrofen und leichte Felsen (I) auf einen breiten Schutt- und Geröllrücken, der in der Kuppe P. 2412 kulminiert. Kurz absteigen unter einen hohen Felsgürtel und an dessen Fuss horizontale Querung auf steilem felsdurchsetztem Schutt nach rechts zu Steinmann. Über die mittlere von 3 Rippen und zuletzt durch eine Rinne rechts davon über brüchige Felsen (I-II, Steinmänner) hinauf und zuerst gerade empor, dann rechts haltend auf einen schuttigen Sekundärrücken. Auf diesem bis ca. 2500m unter die Felsbastion 2619 und horizontale Querung auf steilem felsdurchsetztem Schutt nach rechts zu einer breiten Felsrinne (roter Pfeil). Auf Bändern schräg 15Hm nach rechts, 15Hm nach links und wieder 15 Hm nach rechts hinauf (I-II, brüchig, weitere rote Pfeile und Steinmänner). Über eine Platte und durch einen Kamin 10Hm hinauf (II+), dann durch eine breite felsige Rinne im Zickzack ansteigend (I, brüchig, z.T. Steinmänner) zurück zum Hauptgrat oberhalb P. 2619. Auf diesem, einige Felsstufen überkletternd (I-II) bzw. rechts oder links umgehend einfach zum N-Gipfel (2725m) und weiter zum Hauptgipfel (2777m), 2h 30min-3h, WS+ oder T6.

Abstieg ENE-Grat: vom Hauptgipfel (2777m) zurück zum N-Gipfel (2725m), dann über den ENE-Grat auf Schutt und Gras hinunter, bis dieser sich auf ca. 2600m verzweigt. Über den rechten Ast hinab, und über die untere E-Flanke auf Geröll bis ca. 2430. Weiter nach E, N vorbei von P. 2448 auf Gras und Karst zum Einstieg in die Nesslereschöpf (Steinmann) und entlang dem Saxetbach zur Senke ca. 2345, 30-45min, T4. 

Chlys Lobhore-Sulegg-Bällehöchst
Von der Senke ca. 2345 nach ESE hinauf zu P. 2371, wr über den grasigen SW-Rücken bis ca. 2490m, und über den WSW-Grat in Kürze auf das Chlys Lobhore (2519m), T3. Zurück bis 2490m, und NW des Gipfels  (Schutt, Pfadspuren) zum nach N und NNE führenden Grat. Über diesen, der grasig-felsigen Krete folgend und dabei über den Schnäbel (2422m), oder auf dem eingezeichneten Pfad zum Sattel 2315, und weiter über die Nideri (2345m) zur Höji Sulegg (2413m), T3. Abstieg über den kurzen NE-Grat (eingezeichneter Pfad) bis ca. 2380m, dann über den N-Grat auf Schrofen bis zu einer Felsstufe (ca. 5m, I-II), und weiter,  zuletzt auf Gras zur Bällefurgge (1999m), T5. Wr entlang dem grasigen SW-Rücken mit einem Abstecher zu P. 2083 zum Bällehöchst (2095m) und weiter zum Kreuz (2084m), T2. Abstieg auf Weide entlang der W- und NNW-Kante zur Grimselegg. An deren NNE Ende auf dem eingezeichneten Pfad steil hinunter bis ca. 1690m, und nach NNW und N hinunter zum Bergweg bei ca. 1575m NE von Schlipfwengen. Wr zu P. 1551 und ggf. Abstecher zum Schwarzhore (1562m) und zurück. Wr durch den Saxetwald hinunter zum Wegweiser 1103, gelb über P. 1078 und Schläppisbode (914m) weiter, und zuletzt auf der Saxeten- und Mühlenenstrasse, der Kreuzgasse, dem Schulgässli und der Hauptstrasse zum Bahnhof Wilderswil (585m), T3. 4-5h.

Insgesamt 12h 30min-15h 30min.

Verhältnisse: nach sternenklarer Nacht sonnig und heiss mit kammnah böigem W-Wind und etwas diesiger Sicht. Wege, Gras und Felsen weitgehend trocken.

Material: Stirnlampe zu üblicher Alpinwanderausrüstung (Leichthelm und -pickel nicht gebraucht), genügend Flüssigkeit mitnehmen (letzter Brunnen bei der Talstation der Heimwehfluhbahn, der nächste erst wieder bei der Hütte ca. 1575 NE von Schlipfwengen). 

Fahrplan: 1 Uhr Start Interlaken West, 6.45 Morgenberghorn, 10 Uhr Schwalmere, 11.15 Chlys Lobhore, 12.15 Höji Sulegg, 13.15 Bällehöchst, 16 Uhr Wilderswil.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (4)


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Dolomito hat gesagt:
Gesendet am 25. September 2023 um 09:54
Geschätzter Lorenzo, ich finde es unglaublich was du da alles machst und beschreibst. Ich hoffe, dass du noch lange gesund und abenteuerlustig bleibst und weitere Touren machen kannst. Häb der Sorg. Christoph

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. September 2023 um 20:48
Hallo Christoph

Das hoffe ich natürlich auch, und deshalb nehme ich es immer wie gemütlicher und gehe so schonend wie möglich.

Dir wünsche auch weiterhin gute Touren, hoffentlich auch gerade jetzt bei diesem prächtigen Spätsommerwetter.

Beste Grüsse

lorenzo

2bd hat gesagt: WOW!
Gesendet am 25. September 2023 um 21:31
bravo

lorenzo hat gesagt: RE:WOW!
Gesendet am 26. September 2023 um 07:42
Danke, nicht der Rede wert, musste nur wieder einmal den inneren Schweinehund überlisten...


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