"Was passiert, wenn ich falle?" . . Canale Nord, La Margna
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“Was passiert eigentlich, wenn ich falle?“ … Ich gucke durch meine Beine hindurch. Mehr als 300 Höhenmeter geht es haltlos runter, bis zu 40 Grad Firnhang, dann läuft das Nordcolouir aus in die Murtairac Mulde, mit einigen Felsbrocken, bevor es nochmal abstürzt. “Ähh, ummhhh, eine Woche Krankenhaus“ antworte ich. Der Schuh vor mir beginnt zu zittern. “Nee, war nur Quatsch“ rufe ich hoch. “Hier fällt man nicht so ohne Weiteres“. Wir sind an der steilsten Stelle des Colouir, 45 Grad, ganz oben, bevor es sich zum Gipfel neigt, 1300 Meter über dem Silser See.
Am Abend zuvor:
Wir stehen draußen vor der Hütte, gucken in die sternenklare kalte Finsternis. Ludwig zieht an seiner Selbstgedrehten. “Ideale Bedingungen; wir sollten was machen“. Ludwig, mit seinem Paul McCartney-Gesicht und der John Lennon-Brille ist seit zwei oder drei Tagen in Salecina, verbreitet gute Laune, wo er kann. Ich pflichte bei; wir erwägen Möglichkeiten.
Zurück im Speisesaal, dreht Ludwig am Kasettenrecorder; Jethro Tull säuselt ab jetzt im Hintergrund; Ludwig zeigt auf mich. “Der da hat ein Seil. Wer hat Lust morgen früh auf die Margna mitzukommen? Nur mit Bergschuhen“. Drei Mädchen melden sich, dann noch vier oder fünf Hände. “Abmarsch morgen früh, halb sechs“. Einige Hände gehen runter.
Wir gehen von Salecina über die Trasse des L’Äla Sesseliftes, und weiter bis in die Murtairac Mulde. Die Firnauflage ist fantastisch, die Wettervorhersage optimal. Ludwig geht vor; wo das Couloir sich aufsteilt, holt er das Seil raus; da können die anderen anpacken. Ich gehe als letzter, passe auf, dass niemand verloren geht. Wir bewegen uns in Wurmtechnik: die Gruppe zieht sich abwechselnd auseinander und wieder zusammen, je nachdem ob Ludwig oder ich das Seil verankere.
An der 45 Grad Schlüsselstelle kommt das Ganze ins Stocken. Ludwig hackt Stufen, der Firn ist zu hart für die anderen, ohne Steigeisen. Das dauert. Wir rücken alle zu Ludwig auf, ich nehme mir das lose Ende vom Seil, nach ein paar Metern lehnt sich das Couloir zurück, ich kann einen sicheren Stand bauen, Ludwig bringt die anderen hoch.
Oben; alle schauen ungläubig. Zurück zuerst ein Stück auf dem Normalweg, Nordostgrat. Ein Führer kommt mit einer Kundin am Seil, er hat unsere Aktion beobachtet, ist sichtlich aufgebracht; innerlich gebe ich ihm Recht. Wo der Normalweg den Nordostgrat verlässt, folgen wir dem Gratverlauf, steigen dann in die Murtairac Mulde zurück.
24 Jahre später:
Ich steige mit Gabi und zwei unserer Kinder auf dem Normalweg auf. Wo der Weg auf den Nordostgrat stößt, braucht es einen oder zwei ausgesetzte, beherzte Schritte. Gefühlt senkrecht bricht der Grat ins Murtairac Tal ab, das Nordcouloir scheint unbezwingbar; es gruselt mich.
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Tourengänger:
detlefpalm

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