Nachts auf der Bernina


Publiziert von detlefpalm , 29. April 2020 um 22:20.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Oberengadin
Tour Datum: 6 August 1981
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-GR   Piz Bernina   Bernina-Gruppe   I 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 3300 m
Abstieg: 3500 m
Strecke:Coaz-Hütte, Piz Rosegg, Tschierva Hütte, Piz Bernina, Marco e Rosa Hütte, Morteratsch

Ich stehe oberhalb des Grates, am Übergang vom Piz Bianco zum Piz Bernina. Die Temperatur fällt ins Bodenlose, wie der Grat, zu beiden Seiten.  Gefühlt stehe ich hier seit Stunden, der letzte am Seil. Die Scharte sieht dramatisch aus, im untergehenden Licht. Eine Nervensache. Ich weiß, dass wir es schaffen; aber es geht nicht weiter. Fluchen hilft nicht; ich habe es aufgegeben, Peter anzuschreien, zu fragen, was da vorne los ist.
 
K. hatte uns angesprochen, in Salecina. Salecina was the place to be. Vielleicht schreib ich mal einen eigenen Artikel, über Salecina, für hikr.
 
K. sieht aus wie Louis Trenker aus Alaska, undefinierbares Alter, mit langem, schon etwas grauem Bart. Ein Wurzelsepp. Andere um uns herum dämpfen ihre Stimme in Ehrfurcht; jeder scheint K. zu kennen; ein Privileg ihn zu treffen. Er habe gehört, dass Peter und ich schon so einige Touren im Engadin gemacht hätten; er sei gerade in der Gegend, hätte mal wieder Lust die große Bernina Runde zu gehen, suche noch Seilpartner. Piz Rosegg, Biancograt zum Bernina, Palü Überschreitung. Drei Tage.
 
Peter und ich können es kaum glauben. Wir haben schon sehr viel gemacht, im Oberengadin, auch größere Sachen, was man so macht, ohne Geld und ohne Kletterkurs, bis in den III Grad, eine T-Klassifizierung gibt es noch nicht, in 1981. Klar, logo, wir gehen mit.
 
Irgendwie hätte ich es mir denken können. Spätestens am Eselsgrat. Da machte K. ein riesiges Theater beim Abseilen. Sicherte umständlich an den Abseilstellen. Peter und ich machten Dülfersitz, auch damals nicht mehr up-to-date, aber wir hatten noch keinen Abseilachter. Den Dülfersitz, den konnten wir. 
 
Wir sind super-fit, Peter und ich; ein eingespieltes Team. Wir können uns auf uns verlassen. Wir schätzten Risiken ähnlich ein, wir machten keinen Blödsinn. Peter ist der bessere Kletterer, mutiger als ich, geht meistens vor. Ich habe Ausrüstung, lese über und übe Techniken, studiere Führer, mache die Routenvorschläge. 
 
Jetzt führt K.. Von der Fuorcla Surley abwärts zur Coaz Hütte. Am nächsten Morgen früh los, als einer der ersten Seilschaften. Nicht besonders schnell, aber warum soll man sich hetzen. Wir machen es in guter Zeit auf die Schneekuppe. Pause. Der Übergang zum Hauptgipfel sieht nicht ganz ohne aus. K. winkt ab. Noch nicht genügend akklimatisiert. Peter und ich, zögernd, stimmen zu. Soll ja auch Spaß machen, das Ganze.
 
Runter zum Eselsgrat. Alles sieht gut aus. Und dann dieses Hantier. Wir verlieren viel Zeit, der Schnee wird weich bis zur Tschierva Hütte, wenigstens das Bier ist kalt, das eine, das wir uns leisten können.
 
Im Dunkel los zur Fuorcla Prievlusa. Erst im Stau – den gibt es schon 1981; jetzt endlos lang über den unteren felsigen Teil des Biancograt. Noch sind wir mitten im Pulk. Dann der Biancograt, das hebt die Laune. Peter und ich blödeln, dass, falls einer auf einer Seite abrutscht, der andere die gegenüberliegende Seite herunterspringen muss.
 
Die Finger der Nacht streichen über den Grat zum Berninagipfel. Ich habe schon Mühe, den besten Weg zu erkennen. Den Gipfel werden wir erreichen, die Marco e Rosa Hütte nicht mehr. What the hell was going on? Neunzehn Stunden für den verdammten Biancograt? Immerhin, wir sind auf dem Piz Bernina.
 
Auf dem Gipfel ist es dunkel. Wir setzten uns auf die Ostseite, in den Windschatten. Peter und ich haben einen Biwaksack für gerade zwei Personen; die körperliche Nähe ist ungewohnt; K. muss sich selbst behelfen. Sitzend starren wir in die Nacht. Peter und ich versuchen Witze zu machen, über die Situation. Keine Antwort von K. Es dauert nicht lang, so scheint es, da wird es im Osten schon wieder hell, über der Diavolezza.
 
Geld gespart für die Marco e Rosa Hütte. Auf der Tschierva Hütte sind sie jetzt schon lange losgelaufen. Wenn wir so weitermachen wie gestern, holen uns die ersten Bianco-Aspiranten bald ein.
 
Wir lassen uns Zeit. Richten uns auf, als die Sonnenstrahlen uns treffen.
 
Die Schönheiten des Spallagrats nehmen wir nicht wahr. Piz Palü, Riz Rosegg, Morteratsch Gletscher, alles egal. Im Nu sind wir an der Marco Rosa Hütte. Geht doch. Kurze Pause. Niemand redet. Wir könnten ein Frühstück kaufen, wollen uns aber nicht peinlichen Fragen aussetzen. Mir geht es eigentlich ganz gut; ich hätte noch Bock auf den Palü. Noch immer redet niemand, K. kramt mit seinem Equipment. Er steht auf und schafft es, uns gleichzeitig zu ignorieren und zu bedeuten dass es weitergeht, Abstieg Richtung Boval Hütte und Morteratsch.
 
Keiner hat Lust etwas zu sagen. So stapfen wir los, sind bald unten auf dem Gletscher und der Moräne unterhalb der Boval Hütte. K. geht vor, langsam. Peter murrt, K. explodiert, er hat sich die Füße wundgelaufen in seinen neuen Lederschuhen. Zurück in Maloja, gehen wir auseinander, K. und wir, für immer, ohne noch einmal miteinander zu reden.
 

Tourengänger: detlefpalm
Communities: Ultras


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Kommentare (7)


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Sputnik Pro hat gesagt:
Gesendet am 29. April 2020 um 22:30
Das ist ja 'ne Story! Aber von solchen Geschichten aus jungen Jahren erzählt man das Leben lang! Ob K. nochmals auf dem Bernina war?

Delta Pro hat gesagt:
Gesendet am 30. April 2020 um 07:11
Sehr schöner Bericht aus vergangenen Zeiten! Hikr hält noch immer Schätze bereit

detlefpalm hat gesagt: RE:
Gesendet am 30. April 2020 um 11:25
Danke

simba hat gesagt:
Gesendet am 1. Mai 2020 um 12:03
Danke für dieses tolle Stück Literatur. Bitte gerne mehr davon!!

detlefpalm hat gesagt: RE:
Gesendet am 1. Mai 2020 um 16:58
Danke. Watch this space ;-)

MunggaLoch hat gesagt: Sehr eindrücklich!
Gesendet am 20. Juli 2021 um 07:35
Und sehr lebhaft beschrieben!
Danke!

Nyn hat gesagt: Spannend!
Gesendet am 22. Februar 2024 um 21:15
Ein ungeplantes, aber glimpfliches Biwak am Gipfel.
Sicher unvergeßlich.

Und K., ein im Grunde euch völlig Unbekannter, wenn auch legendärer 3ter (ev früher mal?) - püh...

Ich hoffe ihr konntet das verdauen und habt nicht jegliches Vertrauen in andere Bergsteiger dadurch verloren. Am Berg könnte falsches Vertrauen ebenso wie ein Zuwenig bei anderen Bedingungen oder Unwägbarkeiten ins Auge gehn...

Weiterhin unfallfreie Touren wünscht der
Nyn


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