"Gabi und Geni Steiger Climbing": Selun Hauptgipfel Südwand


Publiziert von ossi , 29. September 2011 um 08:42.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum:13 September 2011
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: SS
Klettern Schwierigkeit: V+ (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Churfirsten   CH-SG 
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 800 m
Strecke:Pkt. 1388-Selun Hauptgipfel Südwand-Selun Hauptgipfel-Selun Ostgipfel-Rappenloch-Pkt 1388
Zufahrt zum Ausgangspunkt:P bei Pkt. 1388 nach Schrina und vor Schwaldis
Kartennummer:Kletterführer Churfirsten

Die Vorzüge dieser Tour werden im Churfirstenführer aus dem Jahre 1994 nicht auf den ersten Blick sichtbar: Attribute wie "meist etwas brüchig", "stark grasdurchsetzt" oder etwa "nur sehr wenige Haken" lassen vermuten, dass sich an der Südwand des Seluns die Besucherströme in Grenzen halten. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass genau diese Touren noch manche Tage nachwirken und die erlebte Freude eine ganze Zeit lang zu konservieren vermögen.

Allgemeines zur Hauptgipfel Südwand: Was von weitem wie eine kompakte graue Mauer aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als senkrecht servierter bunter Blattsalat mit einigen eingesetzten Kühlschränken, welche bei sich unsachgemässer Belastung gerne mal aus der Verankerung lösen: Die landschaftlich grossartige Churfirstentour fordert eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit den Elementen: Sie empfiehlt sich dem stark bergsteigerisch orientierten Kletterer oder dem etwas kletterorientierten Bergsteiger. Wer sich dieser Ambiance gerne aussetzt, über grosse klettertechnische Reserven verfügt und Freude daran hat, die Absicherung über weite Strecken in die eigene Hand zu nehmen, der wird hier mit einem wunderbaren Erlebnis beschenkt. 

Neben sehr viel Gras bietet die Route durch die Wand einige plattige Kletterstellen sowie eine wirklich schöne Seillänge in rauhem, rissigem Kalk. In der Mitte der Wand lockt eine etwas einfachere Gratpassage über schönes, blockiges Gelände. Die Absicherung ist an vielen Stellen möglich, doch sollte der Fels darum herum gut geprüft werden: Vor allem Schlingen können vielerorts eingesetzt werden. Von den im Führer eingezeichneten Haken haben wir auf acht Seillängen nur gerade sieben Stück gesehen, davon vier in gutem Zustand.

Zustieg (T6, II):  Der Zustieg alleine ist eine Tour wert. Gestartet wird bei Pkt. 1388 zwischen Schrina und Schwaldis. Die ersten Meter dem Wanderweg folgend, verlässt man diesen bald und strebt -stets die einfachste Linie suchend- im steiler werdenden Gras unter die Selun Südwand. Etwas links haltend (nach Westen), erblickt man unterhalb des sogenannten Stockzahns eine kleine Schlucht, deren erste Stufe im zweiten Grad erklommen wird. Anschliessend hält man nach rechts auf eine freistehende Tanne zu. Siehe dazu auch die Bilderreihe. Für Heuschnupfen-Allergiker hart an der Schmerzgrenze.

1. SL V: Leicht rechtshaltend grasig-felsigen Bändern folgend, bis eine plattige Stelle (drei Haken) überwunden wird. Gleich nach der Platte geht's einige Meter nach links zum Stand (zwei rostige Haken, Stand mit Keil verstärken). Einige heikle Kletterstellen, knappe 30m.

2. SL V+: Kurze SL. Gleich zu Beginn plattige Stelle mit einem frendlicherweise guten Haken. Danach einige Meter nach links in eine Nische, wo an einem grossen Block Stand gemacht werden kann (Originalstand mit eingezeichneten Haken haben wir verpasst). teilweise heikel, gute 10m.

3. SL V-: Zuerst gerade (bzw. ganz leicht links ausholend) eine Verschneidung in akzeptablem Fels hoch, dann weiter gerade aufwärts, später einfacher rechtshaltend in Richtung einiger Pfeilerköpfe. Hier irgendwo Stand machen. keine Haken, knappe 40m.

4. SL III: Über die Pfeilerköpfe im Stile einer Gratwanderung bis unter einen markanten Felsblock, wo man kurz davor an einem (zum Zeitpunkt der Tour) noch guten Haken Stand machen kann. knappe 40m, keine Haken bis zum Stand.

5. SL V: Eine echte Kletterlänge in tollem Fels. Den grossen Block umklettert man links, hinter dem Block erklimmt man dann durch einen Kamin ein ausgesetztes Spitzchen. Vom Spitzchen aus rechtshaltend entlang von gutgriffigen Rissen aufwärts, bis das Felsgelände in Gras übergeht. Hier irgendwo Stand machen. ca. 45m, keine Haken.

6. SL T6/I+: Gerade hoch zu einzelner Tanne (hier Schlinge legen), dann leicht linkshaltend über Gras bis in eine weite offene Grasnische, wo man an einem Riss einen Stand basteln kann. Viele Trittspuren (vom Wild??).

7. SL IV: Aus meiner Sicht eine Refenztour für den Grad " T7/ III+". Zuerst erklimmt man einen felsdurchsetzten Graskamin, anschliessend geht's über Steilstgras, Trittspuren und unglaublich schmale Bänder hoch und an einzelnen Tännchen vorbei bis hinaus auf den markanten Südgrat. Hier Stand machen, keine Haken, ca. 30m.

Die Originalführe würde bei der zweiten Tanne Stand machen und von dort weg durch eine Verschneidung im oberen fünften Grad durch vermutlich guten Fels zum Ausstieg führen. Angesichts der fortgeschrittenen Zeit entscheide ich mich für die einachere Variante, indem ich bis auf den Grat unweit eines dritten Tännchens traversiere, was sich später als klug erweisen wird.

8. SL II: Über den felsigen Grasgrat hochsteigen. Irgendwann macht man Stand und beschliesst -man sieht hier bereits den Schlussgrat bis zum Gipfel- das Seil einzupacken und gemeinsam den Gipfel zu gewinnen.

Zur Krönung folgt ein ca. 150m langer Grasgrat (T6) mit kurzen Kletterstellen im zweiten bzw. ersten Grad. Man erhält nochmals Gelegenheit, in diese wilde Welt hinabzugucken und diese ein letztes Mal mit einem tiefen Atemzug in sich aufzunehmen.

Abstieg über den Ostgrat (T6): Auch diese Linie empfiehlt sich als eigenständige, vollwertige Tour. Wir folgen dem Grat bis zum Selun Ostgipfel (T5 bis T6). Bald nach dem Ostgipfel kann an verschiedenen Ständen durch eine Verschneidung in der Südwand auf ein Graspodest abgeseilt werden, von wo aus man wieder auf den Grat zurückquert und zum Rappenloch absteigt. Anstatt durchs Rappenloch abzusteigen, entdecken wir wenig oberhalb am Grat eine Abseilstelle, von der wir mit unseren 60m-Halbseilen weit in den Graskessel unter dem Rappenloch abseilen können (50m-Halbseile würden gerade reichen). Wir steigen weiter durch den Graskessel ab bis zu einem sehr ausgeprägten, einfach begehbaren Grasband (bis hier noch T5). Nun queren wir unter die Silberi Südwand, von wo aus wir auf guten Trittspuren zum Wanderweg "Tschingla-Schwaldis" absteigen, T4.

Fazit: Für mich eine sehr eindrückliche, wunderschöne Tour in ursprünglicher Umgebung. Eine bleibende Erfahrung und vermutlich die Krönung der gesamten Saison 2011.


 


Tourengänger: ossi, 2bd


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Kommentare (5)


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Alpin_Rise hat gesagt: Wild, wilder, Selun
Gesendet am 29. September 2011 um 12:59
!
Grosses Kino, Wildheuen inkl.
G, Rise

Tobi hat gesagt: Krönung der gesamten Saison 2011...
Gesendet am 30. September 2011 um 15:12
...und Referenztour für den Grad "T7/ III+"! Da wird aber ein gewisser Kulmchrachen beleidigt sein ;-)

Wie gewohnt humorvoll geschrieben und mit aussagekräftigen Bildern geschmückt - herzlichen Dank für diesen Bericht!

Gruss Tobi

ossi hat gesagt: berci meaucoup....
Gesendet am 30. September 2011 um 19:45
für die Kommentare. Kulmchrachen ist eine für T6-Verhältnisse schwierige Tour. Das hier ist dann nochmals mehr, eher so in Richtung Bergsteigen. Auf bald!!

2bd hat gesagt: Läck
Gesendet am 4. Oktober 2011 um 18:51
als ich aus seillänge 7 auftauchte und in einer Mischung von Begeisterung, Freude, überlebt zu haben und Hingerissenheit rief: "läckmer am arsch, isch das usgsetzt gsi" (sorry, Zitat!), machte sich zwischen uns breites lachen … breit und wir feixten, ob das nun eher T8- oder T7+ war. T7 reicht natürlich, ossi. die Erfahrung, dabei keine angst verspürt zu haben, sondern bloss äusserste Sorgfalt und Konzentration, beruhigt irgendwie. den eigentlichen schock - ich gestehe es – erlebte ich, als du ossi, als intimer kenner der churfirsten, abends um halb sechs auf dem Gipfel, nach all den Strapazen nach Osten wiesest, nur um mir mitzuteilen, dass es nun da rüber geht, bis zum sehr beeindruckenden ostgipfel und dann alles wieder runter. m.a. Worten, dass die tour eigentlich erst so richtig beginnt …
danke für deine verrückte Idee! es war wunderbar. auch, auf dem Hosenboden rasant das feuchte steilgras runterzurutschen, zwischendurch auf eine etwas flachere stelle zielend, um das tempo zu kontrollieren. sowie die letzten Momente, als der Mond, just dann hinter dem Berg auftauchte, als das letzte abendlicht erloschen war, und uns so doch noch einen sicheren restabstieg ermöglichte.
einfach fantastisch!

silberhorn hat gesagt:
Gesendet am 21. Januar 2015 um 01:10
Am Anfang meiner Suche ob das Buch von Gaby Steiner (nach Emil Zopfi Gaby und Geny) noch erhältlich ist bin ich über Umwege nochmals zu Deinem Bericht gelangt. Im Moment genau der Richtige da ich das Buch "CHURFIRSTEN - Über die sieben Berge", Herausgeber und Mitautor Emil Zopfi am lesen bin.

Typischer ungewöhnlicher ossi Bericht den ich wiederum und wie immer mit Vergnügen las. Deine Bilder eine Guttat für meine Seele.

LG, Maria


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