Spike-Hike im Schnee auf die Nockspitze (2404m)
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Also packte ich nochmal 1000 Meter drauf, und sah nach, was ging. Am Vortag, auf der Sefelwand, hatte ich bis 2000 Meter jedenfalls problemlos hinaufsteigen können.
Na, eigentlich war das so gar nicht mein Plan. Offen gestanden hing ich eine Stunde lang unschlüssig in meinem Hotelzimer herum, ohne recht zu wisen, was ich tun sollte. Oben an der Nordkette sah's nach Winter Wonderland aus, auf der anderen Seite nicht besser; Serles und Nockspitze, die Innsbrucks Süden dominieren, machten nicht gerade einen frühlingshaften Eindruck. Also beschlos ich, ein wenig in der Gegend herumzugondeln, Farmhouse Odysseys neues Album "Fertile Ground" zu hören, vielleicht einigen der urigen Siedlungsnamen der Gegend nachzuspüren - und ließ den Rucksack im Hotel. "Axamer Lizum" klingt wild! Also erst einmal dort hin!
Eine Lizum (Betonung auf dem "u") ist eine kotige Weidefläche. Okay, klingt nicht sexy. Das Wort stammt aus dem Bündnerromanischen: "lozza" bedeutet 'Schlamm, Kotlache', es geht zurück auf lateinisch "lutum", 'Kot'. Das Wort bezieht sich also auf eine Alm, bzw. eine Weidefläche. Vergleichbar ist der im Tiroler Deutschen verwendete Name "Kotalm", dem man öfter begegnet. Aber auch "Lizum" kommt mehrfach vor, es gibt z. B. bei Wattenberg noch eine Wattentaler Lizum.
Die Lizum, die mich interessierte, war aber die bei Axams, die Axamer Lizum. Noch so ein uriger Name: "Axams"! Urkundlich erwähnt wurde der Ort zum ersten Mal um 935–955, im Traditionsbuch des Hochstifts Brixen, als "Ouxumenes". Das ist keltischen Ursprungs: Die rekonstruierte Form "Uksisama" bedeutete so viel wie 'sehr hoch gelegener Ort' oder auch 'am Höchsten', was dann einer Gottheit zugekommen sein konnte. Es ist zusammengesetzt aus "uks", 'hoch' und "-(i)sama", einer Superlativendung.
Der Name veränderte sich über die Jahrhunderte von "Ouxumenes" über "Oscumnes" (1200), "Auxumes" (1228), "Oxuemes" (1232), "Ouxams" (1288) und "Auxums" (1421) zum heutigen "Axams". Ortsnamen gleicher Herkunft finden sich in ganz Westeuropa, z. B. in Frankreich (Exmes, Huismes, Humes, Oisème und Huines), Spanien (Osma) und Italien (Osimo und Issime).
Nun ist das alles zwar urig, das heißt aber nicht, dass die Axamer Lizum urig wäre. Im Gegenteil. Die kotige Weidefläche ist heute ein Skigebiet, 1964 anlässlich der Olympischen Winterspiele errichtet, und zu den Spielen 1976 ausgebaut. Egal, trotzdem hin, urig ist urig.
Ein gigantischer Parkplatz erwartete - mich. Nur mich. Niemanden sonst. Kein Mensch weit und breit - und weit und breit ist er, dieser Parkplatz. Darunter, vermutlich, vor urigen Zeiten, eine kotige Weidefläche...
1563 Meter ist das hoch. Und ich sah, dass der Anstieg zur Nockspitze, hiesig auch "Saile" genannt, begehbar - nun ja - sein könnte. Schnee, ja, aber nicht steil oder ausgesetzt, also dürften viele Schneefelder umgehbar sein. Nur: Würde die Zeit reichen? Immerhin war es schon halb zwei, ich war für sieben zum Abendessen verabredet, und der Anstieg war mit 2 3/4 Stunden veranschlagt. Knapp 900 Meter zum Gipfel. Viertel nach vier oben? Das dürfte knapp werden. Da müsste ich ziemlich spiken. Schließlich wollte ich noch einkaufen, duschen und und und...
Ach, geht eh' nicht, ich hab ja meinen Rucksack nicht dabei. Obwohl. Ohne Rucksack bin ich auch leichter, also schneller... Die Schuhe waren ja noch im Auto, von der Tour auf die Sefelwand gestern. Ich würde mir ohne X-Socken zwar Blasen einhandeln, aber....
Fünf Minuten später war ich unterwegs! 16Uhr hatte ich mir als Umkehrpunkt festgelegt. Das sollte zu schaffen sein. Es geht an den urig-ramontischen Einrichtungen der 70er-Jahre-Ski-Infrastruktur vorbei, dann links auf der Einhegung eines Bergbachs hinauf, die weiter oben rechtswärts verlassen wird. Immer hoch über dem Halslbach wandert man im Zick, ab und zu auch mal im Zack, zum Halsl hinauf, einer tiefen Einsattelung zwischen Nockspitze und Ampferstein, in 1992 Metern Höhe. Kaum war ich dem Wald entwandert, und in der Latschenzone angekommen, so auf 1700 Metern, erwartete mich der erste Schnee. Begehbar, zum Glück. Bissl einbrechen darf schon sein, im Frühjahr, und ohne Gamaschen und mit dünnen Söckchen macht's erst Spaß. Aber Vieles konnte man auch umgehen, und so langte ich ungefähr fünfzig Minuten nach dem Losgez, na, nicht wirklich am Halsl an. Vielmehr umging ich auch hier ein Schneefeld, indem ich noch unterhalb des Sattels links über eine Weide abkürzte. Am Ende einer Latschengase entdeckte ich dann ein Schild, auf das ich zuhielt. Auf einem Absatz, auf dem allerlei Gerät gelagert war, stieß ich wieder auf den Weg.
Die Nockspitze war hier zwar nicht angeschrieben, aber dürftige Wegspuren führten durch Latschen weiter hinauf, und ein gutes Stück oberhalb des Lagerplatzes zeigten mir Stufen an, dass ich richtig sein musste. Ich querte ein mäßig steiles Schneefeld, nahm die Stufen, und wanderte durch die nächsten Latschengassen weiter.
Dann endete der freigetaute Weg auf einem großen Schneefeld in 2100 Metern Höhe. Irgendwo vor mir: Ein Schild. Was darauf stehen musste, war klar: Geradeaus zum Birgitzerköpflhaus, rechts hinauf zur Nockspitze. Alles tief verschneit, versteht sich. Aber es ging, ich konnte die Spuren eines Vorgängers nutzen, und stieg den Hang hinauf. Zunächst direkt hoch, dann im steilen Gelände rechts hinaus, dort, wo der Weg wieder zu dem vom Halsl heraufführenden Rücken hinüberzieht. Hier lag wieder kaum Schnee, ich hatte Glück.
Nun konnte es allenfalls noch sein, dass sich auf dem rauhen, scharfen Felsgipfel, den man von Innsbruck aus sehen kann, tiefer Schnee zwischen scharfen Felszacken eingelagert hatte, und dieser das Erreichen des Gipfels unmöglich machte....
Tja, weit gefehlt! Die Nockspitze macht von dieser Seite aus ihrem Namen kein Ehre: Sie präsentiert sich als gemächliche Gipfelkuppe. Schroffe Felsen? Fehlanzeige. (Hier ist ein aufschlussreiches Foto.) Und so konnte ich ohne Probleme zu einer Wiesenschulter, und von dort auf die Gipfelkuppe gelangen. Ein paar große Schneefelder ließen sich umgehen, oder problemlos überqueren.
Dann stand ich am Gipfel der Nockspitze (2404m). 15:25 Uhr, mehr als eine halbe Stunde vor der Umkehrzeit, die ich mir gesetzt hatte. Ein ziemlicher Spike - ging besser als gedacht.
Axamer Lizum - Nockspitze (Saile): T2 (L), 1:45
Und was für ein grandioser Gipfel das ist! Leicht, ja, aber die Aussicht ist einzigartig: Karwendel beginnend mit der Reitherspitze, der Kaiser mit Scheffauer, Sonneck, Ellmauer Halt und Ackerl/Mauk,, die Zillertaler, der Hohe Riffler und der Olperer, Serles natürlich, diverse Tribulaune, der Schrankogel, der Loreakopf, dann die Mieminger Kette mit der auffälligen Hohen Munde, und natürlich die Zugspitze.
Tief unter mir: Innsbruck. Und Stau auf der Europabrücke.
"Helloooo-ooo-ooo!"
"Helloooo-ooo-ooo!"
Mein Telefon. Yep, Twin Peaks, selbstverständlich!
Meine Eltern. Ja, also, sie fahren jetzt nach Südtirol. Wollten sich nur melden. Wo ich gerade bin? 2400 Meter hoch, mit Blick auf die Europabrücke. Und nun die aktuellen Verkehrsnachrichten für die Brennerautobahn...
Auf den nördlichen Vorgipfel habe ich mich nicht getraut. Zu scharf die Schneide, zu wenig vertrauenserweckend die Wächte, auch die Spuren endeten wenige Meter weiter. Gut so, der Schnee war ziemlich tief, ein Schild steckte bis zur Spitze im Schnee.
Und so machte ich mich wieder auf den Rückweg, die mächtigen Kalkkögel immer vor Augen. Fantastische Berge, die mich defi auch nochmal zu sehen kriegen. Der Rückweg verlief problemlos, eine Stunde, nachdem ich den Gipfel verlasen hatte, war ich schon wieder am Auto. Dank dem Schnee, auf dem ich, trotz fortgeschrittener Uhrzeit, prima abfahren konnte. Eine schöne, schnelle Nachmittagstour, fast völlig einsam. Erst ganz am Ende begegnete ich zwei anderen Berggängern. Wie geil muss das sein, nach Feierabend nochmal schnell einen Zweitausender besteigen zu können...
Nockspitze (Saile) - Axamer Lizum: T2 (L), 1h
Ich genoss noch ein wenig die urig-romantische 70er-Jahre-Ski-Infrastruktur auf der kotigen Weidefläche, dann machte ich mich langsam auf den Rückweg. Ich sah noch einen M Preis von innen, eine Dusche ebenfalls, und traf pünktlich zu Abendessen an jener Brücke über den Inn ein, an der ich verabredet war. Was für ein schöner Nachmittag.
Ausrüstung:
Ich bin mit Stecken ausgekommen.
Und am nächsten Tag channelte ich dann mein inneres Kind.

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