Vier Tage im Herbst 2: Oberlahmsspitze über Ost- und Nordwestgrat


Publiziert von Nik Brückner , 1. November 2014 um 16:56.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Lechtaler Alpen
Tour Datum:27 September 2014
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Mountainbike Schwierigkeit: L - Leicht fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:00
Aufstieg: 1350 m
Abstieg: 1350 m
Strecke:Madau - Röttal - Ostgrat Oberlahmsspitze - Nordwestgrat Oberlahmsspitze - Madau: 11km (dazu kommt dann noch die Radstrecke)
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Über Reutte ins Lechtal nach Bach - Kostenloser P am Ortsende etwas oberhalb von Bach
Unterkunftmöglichkeiten:Bach, Madau, Memminger Hütte
Kartennummer:AV-Karte Lechtaler Alpen 3/3

Nach der Überschreitung des gruseligen Giebelgiebels am ersten von vier Tagen brauchte ich etwas zum Lockerwerden. Bei der Auscheckung der Freispitze per Google Earth habe ich einen unglaublichen Grat entdeckt! Wie mit einem Lineal gezogen, verläuft diese Linie vom Gipfel der Oberlahmsspitze über 1300 Höhenmeter nach Nordwesten hinunter. Was für eine Entdeckung!

Nix Entdeckung -  ADI, quacamozza, Yeti69, Andy84 haben den Grat schon begangen...

Aber im Aufstieg! Warum nur im Aufstieg? "Schinder" zitiert Yeti69 in seiner Beschreibung seinen AV-Führer. Das mit dem Schinder erledigt sich aber im Handumdrehen, wenn man, wie ich das plante, Spiehlers Erstbesteigungsroute über den Ostgrat nimmt, und über den Nordwestgrat absteigt. Damit fällt der Schinder ganz von selbst aus, und übrig bleibt "in jeder Hinsicht eine der schönsten Bergfahrten in den Lechtaler Alpen" - so nämlich Yetis AV-Führer weiter. Überschreitet man die Oberlahmsspitze von Ost nach Nordwest, ergibt sich eine einfach grandiose Hochgenusstour über die beiden weglosen Grate der Oberlahmsspitze, frei von jeglichen unangenehmen Wühlereien in brüchigem Schutt oder mühseligen Kämpfen gegen Latschen.



Also PoiLs "Brossaklitt" aufgelegt, und ab ins Lechtal. Um neun Uhr hab ich das Auto auf dem Parkplatz am Eingang des Madautals abgestellt. Dann hab ich mich aufs Rad geschwungen, und bin so lange ins Tal hinter gebiket, bis ich keinen Bock mehr hatte.

Parkplatz Madautal - Raddepot: 40 Min.


An einem Abhang irgendwo hinter Madau hab ich unter einem Busch mein Rad deponiert und bin ins Röttal hinter gewandert. Der anfangs noch breite Weg verläuft zunächst in einem Bogen um den Ausläufer des Nordwestgrats der Oberlahmsspitze herum. An seinem nordwestlichsten Punkt befindet sich oberhalb eine neue Alpe. Die merken wir uns - an dieser Stelle werden wir nämlich am Ende der Tour wieder rauskommen.

Ganz hinten im Röttal, kurz bevor sich nach einem Steilaufschwung die Wanderwege zur Memminger Hütte und zum Württemberger Haus trennen, fließen im Talgrund zwei Bäche zusammen. An dieser Stelle habe ich den Weg verlassen und habe den rechten Bach überquert. (Man kann auch auf dem Wanderweg noch ein Stück Richtung Memminger Hütte gehen, und dann zum Grat zurück queren, dann verpasst man aber den untersten Teil des Grates, weil erst ein gutes Stück weiter oben eine Überschreitung des Baches möglich ist.)

Raddepot - Talschluss Röttal: T2, 40Min.


Tierspuren führen aus dem Bachbett hinaus und den steilen Abhang links hinauf auf den Rücken, der den untersten Ausläufer des Ostgrats bildet ("Am Nocken"). Nun rechts hinauf - und ab jetzt immer oben rüber!

Unten ist der Ostgrat noch ein gemächlicher Rücken, nach oben hin wird er dann immer schmaler. Immer ist das Gelände zur Rechten ein senkrechter, felsiger Abbruch, und das Gelände zur Linken ein steiler Grashang. Da dieser Grashang über die gesamte Höhe begehbar ist, ist die Überschreitung streng auf dem Grat kein Muss, sie macht aber natürlich wegen der Tiefblicke nach rechts besonders viel Spaß. Aber weil ein Umgehen felsiger Stufen im steilen Gras links immer gut möglich ist, muss man keine Angst vor dem Grat haben.

Der Gipfelhang sieht von unten äußerst steil und abweisend aus, aber wenn man mal herangekommen ist, entpuppt sich auch der als begehbar. Er ist steil, aber weniger steil, als er von unten wirkt. Und das Gras schien mir durchwegs gut gestuft zu sein. Mehr Spaß macht es natürlich auch hier auf dem Grat.

Die Spitze ganz oben ist ein Scheingipfel! Dort war etwas, das ich anfangs für ein Gipfelkreuz hielt, später für einen Wanderer, der mir mit seinen Stöcke zuwinkte. Ich winkte zurück. Der Steinbock muss mich für ziemlich dämlich gehalten haben...

Na, zumindest für harmlos, denn er verließ seinen Platz erst, als ich schon nahe an ihm dran war.


Hinter dem felsigen Scheingipfel (nochmal I) folgt dann noch ein kurzer Gipfelgrat, und man hat die Oberlahmsspitze (2658m) erreicht.

Talschluss Röttal - Oberlahmsspitze: Zum Grat T4, über die Rücken T3, oben T5/II (im Hang leichter), 2 Stunden


Am Gipfel war ich ganz allein. Nicht mal ein Kreuz hat mir Gesellschaft geleistet. Niemand zu sehen, weit und breit. Und das an einem so fantastischen Tag! Was machen die Leute nur? Es gibt im Madautal mehr als nur den E5! Aber selbst im Aufstieg zur Memminger Hütte konnte ich niemanden ausmachen. Ich war einfach vollkommen allein. Ein herrlicher Moment!

Die Oberlahmsspitze ist außerdem eine überraschend großartige Aussichtskanzel. Der Blick fällt fast von selbst zuerst zum höchsten Gipfel weit und breit, zur Parseierspitze. Davor erheben sich die Seeköpfe, und unter diesen steht im Kar die Memminger Hütte. Im Südwesten ragt der Hohe Riffler empor. Es folgt die Dreiergruppe von Rotspitze, Roter Platte und Freispitze, die ihren schönen Jägerrücken präsentiert.
 
Mehr Prominenz im Westen: Feuerspitze und Holzgauer Wetterspitze. Schön ist aber auch der Blick hinüber zur weniger bekannten Tajaspitze. Dahinter zeigen sich Zitterklapfen und die Hochkünzelspitze, dann folgen bereits die Allgäuer Alpen. Los geht's mit dem Widderstein und dem Biberkopf, dann folgen das Hohe Licht, die Hochfrottspitze, Mädelegabel und Trettachspitze.
 
Den Nordwesten markiert der Krottenkopf, dann folgen die Marchspitze, die Kreuzkarspitze und die Urbeleskarspitze. Den Norden markiert die Wasserfallkarspitze. Der nächste markante Gipfel der Allgäuer ist die Leilach. Dann folgen Rote Flüh, Gimpel, Köllenspitze und Gehrenspitze.
 
Die Lechtaler setzen den Reigen fort, mit der Pfeilspitze, den Kreuzspitzen und dem Thaneller. Dann zeigen sich die Geierköpfe in den Ammergauern, bevor die Namloser Wetterspitze, die andere Tajaspitze und die Bockkarspitzen die Reihe der Lechtaler Gipfel fortsetzt. Bald schiebt sich auch die nahegelegene Leiterspitze ins Blickfeld. Dahinter zeigen sich der Bergwerkskopf und der Bittrichkopf, fast genau im Osten.
 
Deutlich näher sind die Schielerspitze und die Großbergspitze. Den Südosten aber markiert die Verpeilspitze. Daneben erheben sich Watzespitze und Wildspitze. Es folgt die nahgelegene Kette vom Rauen Kopf bis zur Parseierspitze, deren mittleren Teil allerdings die Kleinbergspitze verdeckt.



Nach einer gemütlichen Pause habe ich mich dann langsam an den Abstieg gemacht. Im Grunde gilt hier das Gleiche wir für den Aufstieg: Am Grat und links davon. Wer's ausgesetzt und kraxelig mag, bleibt am Grat, wer es weniger abenteuerlich möchte, weicht nach links aus. Rechts geht es meist senkrecht mehrere hundert Meter eine düstere Wand hinunter.

Der oberste Teil ist recht felsig, je nach Routenwahl sind hier Ier- oder IIer-Stellen abzuklettern. Nichts, was man nicht vorwärts runterkäme. Bei guter Sicht ist die Route klar, das Gelände gibt außer "am Grat und links davon" eigentlich nichts anderes her. Wer es sehr eilig hätte, vom Grat runterzukommen, könnte aber wohl nach Westen über die 1200 Meter hohen, steilen Grashänge zum Parseierbach notabsteigen...

Weiter unten, so etwa ab 2400 Metern, wird der Grat dann breiter und es warten schöne, gemütliche Grashügel. Hier geht es zwischendurch sogar mal ein paar Meter bergauf. Aber auch danach wird es immer wieder felsig, weil die Gesteinsschichten hier "über den Grat geknickt" sind und daher immer wieder Stufen abgeklettert werden müssen (höchstens II, meist I).

Kommt man in die Latschenzone, bleibt man am Besten so lange wie möglich am Grat. Nicht zu früh nach rechts absteigen! Dort ist es felsig und steil. Wenn einen die Latschen dann etwas, nur etwas, nach rechts abdrängen, folgt man einer deutlich zu erkennenden, doppelten, wegartigen Trittspur im Gras, die parallel zum Grat verläuft. Dieser folgt man weiter bergab, bis es nun endgültig in die rechte Flanke geht. Die wegartigen Trittspuren führen dann bald zu einer Stelle, wo man direkt unterhalb einer Felswand weiter nordwestwärts quert. Erst am Ende dieser Querung verlaufen sich die wegartigen Spuren etwas. Hier hat man nun die Wahl zwischen mehreren steilen Rinnen, in denen man absteigen kann. Ich habe mich an dieser Stelle in Richtung der beiden obersten Lärchen orientiert, wo ich schon von oben wieder wegartige Spuren sehen konnte. Es geht also durch eine der Rinnen und breiteste Latschengassen zu den Lärchen und an den Lärchen, nun in deutlich leichterem Gelände, nach links, zurück zum Gratrücken. Der gesamte Latschengürtel ist also ohne viel Latschenberührung zu durchsteigen - ich hatte genau drei Mal Nadeln am Arm (mitgezählt!), so breit sind die Gassen.

Der Rest des Abstieges folgt nun konsequent weiter dem Nordwestrücken. Wer den verlässt, liegt garantiert falsch! Die Orientierung ist aber nun wirklich nicht schwierig, auch nicht im Wald. Immer wieder kann man sogar Wegspuren folgen, mal spärlicher, mal deutlich ausgeprägt, mal gerade hinunter, mal in kleinen Serpentinen. Eine einzige Stelle macht Schwierigkeiten: Auf einer Stufe im Rücken ist der Wald etwas lichter. Die AV-Karte verzeichnet hier ein ehemaliges Gebäude, davon ist aber nichts mehr zu sehen. An dieser Stelle sind zwei Köpfe. Geradeaus (NW) kommt man nicht weiter! Hier steht man unvermittelt an einer senkrechten Felsstufe. Weiter rechts (N) befindet sich ein weiterer Kopf, dort sammeln sich Trittspuren zu einem Weg, der sicher über die Stufe hinunterführt. Diesen Weg muss man unbedingt nehmen, weder weiter links noch weiter rechts kann man die Stufe überwinden! (An dieser Stelle und weiter unten sind übrigens immer wieder rot-weiße Markierungen an den Bäumen, die eventuell den alten Weg kennzeichnen.)

Nach der Steilstufe lässt sich der Weg eine Weile noch gut verfolgen, danach verlaufen sich die Spuren wieder. Aber das Gelände ist hier ohnehin wieder leichter und man folgt nun einfach wieder dem Rücken bis zu der bald deutlich sichtbaren Alpe, an der wir am Anfang vorbeigekommen sind. Vorsicht! Hier ist ein Brennnesselmeer!

Oberlahmsspitze - Alpe: T5/II, 2:15

Um 15.20 Uhr war ich wieder am Raddepot. Das Rad war noch da! Ich hab mich also draufgeschwungen und bin in rasanten 20 Minuten hinunter zum Parkplatz gesaust. Um 15.40 Uhr war ich zurück am Auto.


Fazit:

In jeder Hinsicht eine der schönsten Bergfahrten in den Lechtaler Alpen! Und, so herum gegangen wie ich es gemacht habe, nicht die Spur eines Schinders, sondern im Gegenteil eine sehr smoothe Überschreitung auf einer unschlagbar eleganten Linie. Eine restfreie Genusstour - Spiehler wusste schon, was er tat!


Ausrüstung:

An Ausrüstung braucht es Schuhe mit sehr fester Sohle (im Gras muss sicher gekantet werden), Stöcke, mehr nicht. Hinzu kommen Erfahrung im Steilgras, Fähigkeiten in der Wegfindung, und man muss IIer-Stellen am Grat sicher abklettern können - dazu braucht es Trittsicherheit und Schwindelfreiheit. So schwer ist's dann aber letztlich nicht.


Und am nächsten Tag?

...wurde es so richtig krass...

Tourengänger: Nik Brückner


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Kommentare (2)


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Nyn hat gesagt:
Gesendet am 11. August 2020 um 18:19
Mei, und noch was Tolles , was sich nicht nur saugut liest, sondern auch supergut aussieht. Ich lieieieiebe solche Grate!

Nik Brückner hat gesagt: RE:
Gesendet am 13. August 2020 um 10:45
Ist wirklich eine schöne Tour!

Herzlichen Gruß,

Nik


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