Bahnhof Bern im Wandel der Zeit, Teil 2: Koordinatenursprung, Black Box und Bären aller Art


Publiziert von ABoehlen , 4. Juli 2012 um 19:58.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Bern Mittelland
Tour Datum:17 Mai 2012
Wandern Schwierigkeit: T1 - Wandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 3:00
Strecke:Bärenplatz - Neubrückstrasse - Grosse Schanze - Hirschengraben - Bärengraben - Helvetiaplatz
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Bern
Kartennummer:LK1166 Bern

Link zum ersten Teil

Mittag

Kurz nach Elf Uhr herrscht an der «Front» noch wenig Betrieb. Weil es trotz Sonnenschein recht kühl ist, lassen wir uns in der eingeglasten Veranda der «Brasserie Chez Edy» nieder, welche mit einer vielfältigen Speisekarte überzeugt, wobei französische Spezialitäten dominieren. Zu meiner Freude sehe ich, dass auch Kutteln im Angebot sind, eine Speise, die vielen bloss ein Nasenrümpfen entlockt, für mich aber bereits als Kind eine Delikatesse war, wenn Mutter sie hin und wieder mal auftischte. Sie schmecken auch hier ausgezeichnet und die grosse Portion sättigt vollkommen. Stini zieht dagegen den auf einem Holzbrett gereichten Flammenkuchen mit Champignons vor.

Unser Mittagsmahl widerspiegelt – ungewollt – das kulinarische Bern, welche durch zwei Einflüsse geprägt ist: Das Landleben und die französische Kultur. Rolf Eichenberger schreibt dazu:

Zwei Einflüsse unter anderem haben das Patriziat im Alten Bern geprägt: das Landleben und die französische Kultur. Zwei widersprüchliche Dinge, möchte man meinen, und doch, die gnädigen Herren von Bern verstanden es trefflich, sie miteinander zu verbinden. (…) Kein Wunder, dass sich die gegensätzlichen Einflüsse auch auf das Essen im Alten Bern ausgewirkt haben. Man übernahm die raffinierten Techniken der französischen Küche und verband sie mit der ländlichen Bauernsitte, wenn schon, dann reichlich aufzutragen. Und man ass sehr gut so. [22]

Vom ersten Bärengraben zur Grossen Schanze

Dieser Ort, wo wir uns kulinarisch verwöhnen lassen, war, wie schon im letzten Bericht erwähnt, die Stelle des ersten Bärengrabens von Bern. 29 Jahre vor seiner Zuschüttung im Jahre 1763 beschrieb ihn Christoph Merian aus Basel:

Ferners ist zu sehen der Bärengraben, darinnen stätts etliche paar bären zum angedencken dess ursprungs der Statt Nammen unterhalten werden. Dieser graben, so bey einem Thurm, den man das Kefi nennt (…) ist durch eine Maur und bruck in 3 theil unterschieden, in deren jedem ein paar bären, ein brunnen und in der Mitte ein Tannenbaum, daran sie oft biss zu oberst hinaufsteigen, er ist sonst mit breiten steinernen platten belegt. [21]

Fast 300 Jahre nach Merian verlassen wir frisch gestärkt den Bärenplatz und nehmen die weitere Erkundung des Bahnhofareals in Angriff. Sie führt uns zurück zum Bollwerk, und um die Reithalle herum zur Neubrückstrasse, wo 1962 eine Fotografie entstand, welche 2009 der Berner Anzeiger publizierte, und einen Zug der Solothurn-Zollikofen-Bern-Bahn (SZB, heute RBS) zeigt, der damals noch auf dieser Strecke verkehrte. Seit 1965 gehören Züge im Bollwerk der Vergangenheit an, falls aber die zweite Tramachse durch die nördliche Altstadt realisiert wird, werden dereinst die Trams aus der Speichergasse kommend, wieder durch das Bollwerk zum Bahnhofplatz fahren.

Bei der Einmündung der Kleinen Westtangente, welche zum Bahnhof-Parking führt, biegt ein reizvoller Fussweg ab, der zur Parkterrasse der Grossen Schanze führt - der Troxlerrain. Er bietet schöne Ausblicke auf die Gleise des Eilgutareals, wo sich eine bunte Fahrzeugflotte präsentiert. Aber auch die Natur findet hier mit Wiesen, Gebüschen und einem kleinen Wald ihren Platz.

Sie wurde bereits erwähnt, die Grosse Schanze. Was ist damit eigentlich gemeint? Die so genannten Schanzen wurden im 17. Jahrhundert dem bereits im ersten Bericht erwähnten 4. Westabschluss der Stadt vorgelagert. Entsprechend spricht man auch von der 5. Stadtbefestigung. Der nördliche Teil wurde dabei als Grosse Schanze, der südliche als Kleine Schanze bezeichnet. Die Grosse Schanze umfasste 4 polygonale Bastionen, die Grosser Bär, Kleiner Bär, Hohliebe und Meyenburg genannt wurden sowie der Freitagsschanze. Der Bau, der 1622 begonnen wurde, dauerte 20 Jahre. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Schanzenanlagen grösstenteils wieder ausgeebnet und 1958 – 1967 erhielt die Grosse Schanze mit dem Bau der Parkterrasse ein vollkommen neues Gesicht [4]. Wer sich ein Bild machen möchte, wie die Schanzenanlagen ursprünglich ausgesehen haben, dem sei ein Besuch des Historischen Museums empfohlen, in dessen Untergeschoss ein Stadtmodell zeigt, wie Bern um 1800 ausgesehen hat.

Der alte Koordinatenursprung

Oben angekommen, mündet der Troxlerrain in die Einsteinstrasse. Gleich daneben befindet sich das Institut für exakte Wissenschaften, welches an einem für unser Land bedeutenden Punkt steht. Diese Geschichte sei hier kurz umrissen:

Auf Initiative von Johann Friedrich Trechsel, welcher später das Nivellement für die Juragewässer-Korrektion leitete, wurde 1812 auf der Hohliebe, der nördlichsten der 6 Bastionen der 5. Stadtbefestigung, ein erstes provisorisches «Observatorium» gebaut. Da die hölzerne «morsche baraque» bereits nach wenigen Jahren zusammen zu fallen drohte, wurde Trechsel von der Regierung ermächtigt, einen Neubau zu erstellen. Der Beobachtungspunkt von 1812 blieb dabei erhalten und kam in die Mitte des neu erstellten achteckigen, steinernen «Pavillons» zu liegen [37]. Seine Koordinaten wurden 1836 mit 46°57'6".02 / 5°6'10."80 bestimmt und Guillaume Henri Dufour (1787-1875) wählte sie als Nullpunkt für das schweizerische Triangulationsnetz [38].

Bald drohte der Sternwarte jedoch Ungemach, denn in den 1830er Jahren wurde damit begonnen, die 5. Stadtbefestigung allmählich abzutragen. Quasi in allerletzter Minute konnte Trechsel 1841 die Vernichtung der Sternwarte verhindern. Sie lag nun isoliert auf einem auffälligen Hügel, der in den Folgejahren neu angelegt und bepflanzt wurde. Zum anfänglich kleine Häuschen gesellten sich im Laufe der Jahre mehrere Erweiterungsbauten, so ein Turm mit Drehkuppel (1854), und ein Anbau, welches selbstregistrierende meteorologische und geophysikalische Instrumente beherbergte (1861). In den 1870er Jahren begann der Niedergang der Sternwarte, da es nach Meinung des Professors für Physik, Aimé Forster, in der Schweiz nicht an Sternwarten, sondern an einem geophysikalischen Intitut fehlte. So wurde das ganze Gebäude, samt Anbauten abgerissen und an seiner Stelle das so genannte «Tellurische Observatorium» errichtet, welches im Volksmund weiterhin, allerdings fälschlicherweise (!) «Sternwarte» genannt wurde [37]. Obwohl dieser Schritt mit dem Abtragen des «Sternwarten-Hügel» um 7 m einher ging [4], wurde peinlich darauf geachtet, den ursprünglichen Nullpunkt zu erhalten und durch eine Marmorplatte zu sichern. Allerdings fristete dieser fortan nur noch ein bescheidenes Dasein unter dem Parkettboden, auf dem eine Drehbank stand [38].

Aus dem «Tellurischen Observatorium» entwickelte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts das physikalische Institut, wobei zunehmende Raumnot einen weiteren Neubau erzwang. Erneut wurde dabei das Terrain abgetragen und erhielt schliesslich die Höhe, die wir heute noch vorfinden. Dass die Stelle des Nullpunktes erhalten werden soll, stand ausser Frage. In [38] ist die aufregende Geschichte erzählt, die schliesslich zum heute noch vorhandenen «Gedenkstein Koordinatenursprung» führte. Mit dem Abbruch des Physikalischen Instituts und dem Abtragen des Geländes war nämlich die Geschichte noch nicht zu Ende, obwohl 1961 das Albert Einstein-Ludwig Schläfli-Institut für exakte Wissenschaften das neue Gebäude beziehen konnte [5]. Bereits 1970 wurde das Bundesamt für Landestopographie informiert, dass das neue Gebäude mit einer Erweiterung versehen werden soll, welche das Ausheben eines 4 Meter tiefen Lichthofes mit sich bringe – genau dort wo der Nullpunktstein stand. Somit musste der Stein erneut versetzt werden und wanderte dabei noch einmal tiefer und lag schlussendlich 16 m tiefer als der ursprüngliche Nullpunkt in der alten Sternwarte. Diese Versetzung machte auch einen Strich durch alle Pläne, den Stein öffentlich zugänglich zu machen. Der Besucher sieht heute bloss die Koordinaten 600’000 / 200’000 gut sichtbar an der südwestlichen Wand des Gebäudes vermerkt.

Zu klären ist noch die Frage, was es mit diesen Zahlen auf sich hat: Bei der Grundbuchvermessung wurde noch bis in die 1960er Jahre mit «zivilen Koordinaten» gearbeitet, ausgehend vom Nullpunkt mit den Koordinaten 0 / 0. Um negative Zahlen und Verwechslungen von Rechts- und Hochwerten zu vermeiden, wurden aber in der Karte bereits seit 1918 nur noch «militärische Koordinaten» verwendet. Diese Koordinaten basierten auf demselben «Nullpunkt», welcher aber die Werte 600’000 / 200’000 erhielt. Der «echte» Nullpunkt läge daher 600 km westlich und 200 km südlich der ehemaligen Sternwarte, in der Nähe von Bordeaux. 1974 haben Zürcher Studenten genau ermittelt, wo sich dieser Punkt befindet und ihn vor Ort mit einem Stein markiert. Er liegt am Rande eines zum Château Canon gehörenden Weinberges bei St-Emilion [25, 38].

In der heutigen Vermessung hat dieser Nullpunkt allerdings keine praktische Bedeutung mehr. Die heute gebräuchliche neue Landesvermessung LV95 , die mit modernsten satellitengestützten Messmethoden den Bezug zu globalen Systemen sicherstellt, hat ihren Fundamentalpunkt bei der Sternwarte Zimmerwald [25]. Ihre Koordinaten sind nicht mehr sechs-, sondern siebenstellig, und erscheinen seit Oktober 2012 auch auf den Landeskarten.

Das Institut für exakte Wissenschaften wirkt relativ unauffällig und taucht kaum je in den Schlagzeilen auf. Eine Ausnahme bildete der 25. Februar 1982, als ein Hubschrauber darauf abstürzte und nur dank blitzschneller Reaktion des Piloten Todesopfer vermieden werden konnten [27].

Von ganz anderem Kaliber präsentiert sich das benachbarte, 1903 eingeweihten Hauptgebäude der Universität, der eigentliche Blickfang der Grossen Schanze. Ihm zu Füssen erstreckt sich die Mitte der Sechzigerjahre vollendete Parkterrasse, welche an schönen Tagen wie heute stets gut besucht ist. Von hier aus bietet sich ein schöner Ausblick über die Stadt bis zu den Alpen. Dominierend sind allerdings im Vordergrund die Bauten des Bahnhofs, während die Gleisanlagen und die Züge – eigentlich die Hauptsache in einem Bahnhof – unsichtbar sind. Beim Neubau, jenem gigantischen Projekt, welches vom Spatenstich 1957 bis zur Einweihung 1974 das Stadtbild vollkommen veränderte, verschwanden die Gleise vollständig unter einem Betondeckel, obwohl dies ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Aber in den 17 Jahren, welche für diesen Umbau nötig waren, wurden die Pläne so oft geändert, dass das, was dann herauskam, mit jenem, was ursprünglich geplant war, gar nicht mehr so viel gemein hatte!

Alte und neue Bauten im Wandel

Ebenfalls zu sehen, wenn auch ein wenig von den modernen Bauten verdeckt, sind die einzigen verbliebenen historischen Bauwerke des Bahnhofareals, das Burgerspital und die zugehörige Kapelle, die «Burgerchrutze», wie sie vor 100 Jahren von den Zöglingen des Knabenweisenhauses genannt wurde [4]. Seit 1742 stehen sie an ihrem Platz. Das ist nicht selbstverständlich, stand doch ihr Abbruch in Zusammenhang mit Bahnhof-Erweiterungsprojekten wiederholt zur Diskussion. Erst 1935 verzichteten die SBB endgültig darauf und seitdem wurde das Burgerspital mehrmals umgebaut, auch wenn von aussen nicht viel davon zu sehen ist [2]. Ein weiterer Umbau begann diesen Herbst, dabei soll 2015 im Ostflügel auch ein Restaurant eröffnet werden, womit dieses Gebäude erstmals zu einem Teil öffentlich würde. «Das Burgerspital soll für die Bernerinnen und Berner nicht länger eine ‹Black Box› bleiben», schrieb der «Bund» diesen Frühling [30]. Tatsächlich gab es, bevor die Bauarbeiten starteten, Gelegenheit, einen Blick hinter die Fassaden zu werfen, nämlich am 7. und 8. September, im Rahmen des «Spittelfestes», mit dem sich die Burgergemeinde vom Burgerspital in seiner bisherigen Form verabschiedet hat. Statt als reines Alters- und Pflegeheim sieht das Konzept ein Kompetenzzentrum für Alters- und Generationenfragen vor [2]. Man darf gespannt sein.

Kann sich das Burgerspital also bereits eines langen Lebens erfreuen, so ist jenes der Schanzenpost diesen Frühling zu Ende gegangen. 1965 in Betrieb genommen, zeigte dieses Gebäude «den Massstab, der hier fortan das Stadtbild prägen sollte», wie sich der Autor Werner Huber ausdrückte [2]. Kämpfte die Post zuvor am Bollwerk, ihrem alten Standort, permanent mit Platzproblemen, so erhielt sie mit der Schanzenpost geradezu riesige Räumlichkeiten und zudem das modernste Paketamt der Schweiz. Lifte verbanden den Bau mit den Perrons und den darunter verlaufenden Tunnels, die auch den schmalspurigen Bahnhof der SZB/VBW (heute RBS) mit einschlossen. Denn bis 1993 verkehrten auf der Strecke Bern – Solothurn noch Postwagen der PTT! [36]

Der Bau wurde allerdings auch kritisiert: Als «Lagerhaus von gigantischer Hässlichkeit» beschrieb ihn der Berner Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti. Dass dies beim neuen Post-Parc nicht mehr zutreffen solle, versprach Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät beim Spatenstich am 8. November 2011. Bis 2015 soll links und rechts der Schanzenstrasse ein eigentliches Post-Quartier entstehen mit zahlreichen Neubauten, die länger und schlanker als die bisherigen sein werden [32].

Doch jetzt lässt sich erst mal die ungewohnte Weite geniessen. Wo zuvor die Schanzenpost den Horizont einengte, scheint der Gurten nun zum Greifen nah, wie auch der «Bund» dieser Tage mit einem schönen Bild dokumentierte [31].

Wir verlassen nun die Grosse Schanze und erreichen nach wenigen Minuten über die Schanzenstrasse den Verkehrsknotenpunkt am Hirschengraben. Dabei passieren wir die so genannte «Welle von Bern», den westlichen Zugang zu den Perrons. Damit erhielt der Bahnhof 2004 an dieser Stelle ein ganz neues und sehr gefälliges Gesicht. Einen Zugang zu den Gleisen hat es bei der Schanzenstrasse aber schon vorher gegeben. Dieser wurde lange Zeit als «Abonnentenzugang» bezeichnet, da er nur von denjenigen benutzt wurde, die über ein Abonnement verfügten. Der Weg aller anderen Passagiere führte zwangsläufig durch die Schalterhalle im Untergrund.

Am Hirschengraben angekommen, begebe ich mich vor das Gebäude, welches das «Starbuck's Coffee» beherbergt, um eine Gegenüberstellung zu einer sehr reizvollen Aufnahme aus den 1870-er Jahren zu fotografieren, die dort, wo heute der Verkehr durchbraust, noch das Murtentor zeigt, den westlichen Eingang in die Stadt Bern. Der genaue Aufnahmestandort ist nicht mehr erreichbar, denn dort steht besagtes Gebäude mit dem «Starbuck's Coffee». Über dessen Geschichte lohnt es sich im Übrigen, einige Worte zu verlieren:

Es handelt sich um das ehemalige «Café Rudolf», welches 1980/81 in die Schlagzeilen geriet, als die US-Kette Wendy dessen Übernahme ankündete. Der Widerstand der Bevölkerung gipfelte in der Lancierung der Initiative zum Schutz alter Gaststätten (der so genannten «Ruedi-Initiative») am 11. März 1981 [26], die allerdings vom Regierungsrat für ungültig erklärt wurde [24]. Am 21. Juli 1981 wurde der Umbau in ein Hamburgerlokal bewilligt [26] und und bereits am 18. Dezember desselben Jahres eröffnete das «Wendy», um tags darauf von einer Gruppe junger Leute verwüstet zu werden... [26]

Auch der Bau des Bubenberg-Zentrums auf der anderen Strassenseite ging nicht ohne Misstöne vonstatten. Um ihn zu ermöglichen, musste 1961 das schmucke Francke-Haus abgebrochen werden, was im «Bund» am 30. April 1961 unter dem Titel «Abgesang» wie folgt kommentiert wurde:

Wenn ein altes Haus der Bücher versinkt, so ist das etwas anderes als wenn es mit irgend einem Geschäft geschieht. Im Buchladen haben wir die ersten Schritte auf dem Bildungsweg getan. Entscheidungen sind gefallen, ob man den Geist oder das praktische Werk der Hände für die Zukunft wähle. [24]

Bald hat sich unser Kreis geschlossen. Hinter dem Bubenbergplatz erblicken wir bereits den Baldachin, wo wir heute Morgen, aus dem Untergrund kommend, unsere Bahnhofs-Rundtour begonnen haben. Der Bubenbergplatz trägt erst seit 1898 diesen Namen, nachdem ein Jahr zuvor das Denkmal des Adrian von Bubenberg (1431 – 1479) dort eingeweiht wurde. Zuvor hiess der Platz eine Weile Christoffelplatz, und vor 1858 «Zwischen den Toren». Es muss ein malerischer Ort gewesen sein, wie u.a. eine Aufnahme von 1868 bezeugt, welche den in diesem Jahr in Betrieb genommenen Springbrunnen zeigt. Insbesondere nach der Eröffnung des Bahnhofs stellte dieser Platz einen eigentlichen Empfangsraum für ankommende Reisende dar [1]. Leider ist davon nicht mehr viel übrig geblieben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, vor allem nach dem Versetzen des Bubenberg-Denkmals an den Hirschengraben 1930, wurde der Bubenbergplatz immer mehr zur reinen Verkehrsanlage, wo sich nicht nur der Individualverkehr durchzwängt, sondern auch die meisten Tram- und Buslinien.

Zu lebenden und granitenen Bären

Damit ist unser Rundgang eigentlich zu Ende. Noch fehlt aber ein Detail. Die bis 1881 das Murtentor bewachenden Bären aus Granit befinden sich heute am Eingang zum Areal des Historischen Museums und wollen natürlich auch noch besucht werden. Da der Nachmittag aber noch lang und wir nicht in Eile sind, statten wir auch den «echten» Bären im BärenPark wieder mal einen Besuch ab. Seit 2009 können sich hier die Bären Björk und Finn und ihr Nachwuchs Ursina und Berna in einer einzigartigen Umgebung, der Altstadt gegenüber am Hang über der Aare, frei bewegen. Nächstes Jahr werden es genau 500 Jahre her sein, seit in Bern Bären gehalten werden, aber erst jetzt geschieht dies auch in einer artgerechten Umgebung. Der Komponist und Musiker Peter Reber schreibt dazu:

Keine Frage, die schöne Stadt Bern ist wegen des BärenParks noch attraktiver geworden. Glücklicherweise auch für die Bären. Wer möchte, anstatt in einem öden Graben zu vegetieren, nicht lieber in einem Park verweilen? [23]

Oberhalb des BärenParks befindet sich das Alte Tramdepot. Es erinnert an die Zeit, als die Trams noch von hier aus über die Nydeggbrücke und durch die ganze Altstadt hinauf fuhren. Dies war ab dem 1. Oktober 1890 der Fall. Die 10 Fahrzeuge, welche eingesetzt wurden, nannte man «Automobile», der Volksmund bezeichnete sie hingegen als «Lufttrams», da sie mit Druckluft betrieben wurden, welche in 12, unter den Sitzbänken angebrachten Druckluftbehältern gespeichert war [3]. Heute wird die untere Altstadt längst mit Bussen versorgt, und das Alte Tramdepot ist zum Restaurant geworden. Zu einem besonderen allerdings, da es eine eigene Bierbrauerei beinhaltet. Dieses hausgemachte Bier erfreut sich grosser Beliebtheit, weshalb das Alte Tramdepot immer voll ist. Das ist auch heute nicht anders, aber wir finden im Garten noch ein freies Plätzchen und gönnen uns eine verdiente Erfrischung.

Für das letzte Stück steigen wir auf der Treppe längs des BärenParks zur Aare hinunter, folgen ihr ein Stück, um dann schliesslich gemächlich zum Helvetiaplatz hinaufzusteigen, wo sich die bereits erwähnten granitenen Bären befinden. Sie wurden dem Obervintschgauer Franz Abart in Auftrag gegeben und 1828 rechts und links des Murtentors aufgestellt, nachdem zurvor bereits Gipsmodelle dort standen. Nach dem Abbruch des Murtentors 1881 kamen sie vorübergehend zum Aarbergertor (habe bisher keine Aufnahme gefunden, die dies zeigt), von wo sie 1894 an ihren heutigen Standort am Helvetiaplatz gebracht wurden, wo sie seitdem den Eingang zum Historischen Museum flankieren. [4]

So endet dieser abwechslungsreiche und lehrreiche Rundgang durch einen Teil der Stadt Bern, der einst die grösste Baustelle war, die Bern je gesehen hat, und der tagtäglich von Tausenden Menschen frequentiert wird. Dennoch konnten wir in Ruhe und völlig ohne Stress einen ganzen Tag dort verbringen und jede Menge neues lernen und entdecken.

Hinweis: Überarbeitung und Ergänzung des Teils über den Koordinatenursprung nach der Jubiläumsveranstaltung «200 Jahre Fundamentalpunkt Bern» vom 20. Oktober 2012.


Literaturverzeichnis und Quellennachweis

Die Verweise 1 – 20 finden sich im ersten Bericht aufgelistet.

[21] Bern: Führer durch die Altstadt, Bern 1975
[22] Rolf Eichenberger: «Berner Stadtführer mit Rundgang und Stadtplan», Bern 1972
[23] Prof. Dr. Bernd Schildger / Sacha Geiser: «Urs & Berna – Die BärenPark-Babys», Olten 2010
[24] Mario Marti: «Bern einst und heute», Olten 2005
[25] Martin Gurtner: «Karten lesen», SAC 2010
[26] Der Bund: Das Jahr 1981 in Wort und Bild, Bern 1982
[27] Der Bund: Das Jahr 1982 in Wort und Bild, Bern 1983
[28] Der Bund: Das Jahr 1983 in Wort und Bild, Bern 1984
[29] Der Bund: Das Jahr 1984 in Wort und Bild, Bern 1985
[30] Der Bund (Unabhängige liberale Tageszeitung), Ausgabe 28.03.2012
[31] Der Bund (Unabhängige liberale Tageszeitung), Ausgabe 19.06.2012
[32] Berner Zeitung BZ, Ausgabe 09.11.2011
[33] Anzeiger rund um Bern, Ausgabe 28.10.2009
[34] Berner Bär, Ausgabe 25.10.2005
[35] Blick am Abend, Ausgabe 05.04.2012
[36] Prellbock (Das Schweizer Eisenbahn-Magazin), Ausgabe 04/2009
[37] Cartografica Helvetica, Ausgabe 01/2004 (http://retro.seals.ch/openurl?rft.issn=1015-8480&rft.issue=29&rft.date=2004&lPage=35)
[38] Vermessung, Photogrammetrie, Kulturtechnik, Ausgabe 10/1986 (http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=geo-006:1986:84::1471&id=hitlist)

Tourengänger: ABoehlen, Stini
Communities: Citytrip


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Kommentare (6)


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Henrik hat gesagt: ..und wieder hast du
Gesendet am 4. Juli 2012 um 21:05
da eine sehr genau Schilderung der Umgebung Bahnhof zusammengestellt....Präzision like a Swiss-Watch oder als würde einer mit dem Theodolithen durch die Städtlandschaft spazieren..BRAVO

LG

Henrik

ABoehlen hat gesagt: RE:..und wieder hast du
Gesendet am 5. Juli 2012 um 17:12
Besten Dank für die lobenden Worte! Tatsächlich bin ich mit einem Theodoliten nie durch Städte marschiert, wohl aber mit Messlatten, als ich noch als Gehilfe bei Messkampagnen des Bereiches Geodäsie an der swisstopo einspringen konnte. So durfte ich vor allem die Ostschweiz und Teile Graubündens kennen lernen.

Viele Grüsse nach Basel
Adrian

bidi35 hat gesagt: ganz toll dokumentiert Adrian...
Gesendet am 5. Juli 2012 um 12:36
...gratuliere zum Resultat dieser recht aufwe(ä!)ndigen Arbeit.

Weckt natürlich Erinnerungen...im Café Rudolf bin ich oft gesessen. Ich habe den Wandel in dieser Umgebung seit 1953 hautnah erlebt.

Ich werde noch diesen Monat Bekannte in dieser Gegend herumführen...nun weiss ich was sagen, und vor allem, dank deinen beiden Berichten bekommen sie einen Vorgeschmack im Internet.

danke Adrian
Liebi Grüess
Heinz

ABoehlen hat gesagt: RE: ganz toll dokumentiert Adrian...
Gesendet am 5. Juli 2012 um 17:09
Bitte sehr, gerne geschehen! Bei mir ist das meiste natürlich eher "theoretischer Natur", da ich ja die mannigfaltigen Veränderungen selber gar nicht erlebt habe. Wenn Du Deinen Bekannten die Gegend erklären wirst, kannst Du im Gegensatz zu mir, Deine persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse mit einflechten, was das ganze noch viel interessanter machen wird. Ich wünsche Dir viel Freude dabei!

Beste Grüsse
Adrian

CarpeDiem hat gesagt: Eine...
Gesendet am 6. Juli 2012 um 09:28
...Wahnsinnsarbeit steckt hinter diesem Bericht! Dank heigisch

lg, Anne-Catherine

marvel hat gesagt: Super Fortsetzung!
Gesendet am 22. Juli 2012 um 22:46
Habe Deinen Folgebericht aufgrund Ferienabwesenheit erst jetzt gesehen. Wieder ein toller Bericht mit unglaublich viel Hintergrundinformationen! Auch wenn es vielleicht nicht ganz dem ursprünglichen Ziel von hikr entspricht, fände ich mehr Berichte dieser Art sehr interessant.


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