Vom Aff bisse u anderi ufbundnigi Bäre...


Publiziert von lorenzo , 25. September 2020 um 21:11.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Emmental
Tour Datum: 4 September 2020
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 6:45
Aufstieg: 1510 m
Abstieg: 1510 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Bumbach, Skilift oder mit dem Auto
Zufahrt zum Ankunftspunkt:dito
Kartennummer:LK 1188 Eggiwil, 1208 Beatenberg; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981

Als ich zur Vorbereitung der Morgeterunde an der Aare im Führer blätterte, fiel mir auf der zweitletzten Seite ein Foto des Hohgants von Norden mit einer elegant geschwungenen Route zum Aff auf. In der Beschreibung wird die Schwierigkeit mit WS angegeben, und der Zustieg schien klar zu sein. Aber bereits die Rechtsquerung "in den mit Gras durchsetzten Felsbändern am Fusse der Felswand" liess Ungutes ahnen, und erst recht der Wortlaut zur Abschlusswand: "Man wählt daher die Rippe neben der ausgefressenen Wasserrunse, um in schwieriger und mühsamer Kletterei (wenig Griffe) nach ca. 30m zu einer Felsnische zu gelangen. Durch Hinaufstemmen wird schliesslich die letzte Wandpartie überwunden und der Grat etwas östlich vom Aff erreicht." Schwierig, mühsam und wenige Griffe, aber insgesamt nur wenig schwierig? Das passte wohl nur zusammen, wenn man angefressen war und bereits einiges ausgefressen hatte...Trotzdem merkte ich mir die Route vor, um sie bei späterer Gelegenheit einmal zu versuchen.

Schon drei Tage später war es so weit, nachdem ich morgens um drei Uhr wegen der langen Zugfahrt vom Chablais, wo eine andere Tour vorgesehen war, ins Emmental umdisponiert hatte. Für den Zug war es jetzt zu spät, und so fuhr ich über Eggiwil nach Bumbach und stieg zur Alp Grossensteinen auf. Als ich mich mit neunzig Grad Abweichung vom Bergweg der Chessilochegg zuwandte, rief mir die Bäuerin mahnend zu, dass der Weg "äne düre" führe. Ich aber antwortete, dass ich zum Aff wolle, "wenigschtens probiere"... Also liess sie mich ziehen, und ich kämpfte mich durch 
z.T. hohes und steiles Gras, abschüssigen Waldboden und treppenartige Bachrinnen (die auf der Karte sogar eingezeichnet sind) zur vorspringenden Kanzel 1788 hinauf. Auf den grasdurchsetzten Felsbändern des Wandvorbaus, noch weit vor der "vorspringenden Felskante", weigerten sich dann meine Beine instinktiv schon bald, noch weitere Schritte zu tun, so abschüssig ging es rechterhand "z'Loch ab", fast so "strub" wie bei den Zustiegen zu den Wendenstöcken. Ich ging zurück und querte unter dem Wandvorbau nach rechts bis unter den tiefen Einschnitt mit der Wasserrunse. Die Zustiegsfelsen links davon sahen noch einigermassen machbar aus, aber die besagte Rippe über die Schlusswand schien aus glatten, senkrechten bis überhängenden Kalkplatten zu bestehen, in denen für mich an ein ungesichertes Klettern nicht zu denken war. Obwohl ich aufgrund der widersprüchlichen Angaben im Führer mit einer solchen Überraschung gerechnet hatte, war ich natürlich etwas enttäuscht. Umso mehr überzeugte das atemberaubende Ambiente und riss mich aus meinen abgründigen Grübeleien wieder heraus. Schliesslich hatte ich ja noch einen vielversprechenden Plan B im Sack, und trotz bereits fortgeschrittener Stunde machte ich mich frohgemut an dessen Umsetzung.

Wilde Himbeeren naschend stieg ich über die Chessilochegg ab zurück zur Abflachung bei P. 1440 und über Weide nach Westen hinunter nach Glunti (1276m). Nach kurzem Kräftesammeln erreichte ich auf dem Bergweg die Wimmisalp (1431m) und über eine direkte Zustiegsvariante die Nordostflanke mit dem Gemsjägerpfad, der mich - zum Glück trotz nahendem Mittag immer noch im Schatten, als ob ich zu früher Morgenstunde unterwegs wäre - zum Widerfeld führte. Eine kurze Pause und schon balancierte ich über den federleichten Wysschrützgrat zum Sattel vor dem Aff, wo ich es nicht lassen konnte, den vermaledeiten Nordzustieg auch noch von oben zu beäugen. Was ich von unten vermutet hatte, bestätigte sich mir nun von oben: glatter und augenscheinlich griffarmer Kalk, der unten zwar nicht senkrecht, doch etwa 60 Grad steil ist, über der Nische aber senkrecht bis überhängend, und insgesamt mindestens V. Schwierigkeitsgrad. Erleichtert, dass auch beim besten Willen nichts zu machen gewesen wäre, hüpfte ich über den Aff und die Steinigi Matte zum Hohgant, von einem Bären zum Nächsten, die zwei entgegenkommende Wanderer freundlicherweise am Leben gelassen hatten, und zuletzt hinüber zum Furggegütsch. Hier genoss ich wie jedes Mal die befreiende Weite und die prächtige Aussicht auf die Berner und Innerschweizer Alpen und Voralpen und das Mittelland, bevor ich noch die letzte Knacknuss unter die Füsse nahm.

Aufmerksam kletterte ich in griffigem Kalk über den wunderbar "luteren" Luterschwändigrat ab und kehrte über die Luterschwändiegg, wo ich auf dem z.T. noch nassen Pfad fast noch mehr aufpassen musste, um nicht auszurutschen, nach Grossenstein zurück. Es war etwa viertel nach vier, und der Senn schichtete neben der Hütte mit der Gabel gerade den Miststock. "Es isch nüt gsi mit em Aff" rief ich. "Das hätt i Dir vo Afang a chönne säge", aber ich sei halt schon weg gewesen, als er von seiner Mutter erfahren habe, dass ich dort hinauf wolle. "Du hätt'sch es Seil für d'Säubschtsicherig söu derbi ha." Er habe mir mit dem Spiegel zugeschaut, wie ich unter dem Vorbau nach rechts gequert sei, ich hätte aber weiter oben auf dessen Bändern queren müssen (dort, wo ich umkehrte). Wenn ich bis um halb fünf nicht wieder aufgetaucht wäre, hätte er die Rega alarmiert. "Dert isch no niemer ufe" fuhr er fort, bzw. nur er mit einem Kollegen. Sie hätten ein Seil und einige Haken gebraucht, die sie stecken liessen. Er sei selber Bergführer beim Führerverein Haslital, und sie hätten im Auftrag des Militärs auch schon versucht, für Gebirgsgrenadiere einen Aufstieg durch den Einschnitt direkt über der Kanzel 1788 einzurichten, aber wegen brüchigem Fels 10m unter dem Ausstieg aufgeben müssen, von ihrem Versuch hingen oben noch immer einige Drahtseile. "Wi schwär isch's de zum Aff gsi, e Füfer?" fragte ich ihn. "E knappe Sächser!" antwortete er. "Auso doch" nickte ich bestätigend, "das wär mer wahrschinlech o mit Säubschtsicherig z'schwär gsi!" Er musste weiterarbeiten, wir verabschiedeten uns und ich stieg, froh um die Informationen aus erster Hand und langsam doch etwas müde, nach Bumbach hinunter, wo ich mir vor der Rückfahrt noch ein erfrischendes und wiedererweckendes Bad im kühlen Bütschlibach genehmigte.

Aufstieg Gemsjägerpfad-Widerfeld

Von der Skilift Talstation (ca. 915m) auf dem weiss-rot markierten Bergweg (wr) über Senggenmattschwand (1093m) und Farnerli (1227m) nach Grossensteinen (1282m) und weiter über Gmeinenwängen (1318m) und P. 1276 zur Weggabelung 1431 bei der Wimmisalp. Nach SW auf Weide zu einer Geröllrinne, durch diese hoch und Querung unter den Felsen nach SW zur NW-Flanke. Über diese auf steilem Gras hinauf und zuletzt links haltend unter eine markante Felsrinne, die gut gestuft zum Gipfeltrichter führt (I). Durch diesen und die anschliessende W-Rinne auf steilem Gras und Schrofen auf das Widerfeld 2069m), 2h 30min, T5.

Überschreitung Wysschrüzgrat-Aff-Bären-Furggegütsch
Vom Widerfeld (2069m) auf Pfadspuren und dem eingezeichneten Weg dem Wysschrüzgrat entlang zum Sattel 1964 und hinauf unter den Aff (2036m), der über den WNW-Grat (2m-Stufe, I) bestiegen wird. Abstieg nach E auf Schrofen und Wiederanstieg auf dem eingezeichneten Weg über die Steinigi Matte zum Hohgant (2164m). Ca. vom Wegweiser nach NE über eine Felsstufe (I) in einen Sattel und z.T. auf Pfadspuren über die drei Bären (2161m), wobei vom letzten durch einen Kamin (II) Richtung Sattel 2118 abgeklettert werden kann. Weiter auf dem eingezeichneten Weg zum SW-Gipfel (2188m) und wr zum Furggegütsch (2197m), 1h 30min-1h 45min, T4.

Abstieg NE- oder Luterschwändigrat und -egg
Vom Furggegütsch (2197m) Abklettern über das obere Drittel des felsigen NE-Grats  zu einem grösseren Gendarmen, der rechts umgangen werden kann. Weiter über das mittlere Drittel zu einem Band, das nach links zu einer Felsspalte führt, die zu einem kleineren Gendarmen überschritten wird, den man überklettert. Zuletzt über das untere Drittel bis dieses in Gras übergeht, L oder T5 (Stellen I-II). Nach NNW auf der Kante zum weiss-blau markierten Bergweg und diesem folgend über Furgge und die Luterschwändiegg (bei Nässe glitschig) zur Einmündung 1398, wr zurück nach Grossensteinen (1282m) und auf der Zustiegsroute zurück, 2h 15min.-2h 30min, T3.

Verhältnisse: sonnig und mild, Gras und Wege schattseitig z.T. feucht, sonst trocken.

Material: Leichthelm und -pickel sowie 20m 7,5mm Reepschnur (nicht gebraucht) zusätzlich zu üblicher Alpinwanderausrüstung.

Fahrplan: 7.30 Start, 8.15 Grossensteinen, 11 Uhr P. 1277 nach 2h 45min Reko N-Anstieg Aff von unten, 12.45 Widderfeld, 13.45 Aff nach 15min Reko N-Anstieg von oben, 14.45 Furggegütsch, 17.15 retour.

Epikrise: in der Neuauflage des Clubführers Berner Voralpen von 1997 fand ich nachträglich statt einer berichtigten Routenbeschreibung bloss eine "verschlimmbesserte", indem die Rippe fälschlicherweise rechts statt links der Wasserrinne angegeben und die "schwierige und mühsame Kletterei" mit II bewertet wird. Und wie zum Hohn wird der Aufstieg "geübten Berggängern als einsames Erlebnis" empfohlen...Entweder suchte ich am falschen Ort, oder haben die beiden Autoren die Route gar nicht begangen oder recherchiert und ihrer Fantasie freien Lauf gelassen, oder dann ist - frei nach Prediger Salomo - alles relativ: die Übung, die Schwierigkeit und die Mühsal - oder fast alles: denn wirkliche Einsamkeit findet man dort oben tatsächlich - trotz vorhandener militärischer Einrichtungen und gelegentlichem Jägerbesuch...

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (8)


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BaumannEdu hat gesagt:
Gesendet am 26. September 2020 um 11:08
Phantastisches Abenteuer meisterhaft erzählt! Bravo!
Schön inszenierte Berge, Blumen und kuschelige Tiere.

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 26. September 2020 um 19:21
Danke Edu! Der ideale Ort, um das Fürchten zu lernen...zur Erholung dafür eine traumhafte Wanderung, was will man mehr?

Aendu hat gesagt: Merci für den Bericht...
Gesendet am 26. September 2020 um 18:37
...jetzt kann ich diesen Zustieg auch streichen. Sieht gar nicht "gäbig" aus. Schon ein interessantes "WS"!

Merci u Gruss

Aendu

lorenzo hat gesagt: RE:Merci für den Bericht...
Gesendet am 26. September 2020 um 19:32
Hallo Ändu

Nein, "gäbig" sieht anders aus, besser "obe düre", das kennst Du ja, dort ist es immer wieder schön.

Beste Grüsse

lorenzo

Alpin_Rise hat gesagt: WS bedeutet hier...
Gesendet am 28. September 2020 um 11:36
... "wenig schöngefärbt"?

Vergnüglich zu lesen und mitzusteigen in deinem Rätsel. Dieses liess anlässlich einer Überschreitung vor zehn Jahren bereits andere ratlose Blicke hiunterwerfen.
Noch mehr freut, vom geglückten Ausstieg über eine interessante Variante und der späteren Rätsellösung aus erster Hand zu erfahren!

G, Rise

lorenzo hat gesagt: RE:WS bedeutet hier...
Gesendet am 28. September 2020 um 21:59
Hallo Rise

Danke für die Rückmeldung und den Hinweis! WS könnte ja auch "warum schwierig?", "wohlige Süsse", "what simplicity" oder villeicht sogar "waiting sucker!" bedeuten -der Euphemismen und Oxymora wären Bände.

Die Lösung ist ja oft einfach, man muss sie nur finden, oder an die richtigen Leute geraten, was aber nicht selten das Schwierigste ist, ausser der Zufall hilft...

Grüssle

lorenzo

123kraxln hat gesagt:
Gesendet am 3. Oktober 2020 um 15:55
Hallo Lorenzo
Kann mich den Kommentaren nur anschliessen, und habe deinen Bericht mit einigem Schmunzeln gelesen.
Weiterhin schöne Touren
schöne Grüße aus Bayern
Stefan

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 3. Oktober 2020 um 21:05
Hallo Stefan

es freut mich, dass Du mein Kauderwelsch verstanden hast!
Ich verstehe auf Bayrisch nicht viel mehr als "reiss di zamm", "geht scho" und "passt scho"...

Dir auch gute Touren und beste Grüsse

lorenzo


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