Gross Gstellihorn - Ein Traumtag am höchsten Gipfel der Engelhörner


Publiziert von Alpin_Rise , 16. Oktober 2018 um 11:56. Text und Fotos von den Tourengängern

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum:13 Oktober 2018
Wandern Schwierigkeit: T6- - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Aufstieg: 2170 m
Abstieg: 2170 m

Das Grosse Gstellihorn geniesst eine Sonderstellung in den Engelhörnern. Als höchster Gipfel der Gruppe liegt es abseits des zentralen "Hufeisen" mit seinen illustren Kletterzinnen wie Rosenlauistock, Simelistock, Kingspitz, Tannenspitze, Froschkopf und wie sie alle heissen. Ein verblüffender Gesteinswechsel am Gipfelgrat unterstreicht den eigenartigen Charakter des Berges: Die Gipfelfelsen sind nicht dem typisch-plattigen Engelhorn-Kalk aufgebaut, sondern bestehten wie die nachfolgenden Hochalpengipfel aus Gneis.   Und nicht zuletzt ist das Gstellihorn als südlicher Abschluss  - neben dem ganz im Norden gelegnen "Signal" - vermutlich der einzige Engelhorn-Gipfel, der in einer anspruchsvollen Alpinwanderung erstiegen werden kann.

Alpinwanderung? Eine Einstufung der langen Tour aus dem Urbachtal fiel uns nicht ganz leicht. Je nach persönlicher Prägung und den aktuellen Verhältnissen empfindet man die Tour wohl eher als leichte Hochtour denn als gehobene Alpinwanderung. Wie dem auch sei: Mit der nötigen Ausdauer und Freude am wild-einsamen, weglosen Gelände gehört die Tour (zumindest für uns) zu den Highlights im Berner Oberland. Wie das spärlich benutzte Gipfelbuch beweist, ist die Mehrheit der Berggänger anderer Meinung. Wenn überhaupt wird der Gipfel als Abschluss oder Auftakt einer Überschreitung der Südgruppe bestiegen. Oder dann über den vogelwilden Westwandpfeiler.

Die Normalroute über Äugstgumm und die NW-Flanke besticht durch eine abwechslungsreiche Linienführung, die stets den einfachsten Passagen folgt und so die Schwachstellen des Berges geschickt ausnutzt. Zur Tourenvorbereitung war der Bericht von Lorenzo sehr nützlich, wobei wir von wesentlich freundlicheren Verhältnissen profitieren durften. Als Ergänzung hier eine unsere Routenbeschreibung.


Lang, steil und wild: Auf den höchsten Gs(t)ell der Engelhörner

Dank einer SBB-Baustelle, der wir im Vorfeld zu wenig Beachtung schenkten und dem optimistischen Zeitplan starteten wir erst kurz vor 9 Uhr im Mürvorsess. Auf dem länglichen, aber landschaftlich reizvollen Dossenhüttenweg (Brücke Wyssenbach bereits demontiert, Querung problemlos) zur Alp Enzen. Von dort auf bequem begehbarem Pfad kurz etwas absteigend nordwärts, über den Bach und auf guter Pfadspur aufwärts. Auf 1860 m auf gutem Pfad nach rechts praktisch horizontal in die Moorlandschaft des Loicherli, wo sich an mehreren Stellen die Trümmer kleiner Alphütten finden. Das Band auf ca. 2000 m, das den Zugang in die Äugstchumm erlaubt, kann regelmässig ansteigend an seinem südlichen Ende oder über einen Durchschlupf oberhalb P. 1893 gewonnen werden. Auf dem Band über stellenweise glattgewaschene Felsen problemlos (Bohrhaken für Fixseil (?) vorhanden, bei Nässe potentiell heikel) auf die Gummegg P. 2015, wo der Blick in die reizvolle Äugstgumm frei wird. Diese Terrasse in den Südabstürzen der Engelhorn-Südgruppe ist allein ein reizvolles Ziel; leichte Alpinwanderung praktisch durchgehend auf klaren Pfaden, T3, einzelne Stellen T4.
Am besten nicht in den Kessel, sondern auf der Gummegg noch etwas ansteigen, dann führen Bänder ohne Höhenverlust zu den Gneisblöcken im Kessel. Auf Schafspuren weiter bis zum Schuttkegel unter den "Leiteren", wo der anspruchsvolle Teil beginnt.

Die "Leiteren" sind ein System von Bändern, das (nach einem horizontalen Einstieg nach rechts) leicht links haltend im II. Schwierigkeitsgrad die erste Felsstufe überwindet. Danach hoch an den Fuss der markanten Felswand, auf einem Band oberhalb eines Felsbogens etwas absteigend rechts (nordwärts) zu einer Grasrippe queren (T4-T5). Die Rippe hinauf, dann wendet man sich nach links (Süden) in einen eindrücklichen Kessel mit riesigen ausgewaschenen Platten. An ihrem linken (südlichen) Ende ersteigt man abwechselnd Felssstufen und Schrofenterrassen (T5, I-II) bis zur Geröllterrasse auf ca. 2600 m.
Um den Gipfelgrat zu erreichen, bieten sich drei Möglichkeiten:
1a) einen 30 m hohen Kamin linkerhand oder
1b) über Bänder und Rippen südlich (links) vom Kamin
hoch auf die markante Ostrippe und über diese in schiefrigem Gelände  (T5, I) zum Gipfelgrat. Wir wählen die Variante durch den Kamin, da auf den Bändern noch etwas Restschnee liegt. Brüchig und schuttig, aber gangbar (T5, II).
oder
2) Von der Geröllterasse über eine ausgewaschene (in unserem Fall dreckig-feuchte) Steilstufe und ein Band zum Gipfelgrat hoch.

Wo die Ostrippe auf den Gipfelgrat stösst, ist der Gesteinswechsel vom Kalk zum Gneis erreicht. Auf dem Gneisgrätchen oder etwas südseits auf Bändern in wenigen Minuten schöner Kraxelei (T5, I) zum Gipfel.

Die Gipfelsicht an diesem klaren Herbssttag ist wie erwartet berauschend, insbesondere der Tiefblick auf die Abbrüche im Rosenlauigletscher und der Einblick in die jähe Urbachseite der Engelhorn-Südgruppe.

Der Abstieg erfolgte auf der Aufstiegsroute, der einzige Minuspunkt dieser Tour. Bis in die Äugstchumm war nochmals Konzentration gefragt, der weitere Abstieg verwöhnte mit satten Herbstfarben, Abendlicht und der einen oder anderen Heidelbeere. Mit den letzten Sonnenstrahlen am Urbachsengelhorn verabschiedeten wir uns etwas nach 18 Uhr wieder aus dem Urbachtal - schön wars!

Schwierigkeit:
Wie einleitend bemerkt, ist die Tour entweder als Alpinwanderung im Bereich T5/T6 mit Kletterstellen II bzw. als wenig schwierige Hochtour einzustufen. In den Felsplatten der Leiteren wie auch im Gipfelbereich könnte wohl gesichert werden, was aber aufwändig und für routinierte Berggänger bei trockenen Verhältnissen nicht nötig sein sollte.
Die Herausforderung und der Reiz der Tour besteht im Mix zwischen Tourenlänge, Routenfindung (gute Sicht zwingend!) und im abwechslungsreichen Gelände.


Zeitbedarf / Varianten / Logistik
Die Netto-Höhendifferenz beträgt 1975 hm, die kleinen Gegensteigungen bis in die Äugstgumm summieren sich auf rund 100 m. Mit einer Wegstrecke von ca. 20 km (retour) eine längere Tour: Wir benötigten inkl. Pausen 5 Stunden für den Aufstieg und 4 Std. hinunter. Optionen zur Verkürzung: 
a) Ein Biwak in der Äugstgumm (Schafweide, Schmelzwasser aus Restschnee, Quellen im Loicherli). Die ehemaligen Alphütten sind zerfallen.
b) Zustieg ab Dossenhütte - Hüttenweg bis ca. 2300 m - Äugstgumm
c) Ähnlich lang wie aus dem Urbachtal dürfte der Zustieg vom Rosenlaui über den Urbachsattel sein, wobei hier mit Vorteil das "obere" Band in die Äugstgumm angepeilt wird. Im Engelhornführer wird dieses als "heikel" betitelt, weiss jemand genaueres? Allerdings muss in der Augstgumm zwingend auf 2150 m zum Einstieg in die Leiteren  abgestiegen werden.
Die eleganteste Variante ist sicherlich die Überschreitung Rosenlaui - Urbachsattel - Oberes Band - Gstellihorn - Unteres Band - Urbachtal. Wobei dann eine gesicherte Rückfahrgelegenheit abends aus dem Urbachtal angenehm ist.

Besten Dank für die spontane Einladung ins Urbachtal und die Begleitung an diesen nicht ganz alltäglichen Gipfel!

Tourengänger: Alpin_Rise, Zaza, lobras


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Kommentare (1)


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amphibol hat gesagt: sehr cool!
Gesendet am 18. Oktober 2018 um 06:22
Danke für den Tourenbericht! Sieht sehr verlockend aus..

Berggrüsse, amphibol


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