Dossenhütte Überschreitung und Versuch Tossen (ohne Gipfelerfolg)


Publiziert von Ororretto , 9. August 2022 um 19:19.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum: 8 August 2022
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 1700 m
Abstieg: 2400 m
Strecke:20 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Rosenlaui, Gletscherschlucht
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Innertkirchen Kraftwerk (Bahn)
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Rosenlaui, Rosenlauibiwak SAC, Dossenhütte SAC

Ein von Gletschern umringter Gipfel, welchen man ohne Eiskontakt und angeblich ohne grosse Kletterschwierigkeiten erreichen kann? Klingt nach dem perfekten Ziel für jemanden wie mich, einen Gelegenheitskraxler der sich noch nicht an das Hochtouren-Business gewagt hat! Also auf zu einer langen Tagestour im Berner Oberland! Leider war's dann doch etwas "too much", aber viel hat nicht gefehlt bis zum Gipfelerfolg!

Hinweis: Ich verwende im Bericht die Bezeichnungen der Landeskarte, also Tossen statt Dossen/Dossenstock, aber die Dossenhütte dann doch mit "D"...

Den Berichten nach zu urteilen ist der Tossen bzw. Tossengrat eher ein Hindernis bei der Besteigung der dahinterliegenden Gletscherwelt. Für mich soll es aber heute das Highlight für eine lange Tagestour werden: Ab Rosenlaui hinauf zur Dossenhütte, dann weiter zum Tossen, und dann, weil ich überhaupt nicht gerne denselben Weg zweimal ablaufe, über den alternativen Weg hinunter ins Ürbachtal und mangels ÖV dann halt noch weiter bis nach Innertkirchen.

Man könnte meinen, das Postauto hat nicht mehr viel mit Post zu tun. Aber nicht so im Rychenbachtal! Mit mehr Gemüsekisten als Passagieren fährt das Postauto in Meiringen los, zwei Stationen später steigt noch frisches Gebäck zu und auf dem Armaturenbrett liegt noch ein kleiner Stapel Briefe. Mit viel Tü-Ta-To kämpft sich das Postauto die engen Kurven hoch und beliefert an jeder Haltestelle ein anderes Hotel, bis schliesslich meine Haltestelle erreicht wird - Rosenlaui, Gletscherschlucht. Start um neun Uhr, früher ists mit dem ÖV leider nicht möglich (erstes Postauto).

Just um neun Uhr öffnet auch das Kassenhäuschen für den Weg durch die Gletscherschlucht. Da dieser Weg parallel zum offiziellen Wanderweg verläuft ergebe ich mich der Touristenfalle und lasse zehn Franken liegen. Eindrücklich ist die Schlucht mit den vielen ohrenbetäubenden Wasserfällen, Tunnels und steilen Treppen aber allemal! Danach weiter auf dem wrw-Weg bergwärts. Bald wird auch die Abzweigung zur Dossenhütte erreicht. Was mich etwas stört ist, dass für die heutige Tour trotz vieler offizieller Wege kaum jemals Wanderwegzeiten angegeben sind.

Jetzt auf dem wbw-Weg geht es zuerst flach ins Tal des Rosenlaui-Baches hinein. Noch bin ich in den Wolken, aber es lichtet und nach und nach kommen mehr imposante Berggipfel in Sicht. Weiter hinten im Tal wird das Terrain dann geröllig und man muss gut auf die Markierungen achten. Zwei grosse wbw-Pfeile deuten auf einen deutlichen Einschnitt in der Moräne hin - dort hin geht der Weg. Nicht von abweichenden Wegspuren beirren lassen und sich eher links halten, sonst landet man wie ich in der steilen Moränenflanke, wo man nur mit Mühe wieder wegkommt. Von hinten gehts dann auf die Moräne drauf und steil bergauf.

Nach der Moräne hat man den schuttigen Teil hinter sich, bis zur Hütte verbleibt der Weg nun im soliden Fels. Zuerst gehts steil durch einen sehr feuchten Einschnitt. Stellenweise recht rutschig, aber gut mit Stahlseilen gesichert. Wer will kann sich hier mit dem Klettersteigset einhängen. Auch Kletterhandschuhe wären keine schlechte Idee, da das Stahlseil oft etwas rostig und zum ausfransen neigt. Beim Rosenlauibiwak gibt es mit einem kurzen flachen Stück eine Verschnaufpause. Danach folgt schönstes T4-Gelände: Durch sehr eindrückliches Terrain gehts mit viel Felskontakt weiter steil nach oben, aber der Weg ist nie besonders schwierig, aber gern mal etwas luftig. Einige Stellen sind wiederum mit Stahlseilen gesichert. Am Schluss dann auf dem Grat bzw. in Gratnähe hoch zur Dossenhütte.

Bei der Hütte erkundige ich mich beim Hüttenwart über den weiteren Aufstieg zum Tossen. Die Route habe ich in der Bildstrecke genauer beschrieben. Er berichtete zudem, dass heute bereits zwei Wanderer den Aufstieg versucht hätten, aber im Tossensattel umgekehrt seien, da der Weg zu heikel gewesen sei. Wenn man den Aufstieg von Rosenlaui zur Hütte gut geschafft hat, sollte zumindest der Aufstieg bis zum Tossensattel aber machbar sein. Weiter erfahre ich, dass ich für den Abstieg ab Hütte bis Innertkirchen rund fünf Stunden einberechnen sollte.

Mit viel Respekt vor dem alpinen Gelände, und der Bereitschaft bei zu grossen Schwierigkeiten jederzeit umkehren zu können, steige ich also kurz nach der Hütte auf guter Wegspur auf den Tossengrat auf. Ein erstes kleines Felsband wird einfach umgangen (weisser Pfeil). Danach folgt eine plattige Passage um wieder zurück auf den Grat zu kommen (weisse Markierungen). Weitere Markierungen (markanter Felssporn mit weisser Spitze) und Stahlseile werden jetzt sichtbar und machen den weiteren Routenverlauf deutlich. Die Stahlseil-Abschnitte sind zum Teil bis zu senkrecht und haben Klettersteig-ähnlichen Charakter. Auf der Klettersteig-Skala würde ich für diese Stellen ein ZS bzw. K3 geben. Ein Klettersteigset würde aber nicht allzu viel zusätzliche Sicherheit mit sich bringen, höchstens mentale (ich bin ohne Set unterwegs). Die Kraxeleien sind öfters nahe an meiner Schmerzensgrenze. Entweder ist die Route eher im oberen T5/II Bereich, oder ich bin einfach etwas aus der Übung, da ich andere Touren mit dieser Bewertung als einfacher in Erinnerung hatte (z.B. Munt Pers via Senda dal Diavel oder Säntis Chammhaldenroute). Entsprechend gehe ich die Sache sehr langsam und vorsichtig an, und brauche rund anderthalb Stunden für die Strecke von der Dossenhütte bis zum Tossensattel (350 Hm).

Im Tossensattel angekommen geniesse ich den Blick auf die Gletscherwelt des Rosenlauigletschers. Auch schon von hier aus hat man eine ganz beachtliche Aussicht. Und die 3000 m.ü.M. Marke ist hier auch geschafft. Beim Studium des Weiterwegs wird mir dann aber schnell klar, dass hier für mich für heute Ende ist. Der Bänderweg sieht von hier aus extrem gefährlich aus, schuttig, steil und abschüssig unmittelbar über einer Felswand. Dies überrascht mich etwas, da alle Berichte, die ich zu dieser Route gefunden habe, diesen Abschnitt nicht als besonders schwierig beschrieben haben. Vielleicht täuscht es, und sieht viel weniger schlimm aus, wenn man mal drin ist, aber für mich muss es heute nicht sein. Eventuell bewegen sich die anderen Berichteschreiber aber einfach öfters in noch schwererem Gelände, sodass diese Route "Peanuts" für sie ist. Die Klettervariante über den Grat und den Tossen-Nordgipfel (welcher viel häufiger bestiegen wird als der Hauptgipfel?) sieht mir auch anspruchsvoller aus, als die bisherigen Klettereien. Vielleicht mit der optimalen Route nur im II. Grad, aber dann auch 130 Hm Klettern non-stop - ich bin mich da eher an kurze Stellen gewohnt.

Ausserdem muss ich langsam auf die Zeit schauen, damit ich heute noch nach Hause komme - ein Abstieg nach Rosenlaui würde dabei auch nicht helfen, da der letzte Bus bereits um 17:00 fährt - die allerletzte Verbindung ab Innertkirchen fährt ab 21:00, womit ich auf diesem, wenn auch längeren, Abstieg doch noch etwas mehr Zeit zur Verfügung habe.

Also kehre ich im Tossensattel um und kraxle zurück zur Hütte. Sehr langsam und vorsichtig, aber sicher und unbeschadet komme ich wieder bei der Hütte an. Nach einer kurzen Einkehr gehts dann an den Abstieg ins Ürbachtal. Der Weg dort hinab ist technisch deutlich einfacher als der Weg von/nach Rosenlaui, meistens T3, ein paar mühsame Stellen in steilem Geröll T3+. Landschaftlich enorm schön und abgelegen. Die Geräuschkulisse bestehend aus ständigem Rauschen der unzähligen Bäche und Wasserfälle und den Murmeltieren, die mit ihrem Gepfeife in Konkurrenz mit den blökenden Schafen stehen. Leider ist der Weg selber auf langen Strecken ziemlich mühsam, rutschig, ruppig, überflutet, was gar nicht hilft, wenn man gerne etwas zügiger laufen würde, um die vielen Kilometer halbwegs effizient hinter sich zu bringen. Aber mit jedem Schritt bin ich einen Schritt näher am Ziel, Höhenmeter und Kilometer schmelzen dahin.

Zuhinterst im Ürbachtal trifft der Weg dann auf den wrw-Weg zur Gaulihütte und wird deutlich angenehmer. Dann noch in ein paar letzten Kehren wieder in den Talboden, am Parkplatz Mürvorsess vorbei und schnellen Schrittes auf der Asphaltstrasse aus dem Tal hinaus. Durch ein Wäldchen die letzten hundert Höhenmeter runter und es ist endlich geschafft. Nach elf Stunden unterwegs (inkl. Pausen) erreiche ich pünktlich den 20:02 Zug und bin kurz vor Mitternacht wieder zuhause.

Fazit
Die Überschreitung der Dossenhütte von Rosenlaui nach Innertkirchen (in dieser Richtung) ist als ÖV-Tagestour mit guter Kondition durchaus machbar, mit dem Tossen wirds aber eher zu viel für einen Tag, hauptsächlich wegen der Zeit. Die gemütliche Dossenhütte darf hier gerne mit einer Übernachtung beglückt werden. Den Aufstieg auf den Tossen würde ich aktuell eher als T6/II (via Bänderweg) bzw. T5/III (via Grat/Nordgipfel) einschätzen. Vielleicht gebe ich dem Bänderweg mal noch einen zweiten Versuch, dann aber mit Übernachtung in der Hütte und eher nicht im Alleingang.

Zeiten und Schwierigkeiten
Hinweis: Die Wegzeiten und Schwierigkeiten beziehen sich auf die Strecke zwischen dem Checkpoint der vorhergehenden Zeile und dem Checkpoint der eingetragenen Zeile.

Zeit Checkpoint Höhe Angegebene Wegzeit Meine Wegzeit Pause Schwierigkeit
09:00 Rosenlaui, Gletscherschlucht 1358m        
09:15 Ausgang Gletscherschlucht 1475m - 15min   T1
09:35 Abzweigung Engelbergerhütte 1645m - 20min   T3
11:05 Rosenlauibiwak SAC 2330m - 1h 30min 5min T4/I
12:00 Dossenhütte SAC 2663m - 50min 20min T4/I
13:35 Tossensattel 3009m - 1h 15min 15min T5/II
14:55 Dossenhütte SAC 2663m - 1h 5min 20min T5/II
16:55 Enzen 1682m - 1h 40min   T3+
17:40 Schrätteren / Abzweigung Gaulihütte 1453m - 45min 5min T3
18:50 Mürvorsess 880m 1h 20min 1h 5min 5min T2
19:55 Innertkirchen 633m 1h 10min 1h   T1

Wegzeit Total: 9h 45min
- Rosenlaui - Dossenhütte: 2h 55min
- Dossenhütte - Innertkirchen: 4h 30min

Pausen Total: 1h 10min
Zeitaufwand Total: 10h 55min


Varianten
- Ab Mürvorsess mit dem Taxi - Hüttenwart nach Nummer fragen.

Ausrüstung
- Wanderschuhe
- Helm (Im Aufstieg ab dem Schuttgebiet/Moräne bis Hütte, im Auf/Abstieg zum Tossensattel)
- (Pickel hatte ich dabei, aber nicht gebraucht, ganze Route schneefrei).

Tourengänger: Ororretto
Communities: ÖV Touren


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Geodaten
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Kommentare (5)


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johnny68 hat gesagt: Ausgezeichneter Bericht
Gesendet am 11. August 2022 um 17:35
Danke dir für deinen ausgezeichneten Bericht mit den detaillierten Beschreibungen inkl. Krokis! So einen guten Bericht sieht man auf HIKR selten. Hat SAC-Clubführer-Qualität!

LG
Johnny

Ororretto hat gesagt: RE:Ausgezeichneter Bericht
Gesendet am 11. August 2022 um 21:21
Vielen Dank für das Kompliment! Gebe sehr gerne etwas zurück für die vielen anderen inspirierenden Berichte, und die hikr-Plattform gefällt mir halt wirklich gut mit den vielen kleinen nützlichen Features und dem noch vollkommen "unverschandelten" Community-Feeling, wie es im Internet immer seltener wird...

BergEvent hat gesagt: Gottlob
Gesendet am 18. August 2022 um 12:30
Gottlob mal ein Bericht über diesen Gipfel hier, dann man auch brauchen kann. Überhaupt sind nur noch sehr wenige Berichte hier brauchbar. Natürlich muss man in erster Linie einen Bericht aus seiner Perspektive schreiben. Nur bringt mir das als normaler Alpinwanderer eben recht wenig, wenn hier Leute eigentlich nur schreiben wie schnell sie sind und wie einfach es doch war. Schade, greife deshalb schon lange nicht mehr auf Hikr zurück, allenfalls sporadisch, wo ich eben Deinen guten Beitrag las.
LG Mark

Ororretto hat gesagt: RE:Gottlob
Gesendet am 18. August 2022 um 13:15
Herzlichen Dank für dein Lob! Natürlich helfen kürzere Berichte weniger bei der Planung, aber immer noch besser ein paar kurze Berichte als gar keine! Und ausführliche Berichte zu schreiben braucht enorm viel Zeit! Mir für meinen Teil bereitet es noch sehr viel Spass, diese Berichte zu schreiben, und so lange dies anhält werden meine Berichte wohl weiter in dieser Ausführlichkeit erscheinen. Die positiven Feedbacks motivieren natürlich zusätzlich, drum nochmals Danke dafür!

Dändi hat gesagt: Super Bericht
Gesendet am 21. Juli 2024 um 18:09
Vielen Dank für deinen super Bericht mit den aussagekräftigen Fotos!


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