Überschreitung Verstanclahorn (3298m) und Torwache
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Das Verstanclahorn und seine Trabanten verstecken sich in der südlichen Silvretta. Derart gut, dass sie bis jetzt weder auf hikr.org noch sonstwo im Internet grosse Spuren hinterlassen haben. Das ganz zu Unrecht, bieten die Gipfel doch hochalpine, erfüllende Touren, die man in dieser Art sonst nur am Alpenhauptkamm findet.
Das zentrale Verstanclahorn, seines Zeichens vierthöchster Gipfel der Silvretta, entsendet drei Grate nach Westen, Süden und Osten. An diesen hängen wiederum drei Dreitausender, die nochmals seltener begangen werden als der Zentralpunkt. Dies ist mit den langen Anmarschwegen und den Bewertungen des SAC Führer von WS, S oder gar SS nicht weiter verwunderlich.
Als Maximalvariante hatten wir die Überschreitung Torwache - Verstanclahorn - Chapütschin/Schwarzkopf im Hinterkopf. Der SAC-Führer charakterisiert diese so: "... eine überaus rassige Bergfahrt, die aber an das Können und die Ausdauer des Bergsteigers hohe Anforderungen stellt". Gleich vorweg, die angesprochene Anforderung bwz. das Gefahrenpotenzial am letzten Gipfel war für uns zu hoch. Das Herzstück jedoch, der NE-Grat als "schönste Route auf das Verstanclahorn, die auch den anspruchsvollen Bergsteiger begeistert [als] grossartige, lange Bergfahrt klassischen Zuschnitts" entäuschte uns nicht!
Mit dieser Tour ging ein langehegter Wunsch in Erfüllung. Und wer wäre für diese Traumtour ein besserer Begleiter als der legendäre
Delta? Da wir für dieses Zeitfenster eigentlich Höheres angedacht haben, der Neuschnee Anfang August unsere Lust jedoch dämpfte, war das Ziel leicht gefunden. Ganz nebenbei konnte sich Glaziologe Delta "seinem" (Ex-)Gletscher widmen.
Übrigens war er als selbsternannter Wanderer auf der sehr charmant geführten und modern-schlichten Silvrettahütteütte in bester Gesellschaft zahlreicher Mitwanderer*. Was ihn aber nicht im Geringsten davon abhielt, andertags im doch recht hochalpinen "Wander"gelände eine gute Performance zu zeigen:
Überschreitung des Verstanclahorn über den Nordostgrat: Eine einsame, grandiose Kletterei - gar die Schönste der Silvretta?
Vorbemerkung: da die Tour nirgends im WWW detailliert beschrieben und bebildert ist, sind sowohl Text wie auch die Fotoauswahl diesmal grosszügig ausgefallen.
Der Zustieg zur Silvrettahütte SAC kann dank dem Gotschna-Taxi bis Sardasca auf eine gute Stunde verkürzt werden. Es bleibt also noch genug Zeit für nachmittägliche Gipfelabstecher oder den Genuss der bunten Hüttenatmosphäre und diversen Leckereien. Allzu lange können wir uns dem Hüttencharme und flüssigen Versuchungen nicht hingeben, denn Tagwach soll um 3 Uhr sein...
Um 3.40 nach einem reichhaltigen Thermoszmorgen (Kompliment an die Hüttencrew, so muss es sein!) hinaus in die ungewöhnlich klare, kalte Sternennacht.
Delta auf dem ihm wohlbekannten Weg zum Silvrettaglescher folgend und ohne Steigeisen zielgenau die erste Messstange avisierend. Weiter nun doch auf Stegeisen in den Cremersattel 2788m, welcher mit einem Verlust von 100 Höhenmeter den Übergang auf den Verstanclaglescher vermittelt. Unangenehmes, grobblockig-instabiles Moränengelände, bei guter Firnlage bedeutend schneller und angenehmer. Am besten wird nicht zu hoch traversiert, sondern ziemlich genau nach Süden abgestiegen, was bei Tageslicht auch offensichtlich wäre. Den Verstanclagletscher betreten wir auf etwa 2660m und ziehen dank - für Mitte August erstaunlich guter - Firnauflage direkt in Richtung Vestanclasattel hoch. Die in dieser Routenbeschreibung erwähnte Felsinsel als Rastplatz lassen wir links liegen. Der Verstanclasattel kann bei guter, durchgehender Firnlage (in der Regel bis etwa Anfang/Mitte Juli) vorteilhaft direkt durch das 45-50° steile Couloir erreicht werden, Zeitersparnis etwa eine halbe Stunde.
Da das Couloir im mittleren Teil bereits aper (und dazu schlecht einsehbar) ist, wählen wir die für diese Verhältnisse empfohlene Variante: Etwas gegen das Couloir ansteigend wenden wir uns auf etwa 2950m nach links dem Gratpfeiler zu, der vom Torwachegipfel P. 3186 hinunterzieht. Erst in sandigem, unangenehmen T6-Gelände, dann stets etwas rechts der Kante auf Bändern den Aufschwüngen ausweichend. Dann kurz auf der Kante selbst und im obersten Teil links davon arbeiten wir uns im Blockgelände hoch; nicht wirklich schwierig, dafür oft heikel-brüchig, WS II-III bzw. T6.
So erreichen wir P. 3186 der Torwache, der im Web und in Nachschlagewerken fälschlicherweise als Hauptgipfel deklariert ist. Der höchste Punkt der Torwache ist jedoch der 200 Meter südöstlich gelegene Punkt 3220. Wir gönnen uns diesen Abstecher über einen teils scharfen, einladenden Grat aus bestem Fels. Über zwei Aufschwünge erstaunlich problemlos und genüsslich hinweg (beide können etwas links [nördlich] einfacher erklettert werden) , zuletzt fast horizontal auf den Hauptgipfel der Torwache P. 3220 (ZS-, III).
Auf dem Weg finden wir zwei praktisch neuwertige Bandschlingen, Vorgänger haben diese Stellen wohl abgeseilt. Wir klettern auf dem Rückweg alles ab und wieder hoch zu P. 3186.
In den Verstanclasattel gelangen wir ohne Probleme über eine Rinne zwischen Platten etwas südseits, wo diese ausläuft, quert man zurück über die Kante auf die Nordseite und vollends in den Verstanclasattel P. 3125 (WS, II).
Hier beginnt der Nordost-Grat aufs Verstanclahorn, welcher in der Literatur und von Vorgängern hoch gelobt wird. Er sollte uns nicht enttäuschen, die Kletterei ist abwechslungsreich, durchwegs in gutem Fels und nicht übersichert: lediglich in der Schlüsselstelle finden sich zwei Schlaghaken, dazu noch zwei, drei Schlingenbündel für Abseilaktionen. Für mich (bislang) die schönste Kletterei in der Silvretta: Sie übertifft in Ambiente, Homogenität und Felsqualität die als als solche gehandelte Überschreitung Gross Litzner - Gross Seehorn bei weitem.
Routenbeschreibung
Die Absätze geben in etwa die Seillängen wieder; da alles selbst eingerichtet werden muss, sind die Standplätze individuell und praktisch überall gut einzurichten.
Einstieg zwei, drei Meter rechts (nördlich) der Kante, dann steil hinauf zur Kante (III+), welche man nach etwa 10 Klettermetern erreicht. Nun in prima Rissen direkt der Gratkante entlang (III) in flacheres, blockiges Gelände.
Etwas rechts der Gratkante in IIer Gelände hoch, wo es steiler wird, nodseits einer Felsnase ausweichend in einen offenen Kamin (II). Diesem entlang wieder in Richtung Gratkante.
Einer zweiten Verschneidung/Kamin (III) folgend zum Grat zurück bis auf einen Absatz, wo der Grat breit, kompakt und plattig wird.
Vom Absatz einen Doppelriss (IV-) und genüssliche Platten (III) hinauf bis zu einer Verflachung vor dem grossen, schmalen Gendarm.
Erst einfach, dann in einer seichten Verschneidung mit Riss (perfekter Bomber-Klemmkeil, darüber ein guter NH) und ziemlich feinen Tritten (Stehproblem, zwei, drei Züge V, mit Griff in den ersten Schlaghaken wahrsicheinlich um IV+) auf ein Podest mit einem zweiten Schlaghaken. Von dort einfacher (III) auf den exponierten First des Gendarms.
Vom Gendarm entgegen der Routenbeschreibung etwa 10m der Kante entlang exponiert abklettern (III+) bis rechts (nördlich) in einer Verschneidung an einem Schlingenbündel 10m senkrecht abgeseilt werden kann. Die beschriebene Route südseits sah gar nicht (mehr) einladend aus bzw war voller loser Blöcke (Blitzeinschlag oder Felsausbruch?).
Leicht über die Gratschneide weiter (II-III) und den nächsten Turm (Eckpunkt im Grat) links leicht abwärts umgehen (II).
Der Gipfelgrat wird wie in der Literatur beschrieben erst auf der Nordseite über exponierte Bänder, bald wieder sehr schön auf der Kante erstiegen (III+).
Darauf weiter der Kante entlang, exponiert rechts um den letzten Aufschwung (III) herum direkt auf den Gipfel.
Oben wartet ein Gipfelbuch mit ca. 5 Einträgen pro Jahr und eine fantastische Rundsicht, die wir eine gute Dreiviertelstunde lang geniessen.
Für den Abstieg über den Südgrat erscheint uns die detaillierte Beschreibung aus dem Hew-PDF nützlich und korrekt, diejenige im SAC Führer ist etwas gar global gehalten. Darum unser Bericht hier in Ergänzung zum Text Hew gehalten, gestrichene Textpasagen als Hinweis beibehalten, von uns eingefügtes kursiv:
Westseitig dem Südgrat folgend bis an eine plattige Stelle (II), welche Einblick ins Westcouloir gibt. (Winteraufstieg). Hinab in eine kleine Scharte und nun dem Grat folgend,kletternd zuerst links, dann rechts haltend über Bänder eine sehr exponierte, etwas knifflige Stelle (III) abkletternd, bis man zwischen den beiden kleinen Gratköpfen, welche gut sichtbar schon vom Gipfel her sind, ankommt zu einer Abseilstelle Richtung Osten (Schlingenbündel) kommt. Von hier linkseitig durch einen Riss hinab auf Platten (III) oder besser 15m abseilen bis man kurz darauf nach rechts über die Kante in geneigteres Gelände (T5, I) gelangt. Stand. Weiter gerade leicht links haltend hinab, in der Regel schuttigen Wegspuren folgend. bis es wieder steiler wird. Etwa nach 50m sieht man rechts ein etwa Meter hohes Felsköpflein, direkt unter einem Felsaufschwung (Bandschlingen). Dieses erreicht man über ein kurzes, abschüssiges Felsband. Von hier weg wird etwa 20m abgeseilt. Am Ende der Abseilstelle leichter, schuttiger Abstieg zum nördlichen Vernelasattel. Nun in der Regel im Frühsommer mit Steigeisen später im Jahr im heiklen Permafrost-Schuttgelände gerade links haltend (südlich) hinunter zur Felsinsel. diese besser nördlich umgehend weiter hinab. Unten. Von der Felsinsel links haltend durch eine kurze Rinne unter der Nordwand des Schwazchopf/Chapütschin bis an den Schrund hinab. Den Gletscher absteigend erreicht man an dessen Ende schöne Platten um sich loszuseilen und Rast zu machen.
und später durch blockiges Gelände zur Schwemmebene des Bürgenseelis und zum nahen Bergweg Furcola Zadrell - Berghaus Vereina. In etwa anderthalb Stunden durch das idyllische Tal zum Berghaus Vereina. Gipfel - Berghaus Vereina je nach Verhältnissen dreieinhalb bis viereinhalb Stunden.
Update September 2018: Laut einem Bericht auf gipfelbuch.ch ist durch die Süd(ost)flanke eine neue Route mit fixem Material eingerichtet worden, die sich evtl. für den Abstieg eignet. Allerdings sind die Materialanforderungen mit 2x60 m Seil nicht die gleichen wie für den NO-Grat - und entsprechen leider auch nicht den im alpinen Gelände üblichen von (2x) 50m.
Unser Plan wäre, noch den Schwarzchopf/Chapütschin zu besteigen, über dessen mit SS bewerteten Nordgrat, der aber laut Begehern einfacher sein soll. Schon im nördlichen Vernelasattel stellt uns der Übergang in den südlichen Sattel vor einige Schwierigkeiten, dieses Foto illustriert die Gratzacken, welche zu überwinden sind: Ein Gendarm ist westlich in Permafrost-Schuttgelände nur heikel zu traversieren, östlich sind erst kürzlich einige Felsstürze niedergegangen. Wir umgehen die ersten Meter trotzdem östlich (heikel, II-III), um dann die Felssturz-Zone auf der doch etwas labilen Kante im Reitersitz (ZS-, III) zu bewältigen. Unangenehm und nochmals "schärfer" als die wohlbekannte Altenalpturm-Reiterei.
Danach leichter auf blockigem Grat (II) in den südlichen Vernelasattel. Je näher wir dem Grat zum Chapütschin kommen, desto weniger einladend wirkt dieser: Die labil scheinenden Blöcke im steileren Teil und die (frischen?) Ausbrüche in der Ostflanke lassen uns einstimmig verzichten...
Wir machen uns an den Normalabstieg durch die Westflanke des Verstanclahorns, welcher alles andere als trivial ist, denn leider reicht der Firn nicht mehr ganz in den Vernelasattel hinauf. So müssen wir mit Steigeisen bewaffnet ein Stück durch sehr unangenehmes Permafrost-Gelände bis auf eine Firnzunge absteigen (um 50°), ein kurzes flacheres Stück bringt uns auf die erwähnte Felsinsel, von wo wir etwas nördlich haltend nahe der Chapütschin-Nordflanke durch eine kurze Rinne auf den Gletscher absteigen - puh!
Ganz gegessen ist der Abstieg noch nicht, erst müssen wir uns die oben 50°, unten 45° steile Flanke auf den Frontzacken durch harten Firn hinunterarbeiten. Dies kostet uns eine gute Dreiviertelstunde, Leichtsteigeisen und Pickel waren hier an ihrer Leistungsgrenze... Unten im Gletscherbecken des Vernelagletschers fällt dann die Anspannung ab und wir rutschen über letzte Firnzungen zur wohlverdienten Rast am Bürgensee. Der idyllische Abstieg durchs wasserreiche Vernela ist dann lang, wenn auch genüsslich. Nach über 11 Stunden, davon gut 9 in Bewegung, erreichen wir das wohlverdiente Panaché im Berghaus Vereina und das segenreichen Gotschna-Taxi nach Klosters.
Facts
Material: mind. 40m Einfachseil, Schlingen, zwei, drei kleinere Friends und Klemmkeile. Steigeisen und Pickel, bei gutem Firn genügt Alu-Leichtausrüstung, später im Jahr oder bei Vereisung besser Stahlmaterial.
Schwierigkeit: Sowohl Torwache Westgrat als auch der NE-Grat zum Verstanclahorn sind im SAC-Führer mit S bewertet. Die Tour bewegt sich durchgehend im typischen ZS-Gelände - auf Grund der Länge, heiklen Fluchtmöglichkeiten, Abgeschiedenheit und der 5er Stelle am Gendarm (A0 möglich, dann um IV+) ist die Gesamtbewertung S für die Überschreitung sicherlich gerechtfertigt.
Der Verstanclahorn Südgrat (Normalroute) hingegen ist mit S deutlich überbewertet. Es handelt sich um ZS Gelände, das den 3. Schwierigkeitsgrad (Schlüsselstellen in gutem Fels) nicht überschreitet. Allerdings ist besonders die Westflanke bei zunehmender Ausaperung heikel bis gefährlich und mit bis zu 50° Steilheit auf 200 Höhenmetern nicht zu unterschätzen! Für die Verstanclahorn Normalroute (Vernelagletscher - Südgrat) würde ich bei optimalen Verhältnissen die Bewertung ZS vorschlagen.
Zeitbedarf: Wir benötigten (alles inkl. Pausen) bis zum Cremersattel eine Stunde, die in der Literatur erwähnte Felsinsel erreichten wir nach deren zwei. Das im PDF erwähnte Seilbähnli über den Gletscherbach unterhalb der Silvrettahütte war nicht eingerichtet, der Zeitgewinn durch eine allfällige Benützung dürfte nur klein sein.
Für die anschliessende Rippe, Torwache P. 3186, den Torwache Hauptgipfel und die Traverse in den Verstanclasattel hatten wir knapp 2:30, den eigentlichen Nordostgrat kletterten wir in zwei Stunden. Insgesamt Silvrettahütte - Verstanclahorn 6:30 inkl. Torwache und Pausen.
Die Führerzeit SAC bis zum Gipfel ist mit 7-8 Stunden (Hew 5:30 - 7:30) angegeben, was für durchschnittliche Seilschaften bei Schnee im Couloir, ohne Tourwachegipfel (und Pausenzeiten) locker zu machen sein dürfte.
Die Abstiegszeit über den Südgrat bis zum Berghaus Vereina dürfte wie oben und bei Hew erwähnt irgendwo zwischen 3:30 und 4:30 Stunden liegen. Sie ist entscheidend abhängig von den Firnverhältnissen in der Westflanke und dürfte im Frühsommer mit einigen Rutschpartien auch etwas schneller zu schaffen sein.
Bemerkung: Die Alpin_Rise'schen Fotozeiten sind rund eine halbe Stunde zu früh, daher die Inkonsistenzen bei den Fotozeiten.
Optimale Jahreszeit: Frühsommer. Zum Schluss diese dringende Bemerkung zur Westflanke bzw. der Normalroute aufs Verstanclahorn: Sie ist nur bei guten Firnverhältnissen, d.h. durchgehenden Firnrinnen bis in den (nördlichen) Vernelasattel zu empfehlen. Spät im Jahr (in der Regel ab Mitte Juli) trifft man auf sehr unangenehmes bis gefährliches, tauendes und daher steinschlägiges Permafrostgelände, welches unberechenbar und zeitraubend sein kann! Umgehen kann man diese Gefahrenstellen kaum.
Auch das Couloir zum Verstanclasattel dürfte etwa um die gleiche Jahreszeit ausapern; wenn dort der Firn fehlt, muss man ins unangenehme Gelände der Torwache-Rippe ausweichen.
Update als weitere Ressource: Tourenbericht einer zapfigen Jo-Tour der SAC Sektion Prättigau.
* Die Kontroverse Bergsteiger vs Wanderer in SAC-Hütten ist nicht so jung, wie man annehmen möchte. Im Jubiläumsbuch "Helvetia Club" hat der begnadete Autor und Historiker Daniel Anker SAC Zeitdokumente aus 150 Jahre SAC zusammengetragen. In der Silvrettahütte bin ich darin über folgende Passage gestolpert:
"Wenn ich eine Hütte aufsuche, so ist sie mir Mittel und Zweck, also Ausgagspunkt für eine Berfahrt, Nächtigungsort vor oder nach derselben. Das ist auch der ursprüngliche Sinn einer Hütte.
Nun git es nicht nur Bersteiger, sondern auch Bergwanderer. Diesen ist die Hütte meistens Ziel. Das ist ihr volles Recht, gibt es ihnen doch das Vergnügen und die Entspannung, die sie suchen und wünschen. Die Lebensweise der Bergsteiger und Bergwanderer in den Hütten ist aber sehr oft eine recht verschiedene, was auch begreiflich ist, da der Erstere infolge des noch nicht erreichten Zieles mit sienen Kräften und Äusserungen zurückhält, während der Letztere, man machmal aus lauter Freude ob des bereits erreichten Zieles, manchmal aus anderen Motiven oder Triebregungen, mehr aus sich herauszugehen pflegt, als oft wünschbar wäre [...]. In Standorten wie Hohtürlihütte, Albert-Heimhütte, Bovalhütte, Silvrettahütte, Ramberthütte usw sind diese Zustände fast zur Regel geworden."
Zitat aus der spitzen Feder von Bruno Hug in der SAC-Zeitrschrift "Die Alpen" - Notabene aus dem Jahr 1936 (!)
Wer sich noch intensiver in die spannenden Besteigungsgeschichte des Verstanklahorn einlesen möchte, dem sei das digitale Jahrbuch 1879 des SAC empfohlen.
Das zentrale Verstanclahorn, seines Zeichens vierthöchster Gipfel der Silvretta, entsendet drei Grate nach Westen, Süden und Osten. An diesen hängen wiederum drei Dreitausender, die nochmals seltener begangen werden als der Zentralpunkt. Dies ist mit den langen Anmarschwegen und den Bewertungen des SAC Führer von WS, S oder gar SS nicht weiter verwunderlich.
Als Maximalvariante hatten wir die Überschreitung Torwache - Verstanclahorn - Chapütschin/Schwarzkopf im Hinterkopf. Der SAC-Führer charakterisiert diese so: "... eine überaus rassige Bergfahrt, die aber an das Können und die Ausdauer des Bergsteigers hohe Anforderungen stellt". Gleich vorweg, die angesprochene Anforderung bwz. das Gefahrenpotenzial am letzten Gipfel war für uns zu hoch. Das Herzstück jedoch, der NE-Grat als "schönste Route auf das Verstanclahorn, die auch den anspruchsvollen Bergsteiger begeistert [als] grossartige, lange Bergfahrt klassischen Zuschnitts" entäuschte uns nicht!
Mit dieser Tour ging ein langehegter Wunsch in Erfüllung. Und wer wäre für diese Traumtour ein besserer Begleiter als der legendäre

Übrigens war er als selbsternannter Wanderer auf der sehr charmant geführten und modern-schlichten Silvrettahütteütte in bester Gesellschaft zahlreicher Mitwanderer*. Was ihn aber nicht im Geringsten davon abhielt, andertags im doch recht hochalpinen "Wander"gelände eine gute Performance zu zeigen:
Überschreitung des Verstanclahorn über den Nordostgrat: Eine einsame, grandiose Kletterei - gar die Schönste der Silvretta?
Vorbemerkung: da die Tour nirgends im WWW detailliert beschrieben und bebildert ist, sind sowohl Text wie auch die Fotoauswahl diesmal grosszügig ausgefallen.
Der Zustieg zur Silvrettahütte SAC kann dank dem Gotschna-Taxi bis Sardasca auf eine gute Stunde verkürzt werden. Es bleibt also noch genug Zeit für nachmittägliche Gipfelabstecher oder den Genuss der bunten Hüttenatmosphäre und diversen Leckereien. Allzu lange können wir uns dem Hüttencharme und flüssigen Versuchungen nicht hingeben, denn Tagwach soll um 3 Uhr sein...
Um 3.40 nach einem reichhaltigen Thermoszmorgen (Kompliment an die Hüttencrew, so muss es sein!) hinaus in die ungewöhnlich klare, kalte Sternennacht.

Da das Couloir im mittleren Teil bereits aper (und dazu schlecht einsehbar) ist, wählen wir die für diese Verhältnisse empfohlene Variante: Etwas gegen das Couloir ansteigend wenden wir uns auf etwa 2950m nach links dem Gratpfeiler zu, der vom Torwachegipfel P. 3186 hinunterzieht. Erst in sandigem, unangenehmen T6-Gelände, dann stets etwas rechts der Kante auf Bändern den Aufschwüngen ausweichend. Dann kurz auf der Kante selbst und im obersten Teil links davon arbeiten wir uns im Blockgelände hoch; nicht wirklich schwierig, dafür oft heikel-brüchig, WS II-III bzw. T6.
So erreichen wir P. 3186 der Torwache, der im Web und in Nachschlagewerken fälschlicherweise als Hauptgipfel deklariert ist. Der höchste Punkt der Torwache ist jedoch der 200 Meter südöstlich gelegene Punkt 3220. Wir gönnen uns diesen Abstecher über einen teils scharfen, einladenden Grat aus bestem Fels. Über zwei Aufschwünge erstaunlich problemlos und genüsslich hinweg (beide können etwas links [nördlich] einfacher erklettert werden) , zuletzt fast horizontal auf den Hauptgipfel der Torwache P. 3220 (ZS-, III).
Auf dem Weg finden wir zwei praktisch neuwertige Bandschlingen, Vorgänger haben diese Stellen wohl abgeseilt. Wir klettern auf dem Rückweg alles ab und wieder hoch zu P. 3186.
In den Verstanclasattel gelangen wir ohne Probleme über eine Rinne zwischen Platten etwas südseits, wo diese ausläuft, quert man zurück über die Kante auf die Nordseite und vollends in den Verstanclasattel P. 3125 (WS, II).
Hier beginnt der Nordost-Grat aufs Verstanclahorn, welcher in der Literatur und von Vorgängern hoch gelobt wird. Er sollte uns nicht enttäuschen, die Kletterei ist abwechslungsreich, durchwegs in gutem Fels und nicht übersichert: lediglich in der Schlüsselstelle finden sich zwei Schlaghaken, dazu noch zwei, drei Schlingenbündel für Abseilaktionen. Für mich (bislang) die schönste Kletterei in der Silvretta: Sie übertifft in Ambiente, Homogenität und Felsqualität die als als solche gehandelte Überschreitung Gross Litzner - Gross Seehorn bei weitem.
Routenbeschreibung
Die Absätze geben in etwa die Seillängen wieder; da alles selbst eingerichtet werden muss, sind die Standplätze individuell und praktisch überall gut einzurichten.
Einstieg zwei, drei Meter rechts (nördlich) der Kante, dann steil hinauf zur Kante (III+), welche man nach etwa 10 Klettermetern erreicht. Nun in prima Rissen direkt der Gratkante entlang (III) in flacheres, blockiges Gelände.
Etwas rechts der Gratkante in IIer Gelände hoch, wo es steiler wird, nodseits einer Felsnase ausweichend in einen offenen Kamin (II). Diesem entlang wieder in Richtung Gratkante.
Einer zweiten Verschneidung/Kamin (III) folgend zum Grat zurück bis auf einen Absatz, wo der Grat breit, kompakt und plattig wird.
Vom Absatz einen Doppelriss (IV-) und genüssliche Platten (III) hinauf bis zu einer Verflachung vor dem grossen, schmalen Gendarm.
Erst einfach, dann in einer seichten Verschneidung mit Riss (perfekter Bomber-Klemmkeil, darüber ein guter NH) und ziemlich feinen Tritten (Stehproblem, zwei, drei Züge V, mit Griff in den ersten Schlaghaken wahrsicheinlich um IV+) auf ein Podest mit einem zweiten Schlaghaken. Von dort einfacher (III) auf den exponierten First des Gendarms.
Vom Gendarm entgegen der Routenbeschreibung etwa 10m der Kante entlang exponiert abklettern (III+) bis rechts (nördlich) in einer Verschneidung an einem Schlingenbündel 10m senkrecht abgeseilt werden kann. Die beschriebene Route südseits sah gar nicht (mehr) einladend aus bzw war voller loser Blöcke (Blitzeinschlag oder Felsausbruch?).
Leicht über die Gratschneide weiter (II-III) und den nächsten Turm (Eckpunkt im Grat) links leicht abwärts umgehen (II).
Der Gipfelgrat wird wie in der Literatur beschrieben erst auf der Nordseite über exponierte Bänder, bald wieder sehr schön auf der Kante erstiegen (III+).
Darauf weiter der Kante entlang, exponiert rechts um den letzten Aufschwung (III) herum direkt auf den Gipfel.
Oben wartet ein Gipfelbuch mit ca. 5 Einträgen pro Jahr und eine fantastische Rundsicht, die wir eine gute Dreiviertelstunde lang geniessen.
Für den Abstieg über den Südgrat erscheint uns die detaillierte Beschreibung aus dem Hew-PDF nützlich und korrekt, diejenige im SAC Führer ist etwas gar global gehalten. Darum unser Bericht hier in Ergänzung zum Text Hew gehalten, gestrichene Textpasagen als Hinweis beibehalten, von uns eingefügtes kursiv:
Westseitig dem Südgrat folgend bis an eine plattige Stelle (II), welche Einblick ins Westcouloir gibt. (Winteraufstieg). Hinab in eine kleine Scharte und nun dem Grat folgend,
und später durch blockiges Gelände zur Schwemmebene des Bürgenseelis und zum nahen Bergweg Furcola Zadrell - Berghaus Vereina. In etwa anderthalb Stunden durch das idyllische Tal zum Berghaus Vereina. Gipfel - Berghaus Vereina je nach Verhältnissen dreieinhalb bis viereinhalb Stunden.
Update September 2018: Laut einem Bericht auf gipfelbuch.ch ist durch die Süd(ost)flanke eine neue Route mit fixem Material eingerichtet worden, die sich evtl. für den Abstieg eignet. Allerdings sind die Materialanforderungen mit 2x60 m Seil nicht die gleichen wie für den NO-Grat - und entsprechen leider auch nicht den im alpinen Gelände üblichen von (2x) 50m.
Unser Plan wäre, noch den Schwarzchopf/Chapütschin zu besteigen, über dessen mit SS bewerteten Nordgrat, der aber laut Begehern einfacher sein soll. Schon im nördlichen Vernelasattel stellt uns der Übergang in den südlichen Sattel vor einige Schwierigkeiten, dieses Foto illustriert die Gratzacken, welche zu überwinden sind: Ein Gendarm ist westlich in Permafrost-Schuttgelände nur heikel zu traversieren, östlich sind erst kürzlich einige Felsstürze niedergegangen. Wir umgehen die ersten Meter trotzdem östlich (heikel, II-III), um dann die Felssturz-Zone auf der doch etwas labilen Kante im Reitersitz (ZS-, III) zu bewältigen. Unangenehm und nochmals "schärfer" als die wohlbekannte Altenalpturm-Reiterei.
Danach leichter auf blockigem Grat (II) in den südlichen Vernelasattel. Je näher wir dem Grat zum Chapütschin kommen, desto weniger einladend wirkt dieser: Die labil scheinenden Blöcke im steileren Teil und die (frischen?) Ausbrüche in der Ostflanke lassen uns einstimmig verzichten...
Wir machen uns an den Normalabstieg durch die Westflanke des Verstanclahorns, welcher alles andere als trivial ist, denn leider reicht der Firn nicht mehr ganz in den Vernelasattel hinauf. So müssen wir mit Steigeisen bewaffnet ein Stück durch sehr unangenehmes Permafrost-Gelände bis auf eine Firnzunge absteigen (um 50°), ein kurzes flacheres Stück bringt uns auf die erwähnte Felsinsel, von wo wir etwas nördlich haltend nahe der Chapütschin-Nordflanke durch eine kurze Rinne auf den Gletscher absteigen - puh!
Ganz gegessen ist der Abstieg noch nicht, erst müssen wir uns die oben 50°, unten 45° steile Flanke auf den Frontzacken durch harten Firn hinunterarbeiten. Dies kostet uns eine gute Dreiviertelstunde, Leichtsteigeisen und Pickel waren hier an ihrer Leistungsgrenze... Unten im Gletscherbecken des Vernelagletschers fällt dann die Anspannung ab und wir rutschen über letzte Firnzungen zur wohlverdienten Rast am Bürgensee. Der idyllische Abstieg durchs wasserreiche Vernela ist dann lang, wenn auch genüsslich. Nach über 11 Stunden, davon gut 9 in Bewegung, erreichen wir das wohlverdiente Panaché im Berghaus Vereina und das segenreichen Gotschna-Taxi nach Klosters.
Facts
Material: mind. 40m Einfachseil, Schlingen, zwei, drei kleinere Friends und Klemmkeile. Steigeisen und Pickel, bei gutem Firn genügt Alu-Leichtausrüstung, später im Jahr oder bei Vereisung besser Stahlmaterial.
Schwierigkeit: Sowohl Torwache Westgrat als auch der NE-Grat zum Verstanclahorn sind im SAC-Führer mit S bewertet. Die Tour bewegt sich durchgehend im typischen ZS-Gelände - auf Grund der Länge, heiklen Fluchtmöglichkeiten, Abgeschiedenheit und der 5er Stelle am Gendarm (A0 möglich, dann um IV+) ist die Gesamtbewertung S für die Überschreitung sicherlich gerechtfertigt.
Der Verstanclahorn Südgrat (Normalroute) hingegen ist mit S deutlich überbewertet. Es handelt sich um ZS Gelände, das den 3. Schwierigkeitsgrad (Schlüsselstellen in gutem Fels) nicht überschreitet. Allerdings ist besonders die Westflanke bei zunehmender Ausaperung heikel bis gefährlich und mit bis zu 50° Steilheit auf 200 Höhenmetern nicht zu unterschätzen! Für die Verstanclahorn Normalroute (Vernelagletscher - Südgrat) würde ich bei optimalen Verhältnissen die Bewertung ZS vorschlagen.
Zeitbedarf: Wir benötigten (alles inkl. Pausen) bis zum Cremersattel eine Stunde, die in der Literatur erwähnte Felsinsel erreichten wir nach deren zwei. Das im PDF erwähnte Seilbähnli über den Gletscherbach unterhalb der Silvrettahütte war nicht eingerichtet, der Zeitgewinn durch eine allfällige Benützung dürfte nur klein sein.
Für die anschliessende Rippe, Torwache P. 3186, den Torwache Hauptgipfel und die Traverse in den Verstanclasattel hatten wir knapp 2:30, den eigentlichen Nordostgrat kletterten wir in zwei Stunden. Insgesamt Silvrettahütte - Verstanclahorn 6:30 inkl. Torwache und Pausen.
Die Führerzeit SAC bis zum Gipfel ist mit 7-8 Stunden (Hew 5:30 - 7:30) angegeben, was für durchschnittliche Seilschaften bei Schnee im Couloir, ohne Tourwachegipfel (und Pausenzeiten) locker zu machen sein dürfte.
Die Abstiegszeit über den Südgrat bis zum Berghaus Vereina dürfte wie oben und bei Hew erwähnt irgendwo zwischen 3:30 und 4:30 Stunden liegen. Sie ist entscheidend abhängig von den Firnverhältnissen in der Westflanke und dürfte im Frühsommer mit einigen Rutschpartien auch etwas schneller zu schaffen sein.
Bemerkung: Die Alpin_Rise'schen Fotozeiten sind rund eine halbe Stunde zu früh, daher die Inkonsistenzen bei den Fotozeiten.
Optimale Jahreszeit: Frühsommer. Zum Schluss diese dringende Bemerkung zur Westflanke bzw. der Normalroute aufs Verstanclahorn: Sie ist nur bei guten Firnverhältnissen, d.h. durchgehenden Firnrinnen bis in den (nördlichen) Vernelasattel zu empfehlen. Spät im Jahr (in der Regel ab Mitte Juli) trifft man auf sehr unangenehmes bis gefährliches, tauendes und daher steinschlägiges Permafrostgelände, welches unberechenbar und zeitraubend sein kann! Umgehen kann man diese Gefahrenstellen kaum.
Auch das Couloir zum Verstanclasattel dürfte etwa um die gleiche Jahreszeit ausapern; wenn dort der Firn fehlt, muss man ins unangenehme Gelände der Torwache-Rippe ausweichen.
Update als weitere Ressource: Tourenbericht einer zapfigen Jo-Tour der SAC Sektion Prättigau.
* Die Kontroverse Bergsteiger vs Wanderer in SAC-Hütten ist nicht so jung, wie man annehmen möchte. Im Jubiläumsbuch "Helvetia Club" hat der begnadete Autor und Historiker Daniel Anker SAC Zeitdokumente aus 150 Jahre SAC zusammengetragen. In der Silvrettahütte bin ich darin über folgende Passage gestolpert:
"Wenn ich eine Hütte aufsuche, so ist sie mir Mittel und Zweck, also Ausgagspunkt für eine Berfahrt, Nächtigungsort vor oder nach derselben. Das ist auch der ursprüngliche Sinn einer Hütte.
Nun git es nicht nur Bersteiger, sondern auch Bergwanderer. Diesen ist die Hütte meistens Ziel. Das ist ihr volles Recht, gibt es ihnen doch das Vergnügen und die Entspannung, die sie suchen und wünschen. Die Lebensweise der Bergsteiger und Bergwanderer in den Hütten ist aber sehr oft eine recht verschiedene, was auch begreiflich ist, da der Erstere infolge des noch nicht erreichten Zieles mit sienen Kräften und Äusserungen zurückhält, während der Letztere, man machmal aus lauter Freude ob des bereits erreichten Zieles, manchmal aus anderen Motiven oder Triebregungen, mehr aus sich herauszugehen pflegt, als oft wünschbar wäre [...]. In Standorten wie Hohtürlihütte, Albert-Heimhütte, Bovalhütte, Silvrettahütte, Ramberthütte usw sind diese Zustände fast zur Regel geworden."
Zitat aus der spitzen Feder von Bruno Hug in der SAC-Zeitrschrift "Die Alpen" - Notabene aus dem Jahr 1936 (!)
Wer sich noch intensiver in die spannenden Besteigungsgeschichte des Verstanklahorn einlesen möchte, dem sei das digitale Jahrbuch 1879 des SAC empfohlen.
Tourengänger:
Delta,
Alpin_Rise


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