Solo Erstbegehung an der Verstanclahorn Nordwand


Publiziert von SimonL , 10. Juli 2023 um 10:37.

Region: Welt » Schweiz » Graubünden » Prättigau
Tour Datum:24 Juni 2023
Klettern Schwierigkeit: VI+ (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Vereina-Verstancla-Gruppe   CH-GR 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 1900 m
Abstieg: 1900 m
Strecke:Von Klosters (Monbiel) und zurück knapp 40 Km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Landquart richtung Davos und bei Klosters-West abfahren. Parkmöglichkeit beim Monbiel Parkplatz
Unterkunftmöglichkeiten:Silvrettahütte

Nach einigen Versuchen von allen Seiten auf den Gipfel des Verstanclahorns zu gelangen, ist mir im Juni (2023) doch noch eine Erstbegehung an der Nordwand gelungen. Per Zufall und aufgrund von Motivationsschwierigkeiten bei meinen Kletterpartnern, zudem noch Solo.

Für eventuelle Wiederholungen empfehle ich für die knapp 40 Kilometer Zu- und Abstieg von Klosters aus 3 Tage einzuplanen, um einen ganzen Tag für die Wand zur Verfügung zu haben.

Wandhöhe: 400m
Kletterlänge 450-500m
Schwierigkeit: UIAA 6+
Materialempfehlung: Großes Sortiment Schlaghaken, Friends. Kleine Klemmkeile und einige Bandschlingen und Reepschnüre.

Routenbeschreibung:

Vom höchsten Punkt der Gletscherkluft rechts in die Wand queren. Von hier aus führen Schuttbände und Schrägrisse zu einem blockig plattigen Aufbau. Steile Schneefelder auf den Bändern sind mit mühe zu queren bis zu einer steilen mit Moos und Wasser durchzogenen Platte. Nach diesen anspruchsvollsten Metern der Länge, sitzt der Stand in einem großen Block mit Quer Riss (2x Schlaghaken). Die 2te länge führt anfangs leicht schräg rechts haltend über teils brüchiges Blockgelände bis auf eine Rippe. Von hier gerade hinauf, bis unter einen Turm mit sehr steilem Riss. Unter dem Riss befindet sich eine Sanduhr die das Ende der 2ten Länge markiert. In schwerer Kletterei durch den Riss auf den Turm, von hier aus linksquerend unter einen Gendarm mit Jöchlein Wandseitig. Auf diesen durch Risse und blockig kompaktes Gelände. Vom Jöchlein weiter links querend Richtung Pfeiler der mit einem Schneegrad mit der Wand verbunden ist. (Achtung hier nicht in die Platte mit nassem Riss weitersteigen). Vom Pfeiler aus in gerader Linie in sehr steilem Kompakten Fels. Hier befindet sich die Schlüsselstelle, die mit schlechten Griffen und plattigen Tritten über den Pfeiler führt. Von hier aus gut sichtbar Richtung sehr markantem Gratturm. Einige Schneegefüllten Verschneidungen führen in einen großen Überhang Mitte Wand. Diese queren Richtung Gratturm haltend und in brüchigem steilem Fels zum Grat aufsteigen. Hier im Joch auf dem Grat zwischen Turm und Gipfel in wunderschönem Fels, zum Gipfelturm. Die einzige Genusskletterei der Tour führt über leichtes sehr kompaktes Gelände wenige Meter unter dem Grat zu einem Turm, der den Gipfel bildet. Hier zentral nordseitig durch eine kleine Verschneidung zum Gipfel Aufsteigen.

Projekt Nordwand:

Nach den vielen Versuchen in den Vorjahren waren meine Gedanken auf andere Projekte gefallen. Aber bald wuchs das Interesse es doch über eine neue Route über die Nordwand zu versuchen. Die schon erkundigten Zustiege, waren aber wenig geeignet um größere Mengen an Material zur Nordwand zu befördern. Im Juni 2023 entschied ich mich eine Möglichkeit von Klosters aus zu finden. Beim ersten Zustieg ging ich von Monbiel aus mit dem Fahrrad, bis zur Sardasca-Alpe. Anschließend durch ein unberührtes Tal, durch das die Ausläufe des Silvretta- und Verstanclagletschers laufen. Nach mehreren Stunden am Flussrand gelangte ich auf die Gletscherzunge unter den Verstanclawänden. Auf der Suche nach einer Möglichkeit für einen Biwak Platz fand ich einen großen Felsblock auf 2700m am Gletscher (ca. 30 Minuten vom Wandeinstieg). Er bietet Schutz vor kleineren Steinschlägen. Unter diesem Block wurde das „Biwak V“ errichtet. Ich versuchte auch eine Einstiegsmöglichkeit an der Nordwand zu finden und wurde von der Qualität der Felsstruktur überrascht. Von der typischen „Bruchhaufenstruktur“ der Silvretta ist hier nicht viel zu finden. Die Wand macht einen sehr plattigen Eindruck von unten betrachtet. Große Vorsicht ist beim Bergschrund geboten! Wer hier im steilen Firn oder Gletscher ausrutscht, landet in der großen Spalte unterhalb des Einstiegs.
Wenige Tage später brachte ich ca. 7-10Kg Material zum Biwak. Beim letzten Abstieg fand ich eine noch bessere Zustiegsmöglichkeit, die von der Sardasca-Alpe über den Wanderweg zur Silvrettahütte führt. Hier aber vor der Hütte ins Joch nördlich des Medichopf aufsteigen. Von hier aus hinab Richtung Verstanclagletscher. Eine große Hürde stellt die Überquerung des Auslaufes vom Silverttagletscher dar. Dieser führt im Juni sehr große Mengen Wasser. Ich konnte nur eine Stelle, die geeignet war, finden. (In der Nähe befindet sich ein gebohrter Standplatz). 170 Höhenmeter unter dem Joch führt auf der nördlichen Talseite ein Moränengrat bis zur Gletscherzunge.  Auf diesem Zustieg ist von Klosters, bis zum Einstieg bei guten Verhältnissen mit mindestens 6 Stunden zu rechnen.
An diesem Tag konnte ich zudem die ersten 150 Meter der Route erschließen. Steile Schnee und Eisreste verhinderten ein sicheres Weiterkommen. Zwei Standplätze, die Teil der Abseilpiste sind, konnte ich gut mit dem selbstgemachten Schlaghaken im rissigen Fels einrichten. Nach 14 Stunden war ich wieder zuhause.
Eine Woche später brachte ich weitere 6-8Kg Material ins Biwak und stieg um halb drei nachmittags in die Wand ein. Die ersten Längen konnte ich rasch überwinden, da ich sie schon kannte und ca. 50cm Schnee geschmolzen war. Der Rest des Aufstiegs ist beschrieben (siehe Routenbeschreibung).
Ich konnte gegen die vorgegebenen 5 Stunden Kletterzeit nach zweieinhalb schon am Gipfel stehen (mit großer Freude). Um halb 6 begann ich mit dem Abseilen und dem einrichten der Anker. Es benötigte insgesamt ca. vier Sanduhren und 12 Schlaghaken um bis an den Fuß der Wand zu gelangen. Die Abseilpiste führt wenige Meter unter dem Gipfel in gerader Linie nach unten bis zum Schneegrat mit Turm Mitte Wand. Von hier schräg nach Westen zum Standplatz der die 2te Länge markiert. Von diesem wieder in gerader Linie nach unten zum letzten Stand der es ermöglicht über die Spalte unter dem Einstieg abzuseilen. Um 9 Uhr abends war ich wieder im Biwak.

Versuche aus den Vorjahren:

Schon 2018 spielte ich mit den ersten Gedanken einer Besteigung als mir die düstere Nordwand bei einer Tour auf das Silvrettahorn ins Auge stach. Damals war schon klar, dass die Logistik in so einem abgelegenen und unberührtem Gebiet keine leichte sein wird. Der erste Versuch nach Evaluierung der Zustiegsvariante startete 2019 von der Bielerhöhe aus. Zu dritt, mit spärlicher Ausrüstung war ein Aufstieg über die Ostseite auf den Vernelasattel und den Südgrat geplant. Der Zustieg erfolgte durch das Klostertal über die Rote Furka, hinunter zum Silvrettagletscher und zwischen Chremerchöpf und Gletscherchamm auf den Verstanclagletscher. Anschließend, um zur Ostseite des Vernelasattel zu gelangen, Aufstieg zum Verstanclator und leichte Kletterei auf die Ostwände der Torwache. Spätestens hier wurde klar, dass das Zeit- und Materialmanagement zum scheitern verurteilt war. Diese Aufstiegsvariante zum Verstanclahorn ist keinesfalls zu dritt an einem Tag machbar, geschweige mit nur einem Halbseil und eine Handvoll Klemmkeilen. Außerdem wurde ersichtlich das die Kletterei auf den Vernelasattel eine fürchtige Bruchkletterei darstellt.

Ich wollte einen Gipfelerfolg jedoch keineswegs Aufgeben und warf 2020 blicke in die Nordwand für eine Wanddurchsteigung, jedoch mit wenig Erfolg. In diesem Jahr gab es keinen Zeitpunkt, wo eine Besteigung mit trockenen Verhältnissen möglich war. Es lag permanent Schnee in der Wand.

Die Nordwandpläne wurden vorerst beiseitegeschoben, jedoch nicht der Wille einer Besteigung. Ein Jahr darauf brach ich erneut auf, dieses Mal allein. Der Plan: Von Marangun aus, eine Überschreitung des Chapütchin zu versuchen, um direkt vom Vernelasattel südseitig auf den Gipfel zu gelangen. Von Lavin aus (zu meinem Leid) ohne Rad bis zur Marangunhütte. Schwer bepackt mit ca. 15Kg an Kletter- und Biwakiermatterial Richtung Fuorcla Zadrell. Das Zelt wurde ca. eine Wegstunde vor dem Joch auf der Südseite des Chapütchin aufgeschlagen. Um 4 Uhr morgens umgeben von einer Herde Schafe, ging es im Dunkeln (die Stirnlampe wollte an diesem Tag nicht) richtig Südgrat. Schon hier erschwerten die Verhältnisse ein Weiterkommen. Aufgrund von starkem Nebel war eine Orientierung nur per GPS möglich. Sehr beeindruckt von den Dimensionen, ging es am vereisten Grad auf das Hochplateau am Gipfel. Hier markiert ein schöner Steinturm den Gipfel. Der Vernelasattel war nicht zu erkennen. Der starke Nebel ließ nur ein paar vereiste Türme durchscheinen. Somit müsste ich auf gut Glück ins „Nichts“ abseilen, wenigstens die Richtung kannte ich. Nach ein paar hundert Meter stand ich am Südgrat, aber an ein Weiterkommen war nicht zu denken. Es war bereits 11 Uhr morgens und ein unüberwindbarer Gratturm und der starke Nebel, zwangen mich zum Rückzug. Ich seilte ab, durch die brüchige Westseite des Vernelasattel und umrundete mit großer Mühe in schlechtem Gelände den Chapütchin zur Fuorcla Zadrell. Am gleichen Tag noch stieg ich zurück bis nach Lavin ab.

Verzweiflung machte sich langsam breit, aber die Einblicke, die ich 2021 bei der Überschreitung gesammelt habe, führten mich das Jahr darauf wieder hin. Bei diesem Versuch sollte der Zustieg auch von Lavin über die Fuorcla Zadrell zur Westseite des Vernelasattel führen. Dieses Mal mit dem Rad bis zur Marangunhütte und als Zweierseilschaft. Am ersten Tag gelangten wir bis kurz vor den Vernelagletscher. Biwakiert wurde zwischen den Steinblöcken auf einer Schuttebene. Auf dem apperen Gletscher (es war September), lagen große Mengen Fels von einem Felsbruch aus der Chapütchin Westwand. Der Bergschrund war bereits zu einem Spaltenlabyrinth aufgetaut und aus der Verschneidung zum Vernelasattel flog Steinschlag. Die gesamte Bergseite befand sich in einem schauerlichen Bruchzustand. Ein Weiterkommen im Bergschrund und im Fels, wäre an diesem Tag mit zu großem Risiko verbunden gewesen. Abbruch.



Danke an Mario Fitz für die Unterstützung des Projekts!


Tourengänger: SimonL


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

T3
23 Jul 22
Silvretta-Hütte · gurgeh
21 Aug 22
Tällispitz von Klosters · alpinrouts
T3 WS
S-
26 Mär 16
3 Tage im Silvrettagebiet · tricky
T4 WS I
L
15 Mär 12
Silvrettahütte, 2341 m · roko
T4
11 Aug 12
Hüttenzustieg und Tällispitz · MunggaLoch

Kommentare (3)


Kommentar hinzufügen

Nyn hat gesagt: großes Kino
Gesendet am 10. Juli 2023 um 15:42
...und da soll noch jemand behaupten, es gäbe in den Alpen keine Abenteuer mehr.
Chapeau!

lorenzo hat gesagt: Geduld bringt Rosen...
Gesendet am 10. Juli 2023 um 15:59
...wenn man dazu genügend Ausdauer und Fähigkeiten besitzt, und Kratzer nicht scheut...Gratuliere zur zünftigen Soloerstbegehung z'hindrischt im abgelegenen Verstancla!

Alpin_Rise hat gesagt: Glück und Verstand...
Gesendet am 11. Juli 2023 um 13:30
... haben dich da eine wilde Linie entdecken lassen, da hat sich die Hartnäckigkeit gelohnt! Freut mich, nebst den auf hikr.org üblichen Spaziergängen von deinem Abenteuer am schönsten Berg der Silvretta zu lesen. An der Torwache hat's sonst dem Augenschein nach weiteres Potential für Erstbegehungen.

G, Rise


Kommentar hinzufügen»