Alpstein nass und Churfirsten trocken


Publiziert von 1Gehirner , 23. August 2022 um 22:40.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum:19 August 2022
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-SG   Churfirsten   CH-AI   Alpstein 
Zeitbedarf: 3 Tage
Aufstieg: 3465 m
Abstieg: 3115 m
Strecke:47 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Postauto nach Brülisau
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Postauto von Arvenbüel
Unterkunftmöglichkeiten:diverse Hütten im Alpstein und bei den Churfirsten - man fragt sich manchmal eher, welche Gebäude eigentlich keine Unterkünfte sind

Das war die mit Abstand nasseste Tour, die ich je gemacht habe...

Tag 1: Brülisau - Plattenbödeli - Bollenwees - Fälenalp - Zwinglipasshütte (12km)
Tag 2: Zwinglipasshütte - Wildhaus - Schwendisee - Iltios - Strichboden (18km)
Tag 3: Strichboden - Selun - Tritt - Leistchamm - Arvenbüel (17km)

Wie jedes Jahr veranstaltet die Nordkurve Zürich auch 2022 (befreit von coronösen Zwängen) eine dreitägige Männerwanderung. Und ich bin auch mal wieder dabei! Zu acht nehmen wir uns Alpstein und Churfirsten vor. Beat hat wie immer eine schöne Tour zusammengestellt.

Tag 1:
Im strömenden Regen rennen wir schon in Weissbad vom Zug zum Bus - hier fängt die Sintflut an. In Brülisau steigen wir um 10:14 Uhr bei ebenso strömendem Regen aus dem Bus und legen Vollmontur an. Ich teste heute meinen neuen Vaude-Poncho mit Rucksack-"Buckel" und meine Regengamaschen, die seit Jahren unbenutzt im Schrank lagen, sowie meinen halbwegs neuen Regenhut, der bisher eher als Sonnenhut beim Paddeln zum Einsatz kam... Urs dagegen ignoriert das Wetter vollkommen und startet in kurzen Hosen, ohne Regenjacke oder Rucksackhülle. "Nur die Harten kommen in den Garten." Irgendwie gehen einige sogar davon aus, dass der Regen bald wieder aufhören könnte. Die Vorhersage sagt was anderes vorher: Elf Stunden Dauerregen.

Hannes verzichtet wegen Gruppenzwang auf einen Besuch beim Bäcker um die Ecke und wir stapfen los zum Plattenbödeli. Nicht weniger als vier Alpabzüge kommen uns entgegen, einer nett geschmückt, der Rest eher profan. Ein Älpler ruft uns durch den Regen zu "Wänn I eu wer wür I cheere" (oder so ähnlich) - "An eurer Stelle würde ich mir das Ganze noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen." Sie mussten schon sehr früh ins Tal, weil es oben kein Gras und Wasser für die Kühe mehr gab. Die netten Bächlein neben dem Weg sind zu reissend-braunen Fluten angeschwollen. Am Plattenbödeli schwimmt die Strasse schon halb weg und der Wirt baut mit der Spitzhacke kleine Deiche, um die Wassermassen vom Haus wegzuleiten. Wir machen eine Stunde Kaffeepause und schauen dem Regen zu, wie er immer stärker wird. Als wir wieder aufbrechen, ist nicht mehr ein Viertel, sondern die ganze Breite der Fahrstrasse ins Tal unter Wasser. In unserer Gruppe macht sich leichte Katastrophenstimmung breit.

Der Sämtisersee muss vorher völlig ausgetrocknet gewesen sein - als wir ihn sehen, ist er eine braune Sumpfbrühe. Gewaltige Schlammströme wälzen sich durchs Tal und über den Weg. Der Wanderweg dient als willkommener Abfluss, wir bleiben auf der Strasse. Kurz vor der Bollenwees hört es tatsächlich mal kurz auf zu regnen - die Alpweiden stehen so tief unter Wasser, dass Zaunpfosten teils nur noch Zentimeter herausragen. Wenige Minuten später geht der Regen aber wieder los. Es wird der einzige Moment ohne Regen an diesem Tag bleiben. Hundstein, Saxerlücke und Dreifaltigkeit sind gelegentlich durch die dichten Wasser- und Wolkenschwaden zu sehen, eine dramatische Stimmung! Zu schade, dass ausser mit der kleinen ActionCam in ihrer Unterwasserhülle keine sinnvollen Fotos möglich sind. Ich brauche mein Handy noch.

Im Gasthaus Bollenwees machen wir wieder eine Kaffeepause und hängen unsere Sachen im Trockenraum auf. Herzlichen Dank dafür! Ich probiere zum ersten Mal im Leben einen Schlorzifladen und bin hellauf begeistert.

Dann stiefeln wir wieder weiter am Fählensee entlang. Der Weg steht teilweise so tief und weit unter Wasser, dass wir die Sturzbäche etwas oberhalb überkraxeln. Trotzdem haben wir mittlerweile alle nasse Stiefel - manche eher auf der feuchten, andere auf der schwammartigen Seite. Bei der Bewegung wird uns aber unter den Regenkleidern nicht kalt, ausser wir bleiben längere Zeit stehen.

Auch durch die Fählenalp wälzen sich braune Fluten, die laut Karte sonst nicht existieren. Es wirkt, als wäre man hier eben erst damit fertig geworden, die Flutschäden vom verregneten letzten Sommer zu beseitigen. Eine Brücke hat es halb weggespült. Wir hören, wie die schwereren Steine im Flussbett aneinander klacken.

Beat erkennt als unser Tourenleiter, dass wir auf die (im Aufstieg) rechte Seite des Flusses rüber müssen, und schafft den Übergang mit einem nassen Fuss. Wir anderen merken das zu spät - rufen ist bei dem trommelnden Regen nicht hilfreich... Der Fluss ist reissend und wir überlegen messerscharf, dass er weiter oben ja nur schmaler werden kann. Also laufen wir links weiter. An manchen Stellen schiesst das Wasser überraschend einfach so aus dem Boden, die Steine sind rutschig und lose. Tatsächlich teilt sich der Bach recht weit oben dann in drei Arme und wir können ihn an verschiedenen Stellen sicher überqueren.

Dann beginnt der lange Schlussaufstieg zum Zwinglipass. Wir machen auf 1700m nochmal einen Zwischenhalt in einer Schutzhütte (wo der Boden so schmutzig ist, dass wir alle möglichen kreativen Lösungen finden, um unsere Rucksäcke nicht abstellen zu müssen), dann geht es zur letzten Etappe. Lukas' Schuh verabschiedet sich kurz vor der Hütte dann noch von seiner Sohle... und keiner hat Panzertape oder Kabelbinder dabei. Notdürftig geflickt schafft auch er es trotzdem ins Warme und Trockene. Urs bekommt trockene Wechselkleidung von der Hüttenmannschaft ausgeliehen, unsere Sachen füllen den neuen Winterraum und die grossen Capes und Ponchos kommen in den Keller. Später am Abend lesen wir im Internet, dass im Alpstein zwischen 120 und 160mm Regen niedergegangen sind... unglaublich. Um mit den Handys ins Internet zu können, mussten wir jedesmal ein Fenster öffnen und sie nah an die Öffnung halten. Offenbar schirmen die Fenster recht gut ab.) Wir waren - die Pausen nicht gezählt - fünfeinhalb Stunden im Regen unterwegs. Die Käsehörnli mit Apfelmus fühlen sich verdient an.

Der Schlaf im Raum "Schneehuhn" gestaltet sich trotz unserer Müdigkeit schwieriger als erwartet. Trotz offenem Fenster ist es sehr heiss - und die Matratzen scheinen aus einem Block Schaumgummi zu bestehen, ohne jegliche Löcher, Spalten, Lüftung zur Seite oder nach unten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir 2012 auch schon solche Probleme hatten, als ich das letzte Mal hier war. Alle paar Minuten wache ich schweissgebadet auf. Dass wir in dieser Nacht mehrere starke Schnarcher in der Gruppe haben, hilft auch nicht. Trotzdem, irgendwie geht es am Ende doch.

Tag 2:
Wo gestern noch eine graue, undurchdringliche Wand um die Terrasse herum war, zeigen sich am nächsten Morgen plötzlich überraschende Weit-, Aus- und Tiefblicke. Der Altmann schaut mal kurz raus, am Girenspitz können wir Gemsen und am Altmann einen Steinbock beobachten. Nach üppigem z'Morge ziehen wir wieder los in Richtung Tal. Der Samstag ist mehr als Weit-, weniger als Bergwandertag geplant. Wir sind viel auf Fahrstrassen unterwegs und auch in der Zivilisation. Der Regen beschränkt sich auf wenige, sehr kurze Nieselschauer. Es lohnt sich fast nicht, die Regenkleider anzuziehen, so schnell hört er wieder auf. Ich gönne mir eine kleine Sporteinlage nach der Teselalp, weil ich dort (nach einer der üblichen Pausen) meine Stöcke vergesse und das erst am Flüretobel merke... An der Teselalp sehen wir auch viele Murmeltiere und einige Ziegen.

In Wildhaus verlässt uns Lukas. Der Frust über seinen Schuh hat ihm die Freude an der Tour genommen. Das Sportgeschäft weiter unten an der Strasse hätte sowieso nicht offen gehabt. Wir sieben dagegen schauen uns das Zwinglihaus an (mit Esspause) und statten dann dem Schwendisee einen kurzen Badebesuch ab (wieder mit Esspause). Anschliessend gehts nach Iltios zur Seilbahnstation (mit Kaffeepause), dann zum beeindruckenden Rauchloch (mit einer Besinnung mit Tiefgang von Hannes und einer Esspause kurz darauf) und endlich - schon lang nicht mehr in der Sonne, sondern in grau-feuchtem Nachmittagswetter - zur Wildmannlihütte am Strichboden. Die Motivation nach dieser langen Tour reicht nicht mehr fürs Wildmannliloch, obwohl die Infotafel sehr interessant klingt. Dankbar richten wir uns im Massenlager ein und geniessen ein leckeres z'Nacht vom Grill.

Dabei äussere ich die Idee, am nächsten Tag auf den Selun zu steigen. Was als absurde Spinnerei anfängt, gewinnt durch die Infos der Hüttenwartin an Attraktivität - laut ihr dauert die Tour nicht knapp drei, sondern weniger als zwei Stunden. Drei von uns verabreden sich auf 5:15 Uhr am nächsten Morgen. Um 6:30 Uhr wollen wir pünktlich zum Sonnenaufgang oben sein. (Den Sonnenuntergang sehen wir leider nur indirekt vom Hügel hinter der Hütte. Es sind zuviele Wolken im Weg.)

Wieder schlafen wir schlecht, aber die Matratzen sind von deutlich besserer Qualität und wir haben viel weniger Schnarcher. Ich stehe um zwei Uhr auf, gehe nach draussen und geniesse die sternenklare Nacht und die Mondsichel. Dann höre ich ein Geräusch, das ich nicht einordnen kann und mir fallen die vielen Unterhaltungen vom Tag über Wölfe ein... Der Gedanke, plötzlich von einem Rudel hungriger Wölfe vom Haus getrennt zu sein, gefällt mir nicht und ich gehe wieder ins Bett. Vermutlich war's aber nur ein Hirsch...

Tag 3:
Um 5:15 Uhr stehen wir drei auf. Leider hat aber unser eigentlicher Vorrenner und Gipfelstürmer seine Schuhe im Gastraum gelassen, wo sie jetzt eingeschlossen sind. Also stiefeln Roland und ich zu zweit los. Stirnlampen haben wir zwar dabei, aber der Mond scheint noch hell genug und am Horizont ist schon ein Dämmerungsstreifen zu sehen. Nach anfänglichen Stolpereien wird der Weg auf den Selun bald besser und wir steigen hochmotiviert dem Gipfel zu. Tatsächlich kommen wir 57 Minuten nach Aufbruch und damit exakt zum Sonnenaufgang oben an! Wenig später stossen noch zwei Trailrunner dazu, die um 4:30 Uhr unten in Starkenbach losgelaufen sind und alle sieben Churfirsten an einem Tag machen wollen. Nach 15min Fotosession und Gipfelbuch (und viiiel genussvollem Ausblick) steigen wir wieder ab, treffen nochmal zwei sportliche Mädels und eine Dreiergruppe mit demselben ambitionierten Ziel wie die anderen und kommen nach 45min wieder an der Hütte an. Es geht also tatsächlich in unter zwei Stunden!

Das zMorge ist lecker, aber für 15 CHF doch eher unterdimensioniert und jedenfalls kein Vergleich zum zNacht vom Vortag. Wir brechen zur letzten Wanderung auf, die uns eigentlich bis Amden führen sollte, wo wir um 16:30 das Postauto nehmen wollen. Durch spannendes Karstgelände und vor allem bei allerschönstem Wanderwetter mit schönem Sonne-Wolken-Mix kommen wir zum Tritt, wo unser Holländer in der Gruppe sich recht schwer tut mir den ausgesetzten, seilgesicherten Passagen, die durch den Regen noch sehr rutschig sind. Wir assistieren, so gut wir können, und irgendwann ist die Wegstrecke geschafft. Irgendwie frustrierend, dass man erst ziemlich weit aufsteigt, dann wieder ziemlich weit ab - und erst dann kommt der steile Einstieg in den Weg zum Leistchamm-Gipfel.

Hier legen wir vier, die wir auf den Berg wollen, ein Materialdepot an mit allem, was wir nicht brauchen. Die anderen verkrümeln sich nach unten auf die Bergwiese und machen - richtig! - eine ausgedehnte Essenspause. Ziemlich genau um 11 Uhr beginnen wir unseren Gipfelsturm. Der Aufstieg zum Leistchamm ist heute wirklich anspruchsvoll und nicht unheikel. Jeder Tritt will überlegt sein, jeder Stein ist glitschig, auf allem liegt ein Feuchtigkeitsfilm. Wir lernen Grasbüschel und wurzelverstärkte Erdtritte heute mal so richtig wertschätzen! Ab etwa 1800m, als der Weg dann direkt auf dem Rücken verläuft und schon etwas Sonne gesehen hat, werden die Tritte endlich griffiger. Nach 35min kommen wir am Gipfel an und geniessen das Schauspiel aus Wolken, die der Südwind abwechselnd als weisse Wand vor uns aufbaut und dann plötzlich Löcher hineinreisst, durch die wir den Walensee tief unter uns und die Berge gegenüber sehen können. Ein Genuss nach den letzten zwei Tagen, wo Blicke auf Gipfel absolute Mangelware waren, und eine Belohnung für den mühsamen Aufstieg!

Nachdem wir uns auch hier im Gipfelbuch verewigt haben (quasi auf den letzten freien Zentimetern Papier), steigen wir ziemlich schnell zurück zum Tritt ab. Das heisst, einer von uns rennt und springt quasi (mit obligatorischen Ausrutschern...) - nachdem wir uns beim Aufstieg noch über einen anderen Wanderer aufgeregt hatten, der in Turnschuhen unterwegs war... Roland und ich sind zwar auch flott unterwegs, aber doch gefühlt etwas sicherer, und wir erreichen nach 30min unser Depot. Beat lässt sich Zeit und kommt sicher 10-15min nach uns unten an. Jedem das Seine (Tempo). Hauptsache, wir sind alle sicher wieder auf trockenen Wegen.

Wir stossen zu den anderen, gönnen uns ebenfalls eine Essenspause (bei der sie uns tatkräftig unterstützen) und steigen dann nach Arvenbüel ab. Das glattgeleckte, luxuriöse Ferienhäuschendorf ist nicht jedermanns Geschmack - uns zieht es aber sowieso ins Dorf"zentrum" und zum Restaurant, wo wir uns zum letzten Mal eine ordentliche Pause gönnen - endlich mal mit Glacé! Wir wären den ewigen Kaffee und Kuchen ja fast schon leid geworden :D

Den eigentlich geplanten Schlussteil der Wanderung am Grat entlang nach Amden lassen wir weg - so hat Hannes noch Zeit für eine Andacht am Ende. Ein bisschen wehmütig stelle ich fest, dass ich dadurch nicht die 2000hm Abstieg knacke, sondern nur auf etwas über 1700m komme... Ausgesprochen müde fahren wir um 16:21 Uhr mit dem Bus in Richtung Heimat. Zumindest Roland und ich bekommen wenig mit von der malerischen Fahrt durch Amden, wir schlafen immer wieder ein...

Tourengänger: 1Gehirner


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden


Geodaten
 57439.gpx Gesamte Tour

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentar hinzufügen»