Wetterhorn - Abbruch Willsgrätli (Unfall)


Publiziert von ᴅinu , 2. August 2020 um 13:16.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Oberhasli
Tour Datum:31 Juli 2020
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS-
Klettern Schwierigkeit: III (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 2146 m
Abstieg: 2146 m
Strecke:20,4 km

Aufgrund des Wetters zieht unser Organisator die Tour einen Tag vor. Dieses Mal habe ich mich einer Tourengruppe angeschlossen, da mich die ausgeschriebene Rundtour im Vereinsheft sofort gepackt hat: "Wetterhorn via Willsgrätli mit optionaler Überschreitung des Mittelhorns und Abstieg über die Augen". Aufgrund der technischen Schwierigkeiten und des vorhergesagten Wetters sollte es eine Genusstour werden.

Vom grossen Parkplatz des Restaurants Wetterhorn starten wir unseren Hüttenzustieg. Mit interessanten Blicken Richtung Schwarze Lütschine und der steilen Nordwand vom Wetterhorn wandern wir zum P.1593 empor, von wo man in den stark ausgesetzten Wegabschnitt zur Glecksteinhütte einsteigt. Über den sehr ansprechenden Ischpfad marschieren wir nun mit traumhaften Blick Richtung Mittellegigrat bis zum P.1735, von wo man einen tollen Blick auf die Bergstation vom ehemaligen Wetterhorn-Aufzug hat (Dieser war von 1908 bis 1915 in Betrieb). Nachdem wir nun aufgrund der schwülen Temperatur von innen Nass geschwitzt waren, setzte nun auch ein willkommener, leichter Regen ein, welcher uns von aussen berieselte. Bei der willkommenen Dusche beim Wyssbach waren dann definitiv alle Nass! Bei den Zybachsplatten begannen wir erneut an Höhe zu gewinnen. Über den Zick-zack weg erreichten wir nach bereits 2 1/4 h die tolle Glecksteinhütte. Bei einem kurzen, gemütlichen Abend, liesen wir den Abend mit einem schönen Sonnenuntergang ausklingen. Eine der anwesenden Steingeissen traute sich gar zur Freude der "Hotelgäste" an die Hüttenmauer.

Um 3 Uhr Morgens standen wir motiviert auf, sodass wir um 3:35 Uhr bereits los marschieren konnten. Der Aufstieg zum kleinen Chrinnengletscher ist kurzweilig, der Aufstieg über den Chrinnengletscher mit zwei Dreierseilschaften nur von kurzer Dauer. Der Ausstieg war bereits ausgeapert, sodass wir den Ausstieg seriös angehen mussten. Der Felsnase vom Normalaufstieg entlang fand unser Tourenleiter eine mögliche Variante, sodass wir sicher und trotzdem rasch auf dem Normalweg standen und somit im 2. Schwierigkeitsgrad begannen, in drei Zweierseilschaften über diese Felsnase aufzusteigen. 

Der Aufstieg über Blockgelände und später Abwärtsgeschichtete Platten ist lang. Den optimalen Weg für die Querung zum Willsgrätli zu finden eher Zufallssache - hier wären aus meiner Sicht Sicherungsstangen sehr hilfreich, da ein abrutschen fatal Ausarten könnte. Am Willsgrätli angekommen bewältigt man weitere Höhenmeter im 2. Schwierigkeitsgrad, wobei nun in regelmässigem Abstand Sicherungsstangen zu sehen sind. Der Wechsel in den 3. Schwierigkeitsgrad ist offensichtlich, eine Sicherungsstange weist einem den Weg, danach folgen Bohrhacken. 

Auf ca. 3350 Höhenmeter passiert es, kurz nach dem Begin der Genusskletterei. Wir sind die dritte Zweierseilschaft unserer Tourengruppe. Eine Rund ein Kubikmeter grosse Felsplatte von 2 Meter breite löst sich direkt vor meinem Seilpartner, welcher am vorklettern ist. Dies entspricht ungefähr 1,5 Tonnen! Was dann passierte lief in wenigen Sekundenbruchteilen ab. Spätestens als mein Seilpartner samt Felsen an mir vorbei schlitterte, hatte ich für mein Leben abgeschlossen - Der Fels verhedderte sich teilweise mit dem Seil, mein Gedanke: Der Stand hält das nie im Leben. Während ich noch versuchte das Seil einzuziehen um die Sturzlänge zu minimieren und die Optimale Position zu erlangen, um allenfalls den Seilpartner mit Manneskraft aufzufangen, riss es plötzlich mit voller Kraft am Seil. Meine Hände prallten gegen den zackigen Felsen und der Seilpartner gelangte zum Stillstand. 

Der Seilpartner lag bewegungslos da, im Schockzustand versuchte ich über Fragen herauszufinden, wie es ihm geht. So wie ich es in diversen Wiederholungskursen immer wieder lerne. Die Kommunikation funktionierte, an Kopf und Rücken bemerkte mein Seilpartner keine Schäden. Das Blut an den Füssen liess jedoch keine gute Prognose erahnen. Als nächste Massnahme errichtete ich für mich einen optimaleren Stand, sodass ich absitzen konnte und vollen Zugriff auf meinen Rucksack hatte. Die gefühlte Kälte nahm nämlich beim stillstehen rapide zu. Der eine Tourenleiter seilte sich inzwischen zu uns hinunter ab, während der andere die Rega alarmierte. Dem Seil entlang liessen wir nun ein Kleidungsstück zum verletzen Seilpartner hinunter, damit er sich besser zudecken konnte. Die Wolkendecke war zu dem Zeitpunkt knapp über uns.

Die Zeit bis die Rega eintraf war für uns betroffenen am schlimmsten. Die Kälte machte sich breit, da die wärme der Muskeln nachliess. Im Schockzustand bemerkte ich lange nicht, dass meine Hände ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Hände prallten gegen den scharfzackigen Felsen und waren inzwischen Blutüberströmt. Mit meiner Ersthilfeapotheke konnte ich die Hände reinigen, desinfizieren und verbinden.

Mit der Rettungswinde wurde unser Seilpartner in Geborgenheit der Rega zuerst zur Glecksteinhütte und von dort im Heli ins Spital von Interlaken geflogen. Diagnose: Beide Unterschenkel und ein Sprunggelenk gebrochen.
Hierbei möchte ich einen herzlichen Dank an die Rega aussprechen. Apropos, werde doch auch Gönner und unterstütze diese Engel: https://www.rega.ch/rega-goenner

Für uns war es klar, dass wir die Tour abbrechen und absteigen. Vorsichtig stiegen wir insofern über denselben Weg ab, zurück zur Glecksteinhütte. Nach einer kurzen Pause in der Glecksteinhütte stiegen wir sodann auch noch ganz ab. Unterwegs hatten wir sehr gute Gespräche. Die Tour war seriös geplant, es herrschten gute Verhältnisse und es war eine tolle, konditionell gute Gruppe - es hätte alles gepasst: Wir waren für einmal zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Ich persönlich bin unendlich dankbar ist nicht mehr passiert, der Felsausbruch hätte sehr traurig enden können. Umso mehr bin ich überzogen, dass die eher vorsichtige Art mit welcher ich (wir) klettern, das Restrisiko minimiert. Ohne Seilschaft wären wir rund 200 Meter tiefer gelandet – Augenzwinker zu anderen Solo-Tourengehern. 

Zuhause angekommen begab ich mich nach dem Nachtessen und einer Dusche in Behandlung. Die Diagnose nach 4h Röntgen, Untersuchungen und Behandlungen:

  • Linker Ringfinger: Fingernagel ausgerissen, dieser musste neu platziert und angenäht werden
  • Linker Ringfinger: Doppelter Bruch im dritten Fingerglied / Darf 3 Monate nicht mehr Belastet werden
  • Linker Ringfinger: Vene zerquetscht
  • Rechte Hand kleiner Finger: Verbrennungen, vermutlich vom Seil
  • Beide Hände: Rund 20 offene Hautfetzen
 
In diesem Sinne: "Hebed Sorg". 

Meinem Seilpartner wünsche ich weiterhin eine gute, nachhaltige Genesung. 

Unserem Tourenleiter und der gesamten Gruppe ein herzliches Dankeschön - diese Tour wäre ein weiteres Highlight mit besten Erinnerungen geworden!

Tourengänger: ᴅinu


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Kommentare (12)


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Nic hat gesagt:
Gesendet am 2. August 2020 um 13:23
Ohje, die Tour hattet ihr euch sicher anders vorgestellt. Gott sei Dank ist es noch so "glimpflich" ausgegangen...Gute Besserung an dich und deinen Kameraden!

VG Nico

TeamMoomin hat gesagt: Zum Glück
Gesendet am 2. August 2020 um 14:09
isch das ganze nomol glimpflich usgange, wo du mer gschrebe hesch isch mer ächt andersch worde. Jetzt wärdid gsund und Berge laufid jo ned devo.
Lg Oli und au Moomin

Linard03 hat gesagt:
Gesendet am 2. August 2020 um 17:46
tönt gar nicht gut … glücklicherweise ist das Ganze nicht schlimmer ausgegangen.

Wichtig ist doch auch die Erkenntnis, dass man grundsätzlich alles richtig gemacht hat; wie Du sagst; "zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort".
Jedenfalls hilft das sicher bei der Verarbeitung des Geschehenen und auch bei der Vorbereitung der nächsten Tour.

Aber jetzt wünsche ich Dir und Deinem Seilpartner erst mal alles Gute und schnelle Genesung!

LG, Richard

Flylu hat gesagt:
Gesendet am 2. August 2020 um 20:28
Hoi D!nu

Einer solchen Situation und der Ohnmacht ausgesetzt zu sein, dass es so schnell geht und es nicht verhindern zu können und man kann nur noch hoffen dass alles gut geht. Das muss sehr belastend sein und ich kann Euch nur Stärke bei der Bewältigung diese Erlebnisses wünschen und dass ihr es möglichst ohne weitere seelische oder körperliche Folgen überwinden könnt.

Ich wünsche dir und deinem Seilpartner gut Genesung.

Lieber Gruss, Lucia

Primi59 hat gesagt:
Gesendet am 3. August 2020 um 08:39
uiui, D!nu
da sind mehrere Schutzengel mit auf der Tour gewesen. Das hätte def. schlimmer ausgehen können. Wünsche dir und deinem Tourenpartner gute Besserung und dass ihr die Freude und Motivation zum Bergsteigen beibehaltet.

heb dr Sorg
Grüässli
Priska

Alpin_Rise hat gesagt: Danke für die mutige Doku!
Gesendet am 3. August 2020 um 11:46
... falsche Zeit, richtiger Ort / richtige Zeit, falscher Ort... gravierend und doch glimpflich... am Ende philosophische Fragen, gut ist nicht mehr passiert.
Und super, wenn deine Motivation ungebrochen ist - fördert die Heilung von Hand und Kopf!

Erinnerungen, die mir hochkamen:
Vor ziemlich genau zwei Jahren war exakt auf eurer geplanten Route unterwegs. Eine zünftige Tour, die Konzentration über lange Zeit erfordert.
Und vor rund zehn Jahren löste ich im Vorstieg auch eine etwas kleinere Platte am Unglücksberg Hochhus (Alpstein). Mit viel Glück kam ich nur mit einer Fleischwunde davon...

Auch deinem Tourenpartner schnell gute Besserung,
G, Rise

maenzgi hat gesagt:
Gesendet am 3. August 2020 um 12:04
Auch von meiner Seite wünsche ich gute und schnelle Besserung. Da habt ihr ja nochmals Glück gehabt.
Pass auf dich auf, auf schnelle Heilung.

Danke für die Dokumentation.

Gruss Manu

amphibol hat gesagt: ui -- zum Glück ist nicht mehr geschehen..
Gesendet am 3. August 2020 um 13:52
zum Glück war euch der Glücksgott bei Seite gestanden. Ja, teilweise eine brüchige und instabile Geschichte da am Grat zum Wills.. Bin sehr froh, habt ihr gut reagiert - das ist in solchen Situation viel Wert.

Gute Erholung im mentalen wie auch im körperlichen Bereich .. du weiss ja, die Zeit heilt die Wunden. Das Mentale wir aus eigener Erfahrung etwas länger dauern.. Aber man soll insbesondere die schlechteren Erfahrungen mitnehme, diese machen uns stärker.:-)
In diesem Sinne: schöne und unfallfreie Touren in der Zukunft!

LG, amphibol

Nicole hat gesagt: Allen gute Genesung und Verarbeitung
Gesendet am 3. August 2020 um 16:10
Ich bin nicht mehr oft auf dieser Seite, dennoch blieb ich an dem "traurigen" Eintrag kleben.

Wünsche dir und deinem Seilpartner vollständige Genesung der Brüche, Wunden und eine gute Verarbeitung. Aus eigener Erfahrung wissend kann so ein Erlebnis Monate später psychischen Symptomen zeigen.

Alles Gute Nicole

igor hat gesagt:
Gesendet am 3. August 2020 um 21:14
Brutta storia ! Per fortuna eravate legati anche a noi ci ha recuperato la rega 2 settimane fa per fortuna non ci e successo niente buona guarigione

mong hat gesagt:
Gesendet am 4. August 2020 um 02:36
Ich wünsche deinem Seilpartner und dir gute Genesung!

> Apropos, werde doch auch Gönner und unterstütze diese Engel

Ich bin seit über 30 Jahren Mitglied der REGA. Es hat sich gelohnt.
Auch mich haben sie einmal aus einer prekären Situation im Tessin gerettet.

ᴅinu hat gesagt:
Gesendet am 6. August 2020 um 07:08
Vielen herzlichen Dank für Eure lieben Worte.
Ich wünsche Euch weiterhin ganz schöne Erlebnisse in der Natur!
Beste Grüsse
Dinu


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