Chilcherbergen - Seewli - Rinderstock - Mit Biwak auf dem Bälmeten


Publiziert von lynx , 25. August 2019 um 00:53.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:22 August 2019
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 2 Tage 11:15
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 1900 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Nach Silenen fahren. wenn du ab der Autobahn kommst und ins Dorf Silenen einfährst, kommt irgendwann ein Wegweiser "Kirche/Schule". In diese Strasse einbiegen, bis zur Kirche hoch fahren. Dort rechts über den Pflastersteinplatz weiter fahren. Dann sind zwei mal kleine weisse Wegweiser angebracht die dich zur Talstation der Seilbahn führen. Dort parkieren.
Unterkunftmöglichkeiten:Bei der Seewlialp gibt es die Möglichkeit zu übernachten. Dort ist auch eine kleine Alpbeiz.

Eine wenig besuchte Gegend in den Urnen Alpen, nichtsdestotrotz eine Gegend mit grossartiger Kulisse. Die Route bewegt sich, abgesehen vom Rinderstock (T4), immer in T2 und T3 Gelände. Nach einem Monat rumliegen und einer Woche hohem Fieber, Doxycyclin und Ciprofloxacin reinschaufeln und verschiedenen anderen Procedere's mache ich mich wieder einmal auf den Weg ins Gebirge. Den Tipp für eine Tour in dieser Gegend hat mir einer meiner Ärzte im Kantonsspital, ein Urner, gegeben. Er meinte: Es wird Zeit, dass sie endlich wieder auf einen Berg steigen können."
Zwar hatte ich es am 30. Juli bereits versucht und auch geschafft von der Göscheneralp auf die Dammahütte hoch zu steigen und auf der anderen Seeseite zurück auf die Göscheneralp zu marschieren, obwohl ich zu dem Zeitpunkt physisch ziemlich reduziert war. Das merkte ich natürlich erst so richtig als ich mich ein paar Stunden im Gelände bewegte. Jetzt aber geht es wieder deutlich besser. Der Tonus der Beinmuskulatur lässt allerdings noch zu wünschen übrig. Das merke ich, als ich bereits ein paar Stunden am steigen bin.

An was denkst du als erstes wenn du das Wort Zeckenbiss hörst? Als Erstes wahrscheinlich an Borreliose. Stimmts? Oder als zweites an FSME, der Frühsommer-Meningoenzephalitis. Aber wer denkt schon an Tularämie, die sogenannte Hasenpest? Kaum jemand hat dieses Wort jemals gehört. Es ist ein Erreger namens Francisella tularensis, welcher unter anderem auch durch Zecken übertragen wird. Tetrazykline und Fluorchinolone sind die (noch) wirksamen und schlagkräftigen Waffen gegen die Übeltäter. Der Erreger gehört übrigens auch zu dem dirty dozen, dem dreckigen Dutzend, der Biowaffen. 
Zu den bekanntesten B-Kampfstoffen unter den pathogenen Bakterien gehören der Milzbrand (Anthrax) verursachende Bazillus anthracis, sowie Yersinia pestis (Erreger der Pest), Vibrio cholerae (Erreger der Cholera), Coxiella burnetii (Erreger des Q-Fiebers) oder Francisella tularensis (Erreger der Tularämie). Die B-Kampfstoffe sind umso effektiver, je weniger wirksame Antibiotika dem Feind zur Verfügung stehen.

Also, so weit so gut! Weniger gut ist, dass ich offensichtlich beim Abstieg auf dieser Tour, in den tieferen Regionen des Berglandes schon wieder eine Zecke eingefangen habe. Sauber und unzugänglich fixiert am Rücken, oberhalb der rechten Niere. Bemerkt habe ich dies heute Morgen. Subito hab ich mir das Viech auf der Notfallstation des lokalen Spitals am Morgen um 6.30 Uhr entfernen lassen. Anschliessend haben wir das Spinnentierchen auf dem Instrumententisch eine letzte Runde spazieren lassen bevor wir es mit 70%-igen Isopropylalkohol tauften und ihm zusahen wie seine Bewegungen allmählich langsamer wurden bis es schliesslich keine Zuckung mehr von sich gab. 
Jahrzehnte lang nichts, nicht einmal in den Tessiner Alpen, wenn ich jeweils durch's hohe Gras aufgestiegen bin. Und jetzt innerhalb von weniger als zwei Monaten gleich zwei Tick Bites. 

Aber jetzt bin ich abgeschweift. Zurück also, zum Aufstieg bei Kilcherberg (1155 Meter). Den kleinen Weiler erreichst du am bequemsten mit der kleinen 4-plätzer Seilbahn, welche dich in sieben Minuten 600 Höhenmeter  hinauf befördert. Die nächsten knapp 1000 Höhenmeter zum Seewli (2028 Meter) musst du dich selber hocharbeiten. Das Seewli ist der grösste und mit 20 Meter Tiefe der tiefste natürliche Bergsee im Kanton Uri. Ein idyllisches Plätzchen zu den Füssen der beiden Windgällen gelegen, dessen Wände auf diese Seite senkrecht abfallen.
Bald holen mich zwei zügig vorankommende Herren aus hiesigem Lande ein. Es sind Fischer mit leichtem Gepäck. Sie haben es auf die Forellen im Bergsee abgesehen. Mit ihnen plaudere ich eine zeitlang. Dann gehen sie weiter.
Irgendwann kommt man am Wegweiser Hexensteig vorbei. Dieser Klettersteig ist von Felix und Stijn hier und hier beschrieben und gut fotografisch dokumentiert worden.
Den Zigerweg welcher hier durch eine furchtbar abschüssige Wand - siehe Bild - führt, hat Ursula, die Frau von Felix hier dokumentiert. Schaut euch diese Links an. Es lohnt sich.

Als ich bei der Boccalino-Tankstelle ankomme und dort meinen Durst lösche, kommt eine knackige Trail-Runnerin aus Zürich mit amerikanischem Akzent hochgespurtet. Wir unterhalten uns so lange, bis ihre Kollegin auch erscheint. Als wir weitergehen wollen, lässt mir ihre Kollegin den Vortritt. Ich muss schallend lachen. Die beiden rasen den Berg hoch und haben nur ihren kleinen Flüssigkeitstank am Rücken und glauben allen Ernstes ich würde mit Vollpackung und mindestens zehn Jahren mehr auf dem Buckel schneller als sie da hochsteigen. 

Auf der Seewlialp angekommen, mache ich mich zuerst in Richtung Seewli-Alphütten-Beizli auf. Dort will ich mir einen Café und ein Stück Kuchen einverleiben. Aber oh jeh! Das Beizli ist, aus gesundheitlichen Gründen des Besitzers, geschlossen. Später erfahre ich, dass der Besitzer sich beim Holz spalten einen Spriessen tief in den Finger gestossen hat. Und jetzt hat er, na was wohl? Einen bösen Infekt, eine geschwollene Hand und schaufelt unten im Tal Clindamycin, ein Breitbandspektrum Therapeutikum gegen grampositive Erreger wie Streptokokken und Staphylokokken. Wahrscheinlich hat ihn ein Staphylococcus aureus erwischt.  

Ich gehe also jetzt zuerst zum See hoch und anschliessend in die Alphütte welche die Stellvertretung übernommen hat. Ja, du hast richtig gelesen - Alpbeiz-Stellvertretung in der obersten Hütte der Alp. Beim See oben machen wir Bekanntschaft mit einer Herde übermütiger Rinder. Mich benutzen sie als Salzleckstein. An Artus haben sie ihre helle Freude. Rinder sind sehr neugierig. Gleich mehrere Tiere gehen auf ihn zu. Ihm ist das überhaupt nicht geheuer. Er rennt davon und ein besonders schnelles und flinkes Rind jagt ihm volle pulle hinterher. Erst im steilen Gelände kann er das Rindvieh abhängen, während ich weiter unten aus anderen Gründen von Rindern umzingelt bin. 
Ich mache mich jetzt auf zu Café und Kuchen in die Stellvertreter-Beiz. Als ich vor der Tür stehe kommt der junge Älpler aus der Tür. Neben ihm die Katze. Ich seh sie erst gar nicht. Zum Glück fragt er ob der Hund der Katze was tun würde. Sofort nehme ich Artus an die Leine und sage ihm, wenn ihm das Leben seiner Katze lieb sei, solle er sie so rasch als möglich in Sicherheit bringen. Für Artus sind nämlich Katzen, was für Katzen Mäuse sind. 

Anschliessend mache ich mich weiter auf den Weg Richtung Stich (2320 Meter). Ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt hier oben in der Wildnis. Ich bin das erste Mal hier in dieser Gegend und ich weiss noch nicht wo ich mein Biwak machen werde. Ich denke, dies eventuell auf dem Rinderstock (2463 Meter) zu tun. Als ich bei Wissen Platten ankomme wo unverkennbar die blau-weissen Markierungen auf den Rinderstock sichtbar sind, lege ich intuitiv meinen Rucksack nieder und ziehe auch Artus die Packtaschen ab. Fast schwerelos gleiten wir nun über die Kalkschroffen auf den Gipfel. Ausgesetzt ist eigentlich nur der oberste Teil, der Grat bis zum Gipfelkreuz. Ein paar Mal muss man eine Kluft überspringen. Die sind aber für jeden problemlos machbar ohne dass man je einen Preis im Weitsprung gewonnen haben müsste.
Vom Gipfel aus sieht man schön auf's Bälmeter Grätli und auf den Bälmeten. Als ich das sehe ist auch klar wo ich die Nacht verbringen will. Falls es hart auf hart gehen sollte und die eventuell am Alpenhauptkamm vorhergesagten, möglichen Gewitter in der Nacht abgehen, möchte ich mich nicht auf einem schmalen Grat in der Dunkelheit befinden und im schlimmsten Fall über wegloses, abschüssiges Gelände in stockdunkler Nacht, den Berg fluchtartig verlassen müssen.
Wir steigen wieder ab gehen über den Pass bei Wissen Platten hinunter Richtung Stich wo wir einen Typen treffen der nur mit kurzen Hosen und leichten Trekkingschuhen unterwegs ist. Mit ihm unterhalte ich mich eine zeitlang. Anschliessend machen wir uns auf die letzte Aufstiegsetappe am heutigen Tag. Über das Bälmeter Grätli auf den Bälmeten (2415 Meter) wo wir unsere Mahlzeiten einnehmen, das Biwak herrichten und den Sonnenuntergang abwarten. Die Nacht bleibt trocken. Nur weit weg im Süden ist intensives und anhaltendes Wetterleuchten auszumachen. Eine wunderbare, sternenklare Nacht herrscht hier oben vor. Unten Nebelmeer.
Am Morgen weckt mich Artus. Hätte er es nicht getan, hätte ich wo möglich den Sonnenaufgang verpasst. Schätzungsweise war hier oben kurz vor Sonnenaufgang etwa 5° Celsius. 
Nach packen des Biwak-Materials und ausgiebigem Frühstück machen wir uns wieder auf den Abstieg nach Chilcherbergen über einen anderen Weg als wir hochgekommen sind. 

Das neue Gipfelbuch wurde am 18.08.2019 stationiert. Natürlich sind inzwischen erst eine Handvoll Einträge vorhanden. 

Tourengänger: lynx


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen


Kommentare (6)


Kommentar hinzufügen

beichholze hat gesagt:
Gesendet am 25. August 2019 um 15:46
Hallo lynx
Vielen Dank für den spannenden Bericht, gluschtig auf die Tour gemacht hast du uns! Ich hoffe die Zecken lassen dich für den Rest vom Jahr in Ruhe...
Vielleicht möchtest du in der oberen Zusammenfassung den Ausgangspunkt von Isleten zu Silenen noch ändern ;-)

lynx hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. August 2019 um 20:25
Hallo beichholze

Danke für dein Kompliment und danke für die Korrektur betreffend der Ortschaft!

Jetzt ist es korrigiert. So wird niemand mehr in die Irre geführt, respektive zum falschen Ausgangspunkt der Tour.

Das hoffe ich auch sehr, dass von diesen Spinnentieren ruhe habe. Habe immer gedacht, die Leute machen viel zu viel Paranoia wegen den Zecken. .... bis es einem einmal selbst erwischt.

Grüsse Lynx

dominik hat gesagt:
Gesendet am 25. August 2019 um 20:21
Sehr schöne Bilder! Ich habe vor Jahren mal die Tour in umgekehrter Richtung gemacht.

lynx hat gesagt: RE:
Gesendet am 25. August 2019 um 20:31
Danke Dominik!

Einen lieben Gruss und weiterhin viele schöne Touren in den Bergen!

Lynx

Primi59 hat gesagt: RE:
Gesendet am 26. August 2019 um 21:20
wow, tolle Tour nach einem herben, gesundheitlichen Rückschlag und dies auch noch ganz alleine, ausser Artus.
Gratuliere dir herzlich!
Hoffentlich lassen die Biester dich nun endlich in Ruhe (wie hat sich das bemerkbar gemacht)?

Gruss aus dem Glarnerland

Priska

lynx hat gesagt: RE:
Gesendet am 27. August 2019 um 12:08
Hallo Priska

Danke!

Etwa so laufen die verschiedenen, möglichen Varianten von Tularämie ab:

https://www.beobachter.ch/gesundheit/krankheit/tularamie-hasenpest

In meinem Fall war es die Ulzeroglanduläre Tularämie (häufigste Form der Hasenpest) mit plötzlichem Fieberanstieg über 39 C° und Geschwüren (lat. Ulzera) an der Eintrittstelle der Erreger mit regionaler, oft eitriger Entzündung der Lymphknoten.
Dank der Erfahrung und dem Spürsinn (Intuition) des Chefinfektiologen im Kantonsspital wurde das richtige Antibiotikum gegeben. Der Erreger konnte erst zwei Wochen später in Blutkulturen mit Sicherheit nachgewiesen werden. Worauf das Antibiotikum nach Empfindlichkeitsprüfung auf Cipofloxacin gewechselt wurde weil der Erreger darauf am empfindlichsten reagiert hat.

Wobei die im Bericht angegebenen Zahlen von jährlich vier bis fünf Infektionen pro Jahr in der Schweiz längst nicht mehr stimmen. In den letzten Jahren sind die Inketionsraten stetig gestiegen und in den letzten zwei Jahren haben sich die Zahlen vervierfacht. Inzwischen sind wir bei ca. 140 Fällen pro Jahr in der Schweiz.
Im Vergleich zur Borreliose mit 6000 bis 10000 Fällen im Jahr ist das natürlich immer noch eine verschwindend kleine Zahl.

Liebe Grüsse - Thomas


Kommentar hinzufügen»