Ich glaube, nun wird es tatsächlich langsam einmal Zeit, ein paar erklärende Worte voraus zu schicken, sonst glaubt die Hikr-Welt bald wirklich, daß ich mir meine Geschichten entweder nur ausdenke oder aber, das man mit dem Chaoskopp
WoPo1961 in den Bergen eben nur Chaos erleben kann!!
Ob ihr es glaubt oder nicht: selbst ich habe auch Bergtouren ohne Pleiten, Pech und mit fast keinen Pannen geschafft. Aber es sind halt eben DIE Touren, die besonders in meinen Erinnerungen hervorstechen, in denen nicht alles rund lief... und die letztendlich auch viiieeel intressanter sind!
"WoPo`s kürzester Bergurlaub" wäre eigentlich die viel bessere Überschrift zu dieser Geschichte, aber Blüemlisalpüberschreitung macht dann doch noch ein bißchen mehr her :-)
Die erste Bergtour des Jahres ist ja immer etwas besonderes; man kann es kaum erwarten, endlich zu starten. Ewig hat man diesen Augenblick herbei gesehnt, hatte Monate, Wochen und Tage gezählt. Fast ungläubig schaut man dann aus der Wäsche, ist der ach so herbei gesehnte Tag dann wirklich gekommen.
Meistens zähle ich nochmals Monate, Wochen, Tage zusammen, um auch wirklich sicher zu gehen, daß ich mich nicht verzählt hab. Man stelle sich nur mal vor, ich führe in die schönen Schweizer Berge und der erstbeste Schweizer, der mir dort begegnet, zeigte mir die "rote Karte" , weil ich mich verzählt hätte und noch gar nicht an der Reihe wäre, in eben diese schönen Berge fahren zu dürfen!! Außerdem: wer schon, falsche Bergkarten oder Gebietsführer eingepackt oder Helm oder Telekopstöcke nicht eingepackt hat... bei dem ist es nicht weit her, sich auch zu verzählen :-)
Aber auch die Wiederholungsaddition ergab, daß tatsächlich ich,
WoPo1961 die unendliche Weite von Flachlandhausen hinter mir lassen (durfte) konnte, um neue Abenteuer zu erleben.
Wir fuhren damals noch mit der Bahn per Nachtzug in die Schweiz und standen am späten Vormittag abgehfertig vor dem Kandersteger "Hauptbahnhof".
Aber zunächst geht erstmal nur der Sessellift von Kandersteg zur Bergstation Öschinen. Als ich dort dann in einem feierlichen Augenblick das diesjährige Sicherungsseil von Reinhard überreicht bekam, war ich zwar im ersten Moment fast schon gerührt, bis mir im zweiten Moment dann klar wurde, was das zu bedeuten hatte: gefühlte 7 Kilo zusätzlich zu meinem gefühlten 20 kg-Rucksack....! A pro pos Rucksack: ein immer wieder gern aufgegriffenes Thema meinerseits, denn mein Rucksack war sowieso schon wieder so verdächtig prall gefüllt mit 1000 Dingen, die ich warscheinlich wieder einmal gar nicht bräuchte und umsonst mit hochschleppen würde. Ich kenne meinen "Schalluppirucksack" mittlerweile ziemlich gut; ist er prall gefüllt, ist er schweineschwer... doofe Formel, denn ist ER schweineschwer, bin ICH schnell hundemüde... und dann sind wir auch schon bei dem "Tier", mit DEM ich viele Kämpfe ausgefochten hab: dem Schweinehund!!
Manchmal kann er ja ganz nett sein, schweigt stille und läßt mich in Ruhe. Aber gerade in den Bergen ist es ihm wohl zu langweilig einfach nur stille vor sich hin zu schweigen und dann fängt er an, mich zu nerven. "Na, WoPo, hast wohl heute nicht deinen besten Tag? Und dein fieser Rucksack hat aber wieder mal ein ganz ekliges Gewicht?? Und das Seil macht`s auch nicht leichter, hab ICH recht??Jetzt eine Pause, DAS wär doch fein, hm, wie wär`s? Setzt dich hin und trödel. Die Hütte kann warten, morgen ist doch auch noch ein Tag..." Und so weiter....
Hab schon überall versucht, ihn los zu werden, aber keiner wollte Ihn haben??! Seltsamerweise kommt er dann immer wieder zurück... und immer ausgerechnet zu mir!!
Von der Station Öschinen ging es hinunter zum Oeschinensee und dann hinauf Richtung Unter-Ober-überOber-ganzOber-Bärgli und weitere, fluffige 800 Höhenmeter bis zum Hohtürli. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Hütte, insgesamt sollte man ca. 4 Std (ab Bergstation) für diesen Aufstieg Zeit mitbringen!
Mein Schweinehund hatte zufällig genau so lang Zeit für mich und nachdem wir alles ausdiskutiert hatten, stand ich auch schon vor der Hüttentür der Blümlisalphütte.
So weit ich mich nach all den Jahren erinnern kann, war die Hütte zwar gut besucht, aber bei weitem nicht überfüllt..... und!!!!: es gab gezapfte Gerstenkaltschale. Ok, dies ist nun zwar kein lebenswichtiges Kriterium, aber ich möchte es nicht unerwähnt lassen, war die Freude meinerseits doch nicht gerade gering... möchte ja auch mal ein Lob zollen, sonst gerate ich noch in die Ecke der ollen Meckerköppe, die nirgendwo ein gutes Haar lassen können. Denn "gute Haare" können im fortgeschrittenen Alter manchmal nicht ganz unwichtig sein....
Und da ich einmal mit der Lobhudelei angefangen hab, gehts sofort weiter: Essen war gut, Nacht war gut, Frühstück war gut.... spätestens hier hätte es mich damals eigentlich schon stutzig machen müssen!! Denn bei so vielen positiven Dingen lauert auch das Böse hinterm näxten Felsen und wartet nur darauf, der Flachhausenfraktion mal ein gehöriges Schnippchen zu schlagen..
Bei dieser Geschichte hat es etwas länger gelauert, dafür aber umso schmerzhafter zugeschlagen.
Der Aufstieg am näxten Morgen zum ersten Gipfel der Blüemlisalpüberschreitung, das Morgenhorn, lief wie am Schnürchen. Die Firnverhältnisse waren top und alle unsere vorabendlichen Befürchtungen (Blankeis im steilsten Stück des NW-Rückens und mit halb erfrorenen Händen Eisschrauben setzen müssen), waren unbegründet. Die Steigeisen griffen im hartgefrorenen Firn tiptop und selbst wir kamen einigermaßen zügig voran... also für unsere Verhältnisse war es zügig, das bedeutet aber nicht, daß wir zu den vorderen Seilschaften gehörten! Schon einige Seilschaften waren uns voraus und die ein oder 2 Seilschaften, die noch hinter uns lagen, hatten entweder verschlafen oder wollten uns einfach nicht überholen ....
Auf Wegspuren ging es von der Hütte aus auf den östlichen Arm des Blüemlisalpgletschers in die dortige Mulde am Fusse des Morgenhorns und der Wyssi Frau. Und von dort weiter über die steiler werdene Flanke den NW-Rücken hinauf.
Am Gipfel gab es zur Belohnung eine Superduperrundumschau, wir waren ziemlich aus dem Häuschen, daß bis hier hin alles ohne auch nur ein klitzekleines Komplikatiönchen funktioniert hatte.
Nach der üblichen Fotosession zogen wir euphorisch über einen leichten Firngrat weiter bis zu einem felsigen Gratabschnitt.. Zunächst sicherte ich meinen Freund Reinhard einige Meter hinab, bis zu einer einzementierten Sicherungsstange. Nachdem Reinhard ebenfalls eine Sicherung gelegt hatte, nahm mein Ungeschick dann seinen Lauf. Ich setzte meine Steigeisen wohl unsauber seitlich an den Felsen und beim vollständigen Belasten rutschte der Fuß völlig überraschend vom Felsen ab . Mein Fuß und der restliche WoPo fielen 2-3 Meter hinab und wurden dann ruckartig zum Halten gebracht.
Mein Herz war nicht nur in die Hose geplumst, ich glaube, es war sogar weiter bis in den abgerutschten Fuß geflutscht. Während ich nun erstmal versuchte, mich wieder einigermaßen zu sammeln, hörte ich oben ein lautes Fluchen und Stöhnen. Reinhard hatte mich zwar weltklassemäßig gesichert, dabei aber nicht mit meinem plötzlichen Abrutschen gerechnet, so daß das ruckartig voll gespannte Seil seine rechte Hand gegen den Felsen hatte prallen lassen und sie zusätzlich auch noch daran quetschte. Unter erheblichen Schmerzen sicherte er mich dann zu seinem Stand und wir machten sogleich erst einmal eine Pause.
Während dieser Pause bekam Reinhards Hand die Dimension einer Yetitatze, denn seine Hand wurde dicker und dicker. Trotzdem ließ er sich nicht allzu sehr davon beeindrucken, packte alsbald wieder seinen Rucksack und wir zogen weiter.
Wird wohl nicht so schlimm gewesen sein, dachte ich mir noch unterwegs und nachdem wir ohne nennenswerten Schwierigkeiten die Wyssi Frau überschritten, stand irgendwann etwas Kletterei am E-Grat zum Blüemlisalphorn auf unserer Agenda.
Schon bei den ersten Klettermetern merkte ich, das mein Nervenkostüm nach dem Vorfall am Morgenhorn ziemlich angekratzt war. An ein Vorsteigen war nicht zu denken und so mußte Reinhard die näxte Seillänge vorangehen. Mit Bravour meisterte er diese Stellen. Ohne großartiges Jammern kletterte er hinauf, zum Schluß wieder über Firn zum Gipfel.
Nur am Gipfel fluchte und schimpfte er vor sich hin, das diese verflixte Hand immer noch schmerzen würde... und das, obwohl der Vorfall doch schon einige Stunden zurück läge.
An den Abstieg kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern; der eine Flachalpinist war mit seiner "seltsamerweise" immer noch schmerzenden Hand beschäftigt, der Andere kämpfte mit seinem angekratzten Kletterego!
Auf der Hütte war für den Rest des Tages die Regulierung des Wasserhaushaltes mit nicht immer nach Wasser schmeckenden Getränken angesagt -und Handkühlung mit echtem Wasser, welches nicht für die Regulierung benötigt wurde. In dieser Nacht konnte ich tiptop schlafen :-))
Am näxten Morgen sah man schon recht früh 2 Flachlandnasen nach Kandersteg absteigen, damit noch vor dem weiteren Bergurlaub kurz ein Arzt konsultiert werden konnte. Die Hand sah immer noch nicht besser aus, aber mit einer verschriebenen Salbe sollte es wohl gehen... meinte Reinhard beim Frühstück noch lapidar.
In Kandersteg trennten sich zunächst unsere Wege, die eine Flachlandnase suchte ärztlichen Beistand auf, die andere Nase zog weiter Richtung Bahnhof.
Nachdem ich sämtliche Zugverbindungen Richtung Süden sowie in die entgegengesetzte Richtung auswendig gelernt hatte, auch der leckerste Kuchen vom Bäcker nicht mehr in den vollen WoPowanst hineinpassen wollte und selbst die Postkarten an noch so unbedeutende Verwandte schon geschrieben waren, machte ich mir langsam Gedanken, warum Reinhard denn wohl immer noch nicht aufgetaucht war.
Er tauchte dann doch nach geschlagenen 3,5 Stunden auf. Ich sah ihn schon von Weitem, wobei mir etwas bläuliches ziemlich ins Auge stach. Beim Näherkommen lag dieses "bläuliche" irgendwie um seinen Unterarm und als wir uns gegenüberstanden, zeigte er voller Stolz seine Hand, die einschließlich des Unterarmes mit blauen Gips umhüllt war.
Der Gips passte zwar farblich einwandfrei zu seiner restlichen Kleidung, war aber für weitere alpinistische Betätigungen eher ungeeignet. Außerdem hatten die Ärzte wohl eine Operation empfohlen, da die Hand recht komplizierter gebrochen schien. Weitere Untersuchungen solten dann zuhause in Flachlandhausen durchgeführt werden.
Den Rest des Tages haben wir damit verbracht, Reinhard`s blauen Gips zu feiern bzw meinen mühsam auswendig gelernten Fahrplan wieder zu vergessen
5 Tage nach Antritt des Bergurlaubes packte ich dann für diese Saison meine Bergklamotten wieder in den heimatlichen Kleiderschrank.. und für diesen Bergsommer blieben sie auch dort!
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