Statt einen der gewohnten Säntiswege zu begehen, wollte ich einmal eine andere Route ausprobieren: die sog. "Nasenlöcherroute". So habe ich mich, ermutigt durch die verschiedenen Berichte auf Hikr.org, erstmals an einen Alpinwanderweg herangewagt.
Bei schönstem Sommerwetter mache ich mich von der Schwägalp aus auf den Weg Richtung Chammhaldenhütte und Potersalp. Zwischen Dreihütten und Schwizersälpli beginnt auf etwa 1400 m Höhe die "alpine Route" mit der weiss-blau-weissen Markierung. Diese Route über die Nasenlöcher bis zum Öhrlisattel (P. 2119) ist in anderen Berichten bereits genügend beschrieben worden, so dass ich mich weitgehend auf die Fotos beschränken kann. Denn ein Bild sagt mehr als viele Worte.
Schon bei der Planung dieser Tour hatte ich im Hinterkopf den Gedanken, vom Öhrlisattel aus auch gleich das Öhrli zu besteigen. Nachdem ich anfänglich auf steilen Alpweiden, dann über die verschiedenen Felsstufen gekraxelt und glücklich in der weiten Mulde, die zur Hinteren Öhrligrueb hinaufführt, angekommen bin, reift immer stärker der Entschluss, den Versuch zu wagen und den Tag mit einer Gipfelbesteigung zu krönen.
So quere ich bereits vor dem Ende der weiss-blau-weissen Markierung auf den Schuttkegel hinauf, auf dem eine Wegspur Richtung Öhrligipfel (P. 2194) führt. Nachher geht es in nördlicher Richtung einer Gratkante entlang, bevor die ersten Meter Fels überwunden werden müssen. Dort, wo der Grat auf beiden Seiten ziemlich steil abfällt, das scheint die Stelle zu sein, die unsichere Berggänger zum Rückzug bewegen soll. So habe ich drei Frauen beobachtet, von denen eine - offenbar von Höhenangst befallen - durch die anderen beiden, je an einer Hand geführt, zurück begleitet worden ist.
Zugegeben, auch ich bin nach dem Grat die ersten paar Meter Fels erst einmal wieder zurückgeklettert, um mir auf diese Weise gewissermassen den Rückzug zu sichern. Oder anders ausgedrückt: Hätte ich mich bereits bei diesem kurzen Hinabklettern unsicher gefühlt, hätte ich an diesem Punkt das Wagnis beendet. Durch diesen kleinen Test bestärkt, suche ich mir weiter meinen Weg auf den Öhrligipfel. Auf den Schrofen weiche ich ziemlich weit nach links aus. Zum Glück, denn bereits ruft jemand von oben: "Achtung Steine!", die dann weit rechts an mir vorbeipoltern.
In den Gipfelfelsen führt die im Säntisführer beschriebene "kaminartige Rinne auf der W-Seite des Öhrlis" tatsächlich direkt auf den Gipfel. Dort trage ich mich sogleich stolz ins Gipfelbuch ein - immerhin, als Bergwanderer, der versucht, die eigenen Grenzen allmählich ein wenig in die alpine Welt hinein zu erweitern. Nun könnte ich glücklich und zufrieden sein, wenn bloss der Abstieg nicht wäre... So mache ich mich gleich wieder auf den Weg, nachdem die Aussicht nicht zum Verweilen einlädt: eine dicke Wolke hat das Öhrli eingehüllt und nicht die Absicht, sich gleich wieder zu verziehen - zumindest nicht, solange ich mich auf dem Gipfel aufhalte.
Inzwischen habe ich auch begriffen, was unter der Bezeichnung "unschwierig" im Säntisführer zu verstehen ist: Es hat genügend Tritte und Griffe, an denen man sich festhalten kann - zudem ist das Gelände nicht derart steil oder ausgesetzt, dass eine Seilsicherung erforderlich wäre. Tritte und Griffe sind denn auch zahlreich vorhanden - wer die Wahl hat, hat die Qual - und erlauben ein Hinunterklettern, das weit weniger schwierig verläuft, als von mir befürchtet. Der mit Geröll aufgefüllten Wegspur weiche ich aus, indem ich lieber weiter den Felsen entlang bis fast an die Absturzkante der Westwand quere. Denn der feste Fels ist mein Freund. An seinen starken Schultern lässt er mich hinauf- und auch wieder hinunterklettern. Es ist mir ein Anliegen, mich so im Gelände zu bewegen, dass ich keine Steine lostrete, was bei der hier vorhandenen Menge allerdings kein leichtes Unterfangen und nur mit grösster Vorsicht und etlichem Zeitaufwand möglich ist.
Nach der Stelle auf dem Grat, wo die drei Frauen den Rückzug angetreten haben, lasse ich mich zur Mittagsrast nieder. Zwischendurch reisst die Wolkendecke wieder auf und gibt den Blick auf den Öhrligipfel frei. Sogar der Säntis zeigt für kurze Zeit sein noch ganz frisches, weisses Kleid. Kurz nach 14 Uhr setze ich den Abstieg fort: Hinunter auf den Öhrlisattel und weiter auf dem weiss-rot-weissen Bergweg durch die Vordere Öhrligrueb zum Lötzlisalpsattel (P.1900). Die Wolkendecke mit einer Untergrenze bei etwa 1950 m hat sich verfestigt und begleitet mich - Meglisalp und Seealpsee liegen in der Sonne - bis zum Schäfler. Ja, sie scheint dicker und schwerer zu werden und sich allmählich weiter zu senken, während im Unterland bestimmt schönstes Sommerwetter herrscht. Was soll's, das Öhrli kann mir keiner mehr nehmen! So wandere ich weiter bis zur Ebenalp, wo es dann bereits wieder sonnig ist und sich jede Menge Gleitschirmflieger tummeln; ich beobachte sie, während die Luftseilbahn mich bequem nach Wasserauen bringt.
Übrigens: Auf der Hinfahrt meinte eine junge Frau im Bahnabteil, der ich von meinem Vorhaben erzählte: Die weiss-blau-weisse Farbe der alpinen Markierung habe durchaus ihren Sinn. Blau stehe für die Flecken, die man sich holen könne, und weiss für die Gesichtsfarbe bei den ausgesetzten Stellen. Das zweite kann ich selber nicht beurteilen, die blauen Flecken jedenfalls sind mir erspart geblieben.
Zum Schluss möchte ich noch gestehen, dass ich die Nasenlöcherroute eigentlich als eine Art Vorbereitung auf die Chammhaldenroute gewählt hatte. Auch wenn der Tag für mich sehr erfreulich und erfolgreich verlaufen ist, einige Zweifel sind doch geblieben: Wie muss ich die mit T5 angegebenen Schwierigkeiten beurteilen? Die Nasenlöcherroute ist hervorragend weiss-blau-weiss markiert und mit Drahtseilen gesichert. Genau wie jeder weiss-rot-weisse Bergweg, einzig die Farben sind anders. Wie lückenlos werden die Markierungen auf der Chammhaldenroute sein? Wie gross ist die Gefahr, sich zu versteigen? Wie heikel ist die in verschiedenen Berichten beschriebene Querung?
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