Die Aussichtsterrasse hoch über dem Urnersee (Gitschen, 2513 m)


Publiziert von Fico , 20. Oktober 2016 um 21:54.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:29 September 2016
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 1050 m
Abstieg: 950 m
Strecke:Musenalp - Gitschen - Gietisflue
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Isenthal-Post Zu Fuss auf die Musenalp. Alternativ: mit dem Alpentaxi und der Seilbahn.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Isenthal-Post
Unterkunftmöglichkeiten:Musenalp www.musenalp-isenthal.ch
Kartennummer:1191 Engelberg

Ein Prachtstück von einem Berg ist er, der Gitschen. Unnahbar wirkt er von der Axenstrasse her, wie er sich steil und mächtig aus dem Talboden erhebt. Zu seinen Füssen liegt der Urnersee. Überragt wird er nur noch vom Uri Rotstock, der die ganze Gegend dominiert. Wer mit dem Zug oder dem Auto von Brunnen Richtung Gotthard fährt, kann ihn kaum übersehen, auch wenn vermutlich längst nicht alle seinen Namen kennen. Betrachtet, besser gesagt: bestaunt habe ich ihn schon oft. Dass ich einmal auf seinem Gipfel stehen würde, hätte ich mir vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. Noch mehr überrascht hat mich jedoch, dass er recht gutmütig und darum einigermassen leicht zu haben ist.
 
Das liegt hauptsächlich am gut ausgebauten Alpinwanderweg, der nicht nur ausreichend mit weiss-blau-weissen Markierungen versehen ist. Die heiklen Stellen sind mit Ketten oder Fixseilen entschärft, so dass die Tour – Schwindelfreiheit und Trittsicherheit vorausgesetzt – sowohl im Auf- als auch im Abstieg weitgehend gefahrlos bewältigt werden kann. Gelobt wird die Wanderung denn auch in höchsten Tönen, so beispielsweise im SAC-Führer „Alpinwandern – Gipfelziele Zentralschweiz / Vierwaldstättersee“ von 2011: „Alpinwandern in Reinkultur“, „Alpinwandern vom Feinsten“, heisst es da. Die Überschreitung des Gitschen zähle „zu den schönsten Touren im Bereich T5 der ganzen Urner Alpen“. Dass diese Charakterisierung nicht übertrieben ist, kann ich inzwischen bestätigen.
 
Für die nächsten Tage ist Altweibersommer angesagt – oder etwas poetischer ausgedrückt: „indian summer“, „été indien“, kurzum: ideales Wetter für einen Besuch auf dem Gitschen. Mit Bahn und Postauto reise ich nach Isenthal und wandere dann gemütlich zur Musenalp hinauf. Ein Stück vor dem Berggasthaus, als ich kurz verschnaufe und den Ausblick geniesse, überholen mich zwei junge Frauen. Im Vorbeigehen fragen sie mich, ob auch ich dorthin wolle. „Dann sehen wir uns beim Nachtessen!“, rufen sie fröhlich.
 
Es sind nicht viele, die heute auf der Musenalp übernachten. Die beiden Frauen sowie ein Mann, der wie ich allein angereist ist, wollen am nächsten Tag auf den Uri Rotstock. Zwei Gäste kommen verspätet zum Nachtessen. „Wir haben die falsche Seilbahn erwischt!“, erzählen sie. Statt auf der Musenalp sind sie auf der Gietisflue gelandet. Ob sie morgen auch den Uri Rotstock zum Ziel haben, fragen wir andern sie. „Nein, eigentlich wollten wir auf den Brisen, haben aber jetzt gemerkt, dass wir auf der falschen Musenalp sind“, antworten sie etwas verlegen lachend.
 
Die Tage sind spürbar kürzer geworden. Als ich um sechs Uhr aufstehe, kann ich den Sternenhimmel bewundern, wie ihn Franz Hohler in seinem Buch „Immer höher“ beschreibt: „Der grosse Wagen steht kopf, er balanciert auf seiner Deichsel, und im Süden flimmert der Orion, morgens um halb sechs auf der Musenalp im Kanton Uri.“ Ein Exemplar des Buches, versehen mit einer Widmung von Franz Hohler, befindet sich übrigens in der Gaststube.
 
Als ich mich um halb acht auf den Weg mache, scheint auf den Bergspitzen bereits die Sonne. Bis sie auch die Musenalp erreicht, wird es noch mehr als zwei Stunden dauern. Diese liegt ebenso im Schatten wie mein Aufstieg. Der Firnbach ist um diese Zeit ein armseliges Rinnsal. Kaum zu glauben, dass man sich hier nasse Füsse holen kann. Nach einer guten Stunde bin ich bei der Weggabelung und setze mich auf einen Felsen. Kurz darauf kommen auch die beiden jungen Frauen, mit denen ich gestern bis spät in die Nacht geplaudert habe. Nach der kurzen Pause trennen sich unsere Wege: Sie gehen weiter Richtung Uri Rotstock, während ich ostwärts dem Pfad folge, der sich zwischen Felsstufen und von Geröll übersäten Bändern hinaufschlängelt, mehrmals unterbrochen von Bachrunsen, die sich tief in den Hang fressen.
 
Es ist halb elf, als ich nach dem dreistündigen Aufstieg durch die düstere Nordwand in der Sonne stehe. Fast wolkenlos der Himmel, abgesehen von einigen Zirruswolken und den breiten, weissen Kondensstreifen der Flugzeuge. Was für ein bezaubernder Ausblick auf den tiefblauen Urnersee! Und direkt gegenüber der Gitschen mit seinem gigantischen Schädel, der einer Sphinx gleich unentwegt nach Norden blickt. Oder schaut er vielleicht besorgt zum Uri Rotstock hinüber, wie dort die kümmerlichen Firnresten dahinschmelzen?
 
Ein Katzensprung ist es nun bis zum Gipfel, denke ich mir, nichts ahnend was mir gleich bevorstehen wird. Die Höhe ist zwar fast erreicht, doch vor dem letzten Aufstieg liegt eine tiefe Scharte, die man über einen schmalen Grat und ziemlich ausgesetzte Schrofen erreicht. Gleich darauf geht es steil wieder hinauf, dann nochmals über einen Grat und anschliessend muss über eine mit Drahtseilen entschärfte Felsstufe hinab geklettert werden. Von hier sind nur noch ein paar Gipfelfelsen zu erklimmen, bis man ganz oben steht. So dauert der vermeintliche Katzensprung fast dreiviertel Stunden. Es ist der anspruchsvollste Teil der Tour, jedoch schöner als der lange Aufstieg im Schatten. Und behutsam, mit der nötigen Vorsicht angegangen, ist er gut zu bewältigen.
 
Die Sicht vom Gipfel des Gitschen (2513 m) ist grossartig und reicht im Norden bis weit ins Mittelland hinaus. Hinter den Glarner Gipfeln ist am Horizont der Säntis zu erkennen, in südöstlicher Richtung, zwischen Chammliberg und Schärhorn, grüsst der Tödi, während im Südwesten der nahe Uri Rotstock den Blick auf die Berner Alpen versperrt. Und ganz besonders reizvoll ist natürlich die Vogelperspektive auf den Urner See. Ich kann mich kaum sattsehen und verweile fast eine Stunde hier.
 
Seit ich mich am Morgen an der Weggabelung von den beiden jungen Frauen verabschiedet habe, bin ich bis zum Gipfel niemandem mehr begegnet. Das ändert sich nun. Einer sitzt bereits auf der grossen, nach Osten gerichteten Felsplatte. Zudem sind die Stimmen von zwei weiteren Männern zu hören, die sich vermutlich auf der nördlichen Seite des Gipfels aufhalten. Gleich hinter mir ist eine Frau mit ihrem Begleiter am Ziel angekommen. Eine Dreiergruppe wandert über den Grat zwischen der Scharte und der Felsstufen. Bald werden auch sie hier sein.
 
Die zwei Männer, von denen vorher nur die Stimmen zu hören waren, kommen herüber und machen sich bereit für den Abstieg. Einer der beiden fragt mich, ob ich von der Musenalp her gekommen sei, was ich bejahe. Ob ich denn auch wieder dorthin zurückkehre, will er nun wissen. Als ich diesmal verneine, schaut er mich von Kopf bis Fuss an und meint dann stirnrunzelnd: „Aber es ist sehr steil auf dieser Seite… und trittsicher muss man auch sein!“ Er spricht, als wäre es obligatorisch, die Tour nur in der einen Richtung zu machen. Als wäre man falsch, wenn man die Überschreitung in der umgekehrten Richtung macht, sozusagen wie ein Falschfahrer auf der Autobahn. „Auch auf der Seite der Musenalp muss man trittsicher sein“, erwidere ich trocken.
 
Nun bin ich natürlich gespannt, was mich auf dem Abstieg erwartet. Bis zur Scharte, wo der Wegweiser steht, haben ohnehin alle den gleichen Weg. Die nachfolgende Mulde ist zwar steil, aber schön gestuft, so dass man sich gut mit den Händen abstützen und einem allfälligen Ausrutschen vorbeugen kann. Die Querung der steilen und zerklüfteten Ostflanke sieht schwieriger aus, als sie ist. Der Weg ist meistens ausreichend breit, so dass man kaum ein Gefühl von Ausgesetztheit verspürt. Und vor allem wird er seit den Morgenstunden von der Sonne beschienen und ist darum fast überall trocken. Ganz im Unterschied zum schattigen Kessel gegen die Musenalp hinab, der kaum je richtig trocknen kann. Und auch der Firnbach, der nachmittags mehr Wasser führt als am Morgen, ist hier kein Thema. Insgesamt bringt der Abstieg zur Gietisflue wahrscheinlich sogar mehr Vorteile als Nachteile.
 
Nach der Querung der Ostwand ist die Spannung definitiv vorbei. Der Weiterweg zieht sich in die Länge und ist oft rutschig. Hier bin ich froh, dass ich die Wanderstöcke mitgenommen habe. Auch aus Rücksicht auf meine Knie, die allmählich zu schmerzen beginnen. Um 15 Uhr gondle ich mit der Luftseilbahn ins Tal. Rund 400 Höhenmeter zusätzlichen Abstiegs kann ich mir so ersparen. Für die verbleibende Strecke bis nach Isenthal habe ich mehr als genug Zeit. Das Postauto fährt kurz vor 16 Uhr.
 
Weit bin ich noch nicht gekommen, als neben mir ein Auto hält. „Wollen Sie mitfahren?“ Erfreut nehme ich das Angebot an. Auf der Teerstrasse zu wandern, sei nicht so schön, findet der Fahrer. Nach dem Dialekt zu schliessen, ein Einheimischer. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt, dass er heute auch auf dem Gitschen war. „Um 7 Uhr war ich dem Gipfel.“ Wann er denn losmarschiert sei, möchte ich nun wissen. „Um 5 Uhr“, antwortet er. Um rechtzeitig für den Sonnenaufgang oben zu sein, habe er „Gas geben“ müssen. Wie lange er für den Abstieg gebraucht habe, frage ich nun neugierig. Nach kurzem Zögern erklärt er: „Ich bin nachher noch weiter… zum Uri Rotstock.“ Unglaublich! In nur zwei Stunden auf den Gitschen, dann auch noch auf den Uri Rotstock und am frühen Nachmittag bereits wieder unten im Tal! Dafür bräuchte ich mindestens zwei Tage.
 
An diesem sonnigen, spätsommerlichen Herbsttag sind so viele Wanderer unterwegs, dass zur Entlastung noch ein zweites Postauto aufgeboten worden ist. Kurz vor Flüelen schauen die Leute zum Gitschen hinauf und rätseln, ob das nun der Oberbauenstock sei. „Nein, das ist der Gitschen“, werfe ich verschmitzt lächelnd ein, „um die Mittagszeit war ich dort oben.“ Es ist ein tolles Gefühl, wenn man nach dem Gipfelerfolg wieder unten ist und nochmals Augenkontakt aufnimmt mit dem Berg, der einen so wohlwollend als Gast empfangen hat. Und jedes Mal, wenn ich künftig von Brunnen nach Flüelen fahre, werde ich mich bestimmt an den heutigen Tag erinnern.

Tourengänger: Fico


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Kommentare (3)


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Felix hat gesagt: wahrlich ein Prachtsberg
Gesendet am 21. Oktober 2016 um 06:15
schön geschriebener und bebilderter Bericht!

lg Felix

alpstein hat gesagt: Toll
Gesendet am 21. Oktober 2016 um 06:31
Da kann ich mich Felix nur anschließen!

Gruß
Hanspeter

Zoraya hat gesagt: Gitschen
Gesendet am 23. Oktober 2016 um 17:42
Vielen Dank für den tollen Bericht! Der Gitschen ist für mich immer eine imposante und wunderschöne Tour. Übrigens, vor 4 Jahren war ich zuletzt auf dem Gitschen. Ich traf einen Mann, der in wahnsinnigem Tempo zum Gitschen hoch "sprang". Wir sprachen kurz zusammen und er meinte, er ginge dann noch "schnell" zum Uri Rotstock. Vielleicht war er derselbe ;-).


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