Pfingsten im Steinernen Meer


Publiziert von rennt0815 , 23. Juli 2015 um 17:07.

Region: Welt » Deutschland » Alpen » Berchtesgadener Alpen
Tour Datum: 8 Juni 2014
Wandern Schwierigkeit: T5+ - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: L
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Schneeshuhtouren Schwierigkeit: WT3 - Anspruchsvolle Schneeschuhwanderung
Wegpunkte:
Geo-Tags: D   A   A-S 
Zeitbedarf: 5 Tage
Aufstieg: 4500 m
Abstieg: 4500 m
Strecke:... lang
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bus bis Schönau/ Königssee, dann Elektroboot bis Anleger Salet-Alm
Unterkunftmöglichkeiten:Wasseralm, Eckberthütte, Wildalmkirchlbiwak, Kärlingerhaus und Ingolstädter Haus
Kartennummer:DAV 10/1 und 10/2

1. Tag: Von Schönau (605 m ü. NHN) mit dem Schiff über den Königssee, entlang des Obersees durch von Orchideen übersäte Wiesen, dann über den Röthsteig zur Wasseralm (1416m); via Schäferhütte (1935m) weglos durch tiefen Schnee hinauf zur Mauerscharte (2182m), schließlich über extrem steile Schneefelder hinab zur Eckberthütte im wiederum frühlingshaften Blühnbachtal (1144m) in 10 ½ Stunden. 2. Tag: Ausruhen.
3. Tag: Von der Eckberthütte zum Bohlensteig, steile Firnfelder querend zur Hohen Torscharte (2292m) hinauf und gleichzeitig zurück in den Winter; ab da mit Schneeschuhen via Brandhorn (2609m) nahezu weglos und mit Gratkletterei zum Wildalmkirchlbiwak (2457m) in 9 ¾ Stunden.
4. Tag: Erneut mit Schneeschuhen in 6 ½ Stunden via Hochbrunnsulzen (2356m) zwischen Schottmalhorn und Totem Weib hindurch zum Kärlingerhaus am Funtensee (1630m) und wieder bergauf zum Ingolstädter Haus (2119m).
5. Tag: Die Schlußetappe dann erneut fast nur bergab, vorbei am Kärlingerhaus durch duftende Nadelwälder Richtung Wasseralm, am Grünsee (1474m) vorbei und über den Sagereggsteig zur Saletalm am Obersee- nach 6 Stunden zurück in die „Zivilisation“.  
 
Vorab ganz selbstkritisch: trotz sehr sorgfältiger Tourenplanung habe ich die Anforderungen bei den herrschenden Verhältnissen unterschätzt. Ich hatte bewußt früh im Juni geplant, um den Wechsel zwischen Frühling in den Tälern und winterlichen Bedingungen auf der Höhe zu erleben. Mir war auch klar, dass ich wegen z.T. noch geschlossener Hütten alleine auf mich gestellt in einsamen Regionen unterwegs bin, meinen Proviant mittragen und mangels Quellen im Steinernen Meer Schnee würde schmelzen müssen, schließlich speziell auf Hangnordseiten viel Lawinenschnee und Schneefelder warten (Schneeschuhe und Steigeisen waren unbedingt nötig!) und insgesamt wegen der Verhältnisse lange Gehzeiten einzukalkulieren sind. Trotzdem: es war anstrengender als erwartet und ich würde diese Tour so nicht mehr wiederholen- und ich bin mit 100-130 km Joggen im Monat, MTB usw. wirklich fit. Wer sich vom Reiz des einsamen Gehens durch zwei Jahreszeiten anstecken lassen möchte, der lese weiter:
 
Schon hinter dem Königssee ein duftendes Blütenmeer, wie man es selten sieht: Orchideen und Schmetterlinge, wohin man blickt. Kaum verläßt man das Boot, wird man von Dutzenden Schwalbenschwanz-Schmetterlingen umtanzt, am Obersee, im schattigen Laubwald, begleitet mich eine Rarität: ein Schwarzer Apollo- Falter. Über Pfingsten ist gutes Wetter angesagt- und das bedeutet im Tal bis dreißig Grad Celsius, im Hochgebirge jedoch erwarten mich morgens gegen halb sechs Uhr, der üblichen Aufbruchszeit, noch hart verharschte Schneeoberfläche, die andererseits Schneeschuhgehen sehr erleichtern und schnelles Vorankommen ermöglichen. Das Emporsteigen am Röthsteig im schattigen Bergwald wird vom steten Rauschen des Röthbachfalls begleitet. Der Steig bietet hervorragende Aussicht auf den Obersee und den Königssee sowie das dahinter massig aufragende, schneedurchzogene Watzmannmassiv, das sich im See spiegelt.  

Die Gehzeit vom Bootsanleger Salet zur Wasseralm beträgt rund 3 Stunden/ 850 HM, selbst wenn man links und rechts des Wegs Seidelbast, Frauenschuh und Weisses Waldvögelein genauer betrachtet- Juni ist die Blütezeit vieler Pflanzen, und genaues Hinsehen lohnt. Selbst jetzt, später am Morgen kann man Rotwild entdecken, Tannenhäher und Spechte. Die Wasseralm ist seit Anfang Juni bewirtschaftet, die sie umgebende Almfläche ist erst seit drei Wochen, nach dem letzten Protest des Winters mit 50 cm Neuschnee, schneefrei, aber schon gelb und blau von Enzian geschmückt.

Gegen Mittag wird es richtig warm und der erwärmte Nadelwald duftet. Zunächst entlang des Wegs Nr. 424, der schwierigeren Wegvariante zum Funtensee, gehe ich weiter bergauf Richtung Baumgrenze. Nächste Zwischenetappe ist die Blaue Lacke, ein kleiner See, an dem man Wasser fassen kann. Trotz des außergewöhnlich schneearmen Winters bekommt man hier, in den latschendurchsetzten Karren, einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt: Die Wegfindung ist erschwert, da die Markierungen unter Schnee verborgen bleiben- undramatisch, weil in der Distanz schon die Lawand grüßt, an der vorbei ich zur Mauerscharte aufsteigen muß. Zwischendurch erreicht man die winzige „Schäferhütte“- für Notfälle mit drei Pritschen, Isomatten und Schlafsäcken versehen. Unterhalb der Hütte gibt es eine Quelle.

Nun weiter weglos unterhalb der Lawand Richtung Mauerscharte, über steile, schuttige Flanken, die mit Schnee bedeckt und sehr unangenehm zu gehen sind. Einiger Steinschlag von links fordert Aufmerksamkeit, ebenso die extrem steilen, nassen Schrofen (I), die sich mit Schneefeldern abwechseln. Gerade als ich meine, hinter der erkletterten Kuppe erwarte mich das nächste lange Schneefeld vor der Scharte, die Überraschung: zwanzig Meter entfernt, direkt auf der Scharte, hinter der das Blühnbachtal grünt, ein mächtiger alter Steinbock im Schnee. Er dreht den Kopf zu mir, dann steigt er hinab, gen Österreich.

Dort unten ist Schloß Blühnbach zu erkennen. Der Rundblick ist famos, der Abstieg hingegen nicht- er ist mit das Anspruchsvollste an dieser Tour. Ein Schneefeld, etwa 1,2 km lang, von grobem Geröll durchsetzt und sicher >30 Grad steil. Ohne Steigeisen geht es nicht, und trotz hoher Konzentration folgen auch unangenehme Rutschpartien, wenn das „Abfahren“ fehlschlägt.
 
Zurück auf 1200 m, im Frühling, begrüßen von Trollblumen geschmückte Wiesen; ein befestigter Forstweg gen Südwesten führt zur unbewirtschafteten Eckberthütte. Eigentlich hatte ich vor, schon am Folgetag über die Ostpreussenhütte zum Hochkönig zu gehen, aber Schneeverhältnisse einerseits und die unerwartet lange Gehzeit machen einen Ruhetag nötig. Zeit zur Hüttenerkundung: vorbildlich sauber, tolle Küche, Stube und ca. 20 Plätze. Ab 2014 paßt der DAV Schlüssel nicht mehr, deshalb den Hüttenwart anrufen!

Weshalb "Eckbert"-Hütte? In der Stube hängt ein Foto der Familie Krupp von Bohlen und Halbach. Familienvorstand Gustav ist in Schloß Blühnbach gestorben, sein Sohn Eckbert, der Namenspatron der Hütte, ist dort 1922 geboren und Arndt, Gustavs Enkel, in der dortigen Gruft beigesetzt worden. Ein Vermerk auf dem Foto ist der einzige Hinweis auf den Ursprung der Hütte, die die Familie für Ausflüge hatte errichten lassen.
 
Die Ausflüge der Krupps in der Umgebung scheinen recht zünftig gewesen zu sein- der zur Route der großen Rundtour „Matrashaus/ Hochkönig- Riemannhaus- Ingolstädter Haus- Kärlingerhaus" ab dem Talende hinaufführende Bohlensteig (ca. 1050 HM) ist anspruchsvoll. Es wechseln ungesicherte Passagen (I), solche mit verrosteten Seilen und lange, infolge Witterungsschäden und Schneefeldern frei zu umkletternde Teilstücke (II), Schrofen und steilste Firnfelder bis ca. 35 Grad (Steigeisen). Satte 4 ¼ Stunden ab Hütte bis zur Hohen Torscharte- auch im Sommer sollte man Zeit einplanen. Die Hohe Torscharte entlohnt mit einem unvergleichlichen Blick hinab nach Saalfelden/ Maria Alm westwärts und über das Steinerne Meer (rundum)- doch der höchste Punkt der Tagesetappe wartet noch.
 
Es hat sich gelohnt, die Schneeschuhe mitzunehmen! Hier liegt enorm viel Schnee- zwischen einem Meter und vier Metern in Senken, bei der häufigen Gratkletterei warnen große Wechten zur Vorsicht… Das Wechseln von Steigeisen und Schneeschuhen nervt manchmal, beide sparen aber enorm Kraft. Hitze, Höhenluft, das ständige Auf und Ab zwischen den Anhöhen und die hohe Konzentration strengen an. Der Wassersack leert sich, Schnee zu schmelzen hilft. Übrigens eine wichtige Erfahrung: auch ohne Abkochen, mit Salz und Traubenzucker versetzt, ist der Schnee gut verträglich- und so bieten die Schneemassen auch Vorteile. Weiter geht es, vorbei an Marterlkopf und Kleinem Brandhorn. Die Sonne macht den Schnee weicher und sulziger, je länger es dauert.
 
Pfingstsonntag im Steinernen Meer. Es ist ein erhabenes Gefühl, durch die Stille und Einsamkeit gehend als erster seine Spur durch den Schnee zu zeichnen. Auf dem Brandhorn (2609m), dem höchsten Punkt der Tour, finden sich nur Trittsiegel eines Steinbocks und außer den Gleitschirmfliegern über mir keine Menschenseele. Vollkommene Ruhe.
 
Folgt man dem Gratverlauf westwärts mit den Augen, fällt das Wildalmkirchl auf- geformt wie eine Kirche. Unterhalb kann man das Biwak des ÖTK (2457m) erahnen. Wer jemals in der Gegend ist, sollte es besuchen. Acht Plätze, top gepflegt; ein Traumausblick: Hier läßt sich der Sonnenuntergang aushalten, der Blick geht nordwärts bis zum Hochgschirr, unter dem der Talkessel des Obersees, meines Ausgangsortes, liegt. Dominant das Watzmannmassiv weiter nordnordwestlich, westlich die Pyramide der Schönfeldspitze, das „Matterhorn der Berchtesgadener Alpen“. Wichtig für alleinreisende Familienväter: hier gibt es Netzabdeckung mit A1 Austria!
 
Nächster Tag: Früh um halb sechs ist der Schnee noch fest, jeder Schritt bringt unter den Schuhen eine ganze Eisplatte zum Einbrechen. So kommt man schnell voran durch die klare, kalte Luft. Wege findet man im Schnee keine, aber Gefühl und Kompass helfen. Am Hochbrunnsulzen heißt es, sich entscheiden: westwärts zum Winterraum des Riemannhauses oder ostwärts bergab zum schon bewirtschafteten Kärlingerhaus? Gesellschaft tut Not, also abwärts. Wieder ein Vorteil der Schneeauflage: man kann bequem über im Sommer schwer begehbare Geröllfelder u.ä. abkürzen. Das Steinerne Meer, sonst buchstäblich eine wellenartige Karstfläche mit allen Verwitterungsformen des Kalksteins, die nach stundenlanger Wanderung schon langweilig werden kann, präsentiert sich durch die von herausragenden Felsen durchzogene, nicht mehr ganz geschlossene Schneedecke mit besonderem Reiz. Hier und da erste Primeln, Soldanellen und andere Frühblüher kündigen bereits den Frühling auch im mittleren subalpinen Bereich an. Ab Totem Weib packe ich die Schneeschuhe ein. Talwärts öffnet sich nach kurzem Weg entlang eines Baches das Rund des Funtensees. Drei Wochen zuvor zeigte die Webcam des Kärlingerhauses noch viel Neuschnee und Resteis auf dem See… aber die Sonne hat sich durchgesetzt.

Das Haus ist schwach besucht trotz langen Wochenendes, und weil ich noch fit bin, entscheide ich mich, zum Ingolstädter Haus weiter zu gehen. Man kann es auch, ab Hochbrunnsulzen dem Weg über das Riemannhaus folgend, auf dem Hochplateau ohne großen Höhenunterschied erreichen. Nun steige ich also wieder auf.

Unterhalb des Schneibers und des Großen Hundstods quält sich der Pfad bergan, wieder bis auf jenseits von 2000 Metern. Kein Schatten, weicher Schnee- aber erneut der grandiose Ausblick, diesmal südöstlich ins Steinerne Meer. Das Ingolstädter Haus kommt in Sichtweite, auf seiner Terrasse glitzern die Biergläser. Es ist ausgebaut wie ein Hotel, mit Materialseilbahn und hohem Komfort. Wer´s mag. Nun also das Steinerne Meer mit der mittig dominierenden Schönfeldspitze aus nördlicher Perspektive.

Am Schlußtag gehe ich zurück zum Kärlingerhaus, von dort nordwärts bis zum Abzweig rechts Richtung Wasseralm/ Grünsee. Ein wunderschöner Weg- besonders, wenn man die "Hmmelsleiter", einen recht verfallenen Steig, nicht bergauf gehen muß. Schön ist es unterhalb der Waldgrenze im Schatten, Hirschkühe lugen neugierig herüber, kein Mensch ist auf dem Weg. Bis zum Abzweig Sagereggsteig ein ständiger Wechsel bergauf und bergab. Es sind mehr als die nominell 1500 HM ab dem Ingolstädter Haus, nicht unterschätzen! Wasser fassen kann man am Grünsee und an der Sagereggalm, dort ist in der Wiese eine Quelle.

Im Steig dann die Überraschung: dort sitzen zwei in Waldarbeitermontur und machen Brotzeit. Einer mit benzinbetriebenem Laubgebläse, einer mit Rechen. Wo ist die versteckte Kamera? Ich muß eineinhalb Stunden warten, bis die beiden bis zum Obersee hinab den Steig von Laub und Steinen befreit haben- die Nationalparkverwaltung sorgt dafür, das Unfallrisiko zu verringern! Respekt den Herren, die auf diesem harten Steig bergab laufen, links in der Hand den Benzinkanister, rechts das Laubgebläse...

Mein Dank an Hans ("chiemgauer") für Tipps zur Tour. Dieser Bericht ist zur Veröffentlichung im Sektionsmagazin DAV Essen geplant, deshalb ist er ausführlich ausgefallen.

Vielen Dank auch für einige Leserkommentare, u.a. von David ("Alpenvogel"), der am 6.6.2014 mit seinem Gleitschirm in "meiner" Tourenumgebung unterwegs war, Hier links zu seinen Luftbildern von jenem Tag- man sieht gut, dass doch noch ordentlich Schnee lag...:

http://www.dhv-xc.de/xc/modules/leonardo//data/flights/photos/2014/5533/cut_IMG_9053.jpg
http://www.dhv-xc.de/xc/modules/leonardo//data/flights/photos/2014/5533/cut_IMG_9076.jpg
http://www.dhv-xc.de/xc/modules/leonardo//data/flights/photos/2014/5533/cut_IMG_9043.jpg

Weiterführende Infos:
 
Hüttenwart Eckberthütte, A. Brandstätter: atelier_lichtblicke@utanet.at; www.alpenverein.at
Hüttenwart Wildalmkirchlbiwak, J. Kysela: pepi.kysela@sbg.at; www.oetk.at
Weitere Fotos der Umgebung Eckberthütte/Brandhorn/Bohlensteig: http://www.hikr.org/tour/post57059.html und  http://www.hikr.org/tour/post83942.html 
Videosequenzen von der Tour bei youtube, Stichwort: "Steinernes Meer Pfingsten 2014" .
 

Tourengänger: rennt0815


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