Bergseeschijen (2816m) via S-Grat


Publiziert von أجنبي , 16. Juni 2014 um 01:15.

Region: Welt » Schweiz » Uri
Tour Datum:13 Juni 2014
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: 4+ (Französische Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1140 m
Abstieg: 1140 m
Strecke:Göscheneralp P. 1782 – P. 1951 – Glattenberg – Bergseehütte SAC – Bergseeschijen-Südgrat – Bergseeschijen – P. 2600 – Bergseehütte SAC – P. 1951 – P. 1782
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auto bis Göscheneralp
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Auto ab Göscheneralp
Unterkunftmöglichkeiten:Bergseehütte SAC
Kartennummer:LK 1:25.000: 1231 Urseren

Vier Jahre ist es her, seit ich mit zwei Freunden den Bergseeschijen auf der Alpinwanderroute *bestieg. Damals beobachteten wir Kletterer am Südgrat und nur schon beim Zuschauen lief es mir kalt den Rücken hinunter. Angesichts meiner Höhenangst wäre es mir damals nicht in den Sinn gekommen, mir nur schon vorzustellen, selber mal dort hoch zu klettern. Nun, vier Jahre später ist's passiert...

 

Zum Klettern habe ich nach wie vor eine ambivalente Beziehung. Zum einen ist da meine Höhenangst, welche mich darin behindert und immer wieder an meine Grenzen bringt. Zum anderen hilft mir gerade das Klettern, meine Höhenangst Schritt für Schritt abzubauen und meinen inneren Schweinehund zu bezwingen. Entsprechend habe ich auch zu alpinen Mehrseillängenrouten eine Art Hassliebe.

 

Vor drei Jahren bewältigte ich mit weichen Knien und sauren Unterarmen meine *erste Klettertour auf den Obertalstock. Danach folgte die *Arête du Faucon im Berner Jura, der *Chanzelgrat und der *Trotzigplanggstock im Meiental. Jedes Mal, wenn ich seither dort hochschaue, frage ich mich, wie ich mich damals überwinden konnte und wie ich beim Klettern auf dem stellenweise recht ausgesetzten Grat (waagerechte Hangeltraversen...) relativ oft sogar Freude empfand. Vergangenes Jahr gab's schliesslich den *Schildkrötengrat, den *SO-Sporn des Galenstocks und zum Saisonabschluss noch die *Galtigentürme.

 

Vorgestiegen bin ich bei all diesen Unternehmungen kaum je. Selbst im Klettergarten beschränkte ich mich bis im vergangenen Jahr auf den Nachstieg. Die Überwindung und der Mut zu Vorstiegen fehlte mir. Diesen Frühling ging mir nun ein weiterer Knoten auf und ich wage vermehrt auch Vorstiege, meist jedoch bei wenig ausgesetzten Routen und kurzen Hakenabständen. Jeder erfolgreiche Vorstieg gibt etwas Selbstvertrauen. Dieses im Ernstfall dann wieder abzurufen, gelingt nicht immer – aber immer öfter.

 

Nun, genug des Prologs... Aufgrund der warmen Temperaturen begruben wir vergangene Woche jegliche Hoffnung auf eine letzte Skitour. Mit den beiden Touren auf den *Galenstock und den *Rhonestock hatten wir ohnehin ein perfektes Saisonende. So brachen wir relativ spontan zur Bergseehütte auf. Im Gepäck hatten wir einige Topos, im Hinterkopf den Bergseeschijen – doch wirklich konkret waren unsere Pläne nicht. Nach knapp eineinhalbstündigem, schweisstreibendem Aufstieg von der Göscheneralp deponierten wir in der Bergseehütte unsere Übernachtungsutensilien. Danach liefen wir zum Bergsee Vorbau hoch. Nach kurzer Suche fanden wir den Einstieg zur „Blaue Linie“ (4c): ein gelber Strich und ein blauer Pfeil, der in die Höhe zeigt.

 

Für mich war klar: Wenn's am Folgetag etwas Grösseres werden sollte, musste ich die verbleibenden Stunden nutzen, um Selbstvertrauen zu tanken. Ich stieg deshalb die erste und die dritte Seillänge (3b bzw. 3a) vor, wobei ich den Einstieg etwas schwieriger als 3b einschätzte. Oben angekommen traf ich auf den Krokodil-Klettersteig, der über den Vorbau führt. Diesem folgend stiegen wir in einfachem Gelände zum Fuss des nächsten Felsens ab. Dort stieg ich eine 4b vor, bevor Madame die zweite 4b vorkletterte. Die Operation gelang, der Selbstvertrauen-Tank war einigermassen gefüllt. Als wir dann aber zum Südgrat des Bergseeschijen hinüber schauten, kamen doch einige Zweifel auf: zu steil, zu mächtig und zu abweisend schaute die Sache aus dieser Perspektive aus. Lange blieb uns keine Zeit für solche Gedanken, denn am Himmel mehrten sich die dunkelgrauen Wolken. Etwas mühsam stiegen wir über den Klettersteig ab, mühten uns durch das Geröll und trafen gerade noch rechtzeitig in der Bergseehütte ein.

 

Trotz aller Zweifel fällten wir den Entscheid, am nächsten Tag den Südgrat des Bergseeschijen in Angriff zu nehmen. Da nur eine weitere Seilschaft zu erwarten war, herrschten für unsereins optimale Bedingungen: kein Drängeln, kein Stress und Platz an den Ständen. Kurz nach 7 Uhr verliessen wir am folgenden Morgen die Hütte und wanderten über das Blockgeröll hoch zum Einstieg des Bergseeschijen. Auch nach mehrmaliger Nachfrage von Madame war für mich klar: Umkehren oder abseilen nach ein paar Seillängen war keine Option. Der Schalter war umgelegt, ich wollte da hoch und wusste, dass es gehen würde. Die Motivation stimmte. Entsprechend meldete ich mich gleich als Vorsteiger für die Einstiegsseillänge (4b). Würde diese Gelingen, sollte das Selbstvertrauen für die folgenden 9 Seillängen da sein.

 

Zunächst galt es allerdings, den richtigen Einstieg zu finden. Nach kurzem Suchen wurden wir hier fündig. Die deutsche Seilschaft liessen wir gleich vor. Die beiden wirkten erfahrener und schneller – und kletterten den gesamten Südgrat erst noch in Bergschuhen (Chapeau!). Die ersten vier Seillängen (4b, 4c, 4c, 3b) des Südgrats sind plattig, etwas Vertrauen in die Haftung der Kletterfinken kann nicht schaden. Die 3b wollte ich eigentlich vorsteigen, doch irgendwie fehlte mir der Mumm dazu. Im Nachstieg fühlte ich mich aber recht wohl. Danach folgten die für mich schönsten vier Seillängen (3b, 3a, 3a, 3c), wobei ich trotz vieler genüsslicher Gefühle bloss eine 3a vorstieg. Was mir in diesen Passagen half, war eindeutig, dass links des Grats Gehgelände in Sicht war. Rechts ging's derweil ein paar Hundert Meter in die Tiefe...

 

Die letzten beiden Seillängen verlangten uns aber nochmals alles ab. Gemäss 2007-Ausgabe des „plaisir Ost“ 4c und 4a, gemäss der 2012-Ausgabe aber zweimal 5a, wie mir jemand sagte. Wir empfanden jedenfalls die 10. Seillänge als ebenso schwierig wie die 9. Seillänge und waren angesichts mangelnder Haken nicht unfroh um die mitgebrachten Schlingen und einen Friend. Einmal mehr profitierte ich von meiner Körpergrösse. Da beide Seillängen recht ausgesetzt sind, freute ich mich auf das baldige Ende der Kletterei. Trotzdem es mir auf der ganzen Route gut ging und die Knie nie schlotterten, war ich stets angespannt. Relaxt fühle ich mich jeweils erst, wenn ich wieder sicheren Boden unter den Füssen habe. Am Ausstieg angekommen, war die Erleichterung entsprechend gross. Nach weiteren 20 Metern auf dem einfachen Gipfelgrat erreichten wir das Gipfelkreuz. Für die 10 Seillängen hatten wir rund vier Stunden gebraucht. Falls übrigens jemand ein Gipfelbuch spenden möchte: Auf dem Bergseeschijen fehlt im Moment ein solches.

 

Nach der Gipfelrast stiegen wir – den blau-weissen Markierungen folgend – über den Ostgrat (und teils in der Flanke) ab. Zurzeit liegt noch viel Schnee und über den Fels läuft oft Schmelzwasser. Entsprechend waren wir an der Steilstufe gar nicht unfroh über das Fixseil. Ab P. 2600 ist alles schneefrei. Hier halfen erneut Fixseile, um die Felsstufe zu überwinden. Danach folgte ein etwas mühsamer Abstieg über viel, viel Geröll. Nach rund siebeneinhalb Stunden waren wir zurück bei der Bergseehütte. Als wir danach zur Göscheneralp abstiegen und hin und wieder zurückblickten, konnte ich – wie so oft nach solchen Touren – kaum fassen, dass wir gerade eben dieses felsige Ungetüm bewältigt hatten... Madame sei Dank: Auf ihre tapferen, souveränen Vorstiege ist Verlass.


Tourengänger: أجنبي


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