Gimpel (2175 m) - Überschreitung "mit Johan"


Publiziert von 83_Stefan , 16. April 2014 um 01:50.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Allgäuer Alpen
Tour Datum: 6 April 2014
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 6:30
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1200 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Auf der B199 durchs Tannheimer Tal nach Nesselwängle; gebührenflichtiger Parkplatz des Gimpelhauses direkt an der Bundesstraße.
Unterkunftmöglichkeiten:Gimpelhaus (privat, 1659 m), Tannheimer Hütte (DAV-Sektion Allgäu-Kempten, 1760 m).
Kartennummer:Bayerisches Landesamt für Vermessung und Geoinformation - UK50-48 Füssen.

Wer zum Geier ist Johan? Und vor allem was macht er am Gimpel? Zugegeben, Johan ist dort weniger physisch, als vielmehr psychisch präsent. Vor vielen, vielen Jahren hat irgend jemand an der Schlüsselstelle des Gimpel-Westgrats die Aufschrift "NUN MUT JOHAN" hinterlassen - seitdem trägt die Route diesen Namen. Der "Johan" hat im Laufe der Zeit ein zweites "n" erhalten und aus dem "nun" wurde oftmals ein "nur", aber was soll's?!? Vielleicht war dort ja auch niemals ein Johan unterwegs. Solche Inschriften hinterlassen aber bei manchen ein mulmiges Gefühl - "warum braucht Johan dort Mut"?!? Aus diesem Grunde ist Johan eben doch immer in Gedanken dabei, wenn's zum Gimpel geht.
Die Westgrat-Route ist eine gut abgesicherte, feste Genusskletterei mit schönen Ausblicken, allerdings meist ziemlich häufig begangen - eigentlich klar, denn der Gimpel ist ja auch ein eindrucksvoller Berg! Auch der zweite Gipfel im Programm - die unschwierig erreichbare Rote Flüh - beeindruckt den Betrachter im Tal. Zwei gegensätzliche Tannheimer Leckerbissen in einer Tour - so ist's recht!


Vom Parkplatz des Gimpelhauses auf dem Sträßchen nach oben und bald rechts ab auf den Fahrweg, der oberhalb des Orts nach Osten quert. Immer den Schildern zum Gimpelhaus folgend, wird bald der Einstieg erreicht, wo der Steig beginnt. Meist im Wald, aber mit dem einen oder anderen schönen Blick in petto geht es an einem Rücken teils sakrisch steil aufwärts, bis das große Gimpelhaus erreicht ist. In der Sommersaison gibt's hier Kost und Logis.

Von der Hütte leitet der Steig ins Gimpelkar hinein. Rechter Hand zieht bereits der Gimpel mit seiner abweisenden Gestalt die Blicke auf sich, aber zuerst lohnt noch ein Besuch der Roten Flüh, die besonders vom Haldensee unten im Tal recht ordentlich anzusehen ist. Dem Steig bergauf folgend geht's hinauf zur Judenscharte und dann nach links an den Gipfelaufbau heran. Eine kurze Felsstufe wird mittels künstlicher Stufen und Seilgeländer überwunden, dann geht's unschwierig durch begrünte Schrofen hinauf zum Gipfelkreuz. Natürlich ist der Gimpel mit seinem himmelsstrebenden Westgrat Blickfang Nummer Eins. Aber auch die anderen Tannheimer Berge sowie die Gipfel um Gaishorn & Co. erfreuen den Betrachter. Tief unten im Tal glitzert der Haldensee.

Zurück zur Judenscharte geht's auf dem Anstiegsweg, wobei man auf der aalglatten Trasse vor allem bei Feuchtigkeit aufpassen muss, dass das eigene Hinterteil keine akute Affinität für die Gravitation entwickelt.

An der Scharte beginnt dann der interessanteste Teil der Tour. Durch Zweiergelände geht's in Gratnähe - immer den Bohrhaken folgend - nach oben. Welche Route man genau wählt, ist Geschmackssache. Nach einem kurzen, schärferen Gratabschnitt (II+) wird bald die Schlüsselstelle "NUN MUT JOHAN" (III+, A1) erreicht - hier gilt es, einen etwa fünf Meter hohen Grataufschwung zu überwinden. Ein Bohrhaken gibt Hilfe, frei wäre diese Stelle als VI zu bewerten. Ein wenig Mut kann hier tatsächlich nicht schaden, denn es geht nach allen Seiten gut runter und das Gestein ist merklich abgespeckt.

Sodann wird der Grat nach rechts verlassen und man quert hinüber zu einem Kamin, der die zweite Schlüsselstelle (III+, A0) darstellt ("HO RUCK"). Rechts des Kamins gibt ein Bohrhaken Hilfe, frei geklettert ist die Stelle mit IV zu bewerten.

Einfacher geht es weiter. Bald könnte man hinauf zum Grat und auf dessen Rückseite weiter steigen (laut TOPO* II+), aber auch ein Kamin weiter rechts (IV-, etwa in der Mitte Bohrhaken; unsere Wahl) führt wieder zum Grat hinauf. Ab hier anfangs durch Zweier- bald durch Gehgelände zum unmittelbaren Gipfelaufbau.

Ein markantes Grasband auf der Nordseite unter dem Gipfelaufbau wird nur wenige Meter begangen, dann geht es steil nach rechts hinauf (II+) wieder zum Grat (Haken). Von hier durch Geh- und leichtes Kraxelgelände zum höchsten Punkt, wo auch das Gipfelkreuz (mit -buch) steht. Die Aussicht ist deutlich umfassender als auf der Roten Flüh, aber natürlich fehlt der Gimpel selbst als Hauptattraktion. Dafür sind aber die Blicke zur Kellespitze besonders schön.

Der Abstieg erfolgt über den Ostgrat. Zunächst durch steiles Gehgelände hinunter zu einem kleinen Schärtchen und auf deutlicher Steigspur in die Südflanke hinab. Kurz bevor wieder das Gimpelkar erreicht wird, ist noch eine etwas steilere Schrofenpassage (I) zu überwinden. Der breit ausgetretene Steig leitet einen dann wieder aus dem Kar hinaus.

Im Abstieg lohnt noch ein kleiner Abstecher zur altehrwürdigen, urigen Tannheimer Hütte. Nach dem Verlassen des Kars hält man sich hierzu links und erreicht die Hütte (im Sommer Einkehr und Übernachtung) bald auf gutem Steig. Ein breiter Weg leitet von hier hinüber zum Gimpelhaus, wo sich die Runde schließt.

Schwierigkeiten:
Anstieg zum Gimpelhaus: T2 (sakrisch steil, aber unschwierig; neu befestigte Wegtrasse).
Weiter zur Roten Flüh: T3 (unterhalb des Gipfels kurz versichert, ansonsten T2).
Via Westgrat zum Gimpel: III+, A1 (unsere Variante IV-).
Abstieg über Ostgrat und Südflanke: T4+, I (nur kurz in der Schrofenpassage, ansonsten einfacher).
Abstecher zur Tannheimer Hütte: T2 (ohne nennenswerte Schwierigkeiten).

Fazit:
Eine abwechslungsreiche 4*-Tour auf zwei gegensätzliche Tannheimer Gipfel. Wer sich den Westgrat am Gimpel nicht zutraut, der kann den Gimpel über den beschriebenen Abstiegsweg deutlich einfacher besteigen und erreicht in Kombination mit dem versicherten Weg zur Roten Flüh auf diese Weise auch beide Gipfel. Der Grat ist vorwiegend fest und schön zu klettern, diverse Bohrhaken ermöglichen eine zeitsparende Sicherung. Die beiden Schlüsselstellen der originalen Route sind recht glatt poliert, der optionale Kamin ist deutlich rauher.

Mit auf Tour: Uwe.

Anmerkungen:
*Zur Schwierigkeitsbewertung wurde ein Topo verwendet aus:
Marcus Lutz & Achim Pasold
Kletterführer Alpin
Allgäu & Ammergau incl. Tannheimer Berge
Panico Alpinverlag

Kategorien: Allgäuer Alpen, 4*-Tour, 2100er, T4.

Tourengänger: 83_Stefan


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden


Geodaten
 20161.gpx Tourenskizze (kein GPS)

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

T2
5 Aug 17
Judenscharte · paoloski
T4+ III
1 Jun 17
Gimpel Westgrat · frehel
T4 I K2
T5- I K2

Kommentare (12)


Kommentar hinzufügen

Kireko hat gesagt: Super Tour
Gesendet am 16. April 2014 um 07:55
Die hätte mir auch Spaß gemacht! Brauche echt mal wieder Fels unter Füßen und Händen!

ReinerD hat gesagt: RE:Super Tour
Gesendet am 16. April 2014 um 10:52
oder wie in alten Zeiten, eine Schulter unter den Füssen ,-)
Nur MUT Rebecca
http://static1.akpool.de/images/cards/61/616740.jpg

Kireko hat gesagt: RE:Super Tour
Gesendet am 16. April 2014 um 10:55
So gehts natürlich auch :)

83_Stefan hat gesagt: RE:Super Tour
Gesendet am 16. April 2014 um 19:36
Wirklich ein klasse Bild - danke für den Link! Das ist Alpingeschichte!

83_Stefan hat gesagt: RE:Super Tour
Gesendet am 16. April 2014 um 19:36
Aber da kannst du dir sicher sein ;-) !

Nic hat gesagt:
Gesendet am 16. April 2014 um 08:15
Die Tannheimer scheinen bei den "Hikrn" im Moment hoch im Kurs zu stehen. ;-) Schöne Tour. Da werden Erinnerungen wach...

83_Stefan hat gesagt: RE:
Gesendet am 16. April 2014 um 19:38
Hallo Nic, vielen Dank! Die Tannheimer sind dieses Jahr wirklich oft auf HIKR vertreten, aber sie werden ja grundsätzlich recht häufig besucht. Auch ich bin relativ oft dort, meistens im Frühsommer nach der Arbeit - da entwickeln die Tannheimer Berge einen ganz besonderen Reiz.

quacamozza hat gesagt: Johann war...
Gesendet am 16. April 2014 um 11:52
...der Nachbar des Erstbegehers Julius Bachschmid und ein mutloser Spießbürger, der von der Erstbegehung des Gimpel-Westgrates träumte. So wurde man früher auf den Arm genommen...

Der Grat war damals heiß begehrt, viel diskutiert im Alpenvorland und wurde erst sehr spät begangen. Er galt als besonders schwierig. So wurde die Tour dann, wie etwa auch der Mittellegigrat, zunächst im Abstieg durch Abseilen erkundet. Neben der Aufschrift wurde noch ein großer Pfeil angebracht.

Dass diese Stelle so bekannt werden würde, hätte sich damals wohl kaum jemand vorstellen können.

Glückwunsch zu der Tour. Die lohnt sich aber auch bei guten Sichtverhältnissen...

Sportliche Grüße
Ulf







ReinerD hat gesagt: RE:Johann war...
Gesendet am 16. April 2014 um 12:34
die ausführliche, durchaus lesenwerte Geschichte hierzu findet man hier

http://www.klettern-tannheimer.de/source/pages/gimpel_westgrat.php





83_Stefan hat gesagt: RE:Johann war...
Gesendet am 16. April 2014 um 19:53
Danke für den Link!

83_Stefan hat gesagt: RE:Johann war...
Gesendet am 16. April 2014 um 19:43
Hallo Ulf, vielen Dank für die interessante Geschichte! Dann war "Johan" ja wirklich nie dort oben ;-) .
Klar, bei gutem Wetter ist die Tour sicherlich ein Traum! Leider wissen das aber auch viele andere Bergsteigerkollegen ;-) . Nach unserer Begehung bin ich auf deinen HIKR-Bericht gestoßen und habe gleich nachgeschaut, was mir wetterbedingt verborgen geblieben ist.

Viele Grüße vom Kochelsee!
Stefan

eganahl hat gesagt: Gimpel Westgrat Historie von Hermann Reisach
Gesendet am 26. Oktober 2021 um 16:26
Erstbegeher vom Gimpel Westgrat waren Julius Bachschmid, Textil-Groß.Kaufmann (& Bürgermeistersohn) und Emanuel Christa, Student jur. (Sohn vom evang. Stadtpfarrer) beide aus Kaufbeuren, 1896.

Emanuel hatte einen Farbkübel und Pinsel dabei und hat mit roter Farbe an die Felsen hingeschmiert: Nur Mut Johann.

Gemeint damit war der Hans Wagner, Vorsitzender vom Zweig Kaufbeuren der Alpenverein.Sektion Allgäu-Immenstadt. Hans Wagner hat den Westgrat bei schönem Wetter von Kaufbeuren aus täglich im Auge*. Möchten hätte er schon gerne wollen, aber dürfen, dürfen hat er sich aber dann doch nicht getraut, so frei nach Karl Valentin. So hat man die Geschichte in Kaufbeuren erzählt.

Der Sohn von Hans Wagner, der Emil Wagner, war Jahrzehnte Vorsitzender der DAV Sektion KF, und ich habe von ihm ein paar von den alten, ersten Führerwerken geschenkt bekommen (die sonst niemand mehr hat oder haben wollte, das alte glumpp). Wagner war ein typischer Kaufbeurer Kleinbürger, mit einem Geschäft für Textil-Kurzwaren am Kirchplatz.

Soweit so gut: Emanuel Christa hat ein ganzes Schulheft über sein Abenteuer am Westgrat voll geschrieben. Das ist in Teilen mit einem essay schon in 100 Jahre Gimpel Westgrat im DAV Immenstadt 1996 veröffentlicht. Das Schulheft und die ganze Erzählung ausgehoben von Hermann Reisach, nach langer Recherche, aus einem Keller in München. Eine Emanuel Christa Biografie habe ich geschrieben, ca 60 Seiten mit Dokumenten; die lagert im DAV auf der Praterinsel in München in der Bibliothek.

Die beiden Julius und Emanuel sind mit Kletterschuhen geklettert, mit Filz- oder Manchon.sohlen und hatten die schweren Bergschuhe auf der Judenscharte in den Rucksack gepackt.

Ein Ausrufesatz von Christa. “Hei wie klettert sichs leicht auf diesen weichen Sohlen“. Ausserdem hatten die Helden fünf Felshaken dabei.

*richtig ist: Johann Wagner musste auch erst auf die Stadtmauer steigen, damit er bis zu den Tannheimer Bergen sehen konnte. Christa dagegen konne die Kette der Tannheimer studieren, wenn er von seinem ungeliebten Jura Studium in München mit der Eisenbahn nach Kaufbueren fuhr.

Grabsteine für die Helden gibt es noch. Der beste Stein aber ist der Nur Mut Johann selber, solange er nicht runterfällt wegen auftauendem Permafrost.


Kommentar hinzufügen»