Säntis auf Umwegen (Jöchli und Nädligergrat)
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Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Für den Säntis gilt das ebenso. Es hat so viele, dass ich manchmal das Gefühl habe, ich würde sie längst nicht alle kennen – geschweige denn begangen haben. Ja, mehr noch: Es kommt mir vor, als wären noch gar nicht alle entdeckt, als gäbe es weitere, unbekannte Möglichkeiten, diesen Berg, der in der Ostschweiz als Berg der Berge schlechthin gilt („säntis – der berg“), zu besteigen.
Davon einmal abgesehen sind die Kombinationsmöglichkeiten aus all den bekannten Bergpfaden, die durch den Alpstein und auf den Säntis führen, enorm. Allein vom Toggenburg her gibt es eine Vielzahl von Routen, die miteinander kombiniert werden können. Mit andren Worten: Für jemanden, der noch nie zur Fuss auf dem Säntis war, mag es reizvoll sein, von Unterwasser oder Wildhaus aus über den Rotsteinpass hinaufzuwandern. Es ist denn auch eine der bekannten „Wanderautobahnen“, die dort durchführt. Wer diese meiden möchte, muss sich etwas Neues einfallen lassen.
Ob die Routenkombination über Jöchli und Nädligergrat auf den Säntis, die ich diesmal gewählt habe, bereits auf hikr.org beschrieben ist, weiss ich nicht. Es sind aktuell (letzter Eintrag vom 5. August 2013) immerhin 227 Säntistouren, die dort abgespeichert sind. Keine einfache Sache, den Überblick zu behalten! Dafür hat es bestimmt für jeden Geschmack etwas darunter.
Die Ostwind-Tageskarte bedeutet mir ein Stück Freiheit. Für CHF 23.20 (Halbtax) erkauft man sich das Recht, einen Tag lang nach Lust und Laune durch die Ostschweiz zu gondeln, ohne sich um Tarifzonen kümmern zu müssen. Für den Wanderer ist das praktisch, wenn er aus irgendeinem Grund seine Route ändert und dann andere Verbindungen benützen muss. Wenn am Abend die letzte Schwebebahn bei der Schwägalp ankommt, ist das letzte Postauto bereits abgefahren. Darum legte ich mir einen Plan B zurecht, um notfalls vom Rotsteinpass abzusteigen, falls mein Zeitfenster nicht ausreichen würde und ich deutlich nach 15 Uhr dort ankäme. Kurzum, ganz so sorglos wie üblich konnte ich diesmal nicht herumbummeln, wenn ich mein Ziel erreichen wollte.
Das Ziel ist hier vor allem der Weg über das Jöchli und den Nädligergrat. Der Säntis bildet lediglich den Abschluss der Tour. Dennoch kann ich es kaum erwarten, wieder auf „meinem“ Säntis zu stehen. Damit meine ich natürlich nicht „Säntis-City“ (der Ausdruck stammt nicht von mir, sondern aus dem Buch „Die Klettersteige der Schweiz“, Hüsler/Anker, AT Verlag, 2010), als vielmehr den Chalbersäntis NW-Gipfel (2455 m), wo ich im letzten Herbst ein Gipfelbuch hinterlegt habe. Hat es bereits ein paar Einträge drin? Oder ist es nach dem langen Winter völlig durchnässt?
Das Zeitfenster ergab sich übrigens aus dem Umstand, dass ich statt zu Fuss die ersten fast 300 Höhenmeter (es kommen für meinen Geschmack, bzw. Kondition im Laufe des Tages sowieso noch genügend zusammen!) bequem mit der Seilbahn von Wildhaus nach Gamplüt zurücklegen wollte – und die erste fährt morgens um 8.30 Uhr. Bis zum Jöchlisattel brauche man etwa 3 Stunden, von dort bis zum Rotsteinpass nochmals 2 und für den Weg über den Lisengrat auf den Säntis, habe ich in einem Buch gelesen, müsse man ebenfalls 2 Stunden einplanen. Allzu viele Reserven und Pausen liegen da nicht drin, wenn man nicht besonders sportlich unterwegs ist. Die Einschränkung durch das Zeitfenster hindert mich jedenfalls daran, Dummheiten zu machen und in Versuchung zu kommen, weitere Gipfel entlang der Route (deren es mehrere gibt) zu besuchen.
Von der Seilbahnstation Gamplüt wandere ich Richtung Teselalp. Verlockende Sicht auf die Schafbergwand. Dort, wo der Wanderweg vom Flürentobel herkommt, zweigt beim P. 1389 der Weg Richtung Jöchli und Altmannsattel links ab. Man sieht von Weitem auf einem grossen Stein die weiss-blau-weisse Markierung. Stetig ansteigend gelangt man auf einem bequemen Weg (T2) zur Schafbodenalp (1678 m). Im gleichen Stil geht es in der breiten Mulde weiter aufwärts, bis man auf etwa 1900 m Höhe über Geröll auf ein Schneefeld zusteuert, das vermutlich ewig hier liegen bleibt. Hinter dem Schneefeld, auf einem Stein, sieht man bereits die nächste Markierung. Es ist einfacher, das Schneefeld zu überqueren, als auf der rechten Seite durch das Geröll zu steigen. In beiden Fällen kommt man bald einmal zu einer Felsstufe, zu deren Überwindung man erstmals die Hände braucht (T3+).
Kurz darauf erreicht man beim P. 2069 die bekannte Weggabelung: links geht es zum Schafberg, rechts Richtung Altmann Sattel. Ab hier hat das Gelände einen mehr alpinen Charakter: Zwischen Geröll und Kalkfelsen schlängelt sich die fast durchwegs sichtbare Wegspur um die südlichen Felsen des Jöchli herum und zum Jöchlisattel (2294 m) hinauf. Wo der Weg nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, hat es so viele Markierungen, dass man fast nicht fehl gehen kann. Obwohl mit zahlreichen T4-Stellen gespickt, ist die Route viel einfacher, als es von unten gesehen den Anschein macht. Wer Lust hat, kann auch von einer Markierung zur nächsten über die Felsen kraxeln. Der raue und gutgriffige Kalk bietet eine leichte Genusskletterei, die an den Weg zur Stockflue erinnert.
Vom Jöchlisattel steige ich schnurstracks weiter zum Gipfel des Jöchli (2235 m). Zeitlich bin ich erstaunlich gut dran, ziemlich genau drei Stunden habe ich bis hierhin gebraucht. Es ist ein wahrer Logenplatz mit Blick auf den westlichen Alpstein, den ich mir für die Mittagsrast ausgesucht habe. im Osten sieht es hingegen düster aus. Vom Rheintal her scheint sich eine dunkle Wolkenwand Richtung Alpstein zu bewegen. Und die Sonne hat sich für den Moment verabschiedet. Dafür weht ein kühles Lüftchen, so dass ich nicht mehr lange sitzen bleibe.
Zurück beim Jöchlisattel setze ich meinen Weg zum Säntis fort. Auf den nächsten Abschnitt, den Nädligergrat, bin ich besonders gespannt. Wie anspruchsvoll wird er sein? Bis zum Rotsteinpass sind es laut Wegweiser zwei Stunden. Sanftere Abschnitte und kurze Steilstufen wechseln sich ab. Die Wegspur führt vorerst über zerklüftete Kalkfelsen durch die Ostflanke des Nädliger. Die Strecke ist vergleichbar mit dem Säntisweg zwischen Tierwis und der Stütze 2. Aufgrund der Einschnitte im Grat ist es ein ständiges Auf und Ab, fast wie auf einer Achterbahn. Den eigentlichen Grat erreicht man erst auf der grasigen Kuppe mit den zwei Steintürmen, die wie Menhire in den Himmel ragen und den Gipfel des Nädliger (2321 m) bilden. Weit unten sieht man bereits das Berggasthaus auf dem Rotsteinpass.
Bis zum Altmannsattel geht man nun ständig auf dem zuweilen etwas schmalen Grat. Wer Tiefblicke nicht sonderlich mag, schaut besser nach vorn auf den Weg statt in den Abgrund, der auf beiden Seiten gähnt. Wenn der Weg trocken ist, bietet das verhältnismässig kurze Stück auf dem Grat kaum Schwierigkeiten. Überhaupt habe ich die ganze Strecke zwischen dem Jöchli und dem Altmann Sattel als recht angenehm erlebt - im Vergleich zum Heuwberg Rundgang ist es die reinste Wohlfühltour: keine heiklen, abschüssigen Stellen, keine rutschigen Schuttrinnen. Wer beispielsweise die Nasenlöcher Route ohne Probleme gemeistert hat, kann sich getrost auch an den Nädliger Grat wagen.
Waren die Leute, denen ich bisher begegnet bin, eher dünn gesät, ändert sich das natürlich auf der verbleibenden Strecke schon bald. Bereits auf dem Abstieg zum Rotsteinpass herrscht ein Kommen und Gehen. Den Weg durch die Felsen der Fliswand habe ich vor sechs Jahren einmal im Aufstieg begangen und als schwieriger in Erinnerung, als ich ihn heute angetroffen habe. Inzwischen ist er weitgehend erneuert. Mit den zahlreichen, kräftigen Eisenbügeln und den fast durchgehenden Stahlseilen gleicht er einem Klettersteig. Wer sich unsicher fühlt, kann ein Klettersteigset mitnehmen und sich so zusätzlich sichern.
Auf dem Rotsteinpass (2122 m) mit dem ratternden und stinkenden Stromgenerator halte ich mich nicht lange auf. Lieber raste ich ein Stück weiter oben auf einer wunderschönen Blumenwiese. Der ganze Aufstieg zum Lisengrat wie auch der Weg durch die Felsen ist im Vergleich zu früher derart gut ausgebaut, dass er nahezu gefahrlos begangen werden kann. Ein ideales Übungsgelände, falls jemand noch ein wenig Höhenangst wegtrainieren muss. Und bei Bedarf kann auch hier ein Klettersteigset benützt werden. Ganz am Schluss, bevor man auf dem Chalbersäntis ankommt, muss ein kleines Schneefeld überquert werden, das keine Schwierigkeiten bietet, da die Spur durch die vielen Wanderer derart vertieft ist, dass man wie auf Schienen geht.
Für das letzte Stück auf den Nordwestgipfel des Chalbersäntis (2455 m) benütze ich, statt des nordseitigen Felsenwegs, den direkten und schöneren Aufstieg über den Grat. An einer Stelle muss ein ganz kurzes Stück in eine Scharte hinabgeklettert werden (T5), bevor man den Gipfel erreicht. (Selbstverständlich kann man auch den gesicherten Weg benützen und erst am Schluss zwei Meter hinaufkraxeln.) Dort angekommen richte ich wie üblich das rostige Eisenkreuz mit einem kleinen Steinkeil. Dann suche ich – in gespannter Erwartung und voller Freude – im darunter liegenden Felsspalt nach dem Gipfelbuch. Zwei Anläufe hatte es im letzten Herbst gebraucht, um es hier zu deponieren. Doch, wie gewonnen, so zerronnen. Nicht weil es infolge unsachgemässer Aufbewahrung durchnässt und zerfallen wäre. Es ist gar nicht mehr da. Vergeblich schaue ich mich um, ob es jemand an einem andern Ort hingelegt hätte. Nichts, einfach weg! Es bleibt die Hoffnung, dass es jemand zum Trocknen nach Hause mitgenommen hat und bald wieder zurückbringen wird.
Auch ohne Gipfelbuch geniesse ich die zauberhafte Atmosphäre auf „meinem“ Gipfel. Kehrt man „Säntis-City“ den Rücken, wähnt man sich in einsamer Abgeschiedenheit, mit fabelhaftem Blick auf den ganzen südwestlichen Alpstein und – an andern Tagen, bei guter Fernsicht – bis weit in die Alpen hinein. Immer wieder sind ganz nah und deutlich Stimmen zu hören. Wie aus einer andern Welt. Denn es kommt niemand herauf, es ist niemand zu sehen. Sie stammen von den Wanderern, die kaum zwei Meter weiter unten wie eine Karawane vorbeiziehen. Ich könnte noch lange hier verweilen, denn die Zeit, um das letzte Postauto zu erreichen, ist noch bei Weitem nicht abgelaufen. Doch die Wolken, die heraufziehen, hüllen bald einmal den ganzen Säntisgipfel in dichten Nebel. Unter diesen Umständen verlasse ich „meinen“ Gipfel und wechsle hinüber nach „Säntis-City“.
Zehn Minuten später gehe ich durch die automatische Glastüre der Säntisbahn. Der Raum ist klimatisiert. In einer dunklen Ecke schauen Touristen auf das an die Wand projizierte Bergpanorama. „Säntis-City“ ist wetterunabhängig, auch bei dickstem Nebel sind die Berge zu sehen. Bei der Fahrt hinunter zur Schwägalp knipsen einige wie wild, um doch noch schnell etwas von der realen Bergwelt zu erhaschen.
Davon einmal abgesehen sind die Kombinationsmöglichkeiten aus all den bekannten Bergpfaden, die durch den Alpstein und auf den Säntis führen, enorm. Allein vom Toggenburg her gibt es eine Vielzahl von Routen, die miteinander kombiniert werden können. Mit andren Worten: Für jemanden, der noch nie zur Fuss auf dem Säntis war, mag es reizvoll sein, von Unterwasser oder Wildhaus aus über den Rotsteinpass hinaufzuwandern. Es ist denn auch eine der bekannten „Wanderautobahnen“, die dort durchführt. Wer diese meiden möchte, muss sich etwas Neues einfallen lassen.
Ob die Routenkombination über Jöchli und Nädligergrat auf den Säntis, die ich diesmal gewählt habe, bereits auf hikr.org beschrieben ist, weiss ich nicht. Es sind aktuell (letzter Eintrag vom 5. August 2013) immerhin 227 Säntistouren, die dort abgespeichert sind. Keine einfache Sache, den Überblick zu behalten! Dafür hat es bestimmt für jeden Geschmack etwas darunter.
Die Ostwind-Tageskarte bedeutet mir ein Stück Freiheit. Für CHF 23.20 (Halbtax) erkauft man sich das Recht, einen Tag lang nach Lust und Laune durch die Ostschweiz zu gondeln, ohne sich um Tarifzonen kümmern zu müssen. Für den Wanderer ist das praktisch, wenn er aus irgendeinem Grund seine Route ändert und dann andere Verbindungen benützen muss. Wenn am Abend die letzte Schwebebahn bei der Schwägalp ankommt, ist das letzte Postauto bereits abgefahren. Darum legte ich mir einen Plan B zurecht, um notfalls vom Rotsteinpass abzusteigen, falls mein Zeitfenster nicht ausreichen würde und ich deutlich nach 15 Uhr dort ankäme. Kurzum, ganz so sorglos wie üblich konnte ich diesmal nicht herumbummeln, wenn ich mein Ziel erreichen wollte.
Das Ziel ist hier vor allem der Weg über das Jöchli und den Nädligergrat. Der Säntis bildet lediglich den Abschluss der Tour. Dennoch kann ich es kaum erwarten, wieder auf „meinem“ Säntis zu stehen. Damit meine ich natürlich nicht „Säntis-City“ (der Ausdruck stammt nicht von mir, sondern aus dem Buch „Die Klettersteige der Schweiz“, Hüsler/Anker, AT Verlag, 2010), als vielmehr den Chalbersäntis NW-Gipfel (2455 m), wo ich im letzten Herbst ein Gipfelbuch hinterlegt habe. Hat es bereits ein paar Einträge drin? Oder ist es nach dem langen Winter völlig durchnässt?
Das Zeitfenster ergab sich übrigens aus dem Umstand, dass ich statt zu Fuss die ersten fast 300 Höhenmeter (es kommen für meinen Geschmack, bzw. Kondition im Laufe des Tages sowieso noch genügend zusammen!) bequem mit der Seilbahn von Wildhaus nach Gamplüt zurücklegen wollte – und die erste fährt morgens um 8.30 Uhr. Bis zum Jöchlisattel brauche man etwa 3 Stunden, von dort bis zum Rotsteinpass nochmals 2 und für den Weg über den Lisengrat auf den Säntis, habe ich in einem Buch gelesen, müsse man ebenfalls 2 Stunden einplanen. Allzu viele Reserven und Pausen liegen da nicht drin, wenn man nicht besonders sportlich unterwegs ist. Die Einschränkung durch das Zeitfenster hindert mich jedenfalls daran, Dummheiten zu machen und in Versuchung zu kommen, weitere Gipfel entlang der Route (deren es mehrere gibt) zu besuchen.
Von der Seilbahnstation Gamplüt wandere ich Richtung Teselalp. Verlockende Sicht auf die Schafbergwand. Dort, wo der Wanderweg vom Flürentobel herkommt, zweigt beim P. 1389 der Weg Richtung Jöchli und Altmannsattel links ab. Man sieht von Weitem auf einem grossen Stein die weiss-blau-weisse Markierung. Stetig ansteigend gelangt man auf einem bequemen Weg (T2) zur Schafbodenalp (1678 m). Im gleichen Stil geht es in der breiten Mulde weiter aufwärts, bis man auf etwa 1900 m Höhe über Geröll auf ein Schneefeld zusteuert, das vermutlich ewig hier liegen bleibt. Hinter dem Schneefeld, auf einem Stein, sieht man bereits die nächste Markierung. Es ist einfacher, das Schneefeld zu überqueren, als auf der rechten Seite durch das Geröll zu steigen. In beiden Fällen kommt man bald einmal zu einer Felsstufe, zu deren Überwindung man erstmals die Hände braucht (T3+).
Kurz darauf erreicht man beim P. 2069 die bekannte Weggabelung: links geht es zum Schafberg, rechts Richtung Altmann Sattel. Ab hier hat das Gelände einen mehr alpinen Charakter: Zwischen Geröll und Kalkfelsen schlängelt sich die fast durchwegs sichtbare Wegspur um die südlichen Felsen des Jöchli herum und zum Jöchlisattel (2294 m) hinauf. Wo der Weg nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, hat es so viele Markierungen, dass man fast nicht fehl gehen kann. Obwohl mit zahlreichen T4-Stellen gespickt, ist die Route viel einfacher, als es von unten gesehen den Anschein macht. Wer Lust hat, kann auch von einer Markierung zur nächsten über die Felsen kraxeln. Der raue und gutgriffige Kalk bietet eine leichte Genusskletterei, die an den Weg zur Stockflue erinnert.
Vom Jöchlisattel steige ich schnurstracks weiter zum Gipfel des Jöchli (2235 m). Zeitlich bin ich erstaunlich gut dran, ziemlich genau drei Stunden habe ich bis hierhin gebraucht. Es ist ein wahrer Logenplatz mit Blick auf den westlichen Alpstein, den ich mir für die Mittagsrast ausgesucht habe. im Osten sieht es hingegen düster aus. Vom Rheintal her scheint sich eine dunkle Wolkenwand Richtung Alpstein zu bewegen. Und die Sonne hat sich für den Moment verabschiedet. Dafür weht ein kühles Lüftchen, so dass ich nicht mehr lange sitzen bleibe.
Zurück beim Jöchlisattel setze ich meinen Weg zum Säntis fort. Auf den nächsten Abschnitt, den Nädligergrat, bin ich besonders gespannt. Wie anspruchsvoll wird er sein? Bis zum Rotsteinpass sind es laut Wegweiser zwei Stunden. Sanftere Abschnitte und kurze Steilstufen wechseln sich ab. Die Wegspur führt vorerst über zerklüftete Kalkfelsen durch die Ostflanke des Nädliger. Die Strecke ist vergleichbar mit dem Säntisweg zwischen Tierwis und der Stütze 2. Aufgrund der Einschnitte im Grat ist es ein ständiges Auf und Ab, fast wie auf einer Achterbahn. Den eigentlichen Grat erreicht man erst auf der grasigen Kuppe mit den zwei Steintürmen, die wie Menhire in den Himmel ragen und den Gipfel des Nädliger (2321 m) bilden. Weit unten sieht man bereits das Berggasthaus auf dem Rotsteinpass.
Bis zum Altmannsattel geht man nun ständig auf dem zuweilen etwas schmalen Grat. Wer Tiefblicke nicht sonderlich mag, schaut besser nach vorn auf den Weg statt in den Abgrund, der auf beiden Seiten gähnt. Wenn der Weg trocken ist, bietet das verhältnismässig kurze Stück auf dem Grat kaum Schwierigkeiten. Überhaupt habe ich die ganze Strecke zwischen dem Jöchli und dem Altmann Sattel als recht angenehm erlebt - im Vergleich zum Heuwberg Rundgang ist es die reinste Wohlfühltour: keine heiklen, abschüssigen Stellen, keine rutschigen Schuttrinnen. Wer beispielsweise die Nasenlöcher Route ohne Probleme gemeistert hat, kann sich getrost auch an den Nädliger Grat wagen.
Waren die Leute, denen ich bisher begegnet bin, eher dünn gesät, ändert sich das natürlich auf der verbleibenden Strecke schon bald. Bereits auf dem Abstieg zum Rotsteinpass herrscht ein Kommen und Gehen. Den Weg durch die Felsen der Fliswand habe ich vor sechs Jahren einmal im Aufstieg begangen und als schwieriger in Erinnerung, als ich ihn heute angetroffen habe. Inzwischen ist er weitgehend erneuert. Mit den zahlreichen, kräftigen Eisenbügeln und den fast durchgehenden Stahlseilen gleicht er einem Klettersteig. Wer sich unsicher fühlt, kann ein Klettersteigset mitnehmen und sich so zusätzlich sichern.
Auf dem Rotsteinpass (2122 m) mit dem ratternden und stinkenden Stromgenerator halte ich mich nicht lange auf. Lieber raste ich ein Stück weiter oben auf einer wunderschönen Blumenwiese. Der ganze Aufstieg zum Lisengrat wie auch der Weg durch die Felsen ist im Vergleich zu früher derart gut ausgebaut, dass er nahezu gefahrlos begangen werden kann. Ein ideales Übungsgelände, falls jemand noch ein wenig Höhenangst wegtrainieren muss. Und bei Bedarf kann auch hier ein Klettersteigset benützt werden. Ganz am Schluss, bevor man auf dem Chalbersäntis ankommt, muss ein kleines Schneefeld überquert werden, das keine Schwierigkeiten bietet, da die Spur durch die vielen Wanderer derart vertieft ist, dass man wie auf Schienen geht.
Für das letzte Stück auf den Nordwestgipfel des Chalbersäntis (2455 m) benütze ich, statt des nordseitigen Felsenwegs, den direkten und schöneren Aufstieg über den Grat. An einer Stelle muss ein ganz kurzes Stück in eine Scharte hinabgeklettert werden (T5), bevor man den Gipfel erreicht. (Selbstverständlich kann man auch den gesicherten Weg benützen und erst am Schluss zwei Meter hinaufkraxeln.) Dort angekommen richte ich wie üblich das rostige Eisenkreuz mit einem kleinen Steinkeil. Dann suche ich – in gespannter Erwartung und voller Freude – im darunter liegenden Felsspalt nach dem Gipfelbuch. Zwei Anläufe hatte es im letzten Herbst gebraucht, um es hier zu deponieren. Doch, wie gewonnen, so zerronnen. Nicht weil es infolge unsachgemässer Aufbewahrung durchnässt und zerfallen wäre. Es ist gar nicht mehr da. Vergeblich schaue ich mich um, ob es jemand an einem andern Ort hingelegt hätte. Nichts, einfach weg! Es bleibt die Hoffnung, dass es jemand zum Trocknen nach Hause mitgenommen hat und bald wieder zurückbringen wird.
Auch ohne Gipfelbuch geniesse ich die zauberhafte Atmosphäre auf „meinem“ Gipfel. Kehrt man „Säntis-City“ den Rücken, wähnt man sich in einsamer Abgeschiedenheit, mit fabelhaftem Blick auf den ganzen südwestlichen Alpstein und – an andern Tagen, bei guter Fernsicht – bis weit in die Alpen hinein. Immer wieder sind ganz nah und deutlich Stimmen zu hören. Wie aus einer andern Welt. Denn es kommt niemand herauf, es ist niemand zu sehen. Sie stammen von den Wanderern, die kaum zwei Meter weiter unten wie eine Karawane vorbeiziehen. Ich könnte noch lange hier verweilen, denn die Zeit, um das letzte Postauto zu erreichen, ist noch bei Weitem nicht abgelaufen. Doch die Wolken, die heraufziehen, hüllen bald einmal den ganzen Säntisgipfel in dichten Nebel. Unter diesen Umständen verlasse ich „meinen“ Gipfel und wechsle hinüber nach „Säntis-City“.
Zehn Minuten später gehe ich durch die automatische Glastüre der Säntisbahn. Der Raum ist klimatisiert. In einer dunklen Ecke schauen Touristen auf das an die Wand projizierte Bergpanorama. „Säntis-City“ ist wetterunabhängig, auch bei dickstem Nebel sind die Berge zu sehen. Bei der Fahrt hinunter zur Schwägalp knipsen einige wie wild, um doch noch schnell etwas von der realen Bergwelt zu erhaschen.
Tourengänger:
Fico

Communities: Alleingänge/Solo, ÖV Touren
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