Piz Duan (3131 m) via Südostgrat - ein Traum ist in Erfüllung gegangen!
|
||||||||||||||||||||||||||
![]() |
![]() |
Irgendwo hatte ich einmal gelesen, der Piz Duan (3131 m) im nördlichen Bergell sei -in Relation zu seiner Höhe- einer der besten Aussichtsgipfel der Schweiz. Aufgrund seiner etwas isolierten Lage sind von seinem höchsten Punkt (bei maximaler Sichtweite) 447 Gipfel über 3000 m und sage und schreibe 35 (!) Gipfel über 4000 m erkennbar (Quelle: www.gipfelderschweiz.ch). Aber auch die Nahsicht vermag zu beeindrucken: Auf der anderen Talseite reihen sich -wie auf dem Präsentierteller- die Bergeller Granitriesen rund um den Pizzo Badile mit ihren gewaltigen Nordwänden auf und etwas weiter östlich leuchten die eisbedeckten Gipfel der Bernina.
Seit ich vor 4 Jahren zum ersten Mal einen Teil dieses Panoramas auf dem Höhenweg von Casaccia über die Val da Cam nach Soglio erleben durfte und dabei den (damals nebelverhangenen) Piz Duan unterquerte, war es mein Wunsch, diesen Gipfel einmal bei guten Sichtverhältnissen zu besteigen. Aufgrund seiner Abgelegenheit und der langen Anreise kam für mich nur ein 2-Täger mit Übernachtung in Casaccia (1458 m) oder Biwak am idyllisch gelegenen Lägh da Cam (2391 m) in Frage. Die gängigsten Routen auf den Gipfel verlaufen durch die Nordflanke (namentlich im Winter mit Ski) und über den Westgrat, keinerlei Dokumentationen und Infos finden sich im Netz hingegen zum Südostgrat bzw. der Südostflanke, immerhin die Route der Erstbesteiger und ausweislich des SAC-Clubführers der leichteste der darin aufgeführten Anstiege. Meine Neugier war geweckt, die Lücke galt es zu schliessen und das einmalige Ambiente des Lägh da Cam sollte das Unternehmen stimmungsvoll abrunden.
Schon die Anreise, insbesondere die spektakuläre Fahrt mit der RhB auf der Albula-Bahnstrecke -seit 2008 zusammen mit der Berninalinie UNESCO-Welterbe- ist ein besonderes Erlebnis, erst recht an einem solch schönen Sommertag. Per Lautsprecherdurchsage wird der Bahnreisende jeweils auf die touristischen Highlights dieses Meisterwerks der Eisenbahnbaukunst hingewiesen. Im Engadin angekommen, bestechen die Oberengadiner Seen mit ihren tollen Farben und den vielen (Kite-) Surfern, die sich vom legendären Maloja-Wind übers Wasser gleiten lassen.
Doch nun genug des Vorgeplänkels - und zur eigentlichen Tour: Mit ziemlich schwerem Rucksack geht es am frühen Nachmittag vom kleinen Bergeller Dörfchen Casaccia (1458 m) am Fusse des Maloja-Passes in Richtung Val Maroz. Bis zur Alp Maroz Dora (1799 m) kommen mir etliche Wanderer und Mountainbiker entgegen. Der historische Transitweg von Bivio über den Septimerpass ist sehr beliebt und im Sommer dementsprechend frequentiert. Im hinteren Val Maroz wird es dann merklich ruhiger und einsamer - beschaulich und sanft geht es dem Flussbett der Maira entlang. Die Sonne brennt vom Himmel, trotz stetig leichtem Wind schwitze ich stark.
Mit dem gemütlichen Dahinwandern ist es nach Überqueren der Schwemmebene unterhalb der Alp Maroz Dent (2035 m) dann endgültig vorbei. Hinauf ins Val da Cam ist eine Steilstufe mit rd. 400 Hm zu überwinden, zum Glück führt der Wanderweg in angenehmem Zick-Zack hinauf. Die Armada von Steinmännern über der Steilstufe ist bereits vom Val Maroz aus gut zu erkennen. Dort angekommen, wandere ich durch das wunderschöne, abgelegene Hochtal - begleitet von zahlreichen Murmeltieren, die überhaupt keine Scheu zeigen und sogar noch am Wegesrand stehen bleiben, als ich an ihnen vorbeilaufe! Vermutlich freuen sie sich, dass endlich mal wieder ein Wanderer vorbei kommt in dieser gottverlassenen Gegend…
Bald erreiche ich die Passhöhe des Val da Cam auf 2456 m und beginne, mich nach einem geeigneten Biwakplatz umzusehen. Und hier gilt: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Wasser gibt es aus den am Piz Duan entspringenden Zuflüssen des Lägh da Cam (2391 m) reichlich, einen besonders schönen und windgeschützten Platz finde ich dann aber in der riesigen Mulde dieses Bergsees selbst. Von dort sind es nur wenige Schritte hinauf zur Kante, wo das Gelände 1400 m ins Val Bregaglia abfällt, gegenüber auf der anderen Talseite reiht sich die Bergeller Granitprominenz (Badile, Cengalo und Konsorten) auf. Eine einzigartige Aussichtsterrasse!
Auch was die Flora anbelangt, ist das Val da Cam rund um den Lägh da Cam eine wahre Schatzkammer: Auf den kalkreichen Böden gedeihen viele schöne Blumen, allen voran Alpenaster und Edelweiss. Ja, ich habe in meinem Leben noch nie so viele Edelweiss an einem Ort gesehen! Zu Tausenden und Abertausenden blüht diese widerstandsfähige und symbolträchtige Pflanze, der Inbegriff der (hoch-)alpinen Flora, rund um den Lägh da Cam und an den Ostflanken des Piz Duan und geben hoch über dem tiefblauen Wasser des Bergsees und vor der Kulisse von Piz Badile & Co schöne Fotosujets ab. Bei meinem ersten Besuch des Val da Cam vor 4 Jahren war mir diese Edelweiss"plage" übrigens noch nicht aufgefallen.
Da ich bis zum Eindunkeln noch einige Stunden Zeit habe, beschliesse ich -nach meinen ausgiebigen (botanischen) Erkundungen rund um den Lägh da Cam- noch auf den Piz Cam (2634 m) zu steigen. Dieser Gipfel ist vom Val da Cam über seine grasige Westflanke in fast beliebiger Routenwahl in ca. 20-30 min leicht zu erreichen (T3), von Vicosoprano aus beeindruckt der Gipfel durch seine gegen das Bergell abfallenden Südwände. Wegen des Tiefblicks und der hübschen Aussicht, insbesondere ins Oberengadin mit seinen Seen, lohnt sich der kurze Aufstieg. Im Übrigen kann ich von hier oben bestens die Aufstiegsroute auf den Piz Duan entlang des Südostgrats studieren. Noch werde ich nicht recht schlau daraus, wie ich wohl den plattigen Felsaufschwung zum Ostgipfel (3105 m) am besten überwinde. Bald werde ich es wissen…
Zurück an meinem Biwakplatz habe ich -trotz allem Herumtrödeln- noch immer über 2 h Zeit bis zur Dämmerung. Und da ich weder Smartphone, TV noch Lesematerial dabei habe und zum Träumen später noch genug Zeit sein wird, beschliesse ich, etwas Sinnvolles zu tun: Ich will soweit zum Piz Duan hinaufsteigen, wie es mir die Tageshelligkeit noch erlaubt. Zum Einen kann ich so etwas für meine Kondition tuen und zum Anderen die Route rekognostizieren, um so allenfalls am nächsten Tag die leichteste und effizienteste Linie wählen zu können.
Da der Lägh da Cam von steilen Felswänden und -flanken gesäumt wird, ist der Zugang zum Südostgrat des Piz Duan von hier nur möglich, indem man entweder weit nach Norden ausholt oder direkt nach Westen über den steilen, grasigen Vorbau aufsteigt. Ich wähle die zweite Variante und gewinne so (reichlich mühsam) einen breiten Absatz in der Südostflanke. Von einer neugierigen Gemse kritisch beäugt, steuere ich nun rechtshaltend den markanten, mit grobblockigen Felsen bestückten Südostgrat an. Im Führer steht, dass man die unteren Absätze nordseitig überwindet bzw. umgeht. Gesagt, getan - es finden sich immer wieder felsfreie Bänder, so dass ich mühelos und ohne irgendwelche Schwierigkeiten weiter nach oben komme. Kurz vor dem durch einen riesigen Steinmann auf exponierter Felsplatte markierten P. 2905 kehrt man mit Vorteil zum Grat zurück, wo ein passabler Gamswechsel im Zick-Zack durch die chaotischen Felsblöcke leitet. Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass mein zeitlicher "point of return" bald erreicht ist - schliesslich will ich nicht in Gefahr geraten, hier bei Dämmerung oder gar Dunkelheit wieder absteigen zu müssen! So kehre ich auf einer Höhe von knapp 3000 m um, unmittelbar bevor sich der Grat steil und felsig zum Ostgipfel (3105 m) hinaufschwingt. Der Grat scheint mir zwar kletterbar, angesichts der Exponiertheit und der Instabilität der Felsblöcke beschliesse ich jedoch, es anderntags mit einer Umgehung auf den teils exponierten (Schutt-)Bändern in der Südflanke zu probieren.
Müde und zufrieden geniesse ich unten noch ein Bier auf der grandiosen "Aussichtsterrasse" über dem Val Bregaglia, bevor ich mich in meinen warmen Schlafsack kuschle. Und hier gilt das alte Sprichwort "wie man sich bettet, so liegt man": Für einmal hatte ich einen perfekten Schlafplatz gefunden, topfeben und weich, über mir der funkelnde Sternenhimmel - da kann das beste Hotel der Welt nicht mithalten! Apropos Sternenhimmel: Da ich nicht gleich einschlafen konnte (wo blieben die zu zählenden Schafe?) vertrieb ich mir die Zeit mit dem Zählen von Sternschnuppen. Unglaublich, was da am Firmament los war - war ja fast spannender als Olympia am TV! ;-)
Eigentlich wäre ich am nächsten Morgen gerne noch eine Weile in meinem kuschelig-warmen Schlafsack geblieben, doch bei der vielen Feuchtigkeit, die an solch warmen Sommertagen aus dem Val Bregaglia aufsteigt, weiss man nie, wann der Piz Duan wieder in Wolken und Nebel eingehüllt wird. Also stehe ich auf und mache in der Dämmerung alles parat, so dass ich um 6 Uhr im ersten Licht losmarschieren kann. Diesmal wähle ich den Umweg um den See herum und in einem weiten Bogen nach Norden, da ich zum einen den steilen Aufstieg über den am Vorabend erklommenen Absatz direkt über dem See scheue, zum anderen muss ich ohnehin noch meine Flaschen mit Wasser auffüllen. Da die direkten Zuflüsse über dem See ausgetrocknet sind, hat es erst in einiger Entfernung (ca. 10 Gehminuten in nördliche Richtung) frisches Quellwasser.
Ohne Schwierigkeiten und grosse Mühen erreiche ich nach einer knappen Stunde auf der am Vorabend auskundschafteten Route den Beginn des Grataufschwungs zum Ostgipfel. Ich wechsle nun vom Grat in die noch schattige Südflanke, wo ich auf Moos- und Schuttbändern unterhalb der plattigen Felsen des Ostgipfels gut queren kann. Über eine etwas unangenehme Schuttrunse hinweg erreiche ich bald die Blockfelder unter dem Westgrat des Ostgipfels. Von weitem steuert man am besten einen markanten Felsblock im Grat an, der von der Form ein wenig an den Kopf eines Murmeltieres erinnert. Dieser befindet sich fast schon in der Einsattlung zwischen Ostgipfel und der markanten Schuttkuppe P. 3088. Hat man die Grathöhe wieder erreicht, ist der Rest eine gemütliche Wanderung mit bereits fantastischen Ausblicken. Man wandelt über den Schuttrücken zum Hauptgipfel hinüber, welcher anschliessend auf ausgeprägten Wegspuren im Schutt problemlos erreicht wird.
Die Bündner scheinen nicht viel von Gipfelsymbolen zu halten. Auf dem höchsten Punkt des Piz Duan (3130,8 m) befindet sich gerade mal ein mittelgrosser Steinmann, der anderenorts auch als bessere Wegmarkierung hätte durchgehen können. Auch ein Gipfelbuch liess sich nicht auffinden. Egal - was zählt, ist die fantastische Aussicht, die wirklich seinesgleichen sucht! Im Norden die typischen Bündner Schuttgipfel, im Westen die gesamte Walliser und Berner Gipfelparade vom Monte Rosa bis zum Bietschhorn und Finsteraarhorn, im Osten die Bernina und die in zerschrundene Gletscher eingebetteten Gipfel rund um Cima della Cantun und Cima del Castello und im Süden direkt vor mir die Bergeller Granitriesen mit der schwindelerregenden Badile-Nordkante. Ganz zu schweigen vom irrsinnigen Tiefblick hinab ins über 2000 Meter tiefer gelegene Tal des Bergells. Obwohl es gerade mal 7.45 Uhr ist, kann ich die Aussicht bei bereits sehr warmen Temperaturen und Windstille geniessen.
Auch der Abstieg verläuft ohne nennenswerte Probleme. Sowohl die Blockfelder als auch die Schuttrunse in der Südflanke unter dem Ostgipfel sind weitaus weniger schlimm als befürchtet. Im Gegenteil: Geröll und Schutt vermitteln im Abstieg einen deutlichen besseren Halt als im Aufstieg, wo man sich ja mit seinem ganzen Gewicht abdrückt und dementsprechend leicht abrutschen kann.
Nach Zusammenpacken meiner am Biwakplatz deponierten Sachen folgte noch der Rückmarsch durch´s Val da Cam und Val Maroz bis hinunter nach Casaccia, wo ich mir bis zur Abfahrt des Postautos Richtung St. Moritz im altehrwürdigen Stampa ein feines Mittagessen und ein Bier gönnte. Ein perfekter Abschluss einer perfekten Tour!
Fazit und Schwierigkeitsbewertung:
Der Piz Duan ist trotz -oder gerade wegen- seiner Abgelegenheit ein äusserst lohnendes Gipfelziel. Wer schuttiges Kraxelgelände und Blockwerk nicht so gern hat wie ich, wird vielleicht weniger begeistert sein. Die Schwierigkeitsbewertung fiel mir nicht leicht: Die technischen Anforderungen auf meiner Route über den Südostgrat bzw. die Südostflanke sind gering, es muss nirgends geklettert werden. Mit Ausnahme einzelner Stellen in der südseitigen Umgehung des Ostgipfels ist es auch nirgends ausgesetzt. Von dem her eigentlich ein (oberes) T4, jedoch ist den Schwierigkeiten, die optimale Route auf Anhieb zu finden, Rechnung zu tragen. Es finden sich keinerlei Begehungsspuren (gut, jetzt vielleicht schon - wer also einen Schuhabdruck Gr. 45 findet…) und bei schlechter Sicht, insbesondere bei Nebel, dürfte die Orientierung sehr schwierig sein.
Seit ich vor 4 Jahren zum ersten Mal einen Teil dieses Panoramas auf dem Höhenweg von Casaccia über die Val da Cam nach Soglio erleben durfte und dabei den (damals nebelverhangenen) Piz Duan unterquerte, war es mein Wunsch, diesen Gipfel einmal bei guten Sichtverhältnissen zu besteigen. Aufgrund seiner Abgelegenheit und der langen Anreise kam für mich nur ein 2-Täger mit Übernachtung in Casaccia (1458 m) oder Biwak am idyllisch gelegenen Lägh da Cam (2391 m) in Frage. Die gängigsten Routen auf den Gipfel verlaufen durch die Nordflanke (namentlich im Winter mit Ski) und über den Westgrat, keinerlei Dokumentationen und Infos finden sich im Netz hingegen zum Südostgrat bzw. der Südostflanke, immerhin die Route der Erstbesteiger und ausweislich des SAC-Clubführers der leichteste der darin aufgeführten Anstiege. Meine Neugier war geweckt, die Lücke galt es zu schliessen und das einmalige Ambiente des Lägh da Cam sollte das Unternehmen stimmungsvoll abrunden.
Schon die Anreise, insbesondere die spektakuläre Fahrt mit der RhB auf der Albula-Bahnstrecke -seit 2008 zusammen mit der Berninalinie UNESCO-Welterbe- ist ein besonderes Erlebnis, erst recht an einem solch schönen Sommertag. Per Lautsprecherdurchsage wird der Bahnreisende jeweils auf die touristischen Highlights dieses Meisterwerks der Eisenbahnbaukunst hingewiesen. Im Engadin angekommen, bestechen die Oberengadiner Seen mit ihren tollen Farben und den vielen (Kite-) Surfern, die sich vom legendären Maloja-Wind übers Wasser gleiten lassen.
Doch nun genug des Vorgeplänkels - und zur eigentlichen Tour: Mit ziemlich schwerem Rucksack geht es am frühen Nachmittag vom kleinen Bergeller Dörfchen Casaccia (1458 m) am Fusse des Maloja-Passes in Richtung Val Maroz. Bis zur Alp Maroz Dora (1799 m) kommen mir etliche Wanderer und Mountainbiker entgegen. Der historische Transitweg von Bivio über den Septimerpass ist sehr beliebt und im Sommer dementsprechend frequentiert. Im hinteren Val Maroz wird es dann merklich ruhiger und einsamer - beschaulich und sanft geht es dem Flussbett der Maira entlang. Die Sonne brennt vom Himmel, trotz stetig leichtem Wind schwitze ich stark.
Mit dem gemütlichen Dahinwandern ist es nach Überqueren der Schwemmebene unterhalb der Alp Maroz Dent (2035 m) dann endgültig vorbei. Hinauf ins Val da Cam ist eine Steilstufe mit rd. 400 Hm zu überwinden, zum Glück führt der Wanderweg in angenehmem Zick-Zack hinauf. Die Armada von Steinmännern über der Steilstufe ist bereits vom Val Maroz aus gut zu erkennen. Dort angekommen, wandere ich durch das wunderschöne, abgelegene Hochtal - begleitet von zahlreichen Murmeltieren, die überhaupt keine Scheu zeigen und sogar noch am Wegesrand stehen bleiben, als ich an ihnen vorbeilaufe! Vermutlich freuen sie sich, dass endlich mal wieder ein Wanderer vorbei kommt in dieser gottverlassenen Gegend…
Bald erreiche ich die Passhöhe des Val da Cam auf 2456 m und beginne, mich nach einem geeigneten Biwakplatz umzusehen. Und hier gilt: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Wasser gibt es aus den am Piz Duan entspringenden Zuflüssen des Lägh da Cam (2391 m) reichlich, einen besonders schönen und windgeschützten Platz finde ich dann aber in der riesigen Mulde dieses Bergsees selbst. Von dort sind es nur wenige Schritte hinauf zur Kante, wo das Gelände 1400 m ins Val Bregaglia abfällt, gegenüber auf der anderen Talseite reiht sich die Bergeller Granitprominenz (Badile, Cengalo und Konsorten) auf. Eine einzigartige Aussichtsterrasse!
Auch was die Flora anbelangt, ist das Val da Cam rund um den Lägh da Cam eine wahre Schatzkammer: Auf den kalkreichen Böden gedeihen viele schöne Blumen, allen voran Alpenaster und Edelweiss. Ja, ich habe in meinem Leben noch nie so viele Edelweiss an einem Ort gesehen! Zu Tausenden und Abertausenden blüht diese widerstandsfähige und symbolträchtige Pflanze, der Inbegriff der (hoch-)alpinen Flora, rund um den Lägh da Cam und an den Ostflanken des Piz Duan und geben hoch über dem tiefblauen Wasser des Bergsees und vor der Kulisse von Piz Badile & Co schöne Fotosujets ab. Bei meinem ersten Besuch des Val da Cam vor 4 Jahren war mir diese Edelweiss"plage" übrigens noch nicht aufgefallen.
Da ich bis zum Eindunkeln noch einige Stunden Zeit habe, beschliesse ich -nach meinen ausgiebigen (botanischen) Erkundungen rund um den Lägh da Cam- noch auf den Piz Cam (2634 m) zu steigen. Dieser Gipfel ist vom Val da Cam über seine grasige Westflanke in fast beliebiger Routenwahl in ca. 20-30 min leicht zu erreichen (T3), von Vicosoprano aus beeindruckt der Gipfel durch seine gegen das Bergell abfallenden Südwände. Wegen des Tiefblicks und der hübschen Aussicht, insbesondere ins Oberengadin mit seinen Seen, lohnt sich der kurze Aufstieg. Im Übrigen kann ich von hier oben bestens die Aufstiegsroute auf den Piz Duan entlang des Südostgrats studieren. Noch werde ich nicht recht schlau daraus, wie ich wohl den plattigen Felsaufschwung zum Ostgipfel (3105 m) am besten überwinde. Bald werde ich es wissen…
Zurück an meinem Biwakplatz habe ich -trotz allem Herumtrödeln- noch immer über 2 h Zeit bis zur Dämmerung. Und da ich weder Smartphone, TV noch Lesematerial dabei habe und zum Träumen später noch genug Zeit sein wird, beschliesse ich, etwas Sinnvolles zu tun: Ich will soweit zum Piz Duan hinaufsteigen, wie es mir die Tageshelligkeit noch erlaubt. Zum Einen kann ich so etwas für meine Kondition tuen und zum Anderen die Route rekognostizieren, um so allenfalls am nächsten Tag die leichteste und effizienteste Linie wählen zu können.
Da der Lägh da Cam von steilen Felswänden und -flanken gesäumt wird, ist der Zugang zum Südostgrat des Piz Duan von hier nur möglich, indem man entweder weit nach Norden ausholt oder direkt nach Westen über den steilen, grasigen Vorbau aufsteigt. Ich wähle die zweite Variante und gewinne so (reichlich mühsam) einen breiten Absatz in der Südostflanke. Von einer neugierigen Gemse kritisch beäugt, steuere ich nun rechtshaltend den markanten, mit grobblockigen Felsen bestückten Südostgrat an. Im Führer steht, dass man die unteren Absätze nordseitig überwindet bzw. umgeht. Gesagt, getan - es finden sich immer wieder felsfreie Bänder, so dass ich mühelos und ohne irgendwelche Schwierigkeiten weiter nach oben komme. Kurz vor dem durch einen riesigen Steinmann auf exponierter Felsplatte markierten P. 2905 kehrt man mit Vorteil zum Grat zurück, wo ein passabler Gamswechsel im Zick-Zack durch die chaotischen Felsblöcke leitet. Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass mein zeitlicher "point of return" bald erreicht ist - schliesslich will ich nicht in Gefahr geraten, hier bei Dämmerung oder gar Dunkelheit wieder absteigen zu müssen! So kehre ich auf einer Höhe von knapp 3000 m um, unmittelbar bevor sich der Grat steil und felsig zum Ostgipfel (3105 m) hinaufschwingt. Der Grat scheint mir zwar kletterbar, angesichts der Exponiertheit und der Instabilität der Felsblöcke beschliesse ich jedoch, es anderntags mit einer Umgehung auf den teils exponierten (Schutt-)Bändern in der Südflanke zu probieren.
Müde und zufrieden geniesse ich unten noch ein Bier auf der grandiosen "Aussichtsterrasse" über dem Val Bregaglia, bevor ich mich in meinen warmen Schlafsack kuschle. Und hier gilt das alte Sprichwort "wie man sich bettet, so liegt man": Für einmal hatte ich einen perfekten Schlafplatz gefunden, topfeben und weich, über mir der funkelnde Sternenhimmel - da kann das beste Hotel der Welt nicht mithalten! Apropos Sternenhimmel: Da ich nicht gleich einschlafen konnte (wo blieben die zu zählenden Schafe?) vertrieb ich mir die Zeit mit dem Zählen von Sternschnuppen. Unglaublich, was da am Firmament los war - war ja fast spannender als Olympia am TV! ;-)
Eigentlich wäre ich am nächsten Morgen gerne noch eine Weile in meinem kuschelig-warmen Schlafsack geblieben, doch bei der vielen Feuchtigkeit, die an solch warmen Sommertagen aus dem Val Bregaglia aufsteigt, weiss man nie, wann der Piz Duan wieder in Wolken und Nebel eingehüllt wird. Also stehe ich auf und mache in der Dämmerung alles parat, so dass ich um 6 Uhr im ersten Licht losmarschieren kann. Diesmal wähle ich den Umweg um den See herum und in einem weiten Bogen nach Norden, da ich zum einen den steilen Aufstieg über den am Vorabend erklommenen Absatz direkt über dem See scheue, zum anderen muss ich ohnehin noch meine Flaschen mit Wasser auffüllen. Da die direkten Zuflüsse über dem See ausgetrocknet sind, hat es erst in einiger Entfernung (ca. 10 Gehminuten in nördliche Richtung) frisches Quellwasser.
Ohne Schwierigkeiten und grosse Mühen erreiche ich nach einer knappen Stunde auf der am Vorabend auskundschafteten Route den Beginn des Grataufschwungs zum Ostgipfel. Ich wechsle nun vom Grat in die noch schattige Südflanke, wo ich auf Moos- und Schuttbändern unterhalb der plattigen Felsen des Ostgipfels gut queren kann. Über eine etwas unangenehme Schuttrunse hinweg erreiche ich bald die Blockfelder unter dem Westgrat des Ostgipfels. Von weitem steuert man am besten einen markanten Felsblock im Grat an, der von der Form ein wenig an den Kopf eines Murmeltieres erinnert. Dieser befindet sich fast schon in der Einsattlung zwischen Ostgipfel und der markanten Schuttkuppe P. 3088. Hat man die Grathöhe wieder erreicht, ist der Rest eine gemütliche Wanderung mit bereits fantastischen Ausblicken. Man wandelt über den Schuttrücken zum Hauptgipfel hinüber, welcher anschliessend auf ausgeprägten Wegspuren im Schutt problemlos erreicht wird.
Die Bündner scheinen nicht viel von Gipfelsymbolen zu halten. Auf dem höchsten Punkt des Piz Duan (3130,8 m) befindet sich gerade mal ein mittelgrosser Steinmann, der anderenorts auch als bessere Wegmarkierung hätte durchgehen können. Auch ein Gipfelbuch liess sich nicht auffinden. Egal - was zählt, ist die fantastische Aussicht, die wirklich seinesgleichen sucht! Im Norden die typischen Bündner Schuttgipfel, im Westen die gesamte Walliser und Berner Gipfelparade vom Monte Rosa bis zum Bietschhorn und Finsteraarhorn, im Osten die Bernina und die in zerschrundene Gletscher eingebetteten Gipfel rund um Cima della Cantun und Cima del Castello und im Süden direkt vor mir die Bergeller Granitriesen mit der schwindelerregenden Badile-Nordkante. Ganz zu schweigen vom irrsinnigen Tiefblick hinab ins über 2000 Meter tiefer gelegene Tal des Bergells. Obwohl es gerade mal 7.45 Uhr ist, kann ich die Aussicht bei bereits sehr warmen Temperaturen und Windstille geniessen.
Auch der Abstieg verläuft ohne nennenswerte Probleme. Sowohl die Blockfelder als auch die Schuttrunse in der Südflanke unter dem Ostgipfel sind weitaus weniger schlimm als befürchtet. Im Gegenteil: Geröll und Schutt vermitteln im Abstieg einen deutlichen besseren Halt als im Aufstieg, wo man sich ja mit seinem ganzen Gewicht abdrückt und dementsprechend leicht abrutschen kann.
Nach Zusammenpacken meiner am Biwakplatz deponierten Sachen folgte noch der Rückmarsch durch´s Val da Cam und Val Maroz bis hinunter nach Casaccia, wo ich mir bis zur Abfahrt des Postautos Richtung St. Moritz im altehrwürdigen Stampa ein feines Mittagessen und ein Bier gönnte. Ein perfekter Abschluss einer perfekten Tour!
Fazit und Schwierigkeitsbewertung:
Der Piz Duan ist trotz -oder gerade wegen- seiner Abgelegenheit ein äusserst lohnendes Gipfelziel. Wer schuttiges Kraxelgelände und Blockwerk nicht so gern hat wie ich, wird vielleicht weniger begeistert sein. Die Schwierigkeitsbewertung fiel mir nicht leicht: Die technischen Anforderungen auf meiner Route über den Südostgrat bzw. die Südostflanke sind gering, es muss nirgends geklettert werden. Mit Ausnahme einzelner Stellen in der südseitigen Umgehung des Ostgipfels ist es auch nirgends ausgesetzt. Von dem her eigentlich ein (oberes) T4, jedoch ist den Schwierigkeiten, die optimale Route auf Anhieb zu finden, Rechnung zu tragen. Es finden sich keinerlei Begehungsspuren (gut, jetzt vielleicht schon - wer also einen Schuhabdruck Gr. 45 findet…) und bei schlechter Sicht, insbesondere bei Nebel, dürfte die Orientierung sehr schwierig sein.
Tourengänger:
marmotta

Communities: Biwak- und Zelttouren
Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden
Kommentare (9)