Vergessene Gipfelbücher gelüftet - Eine Alpstein-Traverse, wie sie (nicht) im Buche steht!


Publiziert von marmotta , 28. August 2010 um 00:01.

Region: Welt » Schweiz » Appenzell
Tour Datum:26 August 2010
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-AI   Alpstein   CH-SG 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 2000 m
Abstieg: 2220 m
Strecke:Wildhaus - Gamplüt - Alp Horen - Vrenenchelen - Jöchlisattel - Jöchliturm (2335 m) - Nädliger - Altmannsattel - Löchlibettersattel - Westl. Fälenturm (2224 m) - Löchlibetter - (Fälen-)Schafbergturm - Fälenschafberg - Schafbergsattel - Borsthalden - Spitzigstein - Meglisalp - Seealpsee - Wasserauen
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Wildhaus, Post
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Wasserauen
Kartennummer:LK 1115 Säntis (1:25.000)

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Alpstein zwischen Wildhaus und Wasserauen zu durchqueren. Will man sich aber weitgehend ausserhalb des markierten und beschilderten Wanderwegenetzes bewegen, muss man sich schon etwas einfallen lassen. Also zimmerte ich mir aus dem Herzstück in der mittleren Alpsteinkette, das ich bereits kannte, und zwei für mich neuen Routen eine mehr oder weniger logische Linie, die zudem der grossen Hitze an diesem wohl letzten Sommertag Rechnung trug. Ganz nebenbei liessen sich auf dieser hübschen Traverse einige Gipfel "einsammeln", von denen 3 wahrscheinlich weniger als 10 Besuche pro Jahr erhalten. 

Wildhuser Schafberg - Vrenenchelen (T5+)

Diese Route ist sehr ungebräuchlich und wird sicherlich äusserst selten begangen, vemittelt sie doch keinen direkten Zugang zum Gipfel des Wildhuser Schafbergs. Zudem ist die nicht ganz auszuschliessende Steinschlaggefahr zu beachten. Die Route wurde hier bereits einmal von 360 beschrieben - also keine Hikr-Erstbegehung... ;-) Mir war sie als "missing link" zu meiner weiteren Route gerade recht -  besonders an einem solch heissen Sommertag, bewegt man sich doch die ganze Zeit auf der schattigen und kühlen Nordseite des Wildhuser Schafbergs.

Von Wildhaus gelangt man auf Wander- bzw. Alpwegen zur Alp Horen (1496 m) und von dort weglos über Weidehänge zur obersten Hütte bei P. 1568 (T2). Von hier sieht man bereits den unteren Boden der Vrenenchelen, die in einer Felswand über dem darunter liegenden Trichter abbricht. Der Einstieg in die Chälen erfolgt entlang der Abbruchkante dieses Trichters auf Rasenbändern (T3-T4). Der Aufstieg in der von einer breiten Geröllbahn durchzogenen Vrenenchelen ist mässig steil und unschwierig (T3). Vor mir querte ein Rudel von ca. 30 (!) Gemsen die Chälen, offensichtlich überrascht, dass sich ein Mensch in diese abgeschiedene Ecke des Alpsteins verirrt hat.

Am besten steigt man bis über die Hälfte in der Chelen selbst auf, bevor man auf ca. 1900 m auf einer gut gangbaren Schrofenrampe in das Rasen-/Schrofenband einsteigt, das sich den Nordabstürzen des Wildhuser Schafbergs entlang nach oben zieht. Ich stieg etwas gar früh in dieses Band ein, was mir einige eher heikle Passagen bescherte. Das Band ist mit viel losem Material beladen und nicht immer so gut gestuft, wie einem lieb wäre. Zudem "hängt" es recht stark, was bei der Steilheit des Geländes -zumindest bei mir- zu einer gewissen Anspannung führte. Wie stark das Band hängt und wie steil es nach oben zur kleinen Scharte unter der Nordwand des Schafberg-Gipfels zieht, wird auf diesem Foto vom vergangenen Winter deutlich. Insgesamt würde ich den Aufstieg über das Band im oberen T5-Bereich ansiedeln.

An der schmalen Scharte auf ca. 2250 m angekommen, eröffnet sich ein grandioser Tiefblick zu beiden Seiten - und ein schöner Blick auf die Schafbergköpf gegenüber. Eigentlich hatte ich ja von hier einen Versuch unternehmen wollen, zum 1. bzw. 4. (je nach Zählreihenfolge) Schafbergkopf zu traversieren. Aber erstens blies hier oben ein böiger Westwind, der mich schon auf dem ersten Gratabschnitt nördlich der Scharte fast hinunter geblasen hätte, und zweitens wäre die Umgehung des spitzen Gratkopfs unmittelbar vor dem ersten Schafbergkopf (für mich) in freier Kletterei sowieso nicht machbar. Die Besteigung müsste von viel weiter unten angegangen werden - für einen enstprechenden Versuch fehlte mir allerdings an diesem Tag sowohl Zeit als auch Motivation.

Durch einen schmalen Kamin (am Einstieg Fixseil) bzw. Schrattenkalkplatten stieg ich unschwierig auf das Karrenfeld zwischen Wildhuser Schafberg und Jöchli ab (T4), von dort etwas mühsam über viel Geröll zum weiss-blau-weiss markierten Wanderweg, welcher auf den Jöchlisattel führt. 
   
Jöchli - Nädliger - Altmannsattel (T4)

Da am Vorgipfel des Moor wieder mal zwei Steinböcke rumlungerten und ich diese nicht stören wollte, stattete ich diesmal zur Abwechslung dem Jöchliturm (2335 m) einen Besuch ab, auf dem ich schon längere Zeit nicht mehr gewesen war. Vom erwähnten Wanderweg zum Jöchlisattel hinauf lässt sich die Besteigung des hübschen und unschwierig zu erreichenden Aussichtsgipfels etwas verkürzen, indem man sich frühzeitig nach links hält, um so in leichter Kraxelei über Schrattenkalkblöcke den Ostgrat des Jöchliturms schneller zu gewinnen. Von dort in wenigen Minuten einfach zum Gipfel mit sorgsam aufbewahrtem Gipfelbuch im Gipfelsteinmann. Oben rastete bereits ein älteres Paar - der Schafhirte vom Wildhuser Schafberg mit seiner Frau, wie sich im darauffolgenden, interessanten Gespräch herausstellte. Auf meine Frage, wieviele Schafe er denn sein eigen nennen könne, schmunzelte er und sprach von "öppe 400", da sich auf der Alp "immer etwas tue". Und ich dachte immer: "Auf der Alp, da gibt´s kei Sünd...;-)

Nach Abstieg zurück zum Jöchli (2294 m) ging´s auf dem bekannten und beliebten Nädliger-Gratweg (für mich einer der schönsten, markierten Wanderwege im Alpstein) mit herrlichem Blick auf die Südseite des Altmanns zum Altmannsattel (2368 m). Den Altmann-Gipfel rechts liegen lassend (hier war mir eindeutig zu viel Volk unterwegs), stieg ich direkt auf dem steilen Wanderweg (oben Drahtseil) hinunter zum Löchlibettersattel (2162 m) - zurück in die Einsamkeit und in eine der wildesten Ecken des Alpsteins überhaupt.

Westlicher Fälenturm (T4)

Den westlichsten und zugleich höchsten Gipfel der Fälentürm erreicht man vom Löchlibettersattel -dem Rasenkamm nach Nordosten folgend (und einigen furcherregenden Karstlöchern ausweichend)- in wenigen Minuten, zuletzt über leichte Schrofen. Noch immer kann ich es nicht verstehen, dass so viele Leute den Altmann besteigen, sich aber niemand für den wunderschönen und aussichtsreichen Gipfel des Westl. Fälenturms zu interessieren scheint, der erst noch leichter zu erreichen ist als der Altmann! Seit meinem letzten Besuch vor einem knappen Jahr haben sich gerade mal 3 Personen im hübschen Gipfelbüchlein eingetragen, das noch immer in der Gamelle im Gipfelsteinmann steckt, in der Zwischenzeit aber derart nass geworden ist, dass die folgenden Einträge -viele Seiten auslassend- grossflächig auf je einer ganzen Seite vorgenommen werden mussten. Naja, bei der geringen Besucherfrequenz dürfte das Büchlein trotzdem noch eine ganze Weile reichen...

Traverse Löchlibetter (T4) - Fälenschafbergturm (T6, II)

Einst gab es einen (beschilderten und markierten) Weg vom Löchlibettersattel hinunter Richtung Oberchellen-Meglisalp. Dieser Steig ist längst verfallen und nicht mehr ausgewiesen, der Anfang des Wegleins ist jedoch noch zu erkennen. Von hier folgt man vereinzelten Tierspuren, um die Fälentürm auf deren (schattiger) Nordseite zu traversieren. Anfangs hält man sich mit Vorteil unmittelbar unter den Wänden der Fälenturm, später ist ein Abstieg auf mühsam zu begehendem Geröll und Schutt ratsam, bis man irgendwann wieder auf schwach ausgeprägte Weg- bzw. Tierspuren trifft. Man erreicht so den Rasenkamm zwischen Fälentürm und Fälenschafberg, dem man aufsteigend bis zum Fuss des (Fälen-)Schafbergturms (2128 m) folgt (T4). Will man diesen kühn wirkenden Schafbergturm ersteigen, tut man dies am leichtesten über den geröllgefüllten Südwestkamin (T5-, I), zu dem man vom Kamm einige Meter absteigt. Ich wusste dies nicht und ging den Schafbergturm direkt von Norden an, vom schmalen Rasenband aus, auf dem der Berg auf dem Weg Richtung Fälenschafberg travesiert wird. Obwohl die von einzelnen Rasen-bzw. Moosbüscheln durchsetzte Felsflanke von unten betrachtet gar nicht mal soo schwierig aussah, entpuppte sich der Aufstieg dann doch als deutliches T6. Die Kletterei im II. Grad ist anhaltend steil und der Fels nicht immer zuverlässig. Da ich ja davon ausgehen musste, über diese Route auch wieder abklettern zu müssen, wollte -trotz der anregenden Kletterei- nicht so richtig Stimmung aufkommen. Mit anderen Worten: Ich hing irgendwann ziemlich verkrampft in der Wand und versuchte, über ein abschüssiges Rasenband zu einem kleinen Kamin entlang der Westkante zu queren. Dies klappte dann auch problemlos, ebenso der restliche Aufstieg durch die kaminartige Rinne hinauf auf den messerscharfen Grat, der den Vorgipfel mit dem eigentlichen Gipfel verbindet. Ein hier herabhängendes, altes Hanfseil sah wenig vertrauenserweckend aus -jedenfalls nicht so sehr, um an ihm die glatte Wand auf der Südseite herunterzuhangeln. Also blieb nichts anderes übrig, als über den scharfen Grat zu klettern (an einer Stelle rittlings) - unschwierig, aber extrem luftig.

Wie auf dem Fälenturm enthält auch hier das in einer massiven Metallschatulle untergebrachte Gipfelbuch nur wenige Einträge pro Jahr. Leider ist das alte Gipfelbuch von 1949 vor gut 10 Jahren durch Witterungseinflüsse unbrauchbar geworden, sämtliche Einträge (seit 1949!) wurden aber nachgetragen, so dass dies das Gipfelbuch mit den ältesten Einträgen ist, das mir jemals in die Finger gekommen ist!

Wie eigentlich alle der steilen Türme der mittleren Alpsteinkette eröffnet auch dieser kleine, exponiert gelegene Gipfel einen eindrücklichen Blick auf den Fälensee und die Fälenalp - und natürlich weit in den Alpstein und darüber hinaus.

Ich war nicht traurig, als ich vom Gipfel aus die bereits erwähnte, wesentlich einfachere Abstiegsmöglichkeit über den Südwestkamin entdeckte. Einzig das Geröll verlangt etwas Vorsicht, ansonsten ist dieser Auf- und Abstieg auch für weniger Geübte gut zu machen.          

Fälenschafberg - Borsthalden (T5)

Nun stand noch ein letzter Gipfel auf dem Programm, den ich vor über einem Jahr auf dieser Tour gemeinsam mit ossi und Berglurch erstmals besucht hatte. Vom (Fälen-)Schafbergturm erreicht man nach steilem, aber gut gestuftem Abstieg den nach Südosten weit ausladenden Rasenkamm und gelangt über dessen Flanke oder über die Schneide an den Fuss des Fälenschafbergs. Am einfachsten umgeht man den eigentlichen Gipfelkopf auf der Westseite in (je nach Vegatationsperiode) ziemlich verkrautetem Wiesengelände und erreicht schlussendlich über die Nordseite steil, aber unschwierig die Gratschneide, auf der man in wenigen Schritten leicht ausgesetzt zum höchsten Punkt mit Steinmann und Gipfelbuch gelangt (T4). Auch in diesem Gipfelbuch ist mein Eintrag erst der fünfte in diesem Jahr. Wer´s im Alpstein gern einsam hat und dazu noch eine aussergewöhnliche Aussicht geniessen möchte, ist hier genau richtig!

Jetzt galt es nur noch, den "richtigen" (bzw. einen gangbaren) Abstieg durch die "Borsthaldenwand" zu finden, durch die früher sogar ein markierter Steig geführt hat. Vom Steig ist nicht mehr viel übrig geblieben - lediglich ganz oben finden sich noch vereinzelte Wegspuren und auch einige verblasste Markierungen. Kurioserweise ist der Abstieg durch die unübersichtliche Gras-Schrofenflanke mit zahlreichen Abbrüchen und tiefen Runsen offensichtlich einfacher zu finden, als der Aufstieg - vorausgesetzt, man steigt an der richtigen Stelle (nämlich am Schafbergsattel unmittelbar vor, d.h. westlich der Freiheittürme) in die Route ein! Man sucht sich dann ab der Mitte des Abstiegs (wo wirklich nirgends mehr Wegspuren zu finden sind) automatisch den einfachsten Weg über steiles (und des nicht immer sichtbaren Untergrunds wegen etwas tückisches und rutschiges) Gras über eine tief eingeschnittene Runse hinweg, bis man die geröllhaltigen Ausläufer der Flanke erreicht hat. Ich weiss nicht, ob ich die optimale Route erwischt habe - aber es war auf jeden Fall im grünen Bereich (im wahrsten Sinne des Wortes), so dass mir derartige Szenen diesmal erspart blieben...Bei optimaler Routenwahl max. ein T5.

Der Ausmarsch erfolgte dann in zunehmend drückender Hitze über die "Wanderautobahnen" via Meglisalp-Seealpsee nach Wasserauen.

Anmerkung:

Lt. meinem alten Säntisführer soll der Name "Vrenenchelen" (St. Verena-Kehle) von einer alten Bauernregel herkommen: Wenn an St. Verena (1. September) in der Kehle kein Schnee mehr liegt, wird das Heu schon im Frühling ausgehen. Es ist dies das Zeichen eines sehr trockenen, heuarmen Sommers. Nun - da bereits Ende August weit und breit kein Schnee mehr zu sehen war, sollten sich die Bauern mal Gedanken machen... :-/    
    

  

Tourengänger: marmotta
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Kommentare (6)


Kommentar hinzufügen

alpstein hat gesagt: Coole Tour!
Gesendet am 28. August 2010 um 08:39
Hallo Michael,

gratuliere zu dieser tollen Tour, für die sich wohl nicht so viele Nachahmer finden werden ;-)

Grüße
Hanspeter

Ivo66 hat gesagt: Unbekannte Ecken...
Gesendet am 28. August 2010 um 10:50
...des Alpsteins!

Hallo Michael

Herzliche Gratulation zu dieser tollen Tour. Schöner und nützlicher Bericht mit fantastischer Bilddokumentation, welche den Alpstein in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Wunderbar!

Viele Grüsse

Ivo und Lena

radivi hat gesagt: Selten begangen
Gesendet am 28. August 2010 um 11:03
Gratuliere, tolle Route. Der Abschnitt der mittleren Kette zwischen Altmann und Freiheit ist extrem selten begangen, weil etwas umständlich und abseits. Aber ein enormes Erlebnis, da man da mitten drin im Alpstein ist.

HADi hat gesagt: Alpstein-Bücher füllen :-)
Gesendet am 28. August 2010 um 12:19
Gratuliere!
Eine tolle Touren-Idee- ein informativer Bericht und schöne Bilder!
Alpstein as its best- mittendrin statt nur dabei! :-)

marmotta hat gesagt: Alpstein for ever(yone)!
Gesendet am 28. August 2010 um 18:41
Danke Euch für die netten Kommentare! Die Überschreitung der mittleren Kette ist meiner Meinung nach wirklich eines der eindrücklichsten Erlebnisse, die man im Alpstein haben kann. Ich hoffe natürlich, ich löse mit meinem Bericht keinen Massenansturm auf diese wilde und einsame Ecke des Alpsteins aus - aber da gilt vermutlich das Gleiche, was bereits in der Community "Züri Oberland alpin" diskutiert wurde...

Herzliche Grüsse

Michael

silberhorn hat gesagt:
Gesendet am 3. April 2013 um 21:06
Bergmässig verpasse ich EXTREM viel. Ohne schöne und eindruckliche Bilder wie z.B. zu diesem Bericht wäre es noch extremer!


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