Adrenalin - am Annalper (Stecken, Teil 1)


Publiziert von Nyn , 7. Oktober 2023 um 18:45.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Lechquellengebirge
Tour Datum: 3 September 2023
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 5:30
Aufstieg: 950 m
Abstieg: 20 m
Strecke:s. Karte
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Bregenzerwaldstraße bis Au. Berechtigungsschein zur Zufahrt ins Boden-Vorsäß dort im Hotel Adler zu erwerben (€ 10,- Stand 2023) Teils rauhe Forststraße bis "Bergkristall"/Boden-Vorsäß - nichts für tiefergelegte Fahrzeuge! Fahrzeit einfach ca.15 Minuten, spart jedoch 2h im Aufstieg und 1.5h im Abstieg!

Was ich in den Mittelpunkt dieses hoffentlich lesenswerten Erlebnis-Berichts stellen soll, beschäftigt mich wie die in mehreren Stufen erfolgende Bildauswahl dazu schon eine geraume Weile.
Meine schöne Aufgabe sehe ich ja überwiegend darin, eigene Eindrücke beizusteuern und lieber und liebend gern VIELE Bilder zu zeigen, dabei auch jede Menge Impressionen abseits rein wegtechnischer Belange - um den interessierten, berg- kletter- und naturbegeisterten Betrachter ganz vielschichtig zu insprieren!

So natürlich auch beim Annalper Stecken Ostgrat

Der PLAN
Für die anspruchsvolleren Rundtouren meiner langen Wunschliste benötige ich neben Kletterfertigkeiten, Orientierungssinn, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit auch ein gewisses Maß an Abenteuerlust und O-Ton Nikbrueckn :"Unerschröcklichkeit"!
Diese "Unerschröcklicheit" ging mir ja bei einigen meiner Touren zuvor fast ein bissle verloren - was teils dem Material ("alte Schuhe") oder dem WICHTIG!: "Bauchgefühl" geschuldet war.

Diesesmal sollte es hoffentlich - unter erheblicher Befriedung meines Bergfiebers - anders werden.

Bei bestem Wetter (ich spare unnötiges Ausrüstungs-Gewicht!) und weiterer kräftesparender Erleichterung - es sind fast 2h Aufstieg und 1.5h Abstieg mit einer in Au (Hotel Adler) erwerbbaren Fahrberechtigung ins Boden-Vorsäß - kann ich mich bestimmt voll auf das eigentliche Ziel konzentrieren, den schneidigen Ostgrat des Annalper Stecken.

INFOS+GRADING (vgl. dazu auch Nikbrueckn's Bericht)
Der Ostgrat bietet einen anspruchvollen Mix aus weglosem T4bisT6-Gelände, einen Steilgrasanteil mit kurzen Passagen bis mindestens 60Grad (Pickel ist unerlässlich!!) und je nach Gratkantentreue auch einige Kraxelei. Nik wurstelte sich mit UIAA II durch, ...wie würde es mir ergehen?

Bekanntlich sehe ich auch bei bislang wenig dokumentierten Touren von vertieften Angaben zur Route in der Regel ab - sind doch sämtliche markierte Wege und auch viele unmarkierte Pfade auf entsprechenden Karten genügend kenntlich und an einem Grat ist die Orientierung sowieso stark erleichtert. Auch hat der Nik alles Wichtige ja bereits beschrieben....

A B E R  - AUTSCH!!....
...ich finde oder erwische nämlich an DER Passage (s. Bild), wo der Nik laut Rücksprache wohl über den rötlichen Bruch direkt hoch ist- eine für mich gefühlt bessere, da festere!, aber dafür erheblich schwerere Variante, die ich rückblickend als meine heftigste Solo-Kletterstelle seit vielen, vielen Jahren bewerten würde  Genaueres dazu in "Der Schritt" (s.u., am Besten erst am Ende lesen oOo)

Hinweis: Dieses "Türmle" ist via Niks Variante erkraxelbar (mglweise brüchiger als damals, Vergleich schwierig) oder auch südlich mit einigem HV umgehbar. Mehr "Spaß", weil adranalinfördernder ist es, am Grat zu bleiben.*zwinker*


Exkurs: "Der Schritt"
Auch wenn diese von mir schließlich gewählte Variante nicht zwingend ist, da anders lösbar, möchte ich ein paar mehr Worte dazu verlieren.
Leider habe ich von dieser meiner Schlüssel-Stelle kein Bild geschossen.
Ich glaube, mein Adrenalin (
über 35Minuten! von Foto davor>Bild nachher ) kletterte die ganze Zeit über in ungeahnte Höhen.

Aber der Reihe nach:

Recht gut -leider nur klein- zu sehen ist das Türmchen hier.

Wie bereits erwähnt, stieg Nik aus dem Schärtle davor über die senkrechte, splittrige Wand (teils rötlicher Fels) wohl ziemlich gerade hoch. (unten links in diesem Bild)
Mir war das zu brüchig -wobei ich nicht weiss, ob dort seitdem Gestein ausgebrochen ist.
Wieauchimmer-ich war etwa 2-3m bis auf etwas mehr als halbe Höhe dieses Wändchens hochgekraxelt, dann ist alles nur noch glatt oder völliger Bruch - ich mag Bruchfels nicht und als Solist ist das eh saugefährlich.
Ich suche deshalb nach einer anderen Lösung. Blick nach rechts-keine Chance, ebenso glatt u./o. brüchig und überhängender. Also bleibt mir nur etwas tiefer und links!


Mit einer grasigen Leiste für die Füße und an sehr kleinen Griffen kann ich mich die wenigen Meter nach links schwindeln und zur bzw. um die dort etwas abgerundetere, plattige Kante herum wieder einigermaßen stehen (bis dahin ca. II+)
Die Schichtung ist gut kenntlich hier, wo ich etwa am obersten rechten Bildrand von rechts her komme, und dahinter lande.


Halbrechts vor mir also nun die eben umkletterte erste WandrippenKante (oben wird sie senkrecht bis überhängend). Links diese Kante begrenzend eine steile, schräge Platte, unten halbwegs stehbar auf kleinen Tritten. (wo ich nun die folgenden langen Minuten immer wieder ausruhe und mich sammle).

Und "drüben", halblinks vor mir, da wo ich hin will, die vom "Türmle" abfallende felsige nächste Rippe, die zu mir hin bauchig überhängt und nach links sehr steil, teils brüchig mit wenigen Griffen und leider erst sehr hoch und weit entfernt erkennbarer Trittmöglichkeit ...(aus meiner "Ruheposition" in über Schulterhöhe)

Es gilt nun dieses Trittarm/WenigGriff-Rätsel zu lösen...

Ich probiere zuerst die Art schiefe/hängende Verschneidung nach rechts hochzuspreizen. Geht nur ca 2m. Es sind links gar keine Tritte und oben dann keinerlei nutzbaren Zug- oder Stützgriffe mehr - rechts alles glatt...nur Reibung.....MIST!

Ich eiere zurück und schau mir das Gelände 1-3m "unterhalb" meiner Ruheposition an. Die Platte wird schmaler, grasiger,  - es gibt eine weit auskragende der Rippe entlang stark überhängende, schmale Art Nase zweifelhafter Festigkeit. Zu mir hin bauchig völlig überhängend, unterhalb kommt dann nur noch Luft und Leere ...Ich komme nur total überstreckt eben so hin. Shiiiiiit - wie soll das gehn ganz ohne Tritte. Das krieg ich auch nicht hin....OJE!!

Also iwie dazwischen?
 
Zu mir hin lassen sich "Griffe" der wechselnd gestuft schuppenartigen Rippenkante an 2 Stellen halbwegs belasten. (leider nirgends so richtig nach links außen )
Außerdem gibt es in fast Kopfhöhe nahe der Rippenkante im Bauch einen! nutzbaren Gegendruck"tritt" (A) und darüber an der Kante Stehbares (B)... Das könnte gehn. Problem dabei: Ich muss, um A mit dem linken Bein erreichen zu können, meine gute stabile Stehposition aufgeben und eirig rechts auf Reibung zunächst höherspreizen, der einzig nutzbare ZugGriff (in meine Richtung) an der Schuppenkante ist solala und für das Folgende eigentlich eher zu tief...Maaaaaan?

Schließlich versuche ich nach mehrmaligem Ansetzen mein "Glück", stehe wacklig höher, drücke den Tritt A gegen (Hand etwa auf halber Oberschenkelhöhe(?) und strapaziere nun Bizeps und meine Dehnfähigkeit in der Hüfte bis zum Anschlag, mache dabei einen wenig unterstützten schrägen Klimmzug, den ich kurz rechts einarmig fixieren muss, um einen weit entfernten Griff
der nächsten Schuppe hinter der Rippenkante mit Links fassen zu können, der sich  zum Glück ....
....als HENKEL erweist,
wenn auch schräg!...Ahhhhh....
Da hing ich kurz ganz böse wie Schippe 6 in der Schwebe....
aber bekomme endlich dank des Henkels etwas mehr Druck auf A und kann/muss dann nur noch iwie mit dem anderen" leeren" Fuß noch etwas höher auf B überkreuzen - ziehe und drücke mich vollends irgendwie hoch und rüber ....
.... und habe endlich mein Gewicht wieder über B auf den Füßen.....Wahhhhhhhhnsinn

Mein Herz pocht wild, fast wurde mir schwarz vor den Augen vor Anstrengung. Die Beine und Hüftmuskulatur zittern heftig...
Das war...am Anschlag!
Noch 2,3 leichtere Züge bis ich ausreichend sicher stehe, um mich zu beruhigen und wieder zu Atem zu kommen.
.....
GESCHAFFT!


DER "REST"
Die wechselnd grasigen oder schrofigen Gratpassagen danach sind vergleichsweise leicht.
Im schon gut aufsteilenden Mittelteil halte ich mich eher etwas links in der Flanke.
Dann folgt die beeindruckende Steilgraswand hoch zur Schulter. Von unten sieht das fast nicht machbar aus.
Als ich dann mittendrin bin und mich konzentriert mit Pickel, Grasbüscheln und 3-Punkt -Regel hocharbeite, kommt Genuß, ja echte Freude auf!. Gut gestuft ist es, wenn auch sausteil und kopfscheu darf ich natülich nicht mehr werden - aber welch Unterschied zu neulich am Hochberg! DIE 60Grad hier sind total launig!!!

Die Schulter noch oben rum und kurz runter und den finalen Gipfelaufschwungshang ...da lassen meine Kräfte zwar ein wenig nach, aber ich bleibe konzentriert und bin bereits völlig euphorisch.
Wenige Meter noch, dann bin ich am Ausstieg und OBEN!

Edit/Nachtrag
Eine Bewertung?
Fällt mir sehr schwer. Ich versuche zu vergleichen mit Kraxelstellen der jüngsten Zeit, früheren AlpinSoloKraxeleinen wie der Braunarl-Ü oder Heiterwand-Ü und langzurückliegenden "alpinen" (Sport)klettereien mit und OHNE Seil (wie im Donautal oder den Kalkalpen).
Daraus ergibt sich meine Einschätzung dieser Passage "Der Schritt" mit UIAA IV(+) oder sogar mehr...


 
Teil 2 könnt ihr EDIT: nun hier lesen: "Schwelgen am Annalper Grat"

Tourengänger: Nyn


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Kommentare (6)


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Nik Brückner hat gesagt:
Gesendet am 7. Oktober 2023 um 20:59
Grat-tour-lation, Markus! Schön, dass das mal jemand gemacht hat.

Grüßle!

Nyn hat gesagt: RE:
Gesendet am 7. Oktober 2023 um 21:10
Danke für deine erkunderische Vorleistung!
Eine der "feschsten" Touren, die ich seit Langem gemacht habe

VG

rojosuiza hat gesagt: Was gut ist bei hikr
Gesendet am 8. Oktober 2023 um 08:28
Was gut ist bei hikr das ist die Tatsache, dass einer nicht mehr schreiben könnte, wenn er vom Berg gefallen ist... So kann man bei den erschröcklichsten Beschreibungen immer davon ausgehen, dass der jeweilige Bergheld noch am Leben ist...

Schubi hat gesagt:
Gesendet am 8. Oktober 2023 um 18:53
Hi Markus.
Gratulation zum Durchstieg! Spannender Bericht.
Hast die ganzen Details zur Schlüsselstelle aus der Erinnerung geschrieben? Vergiss nicht die Hilfe der Fotografie. Denn: ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte (jo, Binsenweisheit ...)
Auf der anderen Seite: Über deine Wortfindungen wie "Gratkantentreue" freut man sich beim Lesen – sehr schön.
Beste Grüße
Frank

Nyn hat gesagt: RE: Binsen...
Gesendet am 8. Oktober 2023 um 21:46
Hey, Frank
Danke für deine Erinnerung, ich solle mehr Fotos machen. (*zwinker*)
Mich wurmt es ja auch, dass ich ausgerechnet von/in der Schlüssel-Passage keine geschossen habe, aber wie ich bereits im Beitext erwähnte, Körper und Geist waren mit der Lösung und Bewältigung von "der Schritt" völlig ausgelastet - so dass es ..nun halt keine Fotos davon gibt.
Und ja, aus der Erinnerung...

Grüße
Markus

F3ttmull hat gesagt:
Gesendet am 16. Oktober 2023 um 13:53
Als Titelüberschrift würde ich wählen "Wenn der Gerät der Schritt macht", toller Bericht und schön, dass alles gutgegangen ist. Auf weitere, ausführliche Tourenbeschreibungen :)


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