Aletschhorn (4193) via SW-Rippe (Normalweg)


Publiziert von cardamine , 3. November 2019 um 14:05.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Jungfraugebiet
Tour Datum:23 August 2019
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS+
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 3300 m
Abstieg: 2550 m
Strecke: 31 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Mit PKW oder Bus von Brig nach Blatten bei Naters. Mit der Belalpbahn von Blatten hoch nach Belalp.
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Belalpbahn - Blatten - Brig
Unterkunftmöglichkeiten:Oberaletschhütte SAC (2640)

Nachdem mein stümperhafter Kurzbericht über’s Aletschhorn nun schon über 100 Klicks bekommen hat, sehe ich mich motiviert, das Ganze doch noch in einen ordentlichen Bericht umzuwandeln. Einen detaillierten Routenbeschrieb geben meine Erinnerungen wohl nicht mehr her, dafür soll es mehr eine kleine Motivationsgeschichte werden.

Weil die Überschreitung des Weissmies Anfang August so super gelaufen war, wollte ich bald mit dem nächsten 4000er nachlegen. Mangels etabliertem Bergpartner suchte ich in Bergsportforen nach Tourenpartnern für einen „einfachen 4000er“. Irgendjemand schlug mir das Aletschhorn vor. Aletschhorn – allein schon der Name hat eine magische Anziehung. Eine Felspyramide so mächtig wie der grösste Gletscher der Schweiz. Die Aussicht auf die umliegende Eiswelt muss von dort oben der Wahnsinn sein, dachte ich mir, und schon hatte ich zugesagt, ohne mir genauer Gedanken zur Tour zu machen. Zwei Tage vor Aufbruch recherchierte ich dann die Route und bekam einen ordentlichen Schreck, als ich bemerkte, dass von der Oberaletschhütte aus 1700 Höhenmeter zum Gipfel bewältigt werden müssen. Meine Standard-Bergtouren bewegten sich zwar oft um diesen Wert und lagen zum Teil auch deutlich höher (2300 m war mein Tagesrekord), aber mir war klar, dass es einen deutlichen Unterschied macht, ob man von 1500 m auf 3200 m steigt oder von auf 2500 m auf 4200 m.

Am Bahnhof Brig traf ich dann einen meiner zwei Tourenpartner, einem Luzerner um die 50, dem nur noch 2 Berge zu seiner Sammlung aller 4000er der Schweiz fehlten. Das wird ja immer besser, dachte ich mir, das wird schon seine Gründe haben, warum er gerade mit dem Aletschhorn so lange gewartet hat… in Blatten trafen wir dann Expeditionsteilnehmer Nr. 2, einem Zürcher, ungefähr in meinem Alter. Und so zogen wir los, ein sehr ungewöhnliches Team.

Zuerst mit der Seilbahn hoch nach Belalp und weiter zum gleichnamigen Hotel, wo man den traurigen Rückgang der Gletscherzunge des Aletschgletschers anhand einer Tafel vergleichen kann. Dann folgt der landschaftlich nicht sonderlich spannende Hatsch zur Oberaletschhütte. Die Zunge des Oberaletschgletschers ist komplett mit Schutt bedeckt, sodass man nicht wirklich das Gefühl hat, an einem Gletscher entlang zu laufen. Um’s Seiltragen komme ich diesmal nicht herum, ganz emanzipiert trägt jeder von uns ein Drittel der Zeit. Zusammen mit Abendessen und Frühstück in meinem Rucksack (da ich mir als arme deutsche Studentin keine Halbpension leisten kann) komme ich bei 10 km und 1000 Hm Zustieg schon an meine Grenzen.

An der Hütte gibt es zum Glück zur Erfrischung eine Badewanne auf der Terrasse. Wo hat man sonst eine Badewanne mit Gletscherblick - denke ich mir und springe zur Belustigung meiner Begleiter hinein. Arschkalt war’s :D Nach dem Abendessen setzte ich mich auf den Hügel hinter der Hütte und beobachte, wie sich der Himmel über dem Aletschhorn langsam rot verfärbt. Einfach wunderschön! Am vorigen Tag ist leider etwas Neuschnee gefallen, was mich zusätzlich zum Anblick der scharfkantigen Pyramide pessimistisch stimmt. Vor allem der obere Teil der Rippe sieht verdammt steil aus. Habe ich mir da nicht zu viel zugetraut?

Nach einer sehr kurzen Nacht, geschlafen habe ich gar nicht wirklich, werden wir um 2 Uhr morgens schon wieder aus dem Bett geschmissen. Alle, die sich beim Frühstück versammeln, sehen super professionell aus. Und mittendrin ich mit meinen Langlaufsachen, die Anschaffung „richtiger“ Hochtourenklamotten war bis jetzt bei meinem Praktikantengehalt nicht drin. Nunja, zum Glück war’s draussen stockfinster und beim Abstieg auf den Gletscher war eh jeder mit seinen Füssen beschäftigt. Im Schein der Strinlampe sich das klettersteigartige Gebilde runterzuhangeln war gar nicht so einfach. Scheiss Klimawandel! Ohne dich wäre der Gletscher noch 150 m höher. Auf dem schuttbedeckten Gletscher geht’s dann recht zügig voran. Da er komplett schneefrei war und keine Spalten zu haben scheint blieben wir unangeseilt. Wir überholen zwei Seilschaften – gut, immerhin sind wir nicht die langsamsten!

Dann kam der, wie ich finde, mühsamste Teil der Tour. Durch das lose, instabile Geröll der Seitenmoräne muss man sich zum Einstieg auf die SW-Rippe hochkämpfen. Zum Glück gibt es sogar eine Art Geländer. Im Dunkeln haben wir den Pfad aber nicht gleich gefunden und somit unseren Vorsprung wieder verloren. Auf dem unteren, breiten Teil der Rippe ist das Vorankommen dann wieder einfacher, unschwer geht es über und zwischen den Felsblöcken hindurch. Die Rippe wird von einem Gletscher unterbrochen: Nachdem der doch einige Spalten hat, seilen wir hier an. Vor allem der Einstieg ist recht steil und von Spalten zerklüftet, danach aber unschwierig. Auf ca. 3500 m geht’s wieder hoch auf den Fels, den oberen Teil der SW-Rippe. Mit moderater Steigung geht es zu einer Geröllfläche, auf der sich ein grosses Schneefeld hält. Nach dem Schnee folgt noch etwas Geröll, dann beginnt der mit Stangen gesicherte, ziemlich steile Teil. Eigentlich hatte ich aufgrund der Einstufung als ZS- Tour hier etwas anspruchsvollere Kletterei erwartet, aber das blieb aus. Es gibt nur hin und wieder eher kurze Felsstufen zu überkraxeln, aber alles halb so wild. Es gibt sogar Haken zum Sichern. Die Felsqualität ist allerdings naja… ziemlich bröselig. Naturgemäss werden wir nun, da wir uns der 4000 m Marke nähern, langsamer und auch die Motivation lässt nach. Wann endet dieser Berg endlich? Doch zu meiner Überraschung bin nicht ich das schwächste Glied in der Gruppe! Ich gehe in der Mitte unserer 3er Seilschaft und verspüre leichten Zug von hinten, der immer stärker wird. Ich könnte schon noch ein klein wenig schneller, aber der andere ist scheinbar am Ende seiner Reserven. Die ersten kommen schon wieder vom Gipfel runter, aber wir liegen immer noch in der Normzeit von 6-7 Stunden, also wird nicht aufgegeben. Nach 6.45 Stunden erreichen wir dann endlich den Gipfel und mich haut’s fast um: Der Ausblick auf den Konkordiaplatz, Eiger, Mönch & Jungfrau ist wirklich das unglaublich schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe! Ich würde hier am liebsten Stunden verbringen, doch kaum angekommen, drängt einer meiner Begleiter schon wieder auf Abstieg. Ich protestiere. Essen und ein paar schöne Fotos müssen nach solcher Anstrengung auf jeden Fall sein! Auch der andere ist froh über eine kurze Rast. Mit Hinweis auf die zunehmenden Quellwolken bringt uns der Gipfelstresser dann doch nach einer halben Stunde zum Rückweg.

Im Abstieg erweisen sich die Sicherungsstangen als äusserst hilfreich, der aufgeweichte Neuschnee und der bröslige Fels sorgen für einen nicht ganz rutschfreien Abstieg. Ab und an gibt's auch Haken um mit ein paar Exen zwischenzusichern. Wir sind etwas besorgt ob des steigenden Spaltensturzrisikos auf dem auftauenden Gletscher und geben daher Gas. Der Gletscher bietet dann eine wohltuende Abwechslung zu dem bröseligen Gestein, endlich frei laufen! Doch mit Gas geben ist nix, mein Hintermann macht nun endgültig schlapp. Knieprobleme. Beim Abstieg über die Rippe und die bröslige Seitenmoräne müssen wir immer wieder warten – es zieht sich. Auf dem Oberaletschgletscher beschliessen wir dann, uns zu trennen. Eigentlich sollte man in alpinem Gelände niemanden alleine lassen, doch angesichts des Gletscherzustandes scheint uns das vertretbar. Der Lädierte soll noch eine Nacht in der Hütte verbringen, der Luzerner und ich wollen noch heute zurück nach Hause. Auf dem Gletscher hängt er mich dann auch noch ab, er will schon einmal Essen in der Hütte bestellen. Die 150 Höhenmeter Gegenanstieg vom Gletscher zur Hütte sind die reinste Qual, ich bin auch schon ziemlich geschafft. Nach Verzehr der Reste meiner mitgebrachten Pasta geht’s wieder etwas besser und wir machen uns an die Fortsetzung des Abstiegs.

Eine halbe Stunde vor Belalp holt uns leider das angekündigte Gewitter ein. Ich hatte natürlich keine Regensachen dabei, weil ich damit gerechnet hatte, am Abend schon längst wieder bei der Belalp zu sein. Innerlich verfluche ich den anderen. Wenn wir nicht so lange warten hätten müssen, wären wir schon längst im Trockenen. Die Temperaturen fallen im Starkregen drastisch und ich bin nicht nur sprichwörtlich schon nass bis auf die Wäsche. Die Kälte wird unerträglich - da hilft nur eins, laufen, um warm zu werden! Ich habe keine Ahnung, woher ich noch diese Kräfte mobilisieren konnte, aber den Teil vom Hotel zur Seilbahnstation lege ich im Sprint zurück. Einige Minuten später kommt der andere an und fragt mich, was bei mir für eine Sicherung durchgebrannt wäre. In der Toilette tausche ich meine klatschnassen Klamotten gegen halbnasse Sachen aus dem Rucksack und versuche meine Haare am Handtrockner zu trocknen. Das funktioniert nur bedingt, weil der Trockner immer wieder aus geht. Naja, nach einer halben Stunde Wartezeit fährt endlich die Seilbahn und wir gondeln zurück nach Blatten, wo auch schon der Bus wartet und uns zurück nach Brig bringt.

Am nächsten Tag schreibt mir der Lädierte, dass er doch noch abgestiegen wäre – allerdings hätte er die letzte Seilbahn verpasst und musste die knapp 800 Höhenmeter nach Blatten zu Fuss bewältigen und dann auch noch mit dem Auto zurückfahren. Unglaublich!

Und die Moral von der Geschicht‘? Wir sind im Stande, viel mehr zu leisten, als wir glauben. Wenn man etwas wirklich schaffen will, dann schafft man das auch, man muss sich nur trauen, es zu versuchen! Und auch die Kleidung mit dem ausgestorbenen Uhrzeitelefant macht einen nicht zwingend zu einem besseren Bergsteiger ;-)

Anmerkung zur Schwierigkeitsbewertung: Ich persönlich würde diese Tour bei unseren Bedingungen mit WS+ und nicht mit ZS- bewerten. Nicht, dass ich jetzt so super Erfahren wäre, aber persönlich fand ich diese Tour auch nicht schwieriger, als andere WS+ Touren, die ich bisher gemacht habe. Ich kann mich zumindest an keine wirklich schwierigen oder ausgesetzten Kletterpassagen erinnern, höchstens mal kurze Kraxelstufen (max. II), definitiv leichter als z.B. die Grassen-Südwand, die auch mit ZS- bewertet wird. Es ist oben zwar steil, aber es gibt ja die Sicherungsstangen. Abseilen ist nie nötig. Der kurze Gletscherabschnitt hat auch nirgends über 35° (vgl. z.B. Balmhorn, WS+).

Tourengänger: cardamine


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