Ondulierend auf und ab


Publiziert von rojosuiza , 17. Oktober 2017 um 10:42.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:13 Oktober 2017
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zeitbedarf: 12:00
Aufstieg: 1500 m
Abstieg: 1500 m
Strecke:10 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Blatten, Postauto ab Naters - Brig
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Blatten
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Belalp, Blatten, Naters, Brig

 

Wie kommt man dazu? – Weil man den Weg gesehen hat, als man mit Schwester und Schwestermann das Sparrhorn bestiegen hat. Da hat man auf der gegenüberliegenden Seite einen gewaltig angelegten Weg bemerkt: hoch, hoch über dem heutigen Gletscher, der tief, so viel tiefer in seinem Steinbett ruht. Ganz exponiert verläuft er, darunter Steilabfälle sonder Zahl, ungeheuer spannend. Man sollte das Sehen verbieten…

 

Ganz am Anfang, noch in der Nacht, winkt mir ein neckisches Brückelein: Komm, so komm doch! Schon folgt rojosuiza, und schwupps befindet er sich auf Abwegen. Man könnte seine Triebe im Zaume halten und zuerst auf der Karte bestätigen, dass das Gefühl richtig ist, und die eingeschlagene Richtung falsch. Aber der Wanderer will nicht; der Weg ist zu schön. Er führt durch mächtige, schiefgestellte Riesen-Platten in einer vom Wald überwucherten Rinne. Der Weg ist köstlich, ein Märchenwald, kein Überschwappen des Ferienhäusleinbauens hier. Er geht zwar etwas in die falsche Richtung, aber im Moment ist es der Weg, der gegangen werden muss. Nach etwa zwanzig Minuten endet der  verträumte Steg – rojosuiza darf auf dem Strässchen etwas höher wieder zurücklatschen.

 

Kurz hat man überlegt, soll man das Ziel ändern und einfach auf dem nun einmal gewählten Pfad weiterlatschen. Aber nein, heute schwingt man sich hinauf zu höheren Zielen. Bald kennt man wieder jeden Stein, das hilft mächtig bei der Routenfindung. Man findet Egga, läuft durch Holzji, zum Bärentritt, quert dann auf alten Weglein die sehr schiefe Ebene ob Üssers Aletschji und Oberaletsch, bis man sich endlich auf etwa 2000 Metern auf dem offiziellen Wanderweg zum Schafübergang bei Lochegga befindet. Im Hui geht’s dort ins Loch hinab, und ächzend geht’s auf der anderen Seite wieder aus dem Loch hinauf. Bald lockt ein dicker Brocken, auf dem nur ‚Hütte‘ steht. Doch vor dem Lohn steht die Arbeit. Das Kartenstudium am Vortag hat hier eine längere Steigung verheissen, und täppisch geht rojosuiza davon aus, dass die paar Meterchen auf dem läppischen Grat der Seitenmoräne wohl genug Steigung seien. Aber gefehlt: es geht danach immer weiter hinauf, und noch etwas weiter, und zum Schluss noch etwas. Ist man auf dem höchsten Punkt der Route, ist da vorne ein noch wenig höherer Punkt. So müht man sich an der  Südost-Flanke der Fusshörner ab. Der Weg onduliert auf und ab, und hin und her. Ein, zweimal sieht man in der Ferne die Hütte – gleich um die Ecke steht sie schon! – aber wieder onduliert der Pfad weg davon, in eine weitere Runse hinein, und gleich in noch eine.

 

Die Sicherungsketten sind abgehängt, sie liegen nutzlos auf dem Boden. Wenn man den Halt verliert, gibt’s kein Halten mehr. Obwohl rojosuiza trockenes Wetter abgewartet hat, liegt an einem Ort in der allertiefsten Rinne, doch noch etwas Hartschnee, aber unter den beherzten Tritten des tapferen Wanderers darf er nicht nachgeben und wegrutschen. rojosuiza ist am Ondulieren, rein und raus, rauf und runter. Ab und zu hält er ein, um auf Atem zu kommen. Zum Glück ist ausser ihm keiner da. Doch gefehlt. Es kommt ihm einer entgegen. Wo der wohl herkommen mag? – Man grüsst nur knapp, so weiss man nichts. Nach endlosen Geondulier, nach stetigem sich zeigen, sich verhüllen, ist’s schliesslich doch geschafft: die Oberaletschhütte ist erreicht.

 

Sie ist zu, da Winterruhe. Einen Winterraum hat sich nicht, es gibt eine Winterhütte weiter unten. Es gibt Toiletten, die offen sind, rojosuiza schaut hinein mit der Nase, aber er muss schon nicht mehr. Es gibt zwei Parabolantennen, die die Insassen der Hütte wohl mit Fernsehen versorgen? Um die Hütte ist viel Platz für rojosuiza, weil jetzt ja sonst keiner da ist. Damit man das Aletschhorn besser sehen kann, geht er kurz Richtung Abstieg zum Gletscher nach hinten, und schaut sich auch dort genau um. Jetzt hat man seine grossen Freunde rings um sich herum: das Aletschhorn vor sich, das Nesthorn im Rücken, und an der Seite ein ganz besonders  schönes Doppelhorn, wer es mit Namen kennt, darf es sagen.

 

Nun muss man leider noch zurück, wenn man nicht hier bleiben kann für die Nacht. Zum Glück geht’s nur noch bergab ab hier! – Aber nein, ondulierend rauf und runter, rein und raus, es ist auf der 3 Kilometer langen Flanke auf dem Rückweg nicht anders als auf dem Hinweg. rojosuiza weiss, dass danach noch zwei Gegenanstiege kommen werden, die beim Schaftritt und die 100 Höhenmeter beim Bärentritt, ganz zum Schluss. Da wird man sich noch einmal abmühen müssen. Auch die Zeit wird ihren Lauf nehmen. Aus dem vollen Sonnenschein tritt man in den Bergschatten des Sparrhorns. Man läuft wie ein Uhrwerk bergab, müht sich hinab und wieder hinauf beim Schaftritt, und findet seine Weglein wieder, womit man am Morgen die Weiden gequert hat. Wenn man erst einmal den Einstieg zum Bärentritt gefunden hat, dann geht es auch weiter wie auf Schienen, selbst wenn es dämmern sollte.

 

Es dämmert. Der Bärentritt ist ausgesetzt, aber man sieht’s kaum noch. Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss. Ein Treppchen, und noch ein Treppchen, eine Stiege und noch eine, 100 Meter hinauf, geklebt in eine steile Rinne. Noch ist der Weg auszumachen im Halbdunkel, und es hilft, dass rojosuiza in den letzten Tagen diese Strecke immer wieder gegangen ist. So passiert er den Wildbeobachter-Unterstand, läuft durch Holzji, und sieht im letzten, tiefen Streulicht aus Westen immer noch den Weg. Die Steine leuchten in Dunkeln und warnen so vor Stolpern. Schliesslich braucht’s die Stirnlampe (mit Gruss an Lampbarone!), und das geht desto besser, als man den Weg, wie schon gesagt, in letzter Zeit ein paar Mal gegangen ist. Weiter unten wird’s dann eine Forststrasse, statt dem dazwischenliegenden  Pfad, denn den sieht man nun auch mit der Lampe im wilden Tann gar nicht mehr sicher.

 

Man ist da, unter der Talstation der Seilbahn in Platten. Wie wild sucht rojosuiza den Getränkeautomaten mit dem roten Punkt, den er sich an dieser Stelle ausgemalt hat. Aber der fehlt. rojosuiza sucht um den ganzen Platz herum, aber wahr- und wahrhaftig: Der Automat mit den Getränken, denn er vor seinem geistigen Auge gesehen hat, er ist einfach nicht da. Alles wohlgelungen, der lange Marsch gut vollendet, und schliesslich das. rojosuiza setzt sich hin und weint bitterlich. Dann machen wir halt den Rucksack noch einmal auf und nehmen die Feldflasche heraus: eiskaltes Quellwasser von den Fusshörnern rinnt durch die Kehle, und friedlich wartet rojosuiza jetzt auf sein Postauto nach Naters und Brig.


Tourengänger: rojosuiza
Communities: Alleingänge/Solo


Minimap
0Km
Klicke um zu zeichnen. Klicke auf den letzten Punkt um das Zeichnen zu beenden

Galerie


In einem neuen Fenster öffnen · Im gleichen Fenster öffnen

T3 WS+ II
T6 ZS- II
22 Aug 23
Hochtour von Belalp zum Gross Fusshorn über SW-Flanke,... · Heidelberger Gipfelsammler Ötzi II
ZS- II
3 Jul 20
Aletschhorn Südwestrippe · Matthias Pilz
ZS- II
4 Sep 19
Aletschhorn · WoPo1961
ZS- II
31 Jul 22
Aletschhorn 4194, SW-Rippe · Patrik Caspar
S- III
19 Jun 19
Nesthorn NE-Grat · jfk
T3+
T3+
3 Aug 08
Oberaletsch hutte m.2640 · Alberto
ZS II

Kommentare (2)


Kommentar hinzufügen

Wanderer82 hat gesagt:
Gesendet am 17. Oktober 2017 um 12:26
Und wieder einmal mehr stolpere ich über einen wundervollen, lyrisch gefärbten Text von dir. Gerne erinnere ich mich an die letztjährige Übernachtung in der Winterhütte der Oberaletschhütte. Leider war ich ganz und gar nicht alleine, wie ich mir das immer wünsche. Schön war's trotzdem und die selbst gemacht Rösti hat geschmeckt.

Noch ein Editiervorschlag: "Sie ist zu, da Winterruh." Reimt sich so schön...

Gruss
Thomas

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 17. Oktober 2017 um 12:35
Ja, so war es, genau:

Sie war zu, da Winterruh!

Es kamen mir übrigens nachher beim Abstieg noch zwei eifrig Französchisch-Parlierende entgegen, auch an diesem Tage wäre Wanderer82 nicht allein in der Winterhütte gewesen...


Kommentar hinzufügen»