Gitzigraben – In der grünen Hölle der Wynigenberge


Publiziert von ABoehlen , 1. Juni 2019 um 14:34.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Emmental
Tour Datum:30 Mai 2019
Wandern Schwierigkeit: T4+ - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE 
Zeitbedarf: 5:00
Aufstieg: 400 m
Abstieg: 100 m
Strecke:Wynigen – Holzwerkstatt Oase – Gitzigraben – Leumberg – Lueg – Schnabel – Affoltern i.E., 13 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Wynigen
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Affoltern, Dorf
Kartennummer:LK1147 Burgdorf, 1148 Sumiswald

Analog zu Zaza's Napfismen könnte man hier von einem «Luegismus» sprechen. Die Lueg ist ja sozusagen die kleine Schwester des Napfs, eigentlich nur ein Zwerg von nicht einmal Zweidrittelsgrösse, bildet jedoch ebenso wie der grosse Bruder den Mittelpunkt eines Berg- und Hügellandes mit nach allen Seiten ausstrahlenden Eggen und Gräben. Während auf der Süd- und Ostseite des höchsten Punktes eher sanfte Landschaftsformen dominieren, weist die Nord- und Westseite teilweise sehr steile Flanken und enge, weglose Täler auf. Eines davon ist der Gitzigraben, der die Nordseite der Lueg entwässert, wo das Gelände in kurzer Distanz fast 300 Höhenmeter abbricht und zahlreiche Zuflüsse den Gitzerbach bilden.

Die Gegend nördlich der Lueg wird umgangssprachlich auch als Wynigenberge bezeichnet und im namensgebenden Ort Wynigen starte ich am Auffahrtsmorgen bei Bedingungen, die eher an den Herbst, als an den baldigen Sommer erinnern: Anders als zuhause ist alles in dichten Nebel gehüllt. Der Anmarschweg führt mich erst auf der Strasse dem kanalisierten Kappelenbach entlang, später kann ich auf einen Feldweg ausweichen und biege beim Hochwasserschutzdamm von 2016 ins Strässchen nach Mistelberg ein. Dort passiere ich nur noch ein Haus, es ist die Holzwerkstatt «Oase», auf der Karte einfach als «Sägerei» bezeichnet, und für eine Weile nun die letzte Spur der Zivilisation.

Dort wo die Strasse den Bach kreuzt, um gleich danach steil anzusteigen, blicke ich das unbekannte Tal hinauf. Für eine solche Tour sind die gegenwärtigen Bedingungen natürlich alles andere als ideal, aber man kann nicht alles haben: Die Vegetation wuchert Ende Mai schon hoch und nach den zahllosen Regentagen ist alles triefend nass. Schon nach kurzer Zeit ist klar, dass dies eine veritable Wasserschlacht geben wird, aber grundsätzlich kann ich dem Bach hier im vorderen Teil gut folgen. Viel besser ginge das sicher im Winter, sofern kein Schnee liegt, oder zeitig im Frühjahr, wenn noch fast nichts wächst. Bei der Mündung des Baches von Mistelberg (gemäss Siegfridkarte Brunnmattloch) ist eine erste Querung erforderlich, was in einer Art Furt recht gut gelingt. Die zweite zwingende Querung, rund 150 Meter weiter, ist kritischer, weil sich der Bach dort tief eingegraben hat und die Steilufer instabil sind. Im vielen Grünzeugs fällt man wenigstens weich… Aber da ich nun schon mal im Bach bin und auch ordentlich nass inkl. Schuhe, bleibe ich einfach gleich drin, denn der laut Karte unbewaldete Streifen östlich davon ist mit derart undurchdringlichem Grünzeugs bewachsen, dass dort an ein vernünftiges Vorwärtskommen nicht mehr zu denken ist.

Die Szenerie längs des Baches ist aber bemerkenswert: Die teilweise völlig mit Moos bewachsenen Baumstämme und Zweige erinnern fast an einen tropischen Regenwald. Da passt es, dass das Tal immer noch von Nebel eingehüllt ist. Dies ändert dann aber relativ schnell, denn die im Vergleich zum Herbst viel höher stehende Sonne kann den Nebel in kurzer Zeit auflösen. Dafür machen sich nun einige der Hauptfeinde des Napfisten bemerkbar, vor welchen auch der «Luegist» nicht gefeit ist: umgestürzte Bäume und abgerutschte Hänge. Wenn dann diese Parameter noch dazu führen, dass das Bachwasser zu einem kleinen See aufgestaut wird, wie bei der Einmündung des Baches von der Schattsite, dann muss man sich wohl oder übel in die rutschigen Hänge zurückziehen.

Je weiter ich komme, desto mehr macht sich ein weiterer Feind bemerkbar: Die Brennnessel. Die dünnen Trekkinghosen haben den Vorteil, dass sie sehr schnell trocknen (werde ich heute noch zu schätzen wissen), aber gegen Nesseln schützen sie kein bisschen. Darum habe ich ungefähr unterhalb des Hofes Önzlen auf ca. 620 m genug und beginne den Aufstieg in die Westflanke. Dort verläuft auf ca. 650 m ein hangparalleler Weg (auf der aktuellen LK nicht mehr enthalten), auf dem ich nordwärts zum kleinen Bach komme, den ich zuvor unten gequert habe. Ein weiterer von Zaza erwähnter Feind stoppt mich dort allerdings, nämlich Stacheldraht. Also folge ich einfach dem Waldrand entlang bergauf, quere auf 700 m einen weiteren Weg (ebenfalls Stacheldraht) und münde schliesslich auf 720 m in eine Waldstrasse. Die Zivilisation hat mich wieder!

Die Suche nach einem geeigneten Platz um etwas abzutrocknen, ist einfacher als gedacht, denn an der Waldecke steht eine Bank, wo ich mich nun für eine Weile niederlasse. Der Blick schweift über den Gitzigraben, wobei man gar nicht sieht, wie tief er eigentlich ist. Im Süden ragt fast wie ein Massiv die dunkle Krete der Lueg auf, deren höchster Punkt mit dem bekannten Denkmal hinter den Bäumen gut zu sehen ist.

Dorthin führt mich mein Weg nun ohne weitere Schwierigkeiten; erst von den unteren zu den oberen Häusern von Leumberg, dann entlang der Fahrstrasse bis zum Pt. 798 und auf dem Wanderweg über Pt. 839.5 zum Restaurant Lueg. Hier bin ich in der Tat wieder in die Zivilisation zurückgekehrt: Motorräder brummen auf der Strasse und in der Ein- und Ausfahrt zum grossen Parkplatz und auf der grossen Terrasse sind wohl die meisten Plätze besetzt und der Lärmpegel ist entsprechend. Auch oben auf dem 887 m hohen Gipfel, den ich nach kurzem und steilem Aufstieg erreiche, ist wohl jede Feuerstelle belegt und rings um das Denkmal sonnen sich die zahlreichen Ausflügler. Die Aussicht von diesem Platz ist wirklich bemerkenswert, allerdings sind die Sichtverhältnisse heute bestenfalls suboptimal und niemals so gut wie an klaren Herbst- oder Wintertagen. Bei der Hornusserhütte etwas weiter östlich am Waldrand finde ich dann doch noch ein ruhiges Plätzchen für eine letzte Pause, ehe es dem Tagesziel Affoltern entgegen geht. In der dortigen Schaukäserei herrscht erwartungsgemäss ebenfalls Hochbetrieb, daher ziehe ich mich bis zur Abfahrt des BLS-Busses zu einem grosszügigen Gehege mit Zwergziegen zurück, die etwas Gesellschaft sehr schätzen. So begann diese Tour mit dem wilden Gitzigraben und endet mit zahmen «Gitzi» (schweizerisch für Zicklein)!

Fazit: Auch die dem Napfismus verwandte Art des Alpinismus namens Luegismus ist spannend – wenn auch ein wenig feucht. Da die Hin- und Rückreise per ÖV von Worb aus erfreulich schnell vonstatten geht, werde ich dieses Gebiet sicherlich künftig wieder vermehrt berücksichtigen. Den Auftakt hatte ich ja schon 2008 gelegt, mit der Erkundung des Chänerechtales.

Tourengänger: ABoehlen
Communities: Bachwandern


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