Es Würmli am Gsürmli...


Publiziert von lorenzo , 15. Mai 2019 um 07:57.

Region: Welt » Schweiz » Bern » Simmental
Tour Datum:31 Oktober 2009
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: Niesenkette   CH-BE 
Zeitbedarf: 9:45
Aufstieg: 1745 m
Abstieg: 2070 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Adelboden, Dorf Sillerenbahn
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Matten
Kartennummer:LK 1247 Adelboden, 1246 Zweisimmen; M. Brandt, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1981; M. Gerber, Clubführer Berner Voralpen, SAC 1997

Einer meiner Urgrossonkel, Walter Baumgartner, dem allerlei Jugend- und Studentenstreiche nachgesagt werden, hatte schon in jungen Jahren beachtliche Routen wie jene über die Lauteraarhorn Ostwandrippe (mit Hans Schneider am 2.8.1907) eröffnet (oder war das ein anderer Walter Baumgartner einer früheren Generation?). Auch spätere Erstbegehungen, an denen er beteiligt war, liessen sich sehen: so etwa jene des Salzhore NE-Grats (Schärsax, mit Wolfgang Diehl, Arthur und Edwin Krähenbühl sowie Ernst Wiesmann am 5.10.1941) oder des Doldenhorn S-Grats (mit Wolfgang Diehl am 15./16.8.1942). Von unverwüstlicher Gesundheit und Robustheit, war es ihm vergönnt, in Lützelflüh im Emmental mit seiner Familie zu leben und als Arzt wirken und ein hohes Alter zu erreichen.

Sein älterer Bruder Paul Baumgartner, der in St. Stephan als Pfarrer tätig war und mehrere Erstbegehungen in den Spillgerten gemacht hatte, war dagegen weniger vom Glück gesegnet. Bei einer seiner Erkundungen des Türmlihoremassivs stürzte er am 22. Juni 1913 im brüchigen Gestein in der Lücke zwischen dem Türmlispitz und dem Türmliturm tödlich ab und musste - damals und bis zum Aufkommen der Flugrettung noch lange üblich - terrestrisch aufwendig mit einer Bahre geborgen werden. Sein Tod löste in der Verwandtschaft, in der Pfarrgemeinde und in Bergsteigerkreisen natürlich grosse Betroffenheit und Bestürzung aus.

Maurice Brandt beschränkte sich wegen dem "besonders losen Fels am ganzen Berg" mit eigenen Worten auf die Beschreibung der üblichen Aufstiegsrouten auf den Türmliturm, den Türmlispitz und das Türmlihore, liess aber durchblicken, dass "für den Techniker des Kletterns im schlechten Fels weitere Möglichkeiten offen stehen". Martin Gerber begnügte sich indessen, Maurice Brandt zu zitieren: "Die Türmlihörner wurden anfangs dieses Jahrhunderts (Anmerkung: des 20. Jhd.) eifrig besucht, heute fast nie. Der moderne Bergsteiger schätzt diese Kletterei in brüchigem Fels nicht und beherrscht sie auch nicht mehr". Entsprechend verzichtete er auf weitere Routenbeschreibungen und verwies Interessenten auf seinen Vorgänger.

Ich erkundete zum Gedenken an meinen Urgrossonkel, von dem mir meine Grosstante wiederholt erzählt und Fotos gezeigt hatte, das Türmlihore am 
22.10.2006 und kletterte auf dem E-Grat in einer logischen Linie über den Türmlispitz und -turm auf dessen Gipfel. Der horizontal geschichtete Fels erwies sich dabei als gar nicht so instabil wie beschrieben und befürchtet, zudem war ich von dem, laut Maurcie Brandt an eine "gotische Kathedrale" erinnernden Massiv des Türmlihore beeindruckt und vermochte auch dem ihm zufolge "trostlosesten Gelände der Berner Voralpen", dem kargen Rügge Tälti, einen gewissen, wenn auch durchaus eigentümlichen Reiz abzugewinnen.

Drei Jahre später wollte ich als "letzte Tour" vor einer geplanten Kniearthroskopie eigentlich nur das Gsür vom Engstligen- zum Färmeltal überschreiten. Nach dem Gipfel beim Abstieg auf dem Landvogtehore angekommen, konnte ich aber der Verlockung trotz nordseitig bereits liegendem Schnee nicht widerstehen, nochmals einen Versuch einer Überschreitung des Türmlihore E-Grats zu unternehmen. Da ich für den Grossen Gendarm im Gsür SW-Grat vorsorglich meine reduzierte Kletterausrüstung mit einem 30m Seil mitgenommen hatte, stand dem Vorhaben denn auch nichts im Wege.

Vom Sattel zwischen Landvogte- und Türmlihore gelangte ich problemlos zum Türmliturm, auch meine Abseilstelle vor der Scharte war noch intakt. Der Aufstieg zum Türmlispitz war in der Zwischenzeit zwar wie erwartet nicht leichter geworden, gelang dank der nervenstärkenden Placierung von Friends an einigen Stellen aber auch diesmal seilfrei. Der übrige Grat bis zum Gipfel und der Abstieg über das westlichste SW-Couloir wiesen dann kaum mehr grössere Schwierigkeiten auf, und nach einer erholsamen Wanderung durch das spätherbstliche Färmeltal und entlang dem betörenden Färmelbach langte ich müde und zufrieden beim Bahnhof Matten an. Dank einer mitgeführten Reclamausgabe vom "Faust" mangelte es mir während der langen Heimfahrt durch das Simmen- und Aarteal zum Glück denn auch nicht an einer zur Tour passenden erbaulichen Lektüre...


Zustieg zum Furggeli
Von Adelboden (1352m) auf dem gelb markierten Wanderweg über Stiegelschwand (1443m) bis Schermtanne (1462m) und auf dem weiss-rot markierten Bergweg über den unteren Rücken von Heeli und über Furggi (2090m) zum Furggeli (2387m), 2h 15min-2h 30min, T3.

Überschreitung Gsür SW-NE-Grat
Aufstieg über den SW-Grat: vom Furggeli (2387m) auf Pfadspuren auf dem Grasgrat über P. 2336, P. 2394, P. 2360 und P. 2411 (von SE Einmündung vom Heeli) zur Schurterritze und weiter zur Felsspitze P. 2460, die rechts auf Geröll umgangen wird. Die nächsten kleineren Gendarmen können überklettert (III-IV) oder umgangen werden, bis über P. 2512 der Grosse Gendarm (2604m) erreicht wird. Auf dessen W-Seite ansteigende Querung über Bänder zu einer senkrechten Verschneidung und 
durch diese an guten Griffen (10m, III) auf die Grathöhe (einzementierter Abseilring mit Drahtschlaufe). Über den Grat (III) oder auf Bändern W davon auf die nächste Gratstufe (Hk  mit Drahtschlaufe) und weiter, einem Felskopf rechts ausweichend über Geröll und Felsstufen (Pfadspuren) auf das Gsür (2710m), 2h-2h 30min, WS. Abstieg über den NE-Grat: direkt über den felsigen Gratkamm (Stufen I-II, einzelne Bh) oder auf Pfadspuren links davon zum Gsürsattel vor P. 2680. Weiter über den zuerst steilen und schmalen Felsgrat, dann über den flacher und breiter werdenden Geröllrücken zum Sattel 2605 und Abstecher zum Landvogtehore (2616m). Entlang von dessen WNW-Grat durch das obere Rügge Tälti auf Geröll zum Sattel 2358, 45min, T4.

Türmlihore E-Grat (Paul Baumgartner Gedächtnisweg)
Vom Sattel 2358 zwischen Landvogte- und Türmlihore über einen felsdurchsetzten Grasgrat (T6, Stellen II) zum Gipfelaufbau des Türmliturms (2451m) und über eine ca. 5m hohe senkrechte Wand (III, gut gestuft, relativ feste Tafeln) auf dessen Gipfel. Vom Wandfuss nach SW ca. 10m durch eine brüchige Rinne (II) hinunter auf einen Absatz, wo ich am 22.10.2006 eine Abseilstelle eingerichtet habe (2 Fixpunkte: Schlinge um Felsblock + Hk mit Schlinge; Vorsicht!); an dieser 15m nach W durch einen gestuften, aber brüchigen Kamin in die Scharte zwischen Türmliturm und Türmlispitz abseilen (hier verunglückte 1913 30-jährig der vermutliche Erstbesteiger einiger Türme, Pfarrer Paul Baumgartner aus St. Stephan). Über eine ca. 15m hohe, nahezu senkrechte Wand gut gestuft (
III-IV, Leisten, relativ feste Tafeln, Horizontalrisse für mittlere und grosse Friends) linkshaltend zurück auf den E-Grat und über diesen einfach zum Türmlispitz (2446m). Abstieg spiralförmig im UZS (II) zum Sattel ca. 2425m und über den felsdurchsetzten E-Grat und auf Bändern südlich einer Reihe von Gendarmen (die direkte Überschreitung der Gendarmen endet unter einer ca. 10m hohen, leicht überhängenden und brüchigen Wand) unter den Gipfelaufbau des Türmlihore (2491m): mehrere Stufen führen zuerst auf den E-Gipfel, der W-Gipfel wird über eine leichte Scharte erreicht (I-II, grosser Steinmann, Gipfelbuch), 2h, ZS.

Abstieg durch das SW-Couloir ins Färmeltal
Durch das westlichste von 3 SW-Couloirs über z.T. brüchige Felsen (I-II) und Schrofen hinab ins untere Rügge Tälti, durch dieses 
über Geröll weiter nach SW zur Grasflanke von Rügge bei ca. 2100m, und über diese N vom Färmelbach steil hinab ins oberste Färmeltal, T5. Unterhalb von Grod (1802m) auf den Fahrweg und weiss-rot über Am vordere Berg (1650m) auf der Alpstrasse und dem Bergweg bis vor Stalde (1342m), und auf dem gelb markierten Wanderweg hinunter nach Matten (1026m), 2h 45min, T2.

Material: reduzierte Kletterausrüstung mit Helm, Klettergurt, 30m 9mm Seil, 4 Express, 3 Schlingen, Kk-Set und 3 mittleren Friends.

Fahrplan: 8 Uhr Adelboden, 10.15 Furggeli, 12.15 Gsür, 13 Uhr Sattel 2358, 15 Uhr Türmlihore, 17.45 Matten.

Tourengänger: lorenzo


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