Komplette Überschreitung der Speer-Nagelfluhkette: Vom Toggenburg ins Linthtal "obendurch"


Publiziert von marmotta , 4. Oktober 2012 um 10:35.

Region: Welt » Schweiz » St.Gallen
Tour Datum: 3 Oktober 2012
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: Speerkette   CH-SG   Speer-Mattstock   Zürcher Hausberge 
Zeitbedarf: 8:00
Aufstieg: 2040 m
Abstieg: 2000 m
Strecke:Nesslau-Neu St. Johann - Bürzlen - P. 949 - Laui - Spitz - Ober Schwand - Wolzenalp - Wannenspitzli - Bremacher Höchi - Bützalpsattel - Speermürli - Leiterli - Speer - Grappenhorn - Furggen - Schafberg - Chämi - Alp Oberbetruns - P. 1580 - Federispitz NW-Grat - Federispitz - Plättlispitz - Stelli - Unternätenalp - Oberalpli - Grüt - Schänis
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Nesslau-Neu St. Johann
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Schänis

Die Bergkette, welche sich von Nesslau-Neu St. Johann im Toggenburg über den Speer (1951 m) bis hinunter in die Linthebene zieht, ist aus Nagelfluh aufgebaut. Dieses Gestein eignet sich nicht besonders gut zum Klettern - die zu einem Konglomerat "zusammengebackenen" runden Steine brechen leicht heraus und können, insbesondere bei Nässe, sehr rutschig sein. Bedingt durch den Entstehungsprozess weist die Speer-Nagelfluhkette nach Osten steile Flanken und nach Westen senkrecht abbrechende Wände auf, immer wieder unterbrochen von (grasbewachsenen) Nagelfluhbändern und Schichtstufen. Auf der Schneide lässt sich -mit nur wenigen Umgehungen- eine herrliche Gratwanderung durchführen. Neben dem auf verschiedenen Wanderwegen und einem Klettersteig erreichbaren und viel besuchten Speer sind auf Hikr.org auch zahlreichen Touren auf die benachbarten Gipfel Grappenhorn (1741 m), Schafberg (1790 m) und Federispitz (1865 m) beschrieben. Erstaunlicherweise wurde aber noch nie von einer kompletten Überschreitung der ganzen Bergkette berichtet. Diese Lücke will ich nun schliessen.
 
Nesslau - Wolzenalp - Bremacher Höchi - Bützalpsattel (T2)
 
Auf markierten Wanderwegen erreicht man über die kleinen Erhebungen Wannenspitzli (1526 m) und Bremacher Höchi (1642 m) den Bützalpsattel (1592 m). Eine gute Einstimmung auf das, was danach folgt. Die Nagelfluhbänder und Schichtstufen am Speer rücken immer mehr ins Blickfeld. Bis zur Wolzenalp (1424 m) ist das Gelände derzeit sehr feucht und sumpfig, wohl dem, der bis hierin noch trockene Socken hat!
 
Speermürli (1745 m) via Nordflanke (T5)
 
Vom Bützalpsattel steuert man geradewegs den schwach ausgeprägten Nordwestgrat an und steigt am besten etwas rechts davon, die Nagelfluhfelsen umgehend, auf meist guten Tierspuren steil zu einem bald sichtbaren kleinen Einschnitt mit einigen Erlensträuchern hinauf. Die Geländekante wird von einem Vieh(stacheldraht)zaun gesäumt, das Überwinden des Zauns war für mich die Schlüsselstelle dieses Aufstiegs. Die Zweige der Erlensträucher nimmt man aufgrund des sehr schmierigen Untergrunds kurz vor diesem Zaun dankend als Griffe an. :-)
 
Nach Überwinden des Zauns (ich empfehle Untendurchkriechen) legt sich das Gelände deutlich zurück, in gut gestuftem Grasgelände (T4) gelangt man bald danach auf die Kammhöhe des Speermürlis. Oben wartet nochmals ein Zaun (irgendwann habe ich an diesem Tag aufgehört, die vielen Zäune, die es zu übersteigen galt, zu zählen), dann tritt man endgültig aus der schattigen und am heutigen Tag auch etwas kühlen Nordflanke in die Sonne. Der Gipfel des Speermürli ist von hier in wenigen Minuten auf ausgeprägter Wegspur durch die Nagelfluhbastion hindurch erreicht. Oben hat es ein originell aufbewahrtes kleines Gipfelbüchlein. Der Gipfel ist -im Vergleich zum "grossen Bruder", dem Speer, eher schwach frequentiert.
 
Speermürli - Speer (T3-T5, je nach Routenwahl in der Südflanke)
 
Auf dem markierten Wanderweg (eine Stelle am sog. "Leiterli" drahtseilgesichert) via Muelt bis unter die markante letzte Schichtstufe, welche die Speer-Südflanke nach Osten begrenzt. Um den (ansonsten eher langweiligen) Aufstieg auf den Speer etwas aufzupeppen, stieg ich dieser Nagelfluhschichtstufe entlang direkt zur Aussichtsplattform, die ich so über das Grätchen von Osten erreichte (T5). Oben tummelten sich bereits einige Wanderer, daher hielt ich meine Pause eher kurz.
 
Speer - Grappenhorn (T5)
 
Nun folgt der interessanteste Abschnitt der Gratüberschreitung. Zunächst geht es auf dem markierten Wanderweg der Schneide entlang (T3), bis der Weg den Grat nach rechts (Westen) verlässt, um über das Bützli die Flanke hinunterzuführen. Ich blieb jedoch auf der Schneide, wo deutliche (Tier-)Spuren die jeweils beste Route weisen. Einige Nagelfluhzacken werden -teils luftig- umgangen, andere wiederum können direkt überstiegen werden. Nachdem ich bereits auf dem ersten (markierten) Abschnitt zweimal auf Nagelfluhsteinen und  verdorrten Grasmutten übel weggerutscht war, ging ich nun sehr konzentriert: Ein Fehler hätte mancherorts fatale Folgen! Nach einem kurzen, steilen Abstieg, den man auf Tierspuren nordseitig bewerkstelligt, folgt ein längerer Abschnitt entlang einem fast waagrechten Nagelfluhgemäuer, das irgendwann von einer senkrechten Schichtstufe unterbrochen wird. Ich probierte erst, dem (luftigen) Grat weiter zu folgen, sah aber keine einfache Möglichkeit, die Schichtstufe südseitig zu überwinden. Also wieder zurück - und siehe da: In der Nordflanke, in die man an der tiefsten Stelle über eine kurze Felsstufe hinabklettert, verläuft ein zwar nasses und stark bewachsenes, aber dennoch gut begehbares, breites Grasband. An offensichtlicher Stelle kehrt man (kurz bevor sich die Flanke steil zum Gipfel des Grappenhorn hinaufschwingt) auf die sonnige Gratkante zurück und erreicht dieser entlang über steiles, (um diese Jahreszeit) verdorrtes Gras in wenigen Minuten den kleinen Gipfel mit Gipfelkreuz(chen) und Gipfelbuch.
 
Grappenhorn - Furggen (T4, kurze Passage T5)
 
Steiler Abstieg in der Südflanke, bis der senkrechte Nagelfluhabbruch auf einem erdigen Bändchen überwunden werden kann. Am besten hält man sich möglichst hoch, da die Querung hinüber zum Grasgrat, welcher zur Furggen (1671 m) führt, hier am einfachsten bzw. am wenigsten mühsam ist.
 
Furggen - Schafberg: Aufstieg von Nordosten ("Via Adrian") T6
 
Ohne genaue Routenkenntnisse (die Hikr-Berichte hierzu hatte ich am Vorabend nur kurz überflogen) sah der Schafberg für mich zunächst unbezwingbar aus. Am einfachsten sei das sog. "Chämmi", ich hatte jedoch keine Ahnung, wo sich dieses befand. Da ich sowieso eine Überschreitung des Schafbergs geplant hatte, suchte ich nicht lange und stieg zunächst um den ersten felsigen Vorbau herum, bis eine verlockende Steilgrasflanke zu einem Aufstieg auf den bereits von unten sichtbaren  Sattel unter dem eigentlichen, aus Nagelfluhwänden bestehenden Gipfelaufbau des Schafbergs einlud. Gut gestuft ging es dort auf Gamsspuren zwar steil, aber ohne Schwierigkeiten zum besagten Sattel (T5). Von dort ist die weitere Route offensichtlich und logisch: Hinüber zur markanten kaminartigen Rinne (Couloir), in der ein überhängender Block einen einfachen Durchstieg verhindert. Da mich die Kletterei über diesen Block (ca. III) allein schon wegen des schmierig-nassen, brüchigen Gesteins überhaupt nicht anmachte, querte ich nach rechts auf dem sich nach halber Höhe plötzlich auftuenden Grasband (Gemsenautobahn) bis hinauf zur Felswand des Schafberg-Gipfelkopfs, wo sich ein erstaunlich gut begehbares Felsband den Wänden entlang nach links zieht, so dass man ohne Schwierigkeiten die steile Südflanke des Schafbergs erreicht. In der sehr steilen Grasflanke dann direkt zum Gipfel. Das Felsbändchen verlangt zu Beginn etwas Akrobatik, als grossgewachsener Mensch muss man 1-2 m fast kriechen, als Liebhaber solcher "Gamswechsel" war es für mich jedoch Genuss pur. Von den (technischen) Schwierigkeiten her scheint das T6 vielleicht etwas hoch gegriffen - jedoch ist die Sache auf einem kurzen Abschnitt sehr exponiert, daher geht die Bewertung aus meiner Sicht in Ordnung.
 
Wie ich erst später herausfand, war ich genau auf der Route unterwegs, die 3614adrian als Erster hier beschrieben hatte. Seitdem wird die Route unter dem Namen "Via Adrian" gehandelt. Ich muss zugeben: Eine wunderschöne Route!
 
Nach Eintrag ins kleine, liebevoll aufbewahrte Gipfelbüchlein wollte ich dann aber schon auch noch das Chämmi kennen lernen. Also über den stellenweise sehr luftigen Grat bzw. am Anfang etwas in der Südflanke über Nagelfluhplatten (Vorsicht bei Nässe!) ausweichend in südwestliche Richtung, bis sich ein nicht zu übersehender Einschnitt auftut. Hier ist ein nordseitiger Abstieg in das Tälchen der Alp Oberbetruns gut möglich. Zunächst auf Wegspuren und Geröll, zum Schluss muss noch eine Stufe durch einen unangenehm feuchten Kamin abgeklettert werden (II), bevor man die Weideflächen der Alp erreicht. Ich empfand diese Route als ziemlich ungemütlich - kommt man vom Grappenhorn bzw. von der Furggen würde ich in jedem Fall den Aufstieg über die "Via Adrian" vorziehen!
 
Schafberg - Federispitz via Nordwestgrat (T5)
 
Eine direkte Begehung des Gratabschnitts zwischen Schafberg und Federispitz kam für mich nicht in Betracht. Der Federispitz-Nordostgrat besteht aus einer eindrücklichen Abfolge von Nagelfluhbändern und Schichtstufen, deren Überklettern des brüchigen und schmierigen Gesteins wegen kaum zu empfehlen ist. Und für eine Erkundung der Südflanke nach einer Möglichkeit, ohne grossen Höhenverlust den (noch unbestiegenen?) Chrüzchopf (1857 m) zu erreichen, hatte ich an diesem Tag schon zu viele Höhenmeter in teils anspruchsvollem und mühsam zu begehendem Gelände in den Beinen. Ich querte stattdessen auf einer Höhe von ca. 1600 m unter der gebänderten Nordflanke des Federi, bis ich auf den Wanderweg traf, der zum Nordwestgrat hinaufführt. Genauso gut hätte ich wohl gleich zu Beginn die 50 Hm zum Wanderweg durch die Alpen Ober- und Unterbetruns absteigen können - da wäre ich wenigstens in der Sonne gewesen…
 
Vom Punkt, wo der Federispitz-Nordwestgrat gekreuzt wird, würde der Wanderweg nun umständlich und anfangs sogar etwas absteigend um die gesamte Nordwestflanke herumführen. Daher entschloss ich mich, direkt dem Grat bis zum Gipfel zu folgen. ossi hat diesen NW-Grat mal als "Plaisir-T5" bezeichnet - nun, ich empfand das Übersteigen der einzelnen Schichtstufen einigermassen mühsam (vielleicht lag es aber auch an meiner Müdigkeit). Hier muss nochmals ordentlich im langhalmigen Steilgras und an einzelnen Nagelfluhsteinchen zugepackt werden. Nachdem man über Grasbänder das Gipfelwändchen auf -wen wundert´s- Gamsspuren durchstiegen hat, wird man mit einem eleganten Ausstieg direkt beim Gipfelkreuz belohnt.
 
Zwischenzeitlich hat´s ziemlich eingenebelt, so dass mir die Aussicht vom "Säntisblick" verwehrt bleibt. Egal, ich bin froh, dass ich wenig später mit dem Plättlispitz meinen letzten Gipfelaufstieg für diesen Tag hinter mich gebracht habe. Von hier geniesse ich den herrlichen Blick auf den Walensee und einen Teil der Glarner Alpen.
 
Abstieg auf markierten Wanderwegen via Unternätenalp und Oberalpli zur Fahrstrasse, die nach Ziegelbrücke bzw. Schänis hinunterführt. Dort erweckte mein müder Gang offenbar Mitleid bei einem älteren Einheimischenpärchen, denn sie boten mir spontan an, mich mit ihrem Auto bis zum Bahnhof nach Schänis mitzunehmen. Merci vielmal!
 
Was mir noch aufgefallen ist: In den Wäldern und auf den Wiesen wimmelt es derzeit von Pilzen in ungeahnter Vielfalt. Ich hätte eine Ernte für mehrere Mahlzeiten mit vorzüglichen Speisepilzen (Steinpilz, Parasol, Pfifferling) einfahren bzw. ein ganzes Pilzbuch illustrieren können!
 
Fazit:
 
Die Überschreitung der gesamten Nagelfluhkette, welche im Speer kulminiert, ist eine tolle, aber auch konditionell fordernde Unternehmung - wenngleich bei weitem keine Monstertour! In der von mir begangenen Richtung lacht einem die Sonne ständig ins Gesicht, dafür hat man insgesamt knapp 2400 Hm Abstieg. Die gut 2000 Aufstiegshöhenmeter sind in oft steilem Gelände zurückzulegen, dementsprechend müde waren meine Beine zum Schluss.   

Tourengänger: marmotta
Communities: ÖV Touren, T6


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Kommentare (2)


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WoPo1961 hat gesagt:
Gesendet am 4. Oktober 2012 um 17:36
Ja, das liest sich doch herzerfrischend..."muß ordentlich an langhalmigen Steilgras ....zugepackt werden" oder auch ..in der SEHR STEILEN Grasflanke dann dirket zum Gipfel"oder sehr schön auch folgendes..."zum Schluss durch einen unangenehm fechten Kamin abgeklettert werden"...Ich würd sagen, da hat das Murmel ja schon die näxte "Traumtour"für den WoPo entdeckt. Freu mich schon :-)))
Ansonsten, wie immer!!, sehr gute und ausführliche Tourenbeschreibung. Da haste es mal wieder so richtig krachen lassen!!! Glückwunsch
Grüße aus Flh
WoPo

Bergamotte hat gesagt:
Gesendet am 5. Oktober 2012 um 21:32
Gratuliere zu dieser schönen Überschreitung! Ein sehr ähnliches Projekt schiebe ich seit mehreren Monaten vor mir her. Die Via Adrian hatte ich jedoch nie in Betracht bezogen, zumindest bis jetzt...

Gruss
Bergamotte


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