Westliche Praxmarerkarspitze (2642 m) - der sterbende Berg


Publiziert von 83_Stefan , 20. Juni 2012 um 21:00.

Region: Welt » Österreich » Nördliche Ostalpen » Karwendel
Tour Datum:16 Juni 2012
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Mountainbike Schwierigkeit: WS - Gut fahrbar
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 11:00
Aufstieg: 2100 m
Abstieg: 2100 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Von Mittenwald über die B2 beziehungsweise von Seefeld über die B177 nach Scharnitz. Parkplatz im Ort 6 € (!!!), daher parken auf deutscher Seite am Straßenrand.
Unterkunftmöglichkeiten:Pfeishütte (1950 m, OeAV-Sektion Innsbruck); ein paar Minuten abseits der Route.
Kartennummer:AV-Karte 5/1 Karwendelgebirge Westliches Blatt und AV-Karte 5/2 Karwendelgebirge Mittleres Blatt.

Hermann Buhl, einer der größten Bergsteiger des 20. Jahrhunderts, nannte die Praxmarerkarspitze einst den "sterbenden Berg". Er hatte die berüchtigte Nordwand durchstiegen, die er als "einzige überhängende Geröllreisse" bezeichnete. Lange schon ist Hermann Buhl tot, die Praxmarerkarspitze existiert immer noch - auch wenn dies aufgrund ihrer Brüchigkeit vielleicht verwundert. In der Nordwand spielten sich bereits Dramen ab: So kamen Otto Melzer und Emil Spötl beim Versuch der Erstdurchsteigung am 06. Oktober 1901 in einen Wettersturz, woraufhin Spötl abstürzte. Melzer konnte sich zwar auf einem Felsband halten, fand aber kein Entrinnen aus der Wand und erfror - an einen Haken gebunden - qualvoll. Ein Jahr später wurde seine Leiche mit großem Aufwand aus der Wand geborgen.
Bis heute sind die beiden Praxmarerkarspitzen einsame Ziele geblieben, denn sie liegen fernab der Zivilisation im tiefsten Karwendel und sind nur mit ziemlich großem Aufwand zu erreichen. An keinem anderen Berg kann man die Eigenheiten des Karwendels eindrucksvoller erleben, als an den Praxmarerkarspitzen.


In Scharnitz wird der Drahtesel gesattelt. Es geht an der jungen Isar flussaufwärts, bis der Fahrweg ins Gleirschtal rechts abzweigt, hinab zur Isar führt und diese überquert. Auf der anderen Seite zunächst recht steil bergan und anschließend ziemlich eben im Gleirschtal weiter. Das Forsthaus Amtssäge wird passiert und es geht immer weiter am Gleirschbach entlang ins Samertal (Gegenanstieg; Abkürzer derzeit wegen Murenschäden unfahrbar). Am Talschluss befindet sich der Radlparkplatz der Pfeishütte - obwohl die Schotterstraße bis hinauf zur Hütte führt hat das seinen Grund: ab jetzt wird's elendig steil! Wer in den Waden das Schmalz für über 30 % Steigung hat und sich durch die etwas grobe Fahrbahn nicht aus dem Tritt bringen lässt, fährt; Otto Normal schiebt. Auf etwa 1840 m Höhe zweigt der Steig ab, der hinauf ins Kaskar führt. Dort Radldepot. Als während dem Parken des Fahrrads eine in windschnittige Radlerbekleidung kostümierte junge Radlerin vorbeibraust - wohlgemerkt bergauf (!!!) - möchte man am liebsten das billige, klapprige Radl den Hang hinunter werfen; angesichts der Rückfahrt (ca. 22 km, 900 m) sollte man sich allerdings beherrschen.

Über den Abbrüchen, die Kaskar und Praxmarerkar vom Samertal trennen, quert man hinein ins Kaskar, wo der Steig zur Kaskarspitze abzweigt. Weiter auf dem Steig in Richtung Östlicher Praxmarerkarspitze, der - deutlich abfallend - hinüber ins Praxmarerkar führt, wo man ihn verlässt und weglos zum Südgrat der Westlichen Praxmarerkarspitze ansteigt. Der Grat wird in seinem unteren Bereich ohne größere Probleme erreicht.

Durch gut gestuftes Grasgelände geht es am Grat bergan, bis endlich der Fels das Gras ersetzt. Entweder direkt am Grat entlang oder etwas nach links ausweichend geht's ohne besondere Schwierigkeiten (kaum II) aufwärts. Im oberen Bereich ist eine Rinne eingelagert; der Anstieg vollzieht sich günstigerweise in ihr oder auf ihrer rechten Begrenzung. Der Gipfel der Westlichen Praxmarerkarspitze wird letztendlich über Schutt erreicht. Dort Steinmann und Gipfelkarte (eine ausgediente Kartenkopie ersetzt derzeit das Gipfelbuch; vielleicht legt ja jemand ein neues auf).

Das Kreuz auf der Östlichen Praxmarerkarspitze scheint schon zum Greifen nahe, aber bevor es erreicht wird, steht noch etwas Engagement bevor. Durch steile, brüchige Schrofen (I) wird die Scharte erreicht, die die beiden Praxmarerkarspitzen trennt. Auf der anderen Seite quert man nur einige Meter auf der Südseite um den Gipfelblock herum, bis man durch die Felsen steil und etwas brüchig hinauf zum Gipfel der Östlichen Praxmarerkarspitze kraxelt (II, Steinmann). Dort wartet neben dem Gipfelkreuz "Marke Eigenbau" auch ein Gipfelbuch in einem uralten, riesengroßen Gipfelbuchkasten.

Der Abstieg verläuft auf dem markierten Normalanstieg zur Östlichen Praxmarerkarspitze. Wer mit einem Wanderweg gerechnet hat, der wird schnell eines besseren belehrt werden: mit einem "Weg" hat das Ganze wenig zu tun. Vielmehr kann man es als markierte Route bezeichnen. Diese zieht am Ostgrat (gigantische Ausblicke in die Nordwand der Praxmarerkarspitzen!) durch steile, brüchige Schrofen bergab, bis sie den Grat nach Süden verlässt und über eine schottrige, brüchige Rinne (I+, Steinschlaggefahr!) die Felsstufe überlistet und ins Geröll führt. Entweder man folgt weiter der markierten Route über eine zweite Felsstufe ins Praxmarerkar hinab, oder man umgeht diese linksseitig (östlich) völlig unschwierig durch Gras und Schutt.

Wieder im Praxmarerkar angelangt, leitet der Aufstiegsweg zurück zum Radldepot. Der Gegenanstieg ist kräftezehrend, man kann sich so aber bereits moralisch auf die beiden Gegenanstiege während der Radlabfahrt vorbereiten.

Mit dem Radl geht's vorsichtig die steile Piste bergab ins Samertal. Dann beginnt die lange, entspannte Rückfahrt, die nur von den zwei demotivierenden Gegenanstiegen etwas getrübt wird.

Schwierigkeiten:
Auffahrt bis zum Radldepot: WS (am Ende enorm steil und etwas grobschottriger).
Westliche Praxmarerkarspitze via Südgrat: T5-, II (technisch kaum anspruchsvoller als der markierte Normalanstieg  zur Östlichen Praxmarerkarspitze).
Übergang zur Östlichen Praxmarerkarspitze: T5, II (nur ein paar Meter beim Gipfelanstieg).
Abstieg von der Östlichen Praxmarerkarspitze über markierten Normalweg: T4+, I+ (unangenehm schottrig und steinschlaggefährdet).

Fazit:
Eine ausgenommen schöne 4*-Tour, die jedem ans Herz gelegt werden kann, der die Eigenarten des Karwendels erleben möchte. Die Anfahrt mit dem Radl von Scharnitz ist allerdings seeehr lang! Wer möchte, kann in der Pfeishütte (ein paar Minuten abseits der Route) übernachten und die Tour somit auf zwei Tage verteilen.

Mit auf Tour: Bäda und Uwe.

Kategorien: Karwendel, bike and hike, 4*-Tour, 2600er, T5.

Tourengänger: 83_Stefan


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Kommentare (9)


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Kalkmann hat gesagt:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 10:53
Schone Tour, super Bilder,gratuliere.

Beste Grusse, Kalkmann

83_Stefan hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 11:27
Vielen Dank! Im Karwendel ist's halt besonders schön. Schöne Grüße aus Südbayern!

Zaza hat gesagt:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 15:33
Sieht nach einer tollen Gegend aus, da muss ich auch mal hin. Aber um 30° mit dem Fahrrad meistern zu können, reichen meine Beine bei weitem nicht aus. Meinst du nicht eher 30 %? Wobei auch das hart genug ist...

gruss, zaza

83_Stefan hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 15:38
Hallo zaza! Vielen Dank für deinen Kommentar - ich meine tatsächlich 30 % und werde es gleich ausbessern. Da sieht man, dass es tatsächlich Leute gibt, die aufmerksam mitlesen - danke für die Korrektur!
Das Karwendel ist wirklich großartig. Beeindruckend vor allem die Weitläufigkeit.

Beste Grüße zurück!

Zaza hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 15:45
Bereits bei 27 % musste ich letztes Jahr sogar in der Abfahrt um mein Leben fürchten...allerdings bin ich kein Bike-Spezialist.

Wie auch immer, wir könnten einander ja mal gegenseitig die bevorzugten Gebirge zeigen; grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Fragen des T6, sozusagen ;-)

LG, zaza

83_Stefan hat gesagt: RE:
Gesendet am 21. Juni 2012 um 15:56
27 % komme ich schon runter, bergauf habe ich allerdings keine Chance... da hilft nur schieben. Liegt aber auch am Material.
Klar, eine gute Idee - ein Hikr-treffen der anderen Art sozusagen...

kardirk hat gesagt:
Gesendet am 27. Juni 2012 um 15:00
Sehr schöne Tour, der Grat steht auch schon bei mir auf der Wunschliste, nachdem ich über den "normalen" Weg schon 2mal oben war.

VG Dirk

ADI hat gesagt:
Gesendet am 19. Juli 2012 um 19:50
starke Tour bei AKW....mehr als bedauerlich, da nicht dabei sein zu können an dem Traumtag!
Scheiß Arbeit!!!!!!!!!!!
Außerdem KLASSE Fotos, mein Freund....Du wirst immer besser, ich seh's mit Freude.

Beste Grüße vom ADI

83_Stefan hat gesagt: RE:
Gesendet am 19. Juli 2012 um 19:53
Danke dir für das Kompliment!
Ich glaube allerdings kaum, dass meine Digicam besser wird - ich muss mittlerweile das Objektiv per Hand rausziehen ;-) .

Beste Grüße zurück!


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