Furka, reine Freude!


Publiziert von rojosuiza , 1. Mai 2025 um 10:55.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:14 April 2025
Wandern Schwierigkeit: T3 - anspruchsvolles Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Oberwald MGB
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Oberwald MGB
Unterkunftmöglichkeiten:Gletsch - aber nur im Sommer, und nur, wenn nicht renoviert wird!

 
Man ist vor Jahr und Tag ins Wasser gefallen beim Versuch, die Furka als reine Freude zu erleben. So ein Reinfall will wiederholt sein. – Man könnte auch sagen, man wolle die Furka im Winter überschreiten, einsam und allein in wilder Landschaft.
 
Vorbereitung ist, wie immer, das halbe Werk. Man hat die Wetterprognose für den Furkablick, es soll den ganzen Tag um Null herum bleiben. Man hat die Lawinenvorhersage, es soll am Morgen geruhsam zugehen, und am Nachmittag lawinengefährlicher werden. Man weiss, dass die Distanz nicht von schlechten Eltern ist – ist man doch im Tunnel mit dem Zug schon 20 Minuten unterwegs. Ausserdem gibt es da noch einen rechten Höhenunterschied und ist das Steigvermögen des alten Motors wenig überzeugend. Das Wetter selber soll, bis auf den Pass mit stürmischem Wind, recht passabel sein: man ist nicht im Tessin, wo es nur nieselt und nöselt den ganzen Tag.
 
Der faule Tourist will sich nicht vor dem Frühstück von seinem Alpenhotel lösen, also ist Abfahrt erst um 6:57 und Ankunft in Oberwald eine Stunde später.
 
Die Grimsel ist gesperrt. Die Furka ist gesperrt. Gletsch ist gesperrt. Lawinengefahr ist markiert… Das macht Eindruck auf den zweifelnden Wanderer. Aber die Strasse ist aper, auch im Gelände darum herum liegt hier kein Schnee. Also hoppelt er los. Dort vorn hoppelt auch etwas, quer über die Strasse. Eine heruntergekommene Katze, denkt der Meister. Es ist aber ein heruntergekommenes Murmeltier, das seine ersten Frühlingsgänge macht.
 
Nach der ersten Haarnadelkurve verlasse ich die Passstrasse, nehme den Weg zur Kapelle des Heiligen Nikolaus, nachher hinüber und hinab zum Rotten. Dort weiss ich die Brücke. Wenn man sie mir nur nicht abgebaut hat… Zwar fehlen die Geländer, aber der Steg liegt da. Er ist so breit, dass es gut ohne Geländer geht. Während die hochgehende Rhone mir das letzte Mal fast den Atem geraubt hat – trotz dem sichernden  Geländer! – lacht man jetzt nur: welch ein  Rinnsal kommt hier daher.
 
Der Schnee ist auf dem Wanderweg überall weg, überall wird der Frühling gegeben. Auf etwa 1600 Metern kommt ein kleiner Abstieg, der heftig gesichert ist, normalerweise. Jetzt liegen die Stangen am Boden, und neckische Kunststofffähnchen rufen mir zu, hier wären wir sonst, die Sicherungen! Hie und da stecken lustige Blümlein ihre Köpflein aus dem Gras, ein üppig blühender Strauch blüht ein allerletztes Mal üppig – denn unten am Boden hat ihn der Schnee abgeknickt! Über sich und vor sich sieht der Wanderer die Passstrasse, die Schienen der Furka-Bergstrecke, und weit, weit über sich die endlosen Kurven der Grimsel-Strasse.
 
Eine Eisebahnbrücke setzt über die Rhone. An meinem Ende verschliessen mächtige Tore die Tunneleinfahrt, das heisst, sie könnten sie verschliessen, denn die Tore sind offen. rojosuiza klettert ein paar Stufen hinab zum Tunnel, erwägt, den Kehrtunnel zu durchlaufen, entscheidet dann doch dagegen. Das ist gut. Oben, am Ausgang, liegt nämlich ein grosser Schneehaufen, den man lieber nicht durchwühlen will.
 
Man kann auf dem Trassee gehen, man kann auf der Strasse gehen, beide sind halb eingeschneit und halb nicht. Dazwischen ist ein arger Spalt, hier sollte der Weise klüger nicht gehen. Gletsch! sagt die Ortstafel. Einsam und allein gelassen ist Gletsch. Nur rojosuiza ist hier. Es ist elf Uhr.
 
Ab hier verläuft der Weg im Schnee. Der Liebhaber des öffentlichen Verkehrs nimmt natürlich das Zugtrassee und nicht die Autostrasse. Er muss im Tal bis ganz weit nach hinten – das Tal ist lang! – und dort, wo Trassee und Strasse sich kreuzen, muss die Entscheidung fallen, wie es weiter gehen soll.
 
Der Schnee ist trittfest, bis auf die Stellen, wo er nicht ganz trittfest ist. Die Stöcke warnen mich meist rechtzeitig. Vom Berg her sind kleine Nassschneelawinen abgegangen, ich sehe ihre Enden gut, meist erreichen sie das Trassee nicht. Ich stapfe immer langsam voran.  Bald kann ich meine Drei-Arm-Stelle sehen, wo ich damals die Rhone passiert habe. Ach wie neidlich ist das alles, wie hübsch, beim jetzigen Niedrigwasser! Kaum zu glauben dass das Wässerchen mich damals fast ersäuft hätte! – Das Gelände wird steiler und die Rille meines Trassees ist aufgefüllt mit Schnee: schräg und steil. Hier gilt es aufzupassen!
 
Die Zeit geht schneller als rojosuiza geht. Wie ich endlich ankomme am ersten Aufschwung zum Bellevue und zur Furka ist es schon zwei Uhr. Bei diesem Wandertempo ist es unsinnig, noch weitergehen zu wollen. Zwar umspielt mich der Gedanke: man könnte ja durch den Bahntunnel gehen… Wenn aber dort auch Tore sind, und die Tore sind zu? Ausserdem wird es wärmer, und die Passage dorthin ist lawinengefährdet. Die Passstrasse selber, die von weitem schneefrei ausgesehen hat, sie ist es nicht. Die Seiten der Stützmauern liegen frei, aber wer geht auf den Seiten der Stützmauern? – Nur die Eidechse, nur im Hochsommer!
 
Der Bergheld weint bitterlich, erneut hat ihm die Furka eine Ohrfeige gegeben. Er muss zurückzotteln. Das Bahntrassee war hier unten arg steil, das will er nimmermehr. Aber seht: die Strasse: aper ist der Rand mit den Randsteinen, ja, sogar ein Streifen Asphalt schaut hervor. Hier kann man ja genüsslich hinabwandeln, frank und frei hinabwandeln, ganz bis Gletsch! – Ganz bis Gletsch, genüsslich hinwandeln? – Nach wenigen hundert Metern ist der Genuss verschwunden. Die Strasse verläuft ein wenig höher als das Bahntrassee. Die Nassschneelawinen haben sie erreicht. Bald kommt das erste Band mit Knollen, und wieder eines, und noch eines. Zweimal knallt es, und ein neues Band schiebt sich zur Strasse vor. Wie das Knollensteigen immer ärger wird, der Abstand zur Bahntrasse unten immer grösser, das Gelände immer steiler und damit exponierter für Schneerutsche, da wendet der Wandermeister sich ab von der Strasse und eilt mit grossen Sätzen durch den Tiefschnee dem lockenden Trassee unten zu. Ein, zwei Male versinkt er fast so weit im Schnee, dass er seine Füsse nicht mehr aus dem Schneeloch herausbringen kann. Lächerlich, hier ersaufen in der Schneeflut, nur wenige Meter entfernt vom Bahntrassee, durch das er doch sicher hergekommen ist! Habe ich schon erwähnt, dass es jetzt schnell immer wärmer wird? – Wo man kaum eingesackt ist vor ein paar Stunden, will der Schnee nicht mehr tragen. Zum Glück ist die Strecke bis Gletsch jetzt nur noch kurz. 
 
Der Höhepunkt der Wanderung stellt sich vor dem Hotel du Glacier in Gletsch ein. Dort gibt es, vor dem Hotel und zwischen den beiden Passstrassen sozusagen, eine Art Bäumegarten. Picknick verboten! mahnt das Schild, Zeichen für rojosuiza, um schnell Brot und Käse auszupacken um sich sein Picknick aufzutischen. So macht Essen Freude! Es ist völlig gleichgültig, dass man mutterseelenallein ist, und der ‚Gesetzgeber‘ ganz und gar abwesend.
 
Auf bekannter Strecke zottelt der Held jetzt abwärts. Er entdeckt noch mach ein Pflänzlein, das er beim Aufstieg übersehen hat: was nicht alles spriesst, wenn man die Nase recht am Boden hat! Heiterkeit zieht ein in der Seele. Jetzt, wo man nicht mehr zu spät kommen kann, jetzt, wo man auf bekanntem Gebiet ist bis hin zu seinem Bahnhof in Oberwald.
 
Kein Glück ist vollkommen: natürlich träumt man jetzt plötzlich von Cappuccino-Quellen. Man bekommt aber auch am Zielort in Oberwald nichts zu Gesicht, was einen verlockte, einzukehren. Erst ganz, ganz zum Schluss – man ist unter der Erde im Bahnhof! – fällt das Auge auf das Schild: Hier ist ein Bahnhofbuffet vorhanden! Schnell eilt man durch den Tunnel – zwischen jetzt und der Abfahrt gibt es Zeit zum Kaffee. Der Traum zerschellt; zum zweiten Mal an diesem heiteren Tag fallen schwere Tränen aufs Hemd. Vor meinen entrüsteten Augen verschliesst sich einem das Paradies. Man ist zu spät gekommen. Aus der Traum, die Bahnhofbuffet-Poesie, sie ist aus! 

Tourengänger: rojosuiza


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