Oh Furka, reine Freude


Publiziert von rojosuiza , 10. September 2013 um 22:03.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:18 August 2013
Wandern Schwierigkeit: T6+ - schwieriges Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-UR   CH-VS 
Zeitbedarf: 2 Tage
Aufstieg: 1200 m
Abstieg: 1400 m
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Realp, Bahn - MGB
Zufahrt zum Ankunftspunkt:Oberwald, Bahn - MGB
Unterkunftmöglichkeiten:Realp, Furka, GLETSCH, Oberwald

Eigentlich hätte der Bericht heissen sollen: ‚Furka ohne Übelkeit‘, aber das hätte nicht ganz getroffen. Zwar ist es wahr, zum ersten Mal über die Furka ohne Übelkeit; keinem, dem es beim Passfahren als Beifahrer oder sogar auf dem Rücksitz übel wird, muss man das lange erklären.

Aber die Furka ist ja nicht nur ein Auto- und Motorradfahrer-Berg, auch wenn es von weitem den Anschein hat. Es ist daneben auch der Berg der Radfahrer;  heute der Berg der Dampfstrecke Furka, die alte FO-Strecke zwischen Realp und Gletsch; ja und auch der Berg der Wanderer. Ich habe mindestens zwei getroffen, im Abstieg. Aber bald danach habe ich die Route via den Badesee genommen, und da ist auf dem ganzen langen Stück keine Sau zu sehen, was rojosuiza nicht gereut! rojosuiza hat ungestört gebadet in seinem Badesee. Während auf der vorderen Route auf der anderen Talseite der Auto- und Motorrad-Verkehr rauscht, ist man hinten ganz allein und ist es völlig still...
 
Dann eine kleine Überschreitung eines unwesentlichen Passes. Auf der anderen Seite ist man im Einflussbereich der Furka. Es gibt plötzlich sehr viele Wanderer hier, und später auf der Strasse einen Haufen (Auto-)Verkehr. Im Bellevue kehre ich ein und will auf das Postauto warten. Aber der Trampel von der Passhöhe zum Bellevue hat so lange gedauert, dass das Postauto Richtung Oberwald an mir vorbei fährt, während ich noch beim Kaffee bin: ich hätte es aus dem Fenster des Bellevue heraus anfassen können. Der Gegenkurs nach Realp geht in einer Stunde, um 17.38. Das ist zu lange um einfach stillzusitzen. Ich beschaue mir den Massenaufmarsch der Autotouristen – kein schöner Anblick. Am Ende des Rhonegletschers hat sich, vor dem ehemaligen Abbruch, ein wunderschöner Gletschersee gebildet, aber um ihn richtig sehen zu können, muss man von den Pächtern des Restaurants einen Eintritt zur Gletschergrotte kaufen… was ich lieber nicht tue: für Naturschönheit zahlt rojosuiza keinen Eintritt.
 
Doch sieh: eine Strassen-Windung weiter unten, von dort aus hat man freie Sicht, wenn nicht auf das Gletscher-Seelein, so doch auf den früheren Gletschersturz mit seinen abgefeilten und geputzten Felsen, worüber nun statt Eis die Wasser herabstürzen. Da gehe ich jetzt erst einmal hin, und alles ist so schön, dass ich beschliesse, in Gottes Namen hinabzuwandern nach Gletsch und Oberwald. Ich steige zur jungen Rhone hinab. Die Wasser gehen so hoch und schnell, die Gischt stiebt meterweit, und die polierten Ufer glänzen vor Nässe. Abspringen und drüben wieder landen ist mir hier zu riskant, auch wenn der Fluss sich an einigen Stellen tief eingegraben hat und es gar nicht steil ist. Es ist mir erst geschienen, als ob eine Landung an sich möglich sei. Aber ein einziger Rutscher wäre der letzte! Ich verzichte auf den Sprung, und mache stattdessen die Bekanntschaft von Mutter und Kind.
 
Gar so träge wie das Murmeltier, das ich vorher näher an der Strasse gesehen habe, sind die zwei nicht. Immerhin bewegen sie sich noch langsam von mir fort. Das Murmeltier ist ruhig sitzengeblieben und hat einfach nur kontrolliert, was geschieht. (Viel geschieht im Allgemeinen nicht, eine Autotourist ist doch kein Jäger, das Murmeltier weiss das nur zu gut!)
 
 
Der Bereich auf der anderen Seite des Flusses ist mir von einer früheren Begehung vertraut. Die Steilheit hält sich sehr in Grenzen und von da aus finde ich den Weg hinunter zu den Hotels von Gletsch leicht. Da ich die wilde Rhone hier nicht ohne Risiko überspringen kann, bleibt übrig: ein Wiederaufstieg zur Strasse oder ein Abstieg hinunter aufs  Plateau von Gletsch auf meiner, der orographisch linken Seite. Der Abstieg ist ziemlich steil. Ich finde mich schliesslich wieder in einem kleinen Bachbett mit einer Art Haselstrauch. Der Strauch ist sehr hilfreich; er gibt mir beim Turnen extra Griffe und Halt. Was Wasser kann, kann Mann nicht: Meterweise Hinabspringen nämlich. Also ist ein Abstieg durch so einen ‚Riss‘ immer riskant: Plötzlich kommt ein Satz und der einfache Mensch kann nicht mehr weiter. Der Satz kommt, und ich muss aus dem Spalt heraus ausweichen, mehr zur Mitte auf den abgeschliffenen Fels hin. Ein paar Tritte muss ich tun auf abwärts gerichteten Vorsprüngen, die immer schmäler werden, und die Griffe für die Finger sind knapp geeignet, um das Gleichgewicht zu halten. Jesus, Maria und Josef! entfährt es dem Ungläubigen. Wenn das nur gut geht! – Es geht gut. Nach einem Dutzend Höhenmetern bin ich zurück im Riss und die Gefahr ist vorüber. Ich bin zwar noch nicht ganz in der Ebene, aber es wird gut gehen. Es geht wirklich gut, ich stehe bald in der Ebene. Stehen ist zwar etwas übertrieben; es ist eher kauern. Die Büsche, die mir geholfen haben, jetzt werden sie mir zum Fluch. Sie bilden ein Dickicht, das kaum zu durchbrechen ist.
 
Von oben hat man am Anfang meines Abenteuers den freien Überblick auf die Ebene unten gehabt. Es muss in der Nähe vor mir in diesem Dschungel eine passierbare Stelle geben. Die Rhone macht hier drei kleine Arme. Es ist nicht so steil, wie es nur wenig weiter oben ist, wo der Wasserdruck die Überschreitung unmöglich machen würde. Und das Wasser verteilt sich auf drei Teile. Viel weiter unten könnte ich dem Hauptwasser ganz ausweichen, aber dazu müsste ich mich voraussichtlich stundenlang durch diesen Wirrwarr von Sträuchern hauen. Ausserdem würde es da auch nass: da kommt das Mutt-Wasser.
 
Ich muss die Dreier-Passage erzwingen! Es ist kritisch, wegen des hohen Wassers, der schnellen Strömung und der unwägbaren Tiefe. Einen Fehltritt kann die Sache nicht ertragen. Ich kann mich an unschuldigere Überquerungen erinnern, wo man zuerst die Hose ausziehen konnte, um sie trocken zu halten. Davon ist hier keine Rede. Kein freies Ufer, überall ist hinderndes Gebüsch. Also kein Vorspiel, drauf und rein. Das erste Stück gelingt. Es ist tiefer als gedacht. Im zweiten Flussstück muss ich mich nach vorn auf einen grossen Stein werfen, damit ich nicht hintenüber umgeworfen werde, und abtreibe. Mit Mühe kann ich mich vom Stein wieder abstemmen – ich werde wie festgesaugt – und die nächsten paar Schritte machen, die mich ans andere Ufer bringen. Jetzt steht der dritte und letzte Flusslauf vor mir, er ist am breitesten und wohl am tiefsten. Am liebsten den nicht! Aber wer A sagt, muss auch B sagen! Das Wasser gurgelt und reicht mir bis zur Brust. Der Rucksack wird schwerer, der Kopf hüpft wie ein Bällchen auf der Wasseroberfläche. Jetzt schlägt das Wasser gar über ihm zusammen. Aber nur Sekundenbruchteile: Ich bin drüben! – Dem Adrenalin sei Dank!
 
Pflotsch! Pflotsch! Pflotsch. Es ist nichts mehr trocken an mir. Kamera und Telefon sind an der höchsten Stelle im Rucksack – sie haben wie durch ein Wunder überlebt. Der ganze Rest ist gewaschen von der Rhone. Ich finde bald den Pfad, der aus der Schwemmebene hinaus zum Hotel Rhonegletscher führt. Es beginnt, leicht zu regnen. Ich lache nur: des Menschen Wille ist sein Himmelreich! – und ich bin schon ganz durchnässt ohnehin. Was soll mir Regen dann noch anhaben! Jetzt kommt Walliser Wind. Bis jetzt habe ich keine Kälte gespürt, aber bei seinem ersten Hauch beginnt der Körper zu zittern. Kurz erwäge ich: Hinabmarsch nach Realp. Aber das wäre wirklich dumm, im Nu wäre ich total ausgekühlt. Nur ins Hotel ist klug. Ausziehen den nassen Plunder und sofort ins Bett, damit man wieder warm wird.
 
rojosuiza wird wieder warm, und trotz kurzzeitig eher mässigen Umstände findet er jetzt, dass bei seiner Wanderung über die Furka wirklich alles perfekt gelungen ist.
 
Alles T2, aber der Exkurs über den alten Gletscherabbruch T6
'eine Art Haselstrauch' ist die Grünerle - hikr bildet!

Tourengänger: rojosuiza


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