Von 0 auf 4808 - Mit dem Velo und zu Fuss vom Mittelmeer auf den Mont Blanc
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Von wo aus und wie besteigt man einen Berg? Zwei Fragen, auf die es wohl ähnlich viele Antworten gibt, wie Menschen, die Berge besteigen. Geht man von der nächsten Hütte, dem nächsten Talort oder startet man noch weiter unten? Wie weit nach oben tragen einem Bahnen, E-Bike oder das Auto? Und ab wann gilt nur noch die eigene Muskelkraft?
Im September 2012 machten wir uns im Rahmen eines Ferienprojekts mit der Kanti auf, mit dem Velo von Wohlen ans Mittelmeer zu fahren. Als wir dann von einem Pass in den Französischen Seealpen zum ersten Mal zum Mont Blanc hinüber sahen, keimte in mir der Gedanke, dass es doch eine ganz feine Sache wäre, den höchsten Gipfel der Alpen by fair means von Meereshöhe aus zu besteigen. Also den höchsten Berg unseres Heimatgebirges stellvertretend für alle anderen Gipfel, von seiner tiefsten Basis anzugehen.
Erst war das Projekt noch zu gross für mich, dann kamen immer andere Berge und Ideen dazwischen. Die Zeit vergeht.
Nachdem die letzten Jahre durch Familie und Hausumbau keine Zeit für umfangreichere Berg-Projekte geblieben war, kribbelte es langsam in meinen Fingern und auch Corina ermutigte mich, wieder einmal etwas Grösseres anzugehen. Diesen Sommer schien nun so endlich die Zeit für den Mont Blanc gekommen, zumal sich das ganze recht gut mit Familien-Büsli-Ferien und der Hochzeit meiner Schwester in der Toscana kombinieren liess.
Die Umstände und Zeitverhältnisse rieten zu einer möglichst direkten und schnörkellosen Linie: Start in Savona, kurz dem Meer entlang und via den Colle del Giovo über den Apennin, durch die Po-Ebene ins Aostatal und schliesslich von Courmayeur über den Tournette-Sporn auf den Mont Blanc. Eine rein italienische Variante also, was ganz gut zu diesem für mich italienischen Sommer passt, in dem mich neben Ferien & Hochzeit auch die Arbeit mit zwei Projekten in der Toscana und in Venedig nach Italien führte.
Die Route verteilt sich auf 312km & +3600hm / -1630hm die mit dem Fahrrad und 10km & +2940hm / -120hm die zu Fuss zurückzulegen sind. Da ich nicht wirklich zum Trainieren gekommen bin und auch Zeit für die Familie bleiben soll, teile ich den Velo-Teil eher gemütlich in drei Tagesetappen. Für den alpinen Teil sind zwei Tage kalkuliert. Damit mir Wetter und Verhältnisse keinen Strich durch die Rechnung machen, reserviere ich mir total 18 Tage zwischen dem 6. und 23. Juli um das Projekt zu realisieren.
Ein regnerischer Frühsommer lässt dann trotzdem Zweifel aufkommen und es wird bald klar, dass die Verhältnisse am Tournettesporn in der ersten Woche sicher noch nicht passen. So ist Akklimatisation zuhause in den Glarneralpen angesagt. Am ersten Tag mache ich vom Klausen aus die hübsche Überschreitung des Chammlibergs von Süden nach Nordosten und gehe weiter über den Clariden in die Planurahütte. Dort ist am nächsten Morgen dank den mässigen Wetterprognosen Ausschlafen und «dolce far niente» rund um die Hütten-3000er Piz Cazarauls und Hinter Spitzalpelistock angesagt. Am Nachmittag kommt Tobi in die Hütte, der mich auch auf der letzten Etappe am Mont Blanc begleiten wird. Da das Wetter nach wie vor besser ist als vorhergesagt, spazieren wir noch einmal auf den Piz Cazarauls und vertreiben die Zeit bis zum Nachtessen mit einem Refresh zur Spaltenrettung.
Zum Abschluss der Akklimatisationszeit klettern wir am Donnerstag durch die Bocktschingel Südwand (Sanuk, 8 SL, 4c) und statten im Abstieg über das Tüfelsjoch noch dem selten bestiegenen Gross Tüfelsstock einen kurzen Besuch ab.
Wetterbericht und Verhältnisse für den Mont Blanc sehen mittlerweile besser aus. Nur macht mir jetzt beim Packen am Freitag eine leichte Grippe mit knapp 39° Fieber zu schaffen. Wirklich vernünftig ist es so ja nicht, in ein solches Projekt zu starten aber da die Unterkünfte für unterwegs teilweise bereits gebucht sind und ich mich am Samstagmorgen etwas besser fühle, fahren wir trotzdem mal nach Savona. Im schlimmsten Fall gibt’s halt Strandferien.
Zur Kur verschreib ich mir ein Bad im Meer, Pasta con tonno und ein Gläschen Rosé. Hilft zwar nix, ist aber gut fürs Gemüt.
So starte ich am nächsten Sonntag immer noch leicht fiebrig in die erste Velo-Etappe. In der Innenstadt Savonas heisst es erst einmal die Orientierung zu finden und sich besser schnell als langsam an die italienischen Strassenverhältnisse zu gewöhnen. Gefühlt survival of the fittest. Dass ich der heute nicht bin, zeigt sich spätestens auf dem Colle del Giovo, den ich in meiner Verfassung eher kläglich hinaufschleiche. Immerhin werde ich mit einer rassigen Abfahrt und einem erfrischenden Bad in einem natürlichen Pool bei einem Flüsschen an der Strecke belohnt.
Um Nizza Monferrato fahre ich kurz entlang der 3. Etappe der diesjährigen Tour de France, die wenige Tage zuvor hier vorbeigekommen ist und motiviere mich mit den übrig gebliebenen, farbenfrohen Strassenbemahlungen. Bei knapp 35° im Schatten, werde ich auf den letzten, steilen Metern im Etappenort Ottiglio zum Schluss vom besten Fanclub der Welt angefeuert und bin froh, dass ich endlich wieder ins Bett kann und die Fahrradstrecken nicht länger sind.
Am nächsten Morgen geht’s mir zum Glück schon wieder deutlich besser. Über die Po-Ebene lässt sich nicht viel mehr berichten, als dass sie mit dem Fahrrad eher eintönig zu befahren ist und sich in gefühlter Endlosschleife Reisfelder mit Reben, kleinen Dörfern und Pappel-Plantagen abwechseln. Etappenort ist Borgo im unteren Aostatal.
Die letzte Etappe mit dem Velo führt durchs Aostatal der stark befahrenen SS26 entlang hoch ins Val Veny an den Fuss des Mont Blanc. Die Grippe ist nun endgültig auskuriert und endlich geben die Wolken auch kurz vor Courmayeur einen ersten Blick auf den Gipfel frei. Vom Campingplatz fährt mir Corina mit Moritz entgegen und so können wir die letzten zwei Kilometer gemeinsam zurücklegen.
Am Mittwoch ist wohlverdienter Ruhetag. Bedeutet: Ausschlafen und mit dem Sohnemann für den Berg packen. Als Moritz dabei auf mich zu krabbelt und Papa sagt, sein erstes bewusstes Wort, ist für mich kurz rundherum alles vergessen. Etwas schöneres hätte er mir auf dem Weg zu Gipfel nicht mitgeben können!
Später fahren wir nach Courmayeur um Tobi vom Bus abzuholen. «Blood upon the risers» & «Knockin’ on Heaven’s Door» aus den Lautsprechern und der letzte freie Parkplatz Courmayeurs direkt beim Friedhof sind dabei nicht gerade die besten Mutmacher. Auch das Matteo vom Camping wegen der hohen Temperaturen eher von Touren am Mont Blanc und vor allem von seinen steilen Flanken abrät lässt erneut leichte Zweifel aufkommen. Für den Sporn sehen aus unserer Sicht die Prognosen aber eigentlich recht gut aus und so gehen wir nach einem gemütlichen Abend zuversichtlich und mit einem guten Gefühl ins Bett.
Endlich sind die Bergetappen des Projekts angebrochen. Zuerst gilt es dabei die letzten Velo-Meter hinauf zum Rifugio Combal zurückzulegen. Für Tobi mit etwas Kinder-Bike-Feeling, da das Fahrrad von Corina nicht optimal zu seiner Körpergrösse passt. Im schmucken Rifugio gibts ein Gipfeli und guten Cappuccino. Wie Matteo vom Camping, ist auch der dortige Hüttenwart Bergführer und gibt gerne Auskunft zu den aktuellen Verhältnissen, fragt sogar noch bei Führer-Kollegen für aktuellste Infos nach. Im Gegensatz zu Matteo ist er deutlich zuversichtlicher und berichtet von top Bedingungen auf der Südseite des Monte Bianco. Netterweise dürfen wir auch unsere Velos während der Tour gratis bei der Hütte parkieren.
Aiguille Noire de Peuterey, Steingeissen mit Kitzen und die weiten der Schwemmebene von Combal bilden die eindrückliche Kulisse, als wir den schuttbedeckten Glacier du Miage betreten. Von steilen Wänden und durch Hängegletscher geprägt, öffnet sich damit für uns eines der wildesten hochalpinen Täler der Alpen. Die höchsten Gipfel ragen vom Gletscher über 2400 Meter in den Himmel.
Bald ist der Abzweiger zum Rifugio Quintino Sella erreicht und nach kurzer Suche des Einstiegs, finden wir die mit Gartenschläuchen ummantelten Fixseile, die den ersten Teil des steilen Aufstiegs über glatte Felsen und saftige Blumenwiesen durchgehend absichern. Ohne wäre das eine recht anspruchsvolle und teils heikle Kletterei. Im orientierungstechnisch anspruchsvollen mittleren Teil geht’s über steiles Schrofengelände und Schutt auf den Grat. Auf dem restlichen Weg zur Hütte bleibt Zeit die Eindrücke dieser aussergewöhnlichen alpinen Wildnis voll aufzusaugen und die verbleibenden Kraxelstellen auf dem Grat zu geniessen.
Zum Biwak fanden sich in der Vorbereitung widersprüchliche Angaben. Auf der offiziellen Webseite des CAI und auf Onlinekarten wird die Hütte als geschlossen und durch strukturelle Schäden unbenutzbar beschrieben. Aktuelle Berichte von einheimischen Bergführern zeigen aber, dass die nicht ganz so schlimm sein können und die Hütte immer noch genutzt wird. Wir sind auf jeden Fall froh, dass sich die Schäden vor Ort als nicht all zu gravierend herausstellen. Das Rifugio Sella gehört für mich zu den schönsten hochalpinen Hütten überhaupt. Ähnlich der Berglihütte reist man mit dem Schritt über die Türschwelle in eine andere Zeit. Am Nachmittag bleibt noch genug Zeit, diesen urtümlichen, vielleicht bald vergangenen Ort zu geniessen.
Wir liegen bereits unter den warmen Wolldecken, als wir um 21:30 plötzlich Stimmen vor dem Biwak hören. Ein völlig erschöpftes deutsches Pärchen hat mit der Dunkelheit die Hütte erreicht. Sie waren vom Tal her über 12 Stunden unterwegs und haben sich im Mittelteil gröber verstiegen. Wir schauen ob alles in Ordnung ist und tauschen uns kurz aus.
In den wenigen verbleibenden Stunden vor dem grossen Tag versuchen wir uns auf den Betten mit Massen für Appenzeller so gut als möglich zu erholen und noch ein Auge zuzudrücken.
Um 1:15 klingelt der Wecker und eine knappe Stunde später starten wir bei klarem Sternenhimmel zur letzten Etappe. Die Temperaturen sind mild und der steile Firnhang hoch zum Glacier du Mont Blanc optimal um sich aufzuwärmen. Oben auf dem Gletscher bläst dann ein eisiger Wind und in fahlem Mondlicht ragt drohend und gewaltig der Mont Blanc mit seiner steilen Miageflanke in den dunkeln Himmel. Wir überqueren den spaltenreichen aber gut eingeschneiten Gletscher und suchen uns durch die Lawinenkegel der vergangenen Tage den besten Weg zum Einstieg in die Flanke und zum Tournettesporn. Plötzlich poltert es von oberhalb. Ein paar kleinere Eisbrocken stürzen aus der Dunkelheit auf uns zu. Dem gröbsten können wir ausweichen, einer streift mich trotzdem am Fuss. Zum Glück ohne Folgen. Spätestens jetzt sind wir hellwach. Ansonsten ist es ruhig in der Flanke und auch im Zustieg haben wir keinen weiteren Eis- oder Steinschlag wahrgenommen. Also weiter und möglichst zügig auf den Sporn. Das mit dem «zügig» wird leider nicht wirklich was. Das Gelände wird nach dem Bergschrund immer steiler und guter Firn ist Mangelware. Immer wieder brechen wir knie- bis hüfttief durch mühsamen Bruchharst und darunter finden die Steigeisen auf dem glatten, vereisten Fels häufig kaum Halt. Dass wir uns in der Dunkelheit nicht sicher sein können, ob wir das richtige Couloir anpeilen und vor allem auch nicht sehen können, woher der Eisschlag vom Einstieg gekommen ist, trägt auch nicht gerade zu einem Gefühlshoch bei.
Unter einem geschützten Felsen beziehen wir Stand und klettern in Seillängen weiter. Stürzen ist trotzdem keine Option: Gute Placements für Keile & Friends sind rar und Eisschrauben lassen sich oft nur wenige Zentimeter eindrehen. Immerhin sinken wir nicht mehr so tief ein und erahnen mit der Dämmerung, dass wir wohl am richtigen Ort klettern. Dafür ist der Fels jetzt mit Wassereis überzogen. Es ist kalt. Ich zweifle langsam ob das so noch was wird. Mit gutem Firn oder in trockenem Fels wäre der Aufstieg hier eigentlich kein Problem und eine kurze Sache…
Mit dem Tagesanbruch erreichen wir endlich die angestrebte Scharte im Sporn. Ein Fixfriend gibt uns definitiv die Sicherheit am richtigen Ort zu klettern und die Verhältnisse am Sporn sehen deutlich besser aus als im Couloir. Also entscheiden wir auch hier: Weiter!
Auf dem Tournettesporn selbst wird der 3. Grad nur selten gestreift. Vergnüglicher Firn wechselt sich mit leichten, nicht immer ganz festen Kraxelpassagen ab und endlich gewinnen wir zügig an Höhe. Diese macht sich auch zunehmend bemerkbar. Bereits der Einstieg in den gut 900 Meter hohen Sporn liegt auf 3750 Metern…
Die letzten, steilen 200hm bis zum Gipfelgrat umgeht man laut unserer Führerliteratur in einem Couloir in der ebenfalls steilen, rechten Flanke. Auf uns wirkt das wenig amächelig. Wir bleiben am Sporn und sichern die folgende, teilweise exponierte, vereiste und etwas heikle Kletterei in Seillängen. Zwei Schlaghaken zeigen, dass wir nicht die ersten sind, die den Anstieg direkt beenden. Laut den Berichten im Internet, machen das die meisten so.
Nach den letzten Felsen, kurz vor dem Gipfelgrat, wird’s emotional. Alle Schwierigkeiten liegen unter uns und zum ersten Mal bin ich mir wirklich sicher, dass wir es schaffen. Trotz der Höhe versuche ich die letzten Meter auf der Normalroute so gut als möglich zu geniessen. Und dann geht es plötzlich nirgends mehr weiter nach oben… Geschafft! Was für ein Moment! Am sechsten Tag seit dem Aufbruch am Meer, um 11:30, stehe ich aus eigener Kraft auf dem höchsten Gipfel der Alpen. Auch Tobi hat etwas Augenpipi.
Mittlerweile sind Wolken und Nebel aufgezogen. Allzu lange bleiben wir nicht auf dem Gipfel. Die Verhältnisse auf den Gletschern im Abstieg über die italienische Normalroute werden nicht besser. Die Zeit drängt. Der erste Teil des Abstiegs über den oberen Bossesgrat ist wunderschön. Wie im Flugzeug scheinen wir über allem zu schweben. Dann werden wir zwischenzeitlich komplett eingenebelt und es wird etwas eisig. Nach dem Col du Dôme ist Tobis Gipfelhunger noch nicht ganz gestillt und er will noch dem nahen Dôme du Goûter einen kurzen Besuch abstatten. Mich plagen stattdessen nicht ganz so erhabene menschliche Bedürfnisse und so bleibt uns bei der ersten längeren Pause des Tages Zeit, das jeweilige Bedürfnis zu verrichten befriedigen.
Vor dem Piton des Italiens wird der Grat noch einmal recht scharf und etwas ungläubig blicken wir zum eleganten und noch schärferen Grat hinüber zur Aiguille de Bionnassay, die bei der Planung noch kurz als Fortsetzung diskutiert wurde. So im Falle, dass alles perfekt und zügig laufen würde… We dreamed du, näi!
Die Sonne brennt mittlerweile wieder vom Himmel und über steile Grätchen und Flanken erreichen wir den spaltenreichen Glacier du Dôme. Auf dem Gletscher sinken wir zwar teilweise etwas ein, Spur und Verhältnisse sind aber besser als befürchtet und im Eilschritt schlängeln wir uns so an grossen Spalten und eindrücklichen Gletscherbrüchen vorbei und machen, dass wir so schnell wie möglich vom Gletscher kommen. Um 14:45 erreichen wir endlich die Gonellahütte. Die Anspannung fällt ab, so gut wie geschafft! Ich schreibe schon mal Corina, dass alles gut gegangen ist… Wenn das nur nicht zu früh war?
Der erste Teil des Hüttenwegs ist immer noch steil und von zahlreichen Schneefeldern durchzogen. Schon etwas müde, verpassen wir eine Abzweigung und folgen falschen Spuren auf ein abschüssiges Schneefeld. Der Pickel zur Hand, die Steigeisen bleiben im Rucksack. Und dann passiert es: Ich sehe aus den Augenwinkeln wie Tobi vor mir ausgleitet und schaue hilflos zu, wie er den Hang hinabrutscht. Ich kann kaum fassen, was da gerade passiert und fürchte das schlimmste. Aber Tobi schafft es irgendwie seine Fahrt mit dem Pickel abzubremsen und an den Seitenrand des Schneefelds zu lenken, wo er kopfüber in der Randkluft zwischen Schnee und Fels stecken bleibt. Zum Glück! 30 Meter weiter unten wäre das Schneefeld in ein beinahe senkrechtes Couloir abgebrochen… Zum grossen Glück ist Tobi bis auf ein paar leichte Blessuren am Ellbogen auch unverletzt. Nur selbständig befreien kann er sich aus seiner misslichen Lage nicht. Doof auch, dass das Seil in seinem Rucksack ist. Ich klettere in brüchigem Schrofengelände in seine Nähe, kann einen Stand einrichten und dann mit meinem 5m Reepschnurstück und allen Schlingen die ich dabei habe trotzdem noch ein Fixseil basteln, dass bis zu Tobi runter reicht und an dem er sich schlussendlich wieder hochziehen kann. Phu!
Schweigsam, emotional und körperlich ziemlich ausgepumpt, setzen wir den Abstieg auf dem nun wieder richtigen Weg fort. Die schuttbedeckten Weiten des Glacier du Miage scheinen ewig und als wir endlich die Moränen im Val Vény erreichen, peitscht uns stürmischer Wind erste Regentropfen ins Gesicht. In der Cabane du Combal stärken wir uns noch mit Espresso & Cola an der Bar und rollen dann mit unseren Zweirädern das Tal hinunter. Nach 18 Stunden auf Tour erwarten uns am Tor zum Campingplatz Corina, Moritz und Milo. Der schönste Empfang, den ich mir nach all den Strapazen vorstellen kann!
Am nächsten Morgen begleiten wir Tobi nach Courmayeur und verabschieden uns bei Caffè & Gelato. Danach bummeln wir etwas durch das Dorf und feiern später Moritz 1. Geburtstag auf dem Campingplatz.
Mit dem angesagten, schlechten Wetter verlassen wir das Val Vény Richtung Toscana. Dort gibt’s bei perfektem Wetter mit knapp 40° viel Familytime, gutes Essen, Wein und wohl dosiertes Sightseeing. Und natürlich feiern wir die Hochzeit meiner Schwester! Zum Abschluss dieser Erholsamen Tage, legen wir vor Genua noch einen ausgedehnten Zwischenstopp mit Übernachtung ein. Am Strand liegend, Blick Richtung Norden, kommt mir das Erlebte mit all seinen Wendungen und Emotionen zwar immer noch unwirklich vor, aber die Alpen scheinen irgendwie nicht mehr ganz so hoch, wie sie es für mich vor diesem Sommer einmal waren.
Route Fahrrad:
Von Italienischen Staatsstrassen (SS, Strade statali) bis über kurze Abschnitte auf gut fahrbaren Schotterwegen ist man auf allem unterwegs, was Italiens Strassen für Velofahrer zu bieten haben.
Strecke: Savona – Colle del Giovo – Arzello – Castel Boglione – Nizza Monferrato – Felizzano – Ottiglio – Crescentino – Cigliano – Ivrea – Borgo – Aosta – Courmayeur – Val Vény – Cabane du Combal
- 312km
- +3600hm / -1630hm
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Karte
Die Route ist nur bis Courmayeur auf der Karte eingezeichnet. Ab Courmayeur auf die Via Val Veny und auf dieser durch das Tal und bis ans Ende der Strasse bei der Cabane du Combal.
Die stark frequentierte SS26 durchs Aostatal kann durchgehend direkt befahren werden oder man umgeht einzelne Abschnitte in den Dörfern. Vor allem in Aosta selber ist das zu empfehlen.
Zu Fuss:
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Hüttenweg
Von der Cabane du Combal (1972m) auf Wanderwegen auf die Seitenmoräne des Glacier du Miage und auf dieser bis zu den Felsen am Eingang des Gletschertals. Kurz recht steil und mühsam über Moränenschutt runter auf den schuttbedeckten Gletscher (T5). Auf der linken Talseite ca. 3km aufwärts und hinüber zum Fuss des Hüttensporns auf 2450m. Einstieg in den Platten links des Hängegletschers (Glacier du Mont Blanc). An Fixseilen über steile, glattgeschliffene Platten und blumenreiche Schrofen aufwärts (T5/WS II, bei beschädigten Fixseilen frei ca. IV), bis die Fixseile nach einer markanten Rinne in einer geneigten Wiese enden. Über die Wiese schräg aufwärts zum anschliessenden Felsriegel, den man an seinem schwächsten Punkt, ca. in der Mitte angeht. Erst schräg links über steile Schrofen aufwärts, dann wenn die Neigung etwas abnimmt immer dem leichtesten Gelände nach auf den Grat (T6 II). Ab hier wenige Steinmännchen & rosa Punkte. Auf dem Grat oder leicht rechts davon in leichter Kletterei & Gehgelände aufwärts, am Standort der alten Hütte vorbei bis unter den letzten steilen Aufschwung vor der Hütte. Durch die Rinne in der Mitte hoch (BH, II) und zum Rifugio Sella (Wolldecken, Kocher selber mitnehmen). Total T6 WS+ II, 6h.
Achtung: Die Fixseile sind teilweise leicht beschädigt und sollten vor Belastung jeweils gut geprüft werden. Die Hütte ist wegen einer Geländeveränderung im Untergrund offiziell geschlossen (sichtbar durch die verfallenden, zum Glück nicht tragenden äusseren Steinmauren und den leicht schrägen Boden). Sie wird aber durch Stahlseile gesichert und ist trotzdem noch gut nutzbar. Die Situation wird vom CAI überwacht. Vor einem Besuch unbedingt aktuelle Situation abklären! (Stand Juli 2024)
Tournettesporn
Bis zur Entdeckung des Papstwegs (Gonella Route) im August 1890 war der Tournettesporn während knapp 20 Jahren die gängige Route von der italienischen Seite auf den Mont Blanc. Heute bietet der Sporn einen landschaftlich grossartigen, direkten und wilden Aufstieg in kombiniertem Gelände abseits der grossen Massen. Trotz nicht all zu hohen technischen Schwierigkeiten ernsthafter Anstieg, der nicht allzu oft gute Verhältnisse (Trittfirn & trockener Fels) aufweist.
Von der Hütte über leichte Felsen schräg runter ins breite Firncouloir (Steinmann, I-II). Über den steilen Seitenarm des Glacier du Mont Blanc schräg rechts aufwärts auf die breite Firnschulter südöstlich der Rochers du Mont Blanc (40°-45°). Bei Ausaperung kann man in die rechten Felsen ausweichen.
Anschliessend Querung des spaltenreichen Beckens des Glacier Occidental du Mont Blanc bis zum Einstieg in den Tournettesporn auf 3750m.
Der erste, steile Teil wird rechts in der Miageflanke umgangen. Über den Bergschrund und die immer steiler werdende Gletscherflanke aufwärts. Sich allmählich wieder links haltend über einen zweiten Schrund und bald steil in einem Couloir über Firn oder glatten Fels in die Scharte nach dem ersten Abschnitt des Sporns auf gut 4000m (45°-50°, I-II, Stein-& Eisschlaggefahr! Fixfriend in der Scharte). Man könnte bei guten Firnverhältnissen auch über ein schmales Couloir weiter rechts ansteigen (Goulotte Alexis), welches den Sporn erst auf 4200m erreicht oder man steigt noch weiter rechts über das grosse Firnfeld auf.
Nun in leichtem, teilweise etwas brüchigem Felsen und über kurze Firnabschnitte dem Sporn entlang aufwärts (40°, I-II, wenige Stellen III-), bis man auf ca. 4400m den Firngrat der äusseren Firnfelder des Glacier de la Tournette erreicht. Über diesen leicht bis unter den letzten, steilen Aufschwung (Rocher de la Tournette). Die letzten 200hm des Sporns kann man in einem Couloir rechts in der Miageflanke umgehen oder man ersteigt die Felsen direkt in hübschem aber etwas heiklem kombinierten Gelände und umgeht die steilsten Stufen nur kleinräumig (II-III, kurze Stellen III+ & IV-, 2 Haken). Zuletzt über die obersten Meter des Bossesgrat leicht auf den Gipfel des Monte Bianco (4808m). Total ZS+ 50° IV-, je nach Verhältnissen und Akklimatisation 7-10h.
Abstieg je nach Verhältnissen und Kondition über die lange italienische Normalroute zurück ins Val Vény (Nur bei guten Verhältnissen auf dem Glacier du Dôme) oder etwas kürzer über den französischen Normalweg oder die Trois-Monts-Route und die Aiguille du Midi.
Anmerkungen:
I: Hier der Bericht von Tobi auf bergmomente.ch
II: Ich habe keine weiteren Nachweise von Mont Blanc Besteigungen vom Mittelmeer aus gefunden. Die Tour ist aber logisch und es ist entsprechend sehr wahrscheindlich, dass sie schon so oder ähnlich ausgeführt wurde. Die Zeit hat bei meinem Projekt keine Rolle gespielt. Die Route bietet sich aber durchaus auch ambitionierten Extremsportlern an. Wer schafft die erste Begehung in einem Zug in unter 24 Stunden?
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