Bettlach-Erschwil oder vom Mittelland ins Schwarzbubenland: Weitwandern im Jura


Publiziert von Hallodri82 , 8. November 2024 um 23:53.

Region: Welt » Schweiz » Solothurn
Tour Datum: 5 November 2024
Wandern Schwierigkeit: T2 - Bergwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-BE   CH-SO   CH-JU 
Zeitbedarf: 10:00
Aufstieg: 3040 m
Abstieg: 3030 m
Strecke:50

Wer im Jura möglichst effizient hoch auf den majestätischen Kämmen weitwandern möchte, der weiss, dass dafür einige neuralgische Punkte beachtet werden müssen. Beispielsweise entscheidet sich der Wanderer am unbekannten Col de Pierre Pertuis, ob er/sie fortan "südlich der Birs" oder "nördlich der Birs" weiter wandern möchte. Jede spätere Querung macht die Route weniger effizient;-)

Ein weiterer solcher neuralgischer Punkt ist das Dorf Gänsbrunnen. "Dorf", meinte zwar mein Kollege, der aus Tavannes stammt und in Sonceboz die Lehre gemacht hat, scherzhaft. So klein ist es. Doch nirgends kann man effizienter von der ersten Solothurner Jurakette auf die zweite Kette transferieren, als dort. Quert man früher bzw weiter westlich, via die höher gelegene Binzberg-Passhöhe, so gelangt man auf den Oberdörferberg/Graitery, welcher dann gerade wieder runter führt - nach Gänsbrunnen - und gewissermassen ein einzelner, abgeschlossener Berg ist, ringsherum von Tälern und Klusen begrenzt. Quert man später, bzw. weiter östlich, vernichtet man mehr Höhenmeter, weil die Dünnern da vor Tausenden von Jahren das majestätische, sanft abfallende Thal (mit-)geschaffen hat.

Spannend ist auch die Achse Zentner-Matzendörfer Stierenberg-Scheltenpass, wo man ohne unter 1'000 MüM gehen zu müssen von der zweiten auf die dritte Solo Jurakette transferieren kann. Ist man erst mal auf der dritten Kette, so kann man - stets effizient die Strassenpasshöhen kreuzend bis ans Aareknie bei Wildegg marschieren und die einzigen Dörfer die man gerade noch so passiert am Rande sind Langenbruck (Oberer Hauenstein) und, nun ja, Hauenstein (Unterer Hauenstein).

Dies ist mit ein Grund, weshalb ich kein Fan bin vom Jura-Höhenweg (im Abschnitt der Kantone Solothurn/Aargau. Er bleibt im Solothurnischen auf der 1. Kette (vermutlich "weil du da bei guter Föhnlage von Mooh Blaah bis Glärnisch siehst"), verschmäht die mE durchaus wunderschöne, wuchtige zweite Kette, geht in Balsthal bis ins Tal runter, obwohl ja zwei Ketten weiter hinten (über den Vogelberg) die Höhe gehalten werden könnte und bewegt sich im Aargau dann ab Staffelegg irgendwie Chrüsimüsi über den "Bözberg" etc wohingegen doch eigentlich der Hauptkamm weiter vorne logisch weiter führen würde (Hombergegg, Gisliflue) / wenn auch merklich kürzer.


Item.

Die heutige Weitwanderung befolgte diese effizienten/neuralgischen Prinzipien teilweise - aber nicht immer. Ziel war, vom Mittelland aus so ungefähr in Süd-Nord-Richtung mit in Richtung meiner Heimat vorzuarbeiten. Endziel unbekannt, ich würde am Nachmittag eine Einschätzung machen wie weit ich gekommen bin und wo ich "aussteigen" werden muss, um rechtzeitig meine Kids um 18h von der KITA im "Mittelbaselbiet" abzuholen. Meine generelle Fitness und meine Tagesform sollten als meine Route ein Stück weit mitbestimmen. Und auch die schöpferische Kraft des Schweizer ÖV durfte ich ausnutzen.

Die Tour kann man gewissermassen in 5 Abschnitte einteilen (ein Abschnitt pro Haupt-Aufstieg sowie die Schlussetappe). Ich verzichte grossmehrheitlich auf detaillierte Routenbeschreibung (insbesondere auf dem sehr touristischen ersten Abschnitt (also für Jura-Verhältnisse), da praktisch vollständig auf den offiziellen WW (mal abgesehen vom Must Have-Abbruchweglein an der Wandflue, das aber natürlich eigentlich der inoffizielle offizielle WW ist).

1) Bettlach-Hasenmatt: Aufstieg auf die erste Solo Jurakette
11.4km, 1'227d+, 229d-; 0 Personen gesehen.

Startort Bettlach um 6:20 in der Früh, aufgrund der dortigen S-Bahn-Station und der Tatsache, dass man von dort aus etwas schneller im Aufstieg zur 1. Solo Jurakette ist als von Grenchen aus.

Neblig ist's, aber zum Glück nicht sonderlich feucht. Freundlich grüssen mich ein paar Hündeler. Die Jura Südfüssler sind ja sowieso ein sehr nettes Völklein. Es sollten für lange, lange Zeit die einzigen Personen sein die ich sehen werde. Im Wiesen-Abschnitt Bielershof bis Pt 610 mache ich direkt meine Nicht-GTX Trailrunner pflotschnass bis auf die Socken. Naja, besser als GTX-typische Blasen auf einer derart langen Tour. Bereits ob der steilen Wiese Hofacker bin ich aus dem Nebel draussen. "Das dürfte heute episch werden oben auf der Wandflue", denke ich mir. Kurz vor Bettlachberg Alpwirtschaft tritt man aus dem Wald heraus und es war einfach bereits wunderschön. Die wellige, abgegraste Alpweide, die bereits leuchtende Wandflue, der Herbstwald des Bettlachstocks, das Nebelmeer und dahinter die pink gefärbten Alpen. Ich verzichte auf ein Foto, weil ich fokussiert das Ängloch noch abarbeiten möchte. Wenn man zu den Felsen hochschaut kann man sich nicht vorstellen, dass dort ein Wanderweg hochleitet, aber siehe da (für mich wohlbekannt), das Steiglein ist einfach enorm smart angelegt. Nie sonderlich steil, nicht mal wirklich abschüssig führt es hoch, unter die Felsen und dann auf ein paar Betonstufen hoch zur Wandflue. Schwierigkeit übersteigt nirgends ein T2.

Oben auf der Wandflue (nach 1h 25 Minuten ab Bettlach Bhf) verschlägt es mir schier den Atem. Freunde, das war einfach unvorstellbar schön da oben. Die Alpen zwar in ihrem eigenen Dunst und im Gegenlicht kaum ersichtlich, aber das ist mir gewissermassen sch***egal. Die Sicht von der Wandflue ist etwas vom schönsten, was die Schweiz zu bieten hat, schöner als der Creuz du Van, meiner Meinung nach.

Ab Ängloch bis zum Gipfelplateau der Stallflue verliere ich nun einiges Zeit mit Föttele (abgesehen von der unvorstellbar geilen Aussicht beobachte ich ein Dutzend Gemsen auf der Stallflue und erfreue mich ob der schönen Aussicht nach Norden auf dem tollen Abenteuer-Weglein entlang der Küferegg). Fokussiert geht es sodann runter zum Sattel und hoch zur Hasenmatt.    

2) Hasenmatt-HarzerAbstieg nach Norden ins Thal-(nun ja)-Tal und Aufstieg auf die zweite Solo Jurakette
11.2km, 574d+, 894d-; 1 Person gesehen (ein Bauarbeiter auf der Walenmattweid).

Fokussiert, in einer Mischung aus Joggen und Powerhiken mache ich mich an den Abstieg nach Gänsbrunnen (neuralgischer Punkt) durch den Gross Chessel sowie den Tunnel-Durchstich des Dilitschchopf-Grates. Der Weg zieht sich recht, ist aber eigentlich ganz schön abwechslungsreich. 

Das Dörflein Gänsbrunnen (Teil von Gänsbrunnen-Welschenrohr) wirkt still und verlassen. Sofort mache ich mich an den Wiederaufstieg. Zuerst auf der Malsenberg-Strasse (Beton). Diese ist dermassen steil, dass der Lastwagen/Betonmischer, der mich überholen möchte, nur unwesentlich schneller als ich den Berg hochkommt (und ich bewege mich langsam...). Der gestrichelte Weg, der in NW-Richtung zum Grat führt ist genau so steil. Und das Steiglein, welches der Abbruchkante entlang hoch zur Walenmattweid führt ist sogar noch steiler. 30% steile Weglein sind nicht wirklich meine Spezialität und ich arbeite mich entsprechend langsam weiter hoch. Ich belohne mich mit Gummibärchen und weiteren Spezialitäten auf dem formidablen Aussichtspunkt 1'127. Der Weg sodann von Walenmattweid bis Harzer ist Jura-Höhenwandergenuss pur. Der Aufstieg ging besser als das letzte Mal. Das gibt mir Mut.

3) Harzer-SchönenbergAbstieg nach Norden ins Gabiare-Tal und Aufstieg auf eine Kette zwischen der 2. und 3. Solo Jurakette
5.9km, 419d+, 374d-; 0 Personen gesehen.

Auch dieser Abschnitt ist eigentlich sehr untechnisch und angenehm, nach Oberi Hell primär auf Forst- aber auch Teerstrassen. Insbesondere der Teil auf der Teerstrasse entlang des Gross Rohrgrabe, mit Blick auf die steile Teerstrasse Richtung Mieschegg zwischen den verschiedenen Faltungen ist wunderschön.

Nochmals: der Weitwanderer hat im Tal der La Gabiare, Heimat der Berner Streusiedlung Seehof, eigentlich nichts verloren. Möchte sie sich von Süden her Richtung Osten weiter fortbewegen, so müsste sie eigentlich auf der zweiten Kette bleiben, hoch oben und erst beim genannten System Matzendörfer Stierenberg/Scheltenpasshöhe transferieren. Kommt man von Norden her, so bleibt man lieber auf dem langen, langen Grat, der sich von Delémont rüberzieht über die Hohe Winde zum Vogelberg etc.

Aber ich musste ja unbedingt auf den Schönenberg. Von eben diesem Schönenberg habe ich zum ersten Mal hier auf Hikr gehört dank eines tollen Berichts von [u Makubu]. Vermutlich grade weil der Schönenberg irgendwie südlich und nördlich effizient umgangen werden kann, scheint er wirklich nicht allzu oft begangen zu werden. Gewissermassen das Gegenteil vom Säntis.

Die Streusiedlung Seehof kriegt man unten im Tal nicht wirklich zu Gesicht. Aber der Schönenberg, ja, der türmt sich einigermassen furchterregend vor mir auf. Ich mache mich unmittelbar an den Wiederaufstieg. Und ja, er ist ein rechter Sauhund. Südhang, sonnenbeschienen, grossmehrheitlich Wiesen, steile Wege und ab La Grande Schönenberg (welches den ersten Preis mitnimmt für "die am meisten heruntergekommen wirkende Alpbeiz") dann in Fallinie die Weide hoch zum Gipfel. Es hat etwas nervenzerreissendes an sich wenn man einigermassen schnaufend sich nach oben bewegt und sich in Riesenslalommanier um die kritisch dreinblickenden Mutterkühe herum orientieren muss. Zum Glück waren dabei nur noch bereits einigermassen grosse Rindlein. Da könnte man sich auch mal ein Couloir vorstellen, wie auf der Hohen Winde. Oben dann schöne Aussicht.

4) Schönenberg-Hohe WindeAbstieg nach Norden ins Scheltental und Aufstieg auf die 3. Solo Jurakette
9.3km, 503d+, 465d-; 6 Personen gesehen (4auf der Hohen Winde, 2 bei der geschlossenen Bikerbeiz).

Der breite Grasgrat "La Champagne", vom Schönenberggipfel bis nach Rotlach ist superb. Nebst der schönen Aussicht 365 Grat sind die knorrigen Buchen, die alte Bellihütte und Wildpferde hervorzuheben. Nun, das sind keine wahren Wildpferde, aber das werde sie sein, wenn ich meinen kleinen Töchterlein die Bilder dieser Pferde zeige und Zaumzeugs habe ich zudem auch keines gesehen;-)

Aufgrund fortschreitender Müdigkeit registriere ich vom Abstieg zur Scheltenmühle nicht wirklich viel, er scheint etwas weniger abwechslungsreich/schön zu sein wie die beiden vorhergegangenen Abstiege. Bei der geschlossenen Bikerbeiz in der Streusiedlung Schelten kann ich meine 2L-Wasserblater mit köstlichem Scheltener Kristallwasser auffüllen (mir wäre noch ca 1 Liter Isostar geblieben allerdings). Die Gewissheit, dass ich nun wieder voll "aufgewässert" war, sowie auch der Gedanke, dass der nächste Aufstieg bis zur Mittleren Rotmatt nun nicht via eine steile Flanke (Wandflue, Schönenberg) bwz. nicht wie einen steilen Kamm (Walenmatt) passieren wird, sondern erst mal moderat ansteigend in einem Bergtal gab mir den Mut, nun auch noch den letzten Haupt-Anstieg zu schaffen. Umgehend lege ich los und befinde mich nun in einem äusserst schönen, moorigen Täli, westlich der Dürreberg, östlich die Längegg. Den Weiteraufstieg Richtung Feissboden nehme ich fokussiert in Angriff und nur die letzten paar 100 Meter, das steile Gras-Couloir hoch zur Hohen Winde, sind als einigermassen quälend. Und ja: das typische Schild um und um den Feissboden herum "Stier auf der Weid" (uncool, aber typisch vom Vorder Erzberg-Bauer) hilft auch nicht wirklich. Wie dem auch sei: das Gefühl oben auf der Hohen Winde: einigermassen unbezahlbar.  

5) Hohe Winde-ErschblTraversieren nach Westen zum Grand Mont, welliger Weiterweg und Abstieg ins Schwarzbubenland
11.3km, 317d+, 1068d-; 0 Personen gesehen bis nach Erschbl.

Die Hohe Winde ist abgelegen. Meine Optionen waren begrenzt.
  • Direktabstieg zur Streusiedlung Beinwil, mit Postauto das nur alle 2 Stunden fährt => Risikoreich
  • Weiter auf der 3. Kette nach Osten zum Vogelberg und runter ins Föiflibertal (mein Favorit) => zu lange um meinen familiären Verpflichtungen nachkommen zu können
  • runter ins Guldental: einigermassen sinnbefreit, denn das Guldental ist lang, die Scheltenpass-Strasse kaum befahren, und ÖV gibt's dort ned
  • Bleibt nur noch Erschwil (via Rotmättli).
Möglichkeit 1 war via Trogberg (sehr schön), Möglichkeit 2 (von mir gewählt) via Grand Mont, Champre, Greierlet, Chèvre und Welschgätterli.

Voilà, das war sie, eine weitere Wanderung mit dem wildromantischen Gedanken, über Berge und Täler zurück in die Heimat zu finden. Swisstopo listed 3'040 Höhenmeter und 49 Kilometer. Meine Garmin zeigte 52 Kilometer.

Tourengänger: Hallodri82


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