Kreis mit Luftkühlung


Publiziert von rojosuiza , 23. September 2024 um 21:11.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:10 September 2024
Wandern Schwierigkeit: T4 - Alpinwandern
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS 


Luftkühlung ist das beste, sagte der Vater im VW-Käfer, wenn die grösseren Autos mit Wasserkühlung am Pass in der Hitze liegen blieben. Dazu der Heckantrieb, auch das beste, denn auch Heckantrieb hatte der VW-Käfer natürlich
 
Heute windet und stürmt es um mich herum – Nordföhn! – richtige Luftkühlung. Das wird helfen. Und richtig, der alte Klepper steigt langsam aber stetig bergan. Es ist die erste Wanderung nach langer Flachlandpause, da muss das Werkvermögen sich erst wieder ein bisschen aufbauen. Bis zum Unner Nessultal geht das Steigen recht gut – recht gut auch deshalb, weil der Bergheld ganz allein ist, und sich beim Steigen an niemandem messen muss.
 
Zwischen Unner Nessultal und Ober Nessultal geht es dann schief. Ein rüstiges älteres Ehepaar stellt rojosuiza in die Ecke und zieht hohnlachend an ihm vorbei. Was nützt da die beste Luftkühlung! – Wartet nur, ich springe euch noch davon.
 
Also schlägt sich rojosuiza in die Büsche. Zu seinem Zwischenziel gibt es drei Wege. Zwei hat der Meister inzwischen erkundet, über den dritten macht er sich die ganze Wanderung immerzu Gedanken: am Schluss ist er sich sicher, dass das der beste Weg sein muss.
 
Den ersten Weg habe ich das letzte Mal unter die Füsse genommen. Der führte in die Heidelbeeren in Ober Nessultal, immer relativ flach, nur am Schluss musste ich einen kleinen Abhang hinab zum Treffpunkt mit dem vorgesehenen Weg. Das ging gut.
 
Der heutige Weg ist der richtige, vorgeschriebene Weg. Er führt immerdar hinunter, wird nach und nach immer dünner, bis nur noch ein Strich vorhanden ist, bis er total zugekrautet ist. Oft wird er wohl nicht begangen.
 
Der dritte Weg ist in meinen Augen der beste; gerade den habe ich noch nicht ausprobiert. Zuerst verschwendet er keinen einzigen Höhenmeter. Von Unners Nessultal steigt man quer hinüber zum Bergbach, und ihm nach zum Punkt, wo die anderen Wege auch alle hingelangen.
 
Ab da führt die Fährte – Weg kann man es schon lange nicht mehr nennen, da verkrautet und zuge-erlt – die Grünerle! – durch den südexponierten Hang hinauf, Richtung Glishorn. Es duftet hier wunderbar, Tausende von Insekten aller Art umflügeln einen. Es ist warm, ja heiss, sodass – ich muss es gestehen – die Luftkühlung bald einmal ganz versagt. Ich mühe mich hinauf, hangle mich zwischenzeitlich durchs Reich der Grünerlen, weil ich auf die verkehrte Seite des kleinen Wasserlaufes geraten bin. Hier hilft der Rote Punkt der Landestopografie: auch wenn der Pfad fast unsichtbar geworden ist, die Karte weiss noch, wo er sein soll. Wenn man sich zu weit von der Ideallinie wegbewegt, sagt der Punkt es einem.
 
Auf etwa zweitausend Metern gibt es noch Heidelbeeren. Das ist gut. Sie laben mich, es gibt einem Grund auf dem Boden zu sitzen, statt hinaufzusteigen.
 
Es grüssen jetzt die Murmeltiere. Die Gemsen äsen en masse. Ein Steinbock ist erbost, weil ich das Fletschhorn fotografieren will – ich soll ihn fotografieren! Er macht regelrecht auf sich aufmerksam mit leichten Blasgeräuschen und stellt sich nachher nur zu gerne in Positur. Er will, dass ich alle Bilder hier veröffentliche, man kann aber dem Wild nicht in allem nachgeben.
 
Es geht so lange schleppend vorwärts, bis der kleine Grat erreicht ist. Dort nun trifft die volle Wucht des Nordföhns den schlappen Bergsteiger. Luftkühlung! hat der Vater gesagt. Es stimmt tatsächlich. Schon schnellt der Bergheld vorwärts, immer vorwärts. Dass es jetzt bergab geht, mag auch etwas mit dem Erfolg der properen Kühlung zu tun haben.
 
Geht es hinab? – Ja, nun fast wieder zu doll. Die Walliser machten hier keine Umstände, mit feinen, eleganten Kehren. Gar oft ist es eine gerade Linie, nach unten, nach unten, so schnell wie’s nur geht. Die Landschaft ist prachtvoll, es ist ein prachtvoller Abstieg mit heissgelaufenen Bremsbelägen.
 
Dem Kantonschemiker schlägt rojosuiza ein Schnippchen. Die Wasserflasche ist leer. So trinkt er aus dem verbotenen Brunnen trotz des Verbots einen Schluck, und nachher gar noch einen. Ist der Wanderer tot umgefallen? – Der Kantonschemiker weiss es nicht.
 
Nun schliesst sich der Kreis ums Glishorn. Kein Stück ist zwei Mal gegangen, wenn man von der Hauseinfahrt ab sieht. Am Morgen früh stand zu Anfang das Kreuz, am Abend steht im Dunkeln wieder das Kreuz.
 
Wer’s fassen kann, der fasse es.

Tourengänger: rojosuiza


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Kommentare (2)


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Nyn hat gesagt:
Gesendet am 24. September 2024 um 09:04
Erneut visuell und literarisch ein Hochgenuß.
Danke für Beides!

rojosuiza hat gesagt: RE:
Gesendet am 24. September 2024 um 09:13
Fotograf und Schreiber sind's wohl zufrieden, danke, Nyn.


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