Chrumme Tour über dem Chrummbach...


Publiziert von lorenzo , 30. Oktober 2021 um 22:35.

Region: Welt » Schweiz » Wallis » Oberwallis
Tour Datum:24 Oktober 2021
Wandern Schwierigkeit: T6 - schwieriges Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: WS
Klettern Schwierigkeit: II (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: CH-VS   I 
Zeitbedarf: 9:15
Aufstieg: 2095 m
Abstieg: 1885 m
Strecke:20 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:cff logo Gondo, Ramserna
Zufahrt zum Ankunftspunkt:cff logo Simplon Dorf, Alte Kaserne
Unterkunftmöglichkeiten:Hotel Stockalperturm, Gondo
Kartennummer:LK 1309 Simplon; M. Brandt, Clubführer Walliser Alpen 6, SAC 1994

Wieder glühen im Engadin, im Tessin und im Wallis die Lärchen - "goldener Tropfen quolls" -, und es wird Zeit, nochmals zum Simplon aufzubrechen, bevor der nahende Winter das leuchtende Feuer in kalte Asche legt. Bei der Anfahrt von Brig schimmern aber die Gipfel ob Berisal bereits weisslich durch die Fenster des Postautos und lassen erste Zweifel an meinem Vorhaben aufkommen. Südlich vom Pass ist der Spuk aber schon bald vorbei, die sonnseitigen Flanken sind bis weit hinauf aper, und ich steige von Ramserna am Chrummbach, der nicht etwa das hinterste Emmental entwässert, sondern die tiefe Gondoschlucht durchfliesst und hier schon Doveria heisst, zuversichtlich los. Ein abwechslungsreicher Bergweg führt mich durch lockeren Mischwald und über verlassene Alpen bis zur Waldgrenze bei Corvetsch. Weglos steige ich über den steilen Grasrücken von Döss und über den Südrücken auf Geröll zur Punta Valgrande, wo die bisher stets gewachsene Aussicht zu einem wahren Spektakel nach allen Richtungen explodiert. Den Dom von Mailand wie vom gegenüberliegenden Weissmies kann ich zwar nicht sehen, aber ihn wie auch den Markusdom von Venedig hinter den südöstlich folgenden Bergketten und unter der Dunstdecke über der Poebene mit etwas Fantasie zumindest erahnen...Nordseitig auch bereits hier liegender Schnee erschwert den Abstieg über den Block- und Geröllgrat zum Passo Carnera, so dass ich mich an die apere Seite links bzw. südlich des Kamms halte.

Auch am Südostgrat des Pizzo Fne mache ich von linksseitigen bzw. südwestlichen Umgehungen von zahlreichen spitzen und scharfen Gendarmen grosszügig Gebrauch, bis ich nach anregenden Kletterpassagen unter dem Gipfelaufbau stehe, der nochmals einige Handarbeit verlangt. Den Gipfelturm - laut M. Brandt "die letzte, schwierige Spitze", die man "ev. vermeidet" - versuche ich zuerst von Südosten, was mir aber ohne Sicherung als zu ausgesetzt und schwierig erscheint (IV-V?), dann von Nordwesten, wo ich immerhin zum Vorgipfel mit einem Steinmann gelange, am Gipfelturm aber auch abblitze, indem der einzig gangbar scheinende Aufstieg über die Nordostkante oder -platte (IV?), wie er ciolly gelang, auch schon mit Schnee bedeckt ist. Obwohl die Aussicht - im Osten bis zu Bernina und Disgrazia - auch vom Vorgipfel umwerfend ist, verzichte ich - wie vor Jahren einmal am Piz Sarsura oder am Mittler Gärstenhorn, wo mir die letzten Meter zum Gipfelblock in Skischuhen auch verehrt waren - nur ungern und steige im ersten Moment leicht enttäuscht - aber zum Glück nur vorübergehend, zu schön ist die Landschaft - wiederum links bzw. westlich vom Nordnordwestgrat auf der trockenen und sicheren Seite Richtung Passo Fne ab.

Da ich bis hierher länger gebraucht habe als vorgesehen, und die Zeit schon fortgeschritten ist, verzichte ich auf den geplanten Versuch am Pizzo Avino Südgrat, der mit ZS für mich ohne Sicherung wohl sowieso zu schwierig gewesen wäre. Stattdessen drehe ich nach Südwesten zum Dritte See ab, wo ich mir eine zweite Pause gönne. Über ein ausgesetztes Grasband mit faszinierenden Tiefblicken gelange ich zum Erschte See und dem Bach entlang hinunter zur Alp Schwarzi Balma, wo eigentlich ein markierter Bergweg zurück ins Tal beginnen sollte. Mangels deutlichen Markierungen verliere ich diesen jedoch und gerate in eine ruppige "Abkürzung", die mich erst unterhalb Munigstaful zurück zum Bergweg führt. Nach diesem aufregenden Intermezzo zeigt mir e
in Blick auf die Uhr aber, dass für den letzten Kurs kurz nach sechs Uhr noch genügend Zeit bleibt. So steige ich ohne Eile zur Alten Kaserne in der bereits wieder im Schatten liegenden Gondoschlucht ab. Im Postauto bin ich dann zuerst - wie zuletzt bei der Anfahrt - wieder allein mit dem Chauffeur, bevor in Simplon Dorf etliche ältere und jüngere Walliserinnen zusteigen und mir mit ihrem anmutig-betörenden Sprechgesang die Fahrt über den eindunkelnden Simplon zurück nach Brig verkürzen...

 

An der Brücke stand
jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
goldener Tropfen quoll's
über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik -
trunken schwamm's in die Dämmerung hinaus...

Meine Seele, ein Saitenspiel,
sang sich, unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu,
zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu?...

(Friedrich Nietzsche, Venedig, 1888)


Corvetsch
Zustieg von Ramserna: von der Postautohaltestelle Ramserna (ca. 945m) auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Presa Bruciata (1362m) und Presa Cima (1601m) nach Corvetsch (1991m), 1h 45min, T3.

Punta Valgrande
Aufstieg S-Rücken: von Corvetsch (1991m) über den unten bewaldeten Grasrücken von Döss bis P. 2603 (Pfadspuren), dann über den S-Rücken auf Geröll zum Gipfel (2856m), 1h 45min, T3.

Abstieg WNW-Grat: dem Grat folgend, Hindernisse S umgehend, zum Passo Carnera Ost (2749m) und weiter, P. 2780 ebenfalls S umgehend, zum Passo Carnera (2748m), 30-45min, L.

Pizzo Fne
Aufstieg SE-Grat: vom Passo Carnera (2748m) entlang dem Grat, Felsstufen und -türme SW umgehend, zum einem 1. Sattel vor P. 2894. Ein ca. 30m hoher senkrechter Aufschwung wird W über Stufen und Bänder umgangen (II), dann wieder auf dem Grat zu einem 2. Sattel. W vom Grat auf einem braunen Geröllband nach N, bis in grauem Fels im Zickzack (Rampe nach SE, Band nach NW, Gipfelgrat nach SE) auf den den NW Vorgipfel (ca. 2930m, Steinmann) geklettert werden kann (II). Der Gipfelturm (2933) könnte von SE oder NW (über die NE-Kante bzw. -Platte) schwierig erklettert werden (vermutlich IV), 45min-1h 15min, WS.

Abstieg NNW-Grat: vom NW Vorgipfel (ca. 2930m) wie im Aufstieg zurück zum braunen Geröllband, auf diesem nach NNW bis ca. W P. 2884, und nach SW auf Geröll und Gras zum E-Ufer des Dritte See (2609m), 1h, WS.

Ze Seewe
Abstieg zur Alten Kaserne: vom E-Ufer des Dritte See (2609m) nach SW zum markanten Grasband. Auf diesem ausgesetzt (Stellen II) und zuletzt absteigend nach SW zum oberen Bach, und diesem entlang hinunter zum Erschte See (2484m). An dessen W-Ufer zum unteren Bach und E diesem entlang über Schwarzhalte nach Schwarzi Balma (2085m), 1h, T6. Auf dem weiss-rot markierten Bergweg über Munigstaful (1931), Egga (1588m), Wälschi Matta, Sistulmatta und Sid zur Alten Kaserne (1157m), 1h 30min, T3. Insgesamt 2h 30min.

Insgesamt 8h 15min-9h 15min.

Verhältnisse: bei leichtem N-Wind wolkenlos und mild. Wege, Gras und Fels sonnseitig trocken, oberhalb ca. 2400m schattseitig 5-10cm Schnee.

Material: Leichthelm und  -pickel sowie 30m 6mm Reepschnur, 2 Schlingen und 1 Express (nicht gebraucht) zu üblicher Alpinwanderausrüstung.

Fahrplan: 8.15 Ramserna, 10 Uhr Corvetsch, 11.45 Punta Valgrande, 14 Uhr Pizzo Fne, 15 Uhr Dritte See, 17.30 Alte Kaserne.

Tourengänger: lorenzo


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Kommentare (4)


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Schubi hat gesagt:
Gesendet am 31. Oktober 2021 um 18:27
Hallo Lorenzo.
Eine beeindruckende Runde mit vermutlich einigen fordernden Passagen. Aber am bemerkenswertesten in deinem Bericht fand ich die Walliserinnen im Postauto. Solche Momente runden einen Bergtag doch mit einem feinen Nachhall ab ... und machen den Leser neugierig ;o)
Ich denke, ich werde mal das Wallis besuchen müssen?!
Herbstliche Grüße,
Schubi

lorenzo hat gesagt: RE:
Gesendet am 31. Oktober 2021 um 21:39
Hallo Schubi

ja, die fordernden Passagen...sie haben mich, wie beschrieben, in die Knie gezwungen...Die Frauen haben, während ich auf der kurvenreichen Fahrt meine Aufzeichnungen ins Tourenbuch zu kritzeln versucht habe, einfach ganz normal mit einander geredet, aber ihre Sprachmelodie hat mich, ehrlich gesagt, fast umgehauen...Von einem weiteren feinen Nachhall, einem Walliser Brot von Zenhäusern am Bahnhof Brig zehre ich auch immer noch.

Das Wallis musst Du unbedingt besuchen!

Herb-herbstliche Grüsse

lorenzo


Alpin_Rise hat gesagt: Von Lehrstellen und Leerstellen
Gesendet am 1. November 2021 um 12:00
> die letzten Meter zum Gipfelblock ... auch verehrt waren.

ob w, k, s, m, l oder eben leer? Vieles lehren sie, in die letzten Meter.

Danke fürs Vorlegen, die Gegend schau ich mir gern mal an, dieses Jahr war ich gegenüber zu Gange.
G, Rise

lorenzo hat gesagt: RE:Von Lehrstellen und Leerstellen
Gesendet am 1. November 2021 um 21:55
Hoi Rise

Ja, die hoch verehrten letzten Meter...Danke fürs Buchstabieren und Vorlesen: alle scheinen perfekt zu passen.

Mir war's jedenfalls eine Lehre und bin dabei nicht leer ausgegangen.

Und wie von diesem gäbe es wohl auch vom Gang gegenüber einiges zu berichten...

Beste Grüsse

lorenzo


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