Ein Karsee, ein Gletscherschliff, ein Looping-Baum, eine NATO-Pipeline und: Wasserfälle, Tobel, Fels


Publiziert von Schubi , 19. Oktober 2021 um 14:23.

Region: Welt » Deutschland » Südwestliche Mittelgebirge » Schwarzwald
Tour Datum: 1 September 2021
Wandern Schwierigkeit: T3+ - anspruchsvolles Bergwandern
Klettern Schwierigkeit: I (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: D 
Aufstieg: 530 m
Abstieg: 530 m
Strecke:15 km
Zufahrt zum Ausgangspunkt:Wanderparkplatz Ruhestein
Zufahrt zum Ankunftspunkt:s.o.

Im Nordschwarzwald gibt es östlich der Passhöhe Ruhestein spannende Naturschönheiten zu entdecken. Einige davon sind bekannt und zugänglich, andere liegen versteckter. Zum Beispiel ein Gletscherschliff im Nordwest-Kar des Pfälzerkopfs namens Hintere Pfälzergrube, auf den mich diese Forschungsarbeit der Geologen Fritz Fezer und Adolf Zienert aufmerksam gemacht hat. Was also lag näher als eine Runde zurechtzuzimmern, auf der ich Vertrautes und Neues besuchen konnte. Als Soundtrack zur Tour passt (besonders zum Gletscherschliff) diesmal Hope Sandovals I Took A Slip grad perfekt.

Ich starte zeitig morgens am Wanderparkplatz Ruhestein. Vorbei an ruhenden (sic!) Rindern geht es nordöstlich herauf und entlang der Hochebene des Ruhesteinbergs und anschliessenden Seekopfs durch die urige, von Latschen und Heide geprägte Grinden-Landschaft. Am Wildseeblick angekommen kann ich rechts mein erstes Etappenziel schon unten in seiner Karmulde glitzern sehen. Ebenfalls hier, direkt links vom Weg, liegt das Grab des Ethnologen und Naturforschers Prof. Julius Euting. Als Orientalist war er viel im Nahen Osten unterwegs, hat sich aber auch fleissig um die Erschliessung der Schönheiten des Schwarzwalds verdient gemacht. Der Wildsee-Blick war sein Lieblingsort. Nun rumple ich über den urig durch die Wand des Wildsee-Kars geführten Pfad herab zum See, zuletzt war ich hier mal *auf Schneeschuhen. Herrlich still die Morgenstimmung am Wildsee (auch: "Wilder See"), ein erstes Veschper mache ich an seinem sandigen Ostufer. In obiger Studie ist der See unter Punkt 101B auf S. 69 gelistet, dort ist sein Kar als eines in Ideal-Ausformung klassifiziert. Auf dieser Site findet man noch umfassendere Infos über ihn. Der Wildsee ist sicher einer der schönsten und daher auch bekanntesten Karseen im Schwarzwald. An den Wochenenden ist man hier also meist nicht lange allein. Heute jedoch, am Morgen eines Werktags, herrscht absolute Ruhe, die wunderbarst von Vogelgezwitscher ergänzt wird.

Jetzt weiter zum eingangs erwähnten Gletscherschliff. Er liegt im Nordwest-Kar des nahen Pfälzerkopfs, der Hinteren Pfälzergrube. Die Kurzbeschreibung aus der geologischen Studie, Topo-Karte und GPS helfen mir, ihn zu finden. Ein ordentliches Stück ist dabei weglos durch recht dichtes, aber mit reichlich reifen Blaubeeren bewachsenen Unterholz zu bewältigen. Zitat aus der erwähnten Forschungsarbeit, S. 69: "In der nur wenig veränderten Quellnische nordwestlich 103 ist zur Zeit ein schöner Gletscherschliff aufgeschlossen, von welchem ein ganzes Wegstück abgerutscht sein muß (Lücke im alten Forstweg)." Auch in dieser Schrift (S. 54) ist die Pfälzergrub(e) kurz erwähnt. Und das Landesamt für Geologie in Freiburg schreibt zu ihr: "Karmulde in 880 m NN, geöffnet nach N und entstanden im Grenzbereich Bausandstein/Eck'scher Horizont (sus/suE) im Unteren Buntsandstein". Mit großen Freude und Erstaunen stelle ich vor Ort angekommen nun fest, dass der Schliff sich über sogar drei halbrunde Quellnischen hindurch zieht und ihnen felsige Rückwände aus Buntsandstein verleiht, die auch lange nach den Eiszeiten noch von Zeit und vor allem Wasser-Rinnsalen weiter erodiert werden. Meist brüchig ist das Material, so jedenfalls stelle ich es fest, als ich mehrmals zu den Rückwänden hochsteige und darin vorsichtig herumkraxle. Die Wände laufen in kleinteiligem, fast fließenden Schutt nach unten aus. Vom erwähnten "alten Forstweg" ist nichts mehr zu sehen, der Pfälzergrub-Schliff liegt im tiefsten Wald-Nichts. In der Gesamtansicht wirken die drei kesseligen Nischen mit ihren halbrunden Fels-Arenen wie "kleine Kare im Kar". In der Westlichsten Nische sind die Schliff-Aufschlüsse am zahlreichsten. Über die blanken Felspartien rieselt oft Wasser, was wiederum Moose und Algen anzieht. Das Wasser sammelt sich zusammen mit dem fein-verwitterten Geröll (fast schon Sand) am Fuß der Wände in Rinnen und fliesst über kleine Fallstufen im steilen und recht überwucherten Gelände schnell ab. Ein uriger Ort. Im letzten Nischen-Kessel kraxle ich seine Wand dort wieder hoch, wo das Gestein stabiler ist und sich in der Vegetation Griffe finden lassen. Oben geht es kurz durch flacheres Gelände (der Karboden?), dort treffe ich ich auf eine Fichte, deren Stamm tatsächlich looping-förmig (!) gewachsen ist. Weil ich in Gedanken aber noch beim Schliff bin, staune ich vor Ort gar nicht sooo, wie dann zuhause beim Bildersichten. Ich dachte mir nur kurz: ah, das könnte vllt. so eine Ursache wie bei diesem Baum hier haben (übrigens auch in einem Kar gesichtet). Letzterer wuchs auf einem langsam herabrutschenden Fels, der heutige Baum jedoch auf ebenem Terrain. Wieauchimmer: ich stapfe nach ein paar Bildern weiter zur nahen Karwand und nehme sie im rechten Winkel in Angriff. Es geht unterholzig steilst herauf, sicher oft um die 45 Grad. Jede Menge Totholz aus teils riesigem Stämmen muss darin überstiegen werden, aber netterweise wachsen auch hier reichlichst Blaubeeren als Energie- und Motivations-Lieferanten. Oben gelange ich dann in wieder ebenes, aber weiter wegloses Gelände. Nun noch schnell ein Abstecher zu einer kartenverzeichneten Erosionsrinne, weiter östlich in der Karwand. Arg zugewuchert ist sie, und so wird es hier nichts mit einer erhofften kleinen Kraxelei.

Nach erneutem Totholz- und Latschen-Gewurschtel erreiche ich den Pfad, der entlang des Rückens des Pfälzerkopfs (1014 m) führt, nicht mehr weit ist es auf ihm nun östlich bis zur höchsten Stelle des Bergs. Der Pfad wird auf Wanderkarten auch als "Ölleitungsweg" bezeichnet, denn hier entlang läuft eine Treibstoff-Pipeline der NATO. Sie kommt aus einem Tanklager-Hafen am Rhein (nahe Kehl), führt am dem Pfälzerkopf über den Hauptkamm des Nordschwarzwalds und ostwärts weiter zu einer Kaserne in Tübingen. Dabei ist sie Teil eines Pipeline-Netzwerkes, das ganz Westeuropa durchzieht. Wollen wir hoffen, dass sie nie ernsthaft gebraucht werden wird. Kollege Frankman ist ihr bei einer seiner *Touren ebenfalls begegnet, unterhalb der Hornisgrinde gibt es nämlich eine Pumpstation, die dafür sorgt, dass der Treibstoff über den Schwarzwald rüberkommt. An der nächsten Wegkreuzung nun rechts ab und auf Forstwege-Zickzack den Südhang des Pfälzerkopfs zügig zum Stüblesgrund herab. Weiter unten über die Landstraße, auf der anderen Seite vergeblich einen nimmer existierenden Pfad gesucht und so weglos runter zum Grund des Stübelsgrunds und seines Bachs. Beschaulich rauscht er hier durch bemooste Blöcke. Nun einen aufgelassenen Forstweg genommen, der mich rüber zum Hauptweg im Tal der Rotmurg bringt. Darauf jetzt wieder westlich. Nahe des Diembrunnens zweigt vom Weg ein Pfad herunter zur "Teufelsmühle" ab: der Schauplatz eines Gemetzels 17. Jh., bei der das Blut eines vom Teufel besessenen Kommandants den Fluss drei Tage lang rötlich färbte, daher der Name "Rotmurg" – gruselig! Wieder hoch zum Hauptweg und unterhalb des Rotmurg-Jägerhaus vorbei zum Glasschrofen, einem Fels aus glasharten, vulkanischen Quarzporphyr. Er wurde, so wie auch zahlreiche Blöcke aus Porphytuff, vor Urzeiten durch eine Verwerfung aus der Tiefe hochgehebelt. Unklar ist bis heute, ob hier ein Nebenschlot des Vulkans im Gottschlägtal (jenseits des Ruhestein-Passes) war oder sogar ein kleiner eigenständiger Vulkan wirkte. Noch interessanter macht den Fels allerdings der superschöne Wasserfall, der über ihn poltert. Allerdings ist der Fall nicht natürlichen Ursprungs: Ein Förster namens Traub hat ca. 1850 den Bachlauf des "Rauschenbächles" umgelenkt und über den Fels geleitet. Die Epoche der Romantik halt ... Ich steige/kraxle rechts vom Fall mal hinauf (am Ende kurz T4-/II)  und kann dort schön rauschende Bilder des fallenden Rauschenbächles machen.

Nicht mehr weit ist's nun (den Hauptweg westlich, von ihm links abzweigend und ca. 80 m) bis zum Wasserfall des Muckenbächles. Hier war ich schon mal bei einer winterlichen Tour, und so wie damals ist auch heute ein rustikal wegloses Durchschreiten des hinter dem Wasserfall beginnenden Talgrunds mit dem schönen Namen Muckenloch geplant. Beschaulich
mäandert das Bächle hindurch, zweimal überspringe ich es, Totholz in allen Verfalls-Stadien liegt kreuzundquer ...eine eigene kleine Welt. Den Nordhang hochgestiegen, einen aufgelassenen Forstweg entlang und wieder auf diversen Forstwegen westlich zur Sturmhütte und dahinter dem Bachlauf Melkenteich bergan gefolgt. Ein namenloser Zufluss zu ihm rauscht rechts von mir recht verlockend und so steige ich mal herab und folge ihm dort etwas. Wieder hoch zum Weg und weiter nördlich nochmals unterholzig runtergestiegen, diesmal in den Tobel des Melkenteichs. Er durchspült hier auf eine längere Strecke dickes, bemoostes Buntsanstein-Blockwerk. Große Freude, darin herumzukraxeln. Ich arbeite mich wieder hoch zum Weg und bin bald am Teich des Melkenteichs und der dortigen Schutzhütte. Auch ein beschauliches Plätzchen. Hier beobachte ich eine wunderschöne Libelle und versuche, ein paar scharfe Bilder von ihr mit der Kamera einzufangen ...

Auf zur letzten Etappe: auf dem wunderbar geführten Bärensteinpfad (markiert, Teilstück des Seensteigs) nordwestlich zurück zum Ausgangspunkt Ruhestein. Mit verschlungener Pfadführung, oft auf felsig-wurzeligem Untergrund, geht es durch jungen Baumbestand. Leider dringt zu diesem eigentlich idealromantisch geführten Pfad der Lärm der Motorrad-Deppen auf der L 401 am gegenüberliegenden Talhang ziemlich nervtötend herüber (sogar an einem Werktag wie heute, ich dachte, das sei ein Problem  an Wochenenden ...). Erstaunlich, wie viele Leute nach Feierabend ihre Aggressionen und überschüssige Energie unbedingt per Auspuff und Beschleunigung abbauen müssen. Nun um die Nase des Langhartkopfs herum, und aus dieser Nase ragen oben im Hang so einige Felsnasen aus Buntsandstein heraus. Neugierig steige ich ein letzes Mal vom Weg hoch und schau mich zwischen und auf ihnen um. Schliesslich noch das letzte Stück zurück bis zum Ruhestein, kurz vorher noch an der Skisprungschanze vorbei. Empfehlenswert am Ruhestein ist übrigens ein Besuch im neueröffneten Nationalparkzentrum Schwarzwald.

Fazit: die Schrift "Vogesen- und Schwarzwald-Kare" ist eine wunderbare Quelle für Entdeckungen. Der hier begangene Gletscherschliff ist nun schon der dritte Ort daraus, den ich aufgesucht habe. Und auch sonst gab es östlich des Ruhesteins so einiges zu entdecken. Zur Namensgebung des Ruhestein: auf einem (nicht mehr vorhandenen) Felsblock ruhten sich hier früher die Fuhrwerksleute und Händler nach dem anstrengenden Aufstieg zur Passhöhe aus.

Eine Tour aus der Rubrik Unterholz-Preziosen


Tourengänger: Schubi


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