Großvenediger Nordgrat


Publiziert von Eumaex , 27. Juli 2021 um 19:53.

Region: Welt » Österreich » Zentrale Ostalpen » Venedigergruppe
Tour Datum:24 Juli 2021
Wandern Schwierigkeit: T5 - anspruchsvolles Alpinwandern
Hochtouren Schwierigkeit: ZS
Klettern Schwierigkeit: IV (UIAA-Skala)
Wegpunkte:
Geo-Tags: A 
Zeitbedarf: 8:30
Aufstieg: 1300 m
Strecke:6 km (im Aufstieg ab Kürsingerhütte); insg. vom Tal aus 2900hm und 45km
Unterkunftmöglichkeiten:Kürsinger Hütte

Für das Wochenende war eigentlich ein Ausflug in die Westalpen angedacht. Leider zeigte sich das Wetter wie so oft in den letzten Wochen instabil. In den Westalpen leider noch schlechter als in den Ostalpen, also musste ein Alternativplan her. Nachdem der Venediger Nordgrat auch schon seit Jahren auf der "to-do-Liste" stand folgte der Check ob die Kürsingerhütte noch Plätze frei hat und tatsächlich. Zwei Plätze im Zweibettzimmer waren noch frei und wurden gebucht.


Aufstieg zur Kürsingerhütte (1675hm, 15,5km)

Aufgrund von Arbeit und Stau erreichten wir Neukirchen erst um 19:30 Uhr. Vor Ort erfolgte dann die Ernüchterung. Der Parkplatz Hopffeldboden war aufgrund der Vermurung der Straße nicht mit dem Auto erreichbar. Wir mussten also einige Kilometer weiter vorne und 200-300 Höhenmeter tiefer am Gasthof Siggen parken. Natürlich sehr frustrierend wenn man sowieso schon spät dran ist, aber was will man denn machen?
Nach kurzer Nahrungsaufnahme und endgültigem Richten der Rucksäcke ging es also um 20 Uhr mit den Fahrrädern hinein ins Obersulzbachtal. Das erste Stück in Fahrtrichtung links des Bachs über einen Forstweg, bis man über eine Hängebrücke beim Hopffeldboden auf den eigentlichen Weg zurückkehren kann. Ich kenne dieses Tal ab hier bereits von 2012, damals hatte ich den Großvenediger über den Normalweg bestiegen, also wusste ich auch, dass sich der Zustieg zieht. Damals habe ich am Ende ganz schön geflucht und dieses Mal war es ehrlich gesagt nicht viel anders. Wie lange der Weg durch das Tal wirklich ist,  hatte ich ziemlich erfolgreich verdrängt. Mit den schweren Rucksäcken auf dem Rücken mühten wir uns schließlich mit den Fahrrädern Serpentine für Serpentine das Tal, das einfach kein Ende nehmen wollte, hinauf. Gen Ende der Fahrstraße hatten die Unwetter der vergangenen Woche ganze Arbeit geleistet. Die Straße war an mehreren Stellen völlig zerstört, die Fahrräder mussten immer wieder geschoben oder kurz getragen werden. Das Hüttentaxi konnte zuletzt auch nicht mehr hier durchfahren. Nach ca. 13 Kilometern und über 1000 Höhenmetern erreichten wir letztlich ganz schön fertig die Materialseilbahn (auf ca. 1900m) um 22:45 Uhr. Nachdem wir dem Hüttenteam bereits telefonisch unsere sehr späte Ankunft angekündigt hatten, schmissen wir unsere Rucksäcke in die Materialseilbahn und setzten den Weg zur Hütte ohne schweres Gepäck zu Fuß fort, um nicht noch mehr Zeit und Kraft zu verlieren.
Auch der alte Sommerweg hoch zur Hütte ist leider einem großen Steinschlag zu Opfer gefallen. Der erste Teil des Weges wurde somit durch einen neu angelegten teilweise steilen Steig ersetzt, der in der Dunkelheit mit Stirnlampen teilweise schwer zu finden war. Am Ende ging jedoch alles gut und wir erreichten die Kürsinger Hütte nach weiteren 650hm und 2,5 km schließlich um 23:45 Uhr, waren aber ganz schön müde. Zu diesem Zeitpunkt hab ich mich ehrlich gesagt doch sehr weit entfernt vom Gipfel am nächsten Tag gesehen.
Auf der Hütte wurden wir trotz der späten Stunde sehr herzlich und freundlich empfangen. Während des Gesprächs mit dem Hüttenwirt füllten wir auch unseren Flüssigkeitshaushalt wieder auf. Man bot uns sogar noch einen Schweinebraten an, worauf wir allerdings aufgrund der späten Uhrzeit dann doch verzichteten.
Um ca. 0:30 Uhr ging es also ins Bett. Die Hütte war mit 120 Leuten voll belegt und wir waren froh über unser Zweibettzimmer ohne die typische "Lagerunruhe". Außerdem hätten sich die schlafenden Leute im Lager mit Scherheit bedankt wenn zwei so Deppen um 0:30 Uhr mit Sack und Pack den dunklen Saal aufmischen. Das war so also schon echt Luxus. Ich war wiegesagt fix und alle und froh endlich im Bett zu liegen. Der Wecker wurde gestellt, aber ich habe eher gedacht ich werde ihn beim ersten Klingeln ausmachen, weiterschlafen, morgens evtl. auf den Keeskogel laufen und wieder absteigen.


Großvenediger Nordgrat (1300hm, 6km)

Der Wecker klingelte schließlich um 3:30 Uhr. Das Aufstehen fiel nicht leicht, aber den Beinen hatte die kurze Verschnaufpause sehr gut getan. Nach kurzem Frühstück (wir hatten uns was mitgebracht, weil wir ja ursprünglich nicht wussten wann wir starten sollten) verließen wir die Hütte schließlich als zweite Seilschaft um 04:10 Uhr in voller Montur.
Auch der Weg zum Gletscher zieht sich. Der gut markierte einfache Steig leitet um die Südflanke des Keeskoogels und am Ende geht es nochmals einige Höhemeter nach unten bis man schließlich nach 2,5km auf ca. 2750 Metern den Obersulzbachkees betritt. Wir zogen zügig die Steigeisen über, seilten an und starteten zunächst dem Normalweg folgend. Nach 200-300 Höhenmetern verließen wir den Normalweg schließlich und bogen nach rechts in Richtung Nordgrat ab. Wir wählten einen Weg zwischen den Spaltenzonen hindurch. Am Ende überwanden wir noch in extrem anstrengender Spurarbeit zwei größere Schneefelder und erreichten um ca. 6:40 Uhr ohne Schwierigkeiten die Signalstange auf der ersten Erhebung am Grat (auf ca. 3300m). Zwei andere Seilschaften stiegen bereits von weiter unterhalb den hier recht schuttigen Grat nach oben. Die Seilschaft, die uns voraus war (1 Bergführer mit seinen 2 Kunden) wählte den Einstieg über die Meynowscharte.

Nach kurzem 2. Frühstück ging es weiter. Zunächst am Grat in leichtem Blockgelände (I). Bereits nach wenigen Metern folgt eine gebohrte Abseilstelle, die ca. 10 Meter schräg nach links unten führt. Den Versuch hier abzuklettern um Zeit zu sparen habe ich schließlich abgebrochen. Angeblich handelt es sich dabei um einen III-er, ich würde das Ganze allerdings schwerer, auf einen IV-er schätzen und das in bereits deutlich exponiertem Absturzgelände. Nachdem wir uns schließlich auf ein kleines Plateau abgeseilt hatten, ging es am freien Seil weiter. Und das machte richtig Spaß. Im bombenfesten Fels geht es am Grat oder leicht seitlich davon weiter bis zum Abstieg in die Keidelscharte (I-II). Diese wird unproblematisch im Schnee überquert und es folgt der Anstieg auf  den Torwächter (3465m). Auch hier wird der II-te Grad nicht überschritten. Kurz vor dem höchsten Punkt klettert man links vom Grat problemlos nach oben und ist nach kurzem Abstieg (I) bereits an der Meynowscharte, die wir um ca. 8:15 Uhr ereichten und nochmals für eine kurze Pause nutzen, wobei wir von 2 anderen Seilschaften nach kurzem Plausch überholt wurden.
Nun beginnt der steilere Schlussanstieg, der mit den schwierigsten, aber auch schönsten Kletterstellen aufwartet. Von der Scharte aus geht es links des Grates durch ein Bänder- und Risssystem nach oben (meistens II, immer wieder III-er Stellen) und dann weiter am Grat entlang (I-II) Ein kleiner Turm der aussieht wie ein Adlerkopf wird rechtsseitig umgangen. Danach steilt das Gelände sich nochmals auf. Das Gipfelkreuz ist bereits sichtbar und ebenso die Schlüsselstellen, die Platten rechtsseitig des Grates.
Los geht es mit einem breiten Riss (III-) und dann nach rechts zum ersten gebohrten Stand. Von hier direkt nach oben über die griff- und trittarme "böse Platte" (Bohrhaken sichtbar). Ohne Handschuhe ist das deutlich einfacher, da man die feinen Risse gut greifen kann (IV-). Nach kurzer Zeit kommt links oben der zweite gebohrte Stand. Von hier kann problemlos nach rechts gequert werden (III) bevor es unschwieirg auf den Grat zurückgeht (II). Von dort aus in leichter Kletterei mit traumhafter Aussicht zum Gipfel (I-II), den wir um ca. 10:15 Uhr erreichten.
Hier erwartet einen gleich der "Schock". 30 Leute sammeln sich auf der Schneekuppe vor dem Gipfelkreuz. Es gab ungelogen sogar eine Schlange fürs Foto vor dem Gipfelkreuz. Wir blieben deshalb am letzten felsigen Teil des Grates sitzen und genossen leicht abseits des Trubels die sagenhafte Aussicht. Ich war nach den letzten 14 Stunden ehrlich gesagt ganz schön geschafft. Bereits die letzten Klettermeter haben die Beinmuskeln schon ganz schön pumpen müssen, es waren insgesamt immerhin fast 3000 Höhenmeter mit wenig Ruhe zwischendurch.


Abstieg über den Normalweg

Der Abstieg über den Normalweg zurück zur Kürsinger Hütte ist technisch unschwierig und viel begangen. Die Schwierigkeiten bereiten mit voranschreitendem Sommer die vielen Gletscherspalten. Der Abstieg zur Venedigerscharte war soweit problemlos. Es war einiges los. Im Aufstieg befand sich um diese Uhrzeit niemand mehr auf der Normalroute. Im Abstieg sogar mehrere 5-er Seilschaften. Die Randspalte direkt an der Scharte war bereits nur noch zu überspringen. Im weiteren Verlauf mussten auch noch 2 andere kleine Spalten übersprungen werden, der Rest war noch von Schnee bedeckt. Durch den sulzigen Schnee versuchten wir zügig wieder nach unten zu kommen. Die Sonne brannte ganz schön auf uns runter und die Müdigkeit machte sich immer weiter breit. So richtig Spaß gemacht hat das trotz des schönen Wetters und der tollen Umgebung leider nicht mehr wirklich. Schließlich haben wir um ca. 12 Uhr den Gletscher wieder verlassen, um ca. 13 Uhr waren wir wieder an der Kürsinger Hütte.
Nach Essen und Trinken machten wir uns schließlich um 15 Uhr wieder auf den Weg zurück ins Tal. Für den Weg von der Materialseilbahn zum Parkplatz hat sich das Fahrrad dann wirklich gelohnt. Ich knn nur jedem Raten das Tal entweder mit dem Hüttentaxi oder Fahrrad zu befahren, laufend macht das wirklich keinen Spaß...
Um 17 Uhr waren wir schließlich wieder am Auto und konnten im Anschluss auch noch im Gasthof Siggen wohlverdient zu Abend essen bevor es mit dem Auto zurück ins Allgäu ging.


Schwierigkeit

Es handelt sich bei der Tour um eine tolle Kletterei sofern der Grat schnee- und eisfrei ist, nichtsdesdotrotz ist der Grat anspruchsvoll.  Die Kletterei sollte zum Großteil am freien Seil oder seilfrei erfolgen. Wenn man den Grat komplett durchsichert bekommt man mit Sicherheit zeitliche Probleme. Nahezu der komplette Grat ist Absturzgelände und somit sehr exponiert. Die Schlüsselstelle ist eine IV- im Plattengelände. Hier befinden sich (neben der eingerichteten Abseilstelle zu Beginn) auch die einzigen Bohrhaken inkl. zweier Stände. Der Fels ist meistens fest.
Wir hatten perfekte Verhältnisse und konnten den Grat komplett ohne Steigeisen begehen, Sollten die Verhälntnisse nicht optimal sein, wird insbesondere die "böse Platte" deutlich schwerer und die Kletterei nochmals ein ganzes Stück anspruchsvoller. Es lohnt sich wirklich hier gute Verhältnisse abzuwarten.
Bei Zeitmangel kann die Meynowscharte als Aufstiegvariante genutzt werden, man bringt sich dabei allerdings um einen Großteil der schönen Kletterei. Von der Keidelscharte als Einstiegsvariante würde ich abraten (zu steil und große Randspalte), diese lohnt sich allenfalls als Notabstieg (und selbst das ist nicht ungefährlich)..


Fazit

Eine sehr schöne Route auf den Großvenediger. Die Kletterei macht richtig Spaß. Die Aussicht ist ein Traum. Mit Zu- und Abstieg allerdings ein durchaus anstrengendes und ernst zu nehmendes Unternehmen.

Tourengänger: Eumaex


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Kommentare (2)


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tauernfux hat gesagt:
Gesendet am 1. August 2021 um 17:06
Gratuliere, dass ihr die Tour trotz Zustiegshindernissen und später Ankunft/Schlaf noch durchziehen habt können!
Noch ein paar Hinweise für andere Interessierte, obwohl meine Begehung auch schon wieder einige Jahre her ist:
Der direkte Weg über den gesamten Grat ist durchaus eine Überlegung wert, falls man genügend Übung mit etwas losem Blockwerk hat. Bis etwa 3300m kommt man da ohne wesentliche Probleme und spart das Gletschergewurschtel.
Einzig die Orientierung, Umgehung bestimmter Stellen ist gelegentlich etwas fordernd. Als Alleingänger war das für mich auch die einzige Option.
Der Gratbeginn kann meist problemlos über aperen Gletscher oder was davon noch übrig ist, erreicht werden.
Eine Abseilstelle habe ich nicht in Erinnerung, bzw. auch rechtzeitig umgangen.
Als Alleingänger habe ich am Venediger damals kaum ein Schneepatzerl berührt, weil ich den Westgrat runter bin.
Allerdings:
Der Westgrat ist ungeheuer langwierig, hat viele Riesenblöcke auf die man ev. versehentlich rauf steigt und auf der anderen Seite wegen läppischer 5 hm nicht runter kann.
Daher sollte man den Westgrat eher nur bei guter Firnbedeckung gehen.
Auch der Abstieg vom Obersulzbachtörl Richtung Kürsinger ist ev. nur noch ein Schrotthaufen.

LG :)


Eumaex hat gesagt: RE:
Gesendet am 4. August 2021 um 21:37
Danke für die Ergänzung. Respekt vor deiner Solobegehung. Bei der Schlüsselstelle habe ich mich mit Seil durchaus wohler gefühlt...


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